BELL WITCH & FUOCO FATUO live im P8ÂČ Karlsruhe

Knapp zu spĂ€t, die erste Band hat gerade begonnen, komme ich ins P8ÂČ und wundere mich, dass von den Leuten, die neben dem Mischpult stehen, bis vor zur BĂŒhne alles leer ist. Ich finde das FUOCO FATUO gegenĂŒber unfair und gleichzeitig sehr verwunderlich, dass offenbar bisher kaum jemand da ist beziehungsweise weiter nach vorne geht. Als ich jedoch schliesslich mit flĂŒssiger Erfrischung ausgerĂŒstet Richtung BĂŒhne strebe, erkenne ich meine FehleinschĂ€tzung, denn es bietet sich mir ein Ă€usserst ungewohnter, ja fĂŒr Doom Metal geradezu skurriler Anblick: der Zuschauerraum ist bestuhlt, und das Konzert keineswegs schwach besucht, sondern die Meisten sitzen eben. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet, doch wieviel Sinn dies gerade fĂŒr den Hauptact BELL WITCH macht, werden wir im Laufe des Abends noch lernen…

SØSTRE – s/t

Das sogenannte moderne Leben auf diesem Planeten voller Irrer ist kein Spass, und kann einer schon mal ein apokalyptisches Seelentief inklusive totalem RĂŒckzug aus dem ganzen Wahnsinn verschaffen. Absolut verstĂ€ndlich, oder? Und entsprechend dĂŒstere Musik kann dann dabei helfen, etwas Abstand zum ganz normalen Wahnsinn zu bekommen. Doch auch der grösste schwarzmetallische Misanthrop und Griesgram, der nerdigste Psychedelic-Progster oder der superXstraightedge Punk brauchen ab und zu etwas Spass durch einen gewaltigen musikalischen Arschtritt, um aus ihren Gedankenschleifen heraus zu kommen und wieder geerdet, happy und verschwitzt zusammen mit anderen am Leben teilzunehmen, aka es so anarchisch und fröhlich wie nur möglich zu feiern.

Den perfekten Soundtrack dazu liefert eine neue Band aus dem norwegischen Bergen, das zwar eher fĂŒr folkloristisch angehauchten Black Metal bekannt ist, aber eben auch eine „Punkrock City“ mit einer extrem aktiven Szene ist. Die vier Schwestern (“SĂžstre”) sind zwar allesamt mĂ€nnlich, etwas Verspieltes geht ihnen jedoch bei aller HĂ€rte nie ab, sie schwelgen thematisch in schwarzer Magie und SciFi, Ritualen und Philosophie, Schlangen und explodierenden Monden, Schwerelosigkeit und Bewusstseinserweiterung, und beweisen auch musikalisch sehr viel blĂŒhende Phantasie…

SIGH – Live: The Eastern Forces Of Evil

Wie viele andere Bands haben auch die japanischen Black Metal-Avantgardisten SIGH wĂ€hrend der Corona-Zeit die Möglichkeit schĂ€tzen gelernt, Konzerte ohne Publikum zu spielen und sie per youtube zu veröffentlichen, und so gingen sie auch im Jahr vor ihrem 30jĂ€hrigen BandjubilĂ€um auf die traditionell gestaltete BĂŒhne, um ihrer eigenen Geschichte zu bedenken sowie die neuen Songs des Magnum Opus ‚Shiki’ (siehe Review hier) endlich live zu spielen. Es war anfangs gar nicht geplant, dabei ihr drittes Livealbum aufzunehmen, doch da die Aufnahme so gut geriet, wurde eben ‚Live: The Eastern Forces Of Evil’ daraus, ein Querschnitt durch das Beste des aktuellen Albums, aber vor allem die verdorbenen FrĂŒchte aus dreissig Jahren absoluter Pionierleistung im ostasiatischen Black Metal.

Die titelgebende Zeile und wohl auch SelbstverstĂ€ndnis der Band stammt denn auch aus dem ersten Song nach dem Intro, ‚A Victory of Dakini’ vom SIGH-LP-DebĂŒt ‚Scorn Defeat’ aus dem Jahre 1993, die zeigt, wer damals Bandleader und heutzutage einzigem GrĂŒndungsmitglied Mirai Kawashima’s grosse Vorbilder waren, das Ding ist auch in der heutigen Version noch VENOM-Worshipping galore, und erschien zudem damals auf Euronymous Label “Deathlike Silence Productions”. Gleichzeitig ist der aktuelle Plattentitel ein Zitat des ersten, spĂ€ter offiziell gewordenen Bootleg…

CANCELLED!!! Vendetta Fest 2023

Das Post-Corona-Zeitalter ist noch mehr als zuvor gekennzeichnet durch Unsicherheit und ZurĂŒckhaltung, gerade auch was die Planung der Freizeit angeht. Das Geld sitzt nicht mehr so locker wie zuvor, und viele in der Szene mĂŒssen sich sehr gut ĂŒberlegen, in welche Konzerte und Festivals sie ihr verbliebenes Budget investieren, und sind zögerlich geworden, sich bereits im Vorverkauf Karten zu sichern. Das fĂŒhrt jedoch fĂŒr die Veranstalter oft zu kaum planbaren Situationen, denn auch sie mĂŒssen um den Fortbestand ihrer Locations kĂ€mpfen. Kurz und schmerzlos: wenn der Vorverkauf nicht schnell besser wird, gibt’s kein Vendetta Fest 2023!

Und das wĂ€re in vielfacher Hinsicht schade, denn gĂŒnstiger als mit nur 26.- Öcken seht ihr nirgends ein solches Killerpackage wie hier, die Namen kann man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: ULTHA, SUN WORSHIP, VEHEERER, NAXEN, KOLD und UDÅNDE werden am ersten Samstag im Oktober den Laden komplett verdunkeln und erbeben lassen – allerdings nur, wenn ihr euch rasch um Tickets bemĂŒht….

BLACKBRAID – II

Inwieweit beeinflusst die Natur um uns, die Landschaft, der Grund und Boden, auf dem wir geboren, aufgewachsen sind und leben, unsere Kunst? Hat der geographische Hinter-, oder besser Untergrund verglichen mit dem kulturellen, mit den Traditionen und der Geschichte, ĂŒberhaupt einen Einfluss auf Menschen? Hört man das Lagerfeuer und die ersten gezupften Töne von ‚Autumnal Hearts Ablaze’, dem Intro zum zweiten BLACKBRAID-Album, fĂŒhlt man sich jedenfalls sofort nach Nordamerika versetzt, und zwar in eine nördliche, bergige Region wilder WĂ€lder; musikalisch erinnert es anfangs vielleicht genau wegen dieser Naturstimmung an Cascadian Black Metal und WOLVES IN THE THRONE ROOM oder AGALLOCH, schnell kommt jedoch noch eine andere Note hinzu, und zwar eine, die lĂ€ngst ĂŒberfĂ€llig war – der Einfluss und Ausdruck der ursprĂŒnglichen Bewohner des Landes.

BLACKBRAID ist das Soloprojekt von Sgah’gahsowĂĄh, der nach dem gerade in den USA extrem gefeierten DebĂŒt ‚Blackbraid I’ bereits ein knappes Jahr spĂ€ter nun dessen Nachfolger vorlegt, doch die vorgelegte Release-Geschwindigkeit sowie nochmalige qualitative Weiterentwicklung der Musik sind bei weitem nicht das einzig Erstaunliche an dieser Neuentdeckung. Es ist nicht die erste indigene US-Black Metal Band (von denen die meisten…

METAL, MACHT, MISOGYNIE – im Lichte der Diskussion zur Causa RAMMSTEIN – Teil III

Teil III – Sexismus im Rock und Metal – a.k.a. ‘Woman, be my Slave’?

Ich gebe es zu, ich habe mich total verschĂ€tzt, was das Thema „Sexismus in der Rockmusik“ angeht, und zwar nicht nur wegen dem extremen Ausmaß an Misogynie auf sĂ€mtlichen Ebenen im Musikbusiness wie auch generell in der Popkultur. Zwar gab es hier bisher noch kein echtes #metoo wie seit 2017 in der Filmindustrie, doch immer wieder outen sich auch prominente Frauen wie zB Lady Gaga als “Rape Survivor”, das Thema ist schon lange unterschwellig am Brodeln. Da mir bewusst war, dass allein die dahinterstehenden gesellschaftspolitischen Fakten zwar sehr schwer wiegen, aber zu wenig bekannt sind, habe ich in Teil I alltĂ€gliche Gewalt gegen Frauen und Teil II speziell Sexismus und sexualisierte Gewalt, denen Frauen in mĂ€nnlich dominierten Gesellschaften ausgesetzt sind, entsprechend ausfĂŒhrlich behandelt – wer also erst hier einsteigt, sollte sich zum besseren VerstĂ€ndnis zuvor dort mit den erschreckenden Zahlen und Fakten auseinandersetzen, die zeigen, wie fatal sich hegemoniale MĂ€nnlichkeit auch in unserer scheinbar so aufgeklĂ€rten Gesellschaft immer noch auf das Leben von Frauen und nicht-binĂ€ren Menschen, die ich hier stets…

METAL, MACHT, MISOGYNIE – im Lichte der Diskussion zur Causa RAMMSTEIN – Teil II

Teil II – Sexualisierte Gewalt, Sexismus und das Patriarchat

Nachdem wir geklĂ€rt haben, wie verbreitet Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft ist, stellt sich die Frage, wieso das Thema nicht viel umfassender diskutiert wird, sondern vielmehr in der Öffentlichkeit kaum vorkommt? Was fĂŒr eine Rolle sexualisierte Gewalt spielt und wie die Rechtslage sich dazu ĂŒber die Zeit entwickelt hat? Und wieso es Betroffenen so schwergemacht wird, mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit zu gehen? Die GrĂŒnde hierfĂŒr sind komplex, da sie vor allem von den jeweiligen Grundwerten aller Beteiligten und der Gesellschaft, in der sie leben, abhĂ€ngen. Aufseiten der Opfer* sind SchamgefĂŒhle, SelbstvorwĂŒrfe und auch einfach der Wunsch, Geschehenes zu verdrĂ€ngen, um wieder gesunden zu können, mehr als verstĂ€ndliche GrĂŒnde zu schweigen, auf der anderen Seite haben wir eine Gesellschaft, die sich ihren dunklen Seiten und deren sozialen und politischen HintergrĂŒnden wenn ĂŒberhaupt, dann nur ganz allmĂ€hlich stellen will, und sie lieber tabuisiert. Oder die sich gleich auf die Seite der TĂ€ter stellt. Wie wirkmĂ€chtig TĂ€ter-Opfer-Umkehr sein kann, hat zuletzt der Prozess Heard/Depp gezeigt, der dem Schauspieler nicht…

METAL, MACHT, MISOGYNIE – im Lichte der Diskussion zur Causa RAMMSTEIN – Teil I

I – Eine Einordnung in die aktuelle Lebenswirklichkeit von Frauen

Es hat was von einem Vulkanausbruch – auch wenn ein Ereignis lange ĂŒberfĂ€llig ist, wenn es dann plötzlich eintritt, passiert alles viel zu schnell und gleichzeitig, die Situation wird unĂŒbersichtlich und die Reaktionen darauf chaotisch und oft widersprĂŒchlich. Der von Frauenseite lange erwartete #metoo-Skandal in der Musikbranche, haben wir ihn nun endlich durch die Causa RAMMSTEIN? Noch sind wir ganz am Anfang, es werden aktuell weiter durch die Medien Indizien zusammengetragen, die behördlichen Ermittlungen haben vermutlich noch nicht einmal begonnen, was jedoch gleichzeitig die Chance beinhaltet, genau dieses Momentum zu nutzen und aus „Rammelstein“ die dringend notwendige gesellschaftliche Diskussion zu machen, die klĂ€rt, wie der Sexismus im Musicbiz bekĂ€mpft und ausgerottet werden kann. Also los, auf die Barrikaden!
Doch – was passiert da gerade? Überall sind sehr laute Stimmen zu hören, die Frauen anklagen: dafĂŒr, dass sie den Mund bei der Polizei und in Social Media aufgemacht haben und einen Rockstar beschuldigt, dafĂŒr, dass sie ihn back- oder gar…

CULTHE FEST 2023 – Festivalbericht

Dass das CULTHE FEST eine durch und durch leidenschaftliche DIY-Veranstaltung voller Idealismus, Engagement und Herzblut ist, haben wir ja schon HIER in unserer Vorschau betont, die sich alle leider-bisher-noch-nicht-CulthistInnen zwecks Vermeidung von Wiederholungen zuerst einmal zu GemĂŒte fĂŒhren sollten, bevor sie nun diesen Festivalbericht goutieren. Und wenn ihnen dann bewusst wird, was da seit zehn Jahren in schöner RegelmĂ€ssigkeit, wenn auch zuletzt unterbrochen durch die Pandemie, zwei FeierTage lang im Haverkamp in MĂŒnster so alles los ist, werden echte Untergrund-Extremmetalfans ab sofort das Osterwochenende fĂŒr einen Besuch in Westfalen reservieren, wie es eingefleischte (ist das heutzutage eigentlich noch eine valide Formulierung? Ich zumindest erinnere mich eher an die genialen Falafelrollos vom Al Hayat-Wagen im Hof…) Fans schon seit einigen Jahren tun…

Das Festival beginnt eigentlich schon nach dem Gang zum Briefkasten, wenn die Post mit den Karten eingetroffen ist – in einem so liebevoll handbeschrifteten Umschlag, wie auch das Musik- sowie das Rahmenprogramm des CULTHE FESTs kuratiert werden. Schön gestaltete Flyer und Sticker begleiten die Tickets und es wĂŒrde nicht wundern, wenn dem Brief auch Weihrauch- oder vielleicht besser Lovecraftscher, unaussprechlich culthiger Schwefeldunst entströmen wĂŒrde, passen wĂŒrd’s allemal! Da ja graphische KĂŒnstlerInnen genauso Teil des Festivals sind wie die Bands, kann der Veranstalter Culthe Collectiv e.V. diesmal auch gleich auf diverse Designs fĂŒr…