FOLTERKAMMER – Weibermacht

Stil: Bitch Power!!! Oper trifft auf Black Metal trifft auf Barockmusik trifft auf Jazz – und mitten in deinen offenen Mund…

WEIBERMACHT, was für ein phantastisches Wort! Stark, ungezähmt, eigensinnig, dominant, ja über-mächtig ist das Weib, so der Traum aller Feminist:innen – und als feuchter eben auch von Masochist:innen. Tatsächlich bezeichnet der Ausdruck jedoch ein kunst- und kulturhistorisch bedeutsames Sujet, nämlich die Darstellung von besonders mächtigen, starken und intelligenten Männern, die, der erotischen Anziehung von Frauen hilflos ausgeliefert, ihnen zum Opfer gefallen und dadurch zum lächerlichen Spielball der eigenen Triebe geworden sind. Schon aus der Bibel ist die Umkehr der gottgegebenen Weltordnung durch verführerische Frauen, die sich mit List und Tücke über ihre Männer erheben, überliefert, die Mär von der Torheit des weisen Aristoteles, der von Phyllis durch den Garten geritten wird verweist auf die klassische Antike, und im Mittelalter werden all diese Vorlagen nur zu gern wiederaufgegriffen und als mahnende Allegorien nicht nur in gotischen Kathedralen in Stein verewigt.

Denn Frauen sind nun einmal unberechenbar und gefährlich, mann muss ihnen die Schranken weisen, bevor sie Morgenluft wittern, doch ach, zu süß sind wiederum die Erniedrigung und Bestrafung durch sie, nicht wahr? Was wir heute BDSM nennen ist ein vielfältiges Spannungsfeld, das diese Thematik ausbreitet, das wie dafür geschaffen ist, von einer wirklich starken Femme Fatale in vielerlei Weise bespielt zu werden. Voilà, Auftritt Andromeda Anarchia!
Die klassische ausgebildete Sängerin des New Yorker Quintetts FOLTERKAMMER verkörpert auf deren Zweitling wie keine andere die Herr-scherin und Gebieterin, macht sich und vor allem ihrer Stimme diese Rolle komplett zu eigen, und das über volle vier Oktaven eines dramatischen Koloratursoprans. Richtig gelesen, sie bedient sich in einer Extremmetalband fast durchgehend des Operngesangs, teils äusserst exaltiert und mit Nina Hagen-Rrrrrrrrr, teils klassisch-technisch und zurückgenommen, doch immer leidenschaftlich ausgeführt – wenn sie nicht doch mal growlt, sprechsingt oder schreit (‚Algolagnia’, ‚Venus In Furs’), denn all dies hat sie absolut drauf – bei Andromeda ist der Übergang zwischen hohem Register und spitzem Schrei fliessend, ebenso kann sie im Sekundentakt zwischen Sopran- und Growlstimme wechseln (‚Leck mich’).

© Alex Krauss

“Wer gibt hier den Ton an?
 Die Göttin, die Mistress, die Domina
Jetzt mach Dich endlich nützlich! Leck mich!
 Geh runter auf die Knie!
 Leck mich!
Mund auf, Zunge raus! Leck mich!
 Ich befehle es dir! Leck mich!”

‘Leck mich’

Sie färbt ihre starke, durchdringende Stimme mit einer Bandbreite an Emotionen von kokett und liebreizend über herrisch-befehlend bis gnadenlos und halb durchgedreht, und um all dieses Feuerwerk an Sinneseindrücken noch zu toppen, schreibt sie die genauso expliziten wie hintergründig-phantasievollen Texte selbst und singt sie, als gebürtige Schweizerin, auf Deutsch, weil diese so hart klingende und gleichzeitig so poetische Sprache wie keine andere solche freizügigen Ungeheuerlichkeiten und Machtspielereien ausdrücken kann.

Im Jahre der Herrin

Das Thema dieses Albums sind dominante Frauen und männliche Unterwerfung, und dafür zitiert sie humorvoll bis satirisch sowohl passende musikalische Themen und theatralische Stilistiken aus Oper und Operette (‘Algolagnia’) wie auch historische Texte, sogar dem ‚Weibermacht’-Motiv entsprechend im Mittelhochdeutsch des 13. Jahrhunderts. Es geht um törichte kluge Männer und verwegen-verführerische Frauen, um Macht und Hingabe, Schmerz und Lust; Andromeda steht dabei naturgegeben im Mittelpunkt, doch auch die beteiligten Herren sind nicht ohne. Sie kommen aus dem Umfeld von Zachary Ezrin und damit IMPERIAL TRIUMPHANT, denn alles fing an, als Andromeda 2018 Gast(opern)sängerin auf ‚Vile Luxury’ war. Da sie die ideale Stimme und Persönlichkeit für diese Art von Avantgarde-Metal hat, entstand aus dieser weiter andauernden Zusammenarbeit die Idee zu FOLTERKAMMER, zwei Studienkollegen Zachs, Brendan McGowan sowie Darren Hanson, kamen hinzu, und schon zwei Jahre später das erste Album ‚Die Lederpredigt’ bei Gilead Media heraus, als bisher unerhörte Kombination von Zweite Welle-Black Metal und Oper.

Vielleicht hat das Hinzukommen von Laurent David, dem Gründer des Experimental Prog/Post-Metal-Trios KILTER (bei dem wiederum Kenny Grohowski von IMPERIAL TRIUMPHANT an den Drums sitzt…), und die gemeinsame Arbeit an der Jazz-Metal-Oper LA SUSPENDIDA den Schub in eine noch experimentellere, vielschichtigere und detailreichere Richtung gegeben, auf jeden Fall ist der Sound beim Century Media-Einstand der US-Europäischen Truppe mächtiger und die Arrangements sowohl abwechslungsreicher als auch üppiger geworden, wobei es gleichzeitig instrumental immer technischer und anspruchsvoller wird. Es ist stets deutlich, dass alle Beteiligten in beiden Welten ausgebildet wurden und Extremmetal genauso ernst nehmen wie klassische Musik oder Jazz, und daher auch sämtlichen Einflüssen den gleichen Raum in ihren Kompositionen geben – ohne jedoch den Spass daran zu verlieren, einfach mal loszudreschen und zu blasten.

So entstanden Songs, die auf beeindruckende Weise die Eleganz des Barock mit dem Furor des Black Metal, die Komplexität experimenteller Neuer Musik mit der Dissonanz des Noise und Jazz, und die Opulenz der Oper mit der Theatralik klassischen Heavy Metals verbinden, und das auf beeindruckend organische Art. FOLTERKAMMER ist kein Clash of Cultures, wie ihn beispielsweise IGORRR nicht weniger kunstvoll provoziert, vielmehr befruchten sich hier Konzept, Musik und Gesang ständig gegenseitig und bilden eine kunstvolle Symbiose, die sämtliche Genregrenzen beim Ineinanderschmelzen allmählich komplett auflöst. Tremolo, Triller oder Koloratur? Alles Ausdruck derselben Exaltiertheit. Der Rausch der Geschwindigkeit, den Brendan McGowan an den Drums entfesselt? Spiegelt auch nur die plötzliche Hormonüberflutung der sexuellen Grenzüberschreitung. Die kalten Tremolopickings der Gitarren? Wer würde denn nicht vor Andromedas Peitsche zittern…

… macht Unterwerfung Spass

Auch die zusätzlichen Instrumente sind ganz nach der zu erweckenden Emotion ausgesucht, und oft ironisch eingesetzt wie die Kirchenorgel in ‚Leck mich’; das Cembalo, gespielt von IMPERIAL TRIUMPHANTs Steve Blanco, bringt die Klänge der höfischen Minne mit ein (‚Anno Domina’). Hier werden Jahrhunderte menschlicher Kulturentwicklung in einem Doublebassschlag so gekonnt komprimiert, dass sich dieses geniale neue Konzept spätestens nach dem dritten Durchlauf genauso irre wie völlig normal anhört. Die Platte zeichnet weiterhin ein konstant hohes kompositorisches Niveau mit vielen Überraschungen, jedoch ohne irgendeine Enttäuschung aus, die vorab bekannten Singles geben die Stiletto-Marschrichtung vor, doch manch Stück fällt weiter aus dem Rahmen als andere.

Da wären die extrem harschen Dissonanzen und Blastbeats des experimentellen, ja verstörenden ‚Algolagnia’, was übrigens den Lustgewinn durch aktives wie passives Schmerzauslösen meint, hier nochmals potenziert durch Andromedas Vocals, bei denen von Charme nichts mehr zu spüren ist, hingegen ein Spektrum von fiesem Sprechgesang bis zu bitterbösen Schreien aufblitzt, das wie sie selbst sagt auch von Metal God Rob Halford inspiriert ist. Der Song beginnt nicht nur mit einem Basssolo, es war auch der bisher einzige, der gemeinsam im Studio entstand, und lässt somit in die Zukunft der Band blicken.

Besonders gelungen ist auch ‚Herrin der Schwerter’, der Hochgesang auf „La Maupin“ aka Julie d’Aubigny, eine versierte Pariser Schwertkämpferin und die berühmteste Opernsängerin ihrer Zeit, vielleicht „die größte Bad-Ass des 17. Jahrhunderts” (Zitat WDR Cosmo). Heute wie so viele Lost Sheroes vergessen, war sie am Hofe Ludwigs XIV. ein Rockstar des Barock, die nicht nur gefeiert durch das damalige Europa tourte, sondern im katholischen Frankreich auch offen bisexuell und promisk lebte – und sich zudem gerne und erfolgreich mit aufmüpfigen Männern duellierte.

© Alex Krauss

Schliesslich gibt’s zum Abschluss noch ein meisterhaft reduziertes Cover, das nicht nach Nico, sondern wieder nach Nina klingt, von Andromeda englisch, doch mit diesem extra deutschen Akzent gesungen: ‚Venus In Furs’ von VELVET UNDERGROUND, das dem thematischen Urvater Sacher-Masoch voller Respekt huldigt. Und wenn wir grade bei Covers sind – das provokante Artwork von Eliran Kantor, bei dem die Phantasie natürlich sofort auf den Joystick gelenkt wird, mit dem die Hexe im Himmel navigiert, macht schon visuell klar, dass es hier nicht um Kleinmädchenkram geht. Oder doch?

Es ist ein grandioses, schillerndes und vielschichtiges Album geworden, das niemals langweilig wird, ein musikalisches Feuerwerk und ein intellektueller Genuß, aber, mindestens genauso wichtig, eine ebenso provokante wie lusterfüllte feministisch-gesellschaftspolitische Platte, der sicherlich noch bis weit über das Jahresende hinaus feierlich gedacht werden wird. Und natürlich warten wir auf eine Fortsetzung, denn die Welt braucht noch viel mehr ‚Weibermacht’!

“Die Frau, die nach Gleichberechtigung strebt, hat zu wenig Ambition
Liebe Frauen: seid frech und lacht!
Freche Weiber an die Macht!”

‘Algolagnia’

Bandinfo:

FOLTERKAMMER sind Andromeda Anarchia (Gesang), Zachary Ezrin und Darren Hanson (Gitarren), David Laurent (Bass) und Brendan McGowan am Schlagzeug.

https://www.facebook.com/folterkammer.music
https://www.instagram.com/folter.kammer
https://centurymedia.bandcamp.com/album/weibermacht
https://gileadmedia.bandcamp.com/album/die-lederpredigt

Diskographie:

Die Lederpredigt (LP, 2020)
Weibermacht (LP, 2024)

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