Kategorie: Review

Plattenkritiken

SØSTRE – s/t

Das sogenannte moderne Leben auf diesem Planeten voller Irrer ist kein Spass, und kann einer schon mal ein apokalyptisches Seelentief inklusive totalem Rückzug aus dem ganzen Wahnsinn verschaffen. Absolut verständlich, oder? Und entsprechend düstere Musik kann dann dabei helfen, etwas Abstand zum ganz normalen Wahnsinn zu bekommen. Doch auch der grösste schwarzmetallische Misanthrop und Griesgram, der nerdigste Psychedelic-Progster oder der superXstraightedge Punk brauchen ab und zu etwas Spass durch einen gewaltigen musikalischen Arschtritt, um aus ihren Gedankenschleifen heraus zu kommen und wieder geerdet, happy und verschwitzt zusammen mit anderen am Leben teilzunehmen, aka es so anarchisch und fröhlich wie nur möglich zu feiern.

Den perfekten Soundtrack dazu liefert eine neue Band aus dem norwegischen Bergen, das zwar eher für folkloristisch angehauchten Black Metal bekannt ist, aber eben auch eine „Punkrock City“ mit einer extrem aktiven Szene ist. Die vier Schwestern („Søstre“) sind zwar allesamt männlich, etwas Verspieltes geht ihnen jedoch bei aller Härte nie ab, sie schwelgen thematisch in schwarzer Magie und SciFi, Ritualen und Philosophie, Schlangen und explodierenden Monden, Schwerelosigkeit und Bewusstseinserweiterung, und beweisen auch musikalisch sehr viel blühende Phantasie…

SIGH – Live: The Eastern Forces Of Evil

Wie viele andere Bands haben auch die japanischen Black Metal-Avantgardisten SIGH während der Corona-Zeit die Möglichkeit schätzen gelernt, Konzerte ohne Publikum zu spielen und sie per youtube zu veröffentlichen, und so gingen sie auch im Jahr vor ihrem 30jährigen Bandjubiläum auf die traditionell gestaltete Bühne, um ihrer eigenen Geschichte zu bedenken sowie die neuen Songs des Magnum Opus ‚Shiki’ (siehe Review hier) endlich live zu spielen. Es war anfangs gar nicht geplant, dabei ihr drittes Livealbum aufzunehmen, doch da die Aufnahme so gut geriet, wurde eben ‚Live: The Eastern Forces Of Evil’ daraus, ein Querschnitt durch das Beste des aktuellen Albums, aber vor allem die verdorbenen Früchte aus dreissig Jahren absoluter Pionierleistung im ostasiatischen Black Metal.

Die titelgebende Zeile und wohl auch Selbstverständnis der Band stammt denn auch aus dem ersten Song nach dem Intro, ‚A Victory of Dakini’ vom SIGH-LP-Debüt ‚Scorn Defeat’ aus dem Jahre 1993, die zeigt, wer damals Bandleader und heutzutage einzigem Gründungsmitglied Mirai Kawashima’s grosse Vorbilder waren, das Ding ist auch in der heutigen Version noch VENOM-Worshipping galore, und erschien zudem damals auf Euronymous Label „Deathlike Silence Productions“. Gleichzeitig ist der aktuelle Plattentitel ein Zitat des ersten, später offiziell gewordenen Bootleg…

BLACKBRAID – II

Inwieweit beeinflusst die Natur um uns, die Landschaft, der Grund und Boden, auf dem wir geboren, aufgewachsen sind und leben, unsere Kunst? Hat der geographische Hinter-, oder besser Untergrund verglichen mit dem kulturellen, mit den Traditionen und der Geschichte, überhaupt einen Einfluss auf Menschen? Hört man das Lagerfeuer und die ersten gezupften Töne von ‚Autumnal Hearts Ablaze’, dem Intro zum zweiten BLACKBRAID-Album, fühlt man sich jedenfalls sofort nach Nordamerika versetzt, und zwar in eine nördliche, bergige Region wilder Wälder; musikalisch erinnert es anfangs vielleicht genau wegen dieser Naturstimmung an Cascadian Black Metal und WOLVES IN THE THRONE ROOM oder AGALLOCH, schnell kommt jedoch noch eine andere Note hinzu, und zwar eine, die längst überfällig war – der Einfluss und Ausdruck der ursprünglichen Bewohner des Landes.

BLACKBRAID ist das Soloprojekt von Sgah’gahsowáh, der nach dem gerade in den USA extrem gefeierten Debüt ‚Blackbraid I’ bereits ein knappes Jahr später nun dessen Nachfolger vorlegt, doch die vorgelegte Release-Geschwindigkeit sowie nochmalige qualitative Weiterentwicklung der Musik sind bei weitem nicht das einzig Erstaunliche an dieser Neuentdeckung. Es ist nicht die erste indigene US-Black Metal Band (von denen die meisten…

ǤỨŔŪ – Nova Lvx

Brittany in the Northwest of France is not only famous for its magnificent and wild landscape, a millennia-long tradition of stubborn and proud inhabitants who defended their culture against all foreign influences (and would never say no to merry victory celebrations with roasted wild boar), but also has a very lively black metal scene, and that is from where ǤỨŔŪ are hailing. Founded in 2020 during the strange and dull times of the pandemic, the five-piece has expanded the usual black metal roots to dig into something slower, but even more deep and atmospheric by including melodic heavy and doomy elements to their dissonant, feverish riffing and blasting without denying their classic Black Metal background.

‘Nova Lvx’ is their debut album and surprises listeners not only with the most intricate and not to be outdone use of diacritical signs in their band name, but also four rather complex longtracks, an almost philosophical approach to their topic and vocals which totally stand out of your usual screaming and growling. In contrast, bandleader Jerry is not only throat singing and growling, but mainly using theatralic opera-style vocals which gives the sound of Guru something outerworldly, crazy and very eccentric, by at the same time staying true to their genre-defining blastbeats and…

ANOUSHBARD – Abandoned Treasure

Since a long time and beyond our self-centred perception, metal has already been a global phenomenon, but even though this view is slowly widening, it is still a very European/American centred affair. Especially countries that for whatever reason, be it political, religious or social, differ a lot from Western countries and are also not the typical tourist destinations, fall through the cracks of attention of fans and labels alike. Iran certainly is one of the places about which we know and hear the least about, but of course there also enthusiastic metal fans and skilled musicians are living and playing heavy metal, even when this is not officially supported. ANOUSHBARD from the capital Tehran are some of them who could change our perception of Arab music, and put their country on the world map of metal.

Founded 2017 by the two guitarrists Siavash Motallebi and Sherwin Baradaran, the latter also perfoming all vocals, the duo released their debut ‘Mithra’ in 2020, already displaying their characteristic mix of prog metal melodies with driving, extreme, both thrash and death metal riffing and rhythmic elements, all combined with Persian folk influences and wonderful clean vocals as well as guttural growls. Whereas their first record gave a great insight both into their metal influences (think groovy SLAYER riffing meets NEVERMORE drive and complexity, and a lot of stark contrasted, mid-…

ERIDU – Enuma Elish

Manchmal hört man neue Songs und wird an Bands erinnert, die es in ihrer alten Form nicht mehr gibt, und so ging es mir auch mit dieser Scheibe hier – und wenn die Erinnerung dann nicht trügt und sogar Mitglieder der Vorgängerband beim neuen Projekt involviert sind, hat das etwas von Heimkommen, und ERIDU damit bei mir schon einen Bonus. Tatsächlich hatte ich 2017 noch mitbekommen, dass der Sänger der Münchner Melo-Black-Deather GILGAMESH, die mich im selben Jahr beim Dark Easter Metal Meeting schwer beeindruckt hatten, die Band verlassen hat, die weiteren Entwicklungen dann jedoch nicht mitverfolgt.
Offensichtlich hat Enki – die Bandmitglieder tragen bei ERIDU, benannt nach der ältesten Stadt des Zweistromlandes, sumerische Namen – dann unter anderen mit Leadgitarrist Azag eben diese neue Band gegründet, das Thema Mesopotamien und seine Mythen beibehalten und sich auch musikalisch nicht allzu weit wegbewegt, die orientalischen Elemente und der Mix aus melodischem Black- und Deathmetal bilden weiterhin die Grundlage, zu der jedoch einige neue Elemente hinzukommen.
Da ‚Enuma Elish’ bereits der Zweitling der Münchner ist, muss ich erstmal nachsitzen und das Debüt ‚Lugalbanda’ antesten, das einen förmlich anspringt mit orientalischen, gern dissonanten Harmonien und einem ordentlichen Punch…

DØDHEIMSGARD / DHG – Black Medium Current

Als Fan freut man sich auf jede neue Scheibe seiner liebsten Bands, doch es gibt Gruppen, da spitzen wirklich alle im Business, die Musiker, Promoter, Booker, Szenekenner und KritikerInnen die Ohren, weil man von ihnen einfach mehr erwartet – mehr Neues, Ungewöhnliches, Inspirierendes, Experimentelles, ja auch Kontroverses. Die Norweger DØDHEIMSGARD gehörten schon immer zu diesen Bands, und auch ‚Black Medium Current’, DHGs sechstes Album macht da keine Ausnahme. Schon die erste veröffentlichte Single ‚Abyss Perihelion Transit’, siehe das Video unten, machte extreme Lust auf mehr, und nun steht die Veröffentlichung kurz bevor und ich kann sagen – das Warten hat sich absolut gelohnt, ob es im psychedelisch-proggigen Black Metal da 2023 noch eine Steigerung gibt ist unwahrscheinlich. Vielleicht lehne ich mich zu weit aus dem Fenster, aber für mich liegt sie als Jahreshighlight und Messlatte schon jetzt auf Augenhöhe mit ORANSSI PAZUZUs 2020er Meisterwerk ‚Mestarin Kynsi’, das damals ebenfalls Mitte April erschien, und das will schon etwas heissen…

…und ich habe nun die undankbare Aufgabe, meine Entzückung zu begründen. Dabei ist das eigentlich ganz einfach, denn wirklich alles, was auf ‚Black Medium Current’ passiert, findet auf einem schwindelerregend hohen Niveau statt…

BACCHUS – II

Bacchus, der römische Gott der Ausschweifung, Fruchtbarkeit und Ekstase, des Wahnsinns und natürlich des Weines, leitet sich dank seines ausgelassenen und meist lärmenden Gefolges von „Bakchos“, dem „Rufer“ oder „Geschrei“ ab, einem Beinamen seines griechisches Pendants Dionysos. Berauschte Menschen äussern ihre Lebensfreude nun mal gern laut und vor allem singend, und es ist ihnen dabei egal, ob sie die Töne oder Texte treffen. Nüchterne Zeitgenossen nennen sowas auch mal gröhlen, verkennen jedoch den seelisch reinigenden, verschwisternden und gruppendynamischen Effekt, den gemeinsamer lauter Gesang hat. Nicht umsonst weiss der Volksmund: „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder“, und das wissen auch die französischen Blackmetaller von BACCHUS, deren Albumdebut nun vorliegt.

Sie operieren auf dem pragmatisch ‚II’ benannten und entsprechend durchnumerierten Langdebüt (2021 wurde als erstes Lebenszeichen bereits eine selbstbenannte EP veröffentlicht) an der Grenze zwischen instrumentaler und vokaler Musik, denn Stimmen werden meist textfrei, wie weitere Instrumente und entsprechend dosiert innerhalb des Bandzusammenklangs eingesetzt, der durch viele Ambient-Anteile, flirrende Gitarrenflächen und stark reduziertes…