Synergien & Symbiosen: SATYRICON & MUNCH, Oslo & der Black Metal

Ich schwöre, der Schatten auf dem Ausstellungsposter oben ist kein Fake. Ich habe ihn wĂ€hrend der Aufnahme nicht mal wahrgenommen, so sehr war ich mit der schrĂ€gen Perspektive beschĂ€ftigt. Das neue MUNCH jedoch, wie das im Herbst 2021 eröffnete futuristische GebĂ€ude im Hafen Oslos heisst, hat das Petruskreuz vor dem Eingang zu “SATYRICON & MUNCH” mit Hilfe der Abendsonne und seiner Fassade aus Stahl und Glas selbst herbeigezaubert, zu recht und mit voller Überzeugung, da bin ich mir sicher. Wo, wenn nicht in Norwegens Hauptstadt liegen Licht und Schatten des Black Metal nĂ€her zusammen?

Wer diesen Sommer hier oben im 10. Stock an den Panoramafenstern steht, ist entweder speziell fĂŒr diese Ausstellung gekommen und hat dafĂŒr teilweise lange Anreisen auf sich genommen, oder ist normaler Museumsbesucher und kommt rein zufĂ€llig hierher. Vielleicht lĂ€uft auch der Kreuzfahrttourist hier nur mal schnell durch und wundert sich ĂŒber die musikalische Beschallung, vielleicht nutzt er die Bank hinten im Raum auch fĂŒr ein erholsames SchlĂ€fchen, wie mein Nachbar beim zweiten Besuch es – fĂŒr mich völlig unverstĂ€ndlich – eine ganze Stunde lang tat. Die “Eingeweihten” unter den 350.000, die in den vergangenen vier Monaten Zeugen dieser Symbiose aus Expressionismus und Black Metal wurden, erkennen sich jedoch wie ĂŒberall auf der Welt an ihrer Kleidung und Haarpracht, an der Reaktion auf die Musik, und vor allem an der Ehrfurcht, mit der sie den fast stockdunklen…

MDXX – MDXX

Kaum zurĂŒck aus den WĂ€ldern des vorigen Reviews, sind wir schon wieder in Stockholm. In welchem Zeitalter der Menschheitsgeschichte wir uns befinden soll erst einmal egal sein. Und abermals erklingen Gitarrenmelodien, fast zu schön um wahr zu sein, zu eingĂ€ngige Songs und zu gelungene Arrangements zwischen Doom, klassischem 80er Metal und 70er Hardrock, jedoch mit einer stĂ€ndig im Hintergrund lauernden, sinistren, okkulten und deutlich eingeschwĂ€rzten Schlagseite, die das Ganze jedoch gerade noch interessanter macht – da muss doch der Teufel seine HĂ€nde im Spiel haben! Kaum gedacht, hören wir tatsĂ€chlich schon vom gefallenen Gott und seiner neu gezeugten Kreatur, die die Menschheit ausradieren soll vom Angesicht seiner Schöpfung, und hĂ€tten wir’s nicht bereits vor anderthalb Jahrzehnten unweit im selben Lande erlebt, man könnte den Eindruck haben, hier wĂŒrde sich eine Geschichte wiederholen


1520 war ein SchlĂŒsseljahr in der Geschichte Schwedens und seines Freiheitskampfes um UnabhĂ€ngigkeit von DĂ€nemark, das seit Ende des 14. Jahrhunderts die Herrschaft ĂŒber ganz Skandinavien und Island innehatte. Es endete am 7. November 1520, drei Tage nach der Krönung des DĂ€nenkönigs Christian II., Sieger im UnabhĂ€ngigkeitskrieg…

JONATHAN HULTÉN – The Forest Sessions (DVD)

JONATHAN HULTÉN ist fĂŒr vieles zu bewundern – seine virtuosen GitarrenkĂŒnste, den absolut sicheren Umgang mit seiner so vielschichtigen wie umfangreichen Stimme, sein ausdrucksstarker und gleichzeitig extrem reduzierter Stil als Songwriter und Lyriker, sein so phantasie- wie effektvolles Styling, mit dem er sich stĂ€ndig neu erfindet, sein enormes Talent als Graphiker, sein expressiver Selbstausdruck als TĂ€nzer, nicht zuletzt seine zurĂŒckhaltende und doch stets hochprĂ€sente menschliche Art, doch vor allem fĂŒr seine schier unerschöpfliche KreativitĂ€t, die sein Aufgehen in all diesen Kunstformen erst möglich macht.

Am meisten beeindruckte mich jedoch sein Ausstieg von TRIBULATION, gerade zum Zeitpunkt ihres kommerziellen Durchbruchs, den HULTÉN jedoch offensichtlich benötigte, um seinen ganz eigenen Weg als UniversalkĂŒnstler gehen zu können. Frei von jeder EinschrĂ€nkung, ohne Kompromisse, nur sich selbst und seinen eigenen AnsprĂŒchen verpflichtet, offen fĂŒr jegliche Ideen, die da kommen. Dass er gefĂŒhlvoll und packend komponieren kann und daraus mit den einfachsten Mitteln, aber einem grossen Perfektionismus exakt auf sich als Performer zugeschnittene StĂŒcke voller Klarheit und doch tiefer EmotionalitĂ€t gestalten kann, ist lange bekannt, sein erstes Lebenszeichen von 2017, die EP…

JENNY HVAL – Gott hassen

Können Worte Emotionen jemals umfassend beschreiben? Wohnen ihnen gar GefĂŒhle inne, sind sie wie elektrisch damit aufgeladen, oder lösen sie diese nur aus? Was gibt Worten diese sogartige Wirkung auf uns, und woher beziehen sie die Energie dafĂŒr? Wird sie durch den kreativen Akt des Schreibens kanalisiert, aber wo war sie dann zuvor? Wie gelingt AutorInnen dieser magische, Bedeutung und vor allem Verbindung erschaffende Prozess und was ist hilfreich und notwendig dafĂŒr? All diesen und vielen weiteren kĂŒnstlerischen, magischen und existenziellen Fragen geht JENNY HVAL in ‚Gott hassen’ nach.

Die Norwegerin ist bisher vor allem als vielfach ausgezeichnete Musikerin bekannt, hat jedoch zudem Kreatives Schreiben und Performance studiert und arbeitet als Journalistin und Autorin, und all diese verschiedenen kĂŒnstlerischen Ausdrucksformen finden nun in ihrem zweiten Roman zusammen. Man kann dieses Buch mit ihrer eigenen, zwischen Avant-Pop und Electroexperimentellem oszillierenden Musik in Hintergrund lesen, tatsĂ€chlich passt jedoch der von ihr stĂ€ndig untersuchte und auch immer wieder zitierte „total misanthropische Black Metal“, gerne frĂŒhe DARKTHRONE, deutlich besser zum Leseerlebnis, geht es doch viel um die Jugend der Protagonistin, die Gott hasst und Black Metal verehrt, entsprechend auch selbst in einer Band spielt und die Farbe Schwarz als einzig mögliche identifiziert, stellt sie doch den totalen Kontrast zu den properen weissen Dörfern des tiefchristlichen und genauso spiess-…

HEAVEN’S DAMNATION – Heaven’s Damnation

Entstanden als Projekt des DYSGNOSTIC- und URKRAFT-Gitarristen M. Bertram, der sich fĂŒr seine Vision eines Sounds, der die AtmosphĂ€re des Black Metal mit der Aggression von Death Metal verquickt, mit Schlagzeuger A. Fjorgynn (FJORSVARTNIR) und SĂ€nger L. Johansson (SERPENT’S LAIR, GENOCIDE DOCTRINE, ex-UDÅNDE) verstĂ€rkte, legen HEAVEN’S DAMNATION nun ihr DebĂŒt bei Vendetta Records vor, die im dĂ€nischen Death- und Black Metal Untergrund genauso tief verwurzelt sind wie die drei Musiker selbst. Und diese geistige Offenheit in alle Richtungen sowie lange Erfahrung in diversen Genres merkt man allen Akteuren auch sofort an, die eine ganz klar eigen(sinnig)e und gleichzeitig ĂŒberraschende Ausrichtung auf den vier Songs plus Intro vorlegen.

Eine Band, benannt nach einem DISSECTION-Song, und dann gleich ein stimmungsvolles, oldschooliges Keyboardintro, begleitet von einer singenden Leaditarre, bis die im Duo (DYSGNOSTICs T. Fischer und S. Kannegaard helfen bei den Vocals mit einem Gitarrensolo aus, was gerade beim Gesang teils an OUR SURVIVAL DEPENDS ON US , RIP, erinnert) sowohl charmant rausgekotzten als auch keifenden Vocals einsetzen – das hat natĂŒrlich viel von „best of both worlds“, mit dem grimmen Gitarrenflirren und der dĂŒsteren Stimmung des Black Metal auf der einen, sowie dem aggressiven


THE LΩVECRAFT SEXTET – Black†White (EP)

Ein kurzes, aber umso geschmackvolleres mehr Free Jazz- als DoomhĂ€ppchen mit Black Metal-CuvĂ©e serviert uns der nimmermĂŒde Jason Köhnen (BONG-RA, MANSUR, ex-THE KILIMANJARO DARKJAZZ ENSEMBLE, CELESTIAL SEASON, THE ANSWER LIES IN THE BLACK VOID) mit den zwei Songs ‚Black’ und ‚White’ der gleichnamigen 7“ direkt nach der “first ever recorded Doomjazz Blackmass“ namens ‚Miserere’.

Eher eine Single als als eine echte EP, inspizieren die beiden rein instrumentalen Songs von ‚Black†White‘ (fast rein instrumental, ‚White’ hat wenige Sprechvocals Ă  la ‚Miserere’) die UrsprĂŒnge und Inspirationen des Blackjazz. Multiinstrumentalist Köhnen, wiederum unterstĂŒtzt von Colin Webster am Saxophon, zieht Parallelen zwischen den spirituellen und stilistisch sehr offenen Saxophonisten und Free-Jazz-Wegbereitern Albert Ayler sowie Pharoah Sanders, und dem spacig-okkulten prĂ€-Warmetal der Finnen BEHERIT, die sich nicht scheuten, elektronische Elemente in ihre rohe Black Metal-Gangart zu integrieren. Ähnliche Gedanken hatte John Zorn, als er NAPALM DEATHs FrĂŒhwerk beobachtete und in der Folge zusammen mit deren ehemaligem Schlagzeuger Mick Harris und Bill Laswell die IntensitĂ€t und Geschwindigkeit von Grindcore mit Ambient, Noise und Jazz zu PAINKILLER verschmolz…

DRAMANDUHR – Tramohr

Eines der vielen Luxusprobleme des modernen Lebens: in Zeiten von Homestudios und Eigenproduktionen wird das Angebot an neuen Bands und Veröffentlichungen immer nur noch grösser und unĂŒbersichtlicher, doch gleichzeitig passiert es viel zu selten, darunter auf etwas so ausserordentlich Neues zu stossen, dass ich sofort, von den ersten Takten an komplett begeistert bin, und sich diese Begeisterung ĂŒber die weitere Spielzeit nur noch steigert. Noch seltener geschieht dies durch etwas bisher völlig Ungehörtes, absolut Innovatives, das neue Perspektiven oder sogar eine ganz neue Welt eröffnet; und die höchste Steigerung ist, dass diese Musik auch noch so dermassen abgefahren, experimentell und verrĂŒckt ist, dass sie meinem anspruchsvoll schrĂ€gen Geschmack entspricht, und mich fĂŒr die nĂ€chsten Wochen zu beschĂ€ftigen und erfreuen versteht. Ihr ahnt es schon, aktuell ist das endlich mal wieder passiert


VoilĂ , Auftritt DRAMANDUHR! Und gleichzeitig Eintritt in eine andere, in eine Traumwelt – oder eine Vision, wie auch immer man es bezeichnen möchte. Die Illusion ist hier jedenfalls so umfassend und gelungen, dass der Hörer fĂŒr die gesamten achtunddreissig Minuten gefangen ist in einem Paralleluniversum, das zum einen diverse musikalische EinflĂŒsse zu einem einzigartigen Mix aus harten Riffs zwischen Black Metal und Dark Rock, exaltierten Melodien aus…

MESSA und JULINKO – Tourstart 2023 in Karlsruhe

Ich kann es nicht oft genug sagen: Leute, geht auf Konzerte, nur das ist das wahre Leben! Nicht nur dass man immer unerwartete Leute wiedertrifft, mit Freunden zusammenkommt und einfach Spass miteinander hat, man lernt auch stĂ€ndig tolle neue Bands kennen – wie heute JULINKO, eine SolokĂŒnstlerin ebenfalls aus dem Veneto, die MESSAs diesjĂ€hrige Mitteleuropa-Tour eröffnet. Ich wusste zuvor nicht mehr als dass es poetisch werden sollte mit ihr, aber tatsĂ€chlich wurde es transzendental, ihr Auftritt fand in einer anderen SphĂ€re statt, entfĂŒhrte in ihre Phantasiewelt mit all ihrem Licht und Schatten.

JULINKO arbeitet mit ihrer Stimme, ihren Gitarren, Effekten, sparsamer Percussion und vor allem mit Loops, doch wer nun an LILI REFRAIN denkt, liegt falsch, obwohl es zweifellos Parallelen zwischen den Beiden gibt. Sie nutzt bei dem heutigen Auftritt ihre Stimme wie ein weiteres Instrument, und da ist sie eine Virtuosin. Sie zirpt, zittert, bebt, lĂ€sst die Töne durch Kopf, Kehle und Brust wandern und wird selbst zum Stimmorgan, ihrem Experimentieren sind dabei keine Grenzen gesetzt. Dazu begleitet sie sich auf der Gitarre, die sie ebenfalls auch gerne unkonventionell fĂŒr ewig wabernde Drones und andere eindrucksvolle Effekte benutzt. Es ist eine Exploration des hörbaren Raumes, seine Grenzen…

STRYGA Fanzine : Black Metal & Art

Die Bezeichnung Stryga kommt von Strix, der antiken blutdurstigen, Eulen-oder Fledermausartigen DĂ€monin, die des nachts auf Kinderjagd geht, dabei gellende Schreie ausstösst (es sei ihr gegönnt
) und aus der spĂ€ter hexenartige NachtdĂ€moninnen wurden, die mit Weissdorn und Knoblauch abgewehrt werden können. Nicht nur Vampire, auch Hexen werden mit den Strigae in Verbindung gebracht, also einigen wir uns doch auf die Selbstbeschreibung der Heftmacherinnen:

Stryga Zine features artworks, interviews, articles and creative writings by a horde of hags from all over the earth.

Ha! Wenn das keine Ansage ist, auf sowas haben wir viel zu lange gewartet, STRYGA kommt genau zur rechten Zeit, und auch wenn die Auflage auf 380 Exemplare beschrÀnkt ist, hoffe ich, dass das Zine weite Verbreitung und viele Editionen findet, so dass sich viele Black Metal-Hexen dadurch zusammenfinden!
Anfang 2022 erschien die No. 0, die erste Ausgabe, sie vereint Texte und Artwork von 23 Strigae, die sich allesamt mit Untergrund-Black Metal, der dazugehörigen dunklen Ästhetik und Kunst sowie Folklore, okkulter Praxis und Geschichte(n) beschĂ€ftigen, was ihr Erscheinungsbild gleichzeitig einheitlich, aber vor allem auch auf jeder einzelnen Seite ĂŒberraschend…

SCÁTH NA DÉITHE – Virulent Providence

Gibt es so etwas wie ein generationenĂŒbergreifendes TraumagedĂ€chtnis? Was geben Eltern ihren Kindern an Lebenserfahrung unbewusst rein durch Vererbung, nicht durch Erziehung, weiter? VerĂ€ndern Ereignisse der Vergangenheit auch die Erbinformationen, wie es Mutationen tun? Nach der Entdeckung der DNA in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts galt lange das Dogma, dass alle Zellen des Körpers genau denselben Satz identischer Chromosomen enthalten und daher alle Erbinformationen, sei es bei Pflanzen, Tieren oder anderen Organismen, ausschliesslich ĂŒber die evolutionĂ€r sehr stabile DNA-Sequenz zwischen den Generationen weitergegeben werden. Genaue Beobachter misstrauten jedoch schon frĂŒh dieser Annahme, die sĂ€mtliche EinflĂŒsse der Umwelt auf die Gene aussen vor liess. Heute gibt es einen eigenen Forschungszweig, die Epigenetik, die untersucht, wie sich UmwelteinflĂŒsse von den Vorfahren auf die folgenden Generationen auswirken, denn dass Faktoren wie frĂŒhkindliches Trauma, Fehl- oder UnterernĂ€hrung oder die Einwirkung von Umweltgiften dies tun, ist lange bekannt, und auch die genetischen Mechanismen, wie dies vor sich geht, konnten mittlerweile entschlĂŒsselt werden.
Es gibt also sogar auf molekularer Ebene, in jedem von uns, ein kollektives MenschheitsgedĂ€chtnis, wie es von Psychologen und auch Physikern lange postuliert wurde, C.G. Jung nannte es das “Kollektive Unbewusste”, in dem das…