Schlagwort: Plattenkritik

TEMPEL WOLF – Hirschgeweihmaskeraden

Der majestätische Hirsch, Herrscher des Waldes, symbolisiert mythologisch die Sonne und das männliche Prinzip, Stolz, Stärke, Weisheit und Mut. Er weist uns den Weg, auch in andere Welten, unterstützt die persönliche Weiterentwicklung, ständige Neuerfindung im Rad des Lebens, und stärkt unsere Verbindung zur Natur. Schon ewig setzen sich Menschen sein Geweih auf, um diese Tugenden von ihm zu erbitten, frühzeitliche Schamanen verkörperten damit seine Führungsqualitäten, wenn es darum ging, Entscheidungen zugunsten aller zu treffen und sich dafür mit den Wesenheiten hinter dem Schleier zu verbinden. Das Hirschgeweih trägt man mit der Gewissheit und Hingabe eines klarsichtigen Anführers, bereit, für das Gute zu kämpfen.  

Auf dem Pfad zwischen den Welten wandeln auch TEMPEL WOLF, ein neues Schweizer Trio aus dem Helvetic Underground Committee, und entsprechend feierlich und zeremoniell treten sie auf ihrem 12“-Debüt ‚Hirschgeweihmaskeraden’ auch auf. Neben ganz auf Atmosphäre ausgerichtetem Black Metal, der die alpenländischen Wurzeln und ihre Erfahrungen in Bands wie KVELGEYST und URGEIST stets durchschimmern lässt, tragen Aufnahmen von Feuerknistern, Wind und Wellen viel zur stark naturverbundenen Stimmung bei, sind es doch Erinnerungen an…

HEAVEN’S DAMNATION – Heaven’s Damnation

Entstanden als Projekt des DYSGNOSTIC- und URKRAFT-Gitarristen M. Bertram, der sich für seine Vision eines Sounds, der die Atmosphäre des Black Metal mit der Aggression von Death Metal verquickt, mit Schlagzeuger A. Fjorgynn (FJORSVARTNIR) und Sänger L. Johansson (SERPENT’S LAIR, GENOCIDE DOCTRINE, ex-UDÅNDE) verstärkte, legen HEAVEN’S DAMNATION nun ihr Debüt bei Vendetta Records vor, die im dänischen Death- und Black Metal Untergrund genauso tief verwurzelt sind wie die drei Musiker selbst. Und diese geistige Offenheit in alle Richtungen sowie lange Erfahrung in diversen Genres merkt man allen Akteuren auch sofort an, die eine ganz klar eigen(sinnig)e und gleichzeitig überraschende Ausrichtung auf den vier Songs plus Intro vorlegen.

Eine Band, benannt nach einem DISSECTION-Song, und dann gleich ein stimmungsvolles, oldschooliges Keyboardintro, begleitet von einer singenden Leaditarre, bis die im Duo (DYSGNOSTICs T. Fischer und S. Kannegaard helfen bei den Vocals mit einem Gitarrensolo aus, was gerade beim Gesang teils an OUR SURVIVAL DEPENDS ON US , RIP, erinnert) sowohl charmant rausgekotzten als auch keifenden Vocals einsetzen – das hat natürlich viel von „best of both worlds“, mit dem grimmen Gitarrenflirren und der düsteren Stimmung des Black Metal auf der einen, sowie dem aggressiven…

THE LΩVECRAFT SEXTET – Black†White (EP)

Ein kurzes, aber umso geschmackvolleres mehr Free Jazz- als Doomhäppchen mit Black Metal-Cuvée serviert uns der nimmermüde Jason Köhnen (BONG-RA, MANSUR, ex-THE KILIMANJARO DARKJAZZ ENSEMBLE, CELESTIAL SEASON, THE ANSWER LIES IN THE BLACK VOID) mit den zwei Songs ‚Black’ und ‚White’ der gleichnamigen 7“ direkt nach der “first ever recorded Doomjazz Blackmass“ namens ‚Miserere’.

Eher eine Single als als eine echte EP, inspizieren die beiden rein instrumentalen Songs von ‚Black†White‘ (fast rein instrumental, ‚White’ hat wenige Sprechvocals à la ‚Miserere’) die Ursprünge und Inspirationen des Blackjazz. Multiinstrumentalist Köhnen, wiederum unterstützt von Colin Webster am Saxophon, zieht Parallelen zwischen den spirituellen und stilistisch sehr offenen Saxophonisten und Free-Jazz-Wegbereitern Albert Ayler sowie Pharoah Sanders, und dem spacig-okkulten prä-Warmetal der Finnen BEHERIT, die sich nicht scheuten, elektronische Elemente in ihre rohe Black Metal-Gangart zu integrieren. Ähnliche Gedanken hatte John Zorn, als er NAPALM DEATHs Frühwerk beobachtete und in der Folge zusammen mit deren ehemaligem Schlagzeuger Mick Harris und Bill Laswell die Intensität und Geschwindigkeit von Grindcore mit Ambient, Noise und Jazz zu PAINKILLER verschmolz…

SCÁTH NA DÉITHE – Virulent Providence

Gibt es so etwas wie ein generationenübergreifendes Traumagedächtnis? Was geben Eltern ihren Kindern an Lebenserfahrung unbewusst rein durch Vererbung, nicht durch Erziehung, weiter? Verändern Ereignisse der Vergangenheit auch die Erbinformationen, wie es Mutationen tun? Nach der Entdeckung der DNA in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts galt lange das Dogma, dass alle Zellen des Körpers genau denselben Satz identischer Chromosomen enthalten und daher alle Erbinformationen, sei es bei Pflanzen, Tieren oder anderen Organismen, ausschliesslich über die evolutionär sehr stabile DNA-Sequenz zwischen den Generationen weitergegeben werden. Genaue Beobachter misstrauten jedoch schon früh dieser Annahme, die sämtliche Einflüsse der Umwelt auf die Gene aussen vor liess. Heute gibt es einen eigenen Forschungszweig, die Epigenetik, die untersucht, wie sich Umwelteinflüsse von den Vorfahren auf die folgenden Generationen auswirken, denn dass Faktoren wie frühkindliches Trauma, Fehl- oder Unterernährung oder die Einwirkung von Umweltgiften dies tun, ist lange bekannt, und auch die genetischen Mechanismen, wie dies vor sich geht, konnten mittlerweile entschlüsselt werden.
Es gibt also sogar auf molekularer Ebene, in jedem von uns, ein kollektives Menschheitsgedächtnis, wie es von Psychologen und auch Physikern lange postuliert wurde, C.G. Jung nannte es das „Kollektive Unbewusste“, in dem das…

TRIBUNAL – The Weight Of Remembrance

Der Begriff “Doom & Gloom” wird gerne als Schwarzmalerei ins Deutsche übersetzt, als Katastrophenmeldung oder Weltuntergangsstimmung – wie passend für einen düsteren, schweren Musikstil. Gäbe es „Gloom Doom“1 tatsächlich, das neue kanadische Duo TRIBUNAL wären sicherlich Vorreiter dieses Subgenres. Ihr Debüt ‚The Weight Of Remembrance’ ist seit ein paar Tagen erhältlich, und ich habe mich beim ersten Hören kurz vom bekannten Regen-und-Kirchenglocken-Beginn täuschen lassen, der jedem Doomjünger der alten Schule die Freudentränen in die andächtig geschlossenen Augen treibt, doch diese Reminiszenz an die Gottväter des Genres aus Birmingham muss als respektvolle und tiefe Verbeugung einer Band gedeutet werden, die weiss auf welch historischem Boden sie sich bewegt bei ihrer Reise in die Zukunft; zumal sie dieses Vermächtnis, was die Rhythmusarbeit angeht, auch durchgehend mit stampfender Heavyness und konsequent sehr niedrigen BPMs zelebriert.
Doch zurück zum Opener ‚Initiation’, der Regen wird schnell abgelöst vom eindringlichen Cello der klassisch ausgebildeten Soren Mourne, die auch den Bass bedient und vor allem den Klargesang übernimmt, die musikalische Marschrichtung wird dadurch sofort gebrochen und neu definiert, MY DYING BRIDE kommen in den Sinn, später auch DRACONIAN sowie A FOREST OF STARS, denn Gothic- und Death-, sogar Black Metal-Einflüsse machen den wahren…

LUMEN AD MORTEM – Upon the Edge of Darkness

Manche Fans können sofort hören, woher eine Band stammt, und das fällt mir besonders im Black Metal auf. Kennt ihr das auch? Oder wisst sogar selbst nach ein paar Takten, wo ihr eine Band einzuordnen habt? Aber woran liegt das, ausser natürlich an einer sehr guten Szenekenntnis?
Sicher gibt es lokale oder regionale Stile, die sich an einem Ort entwickelt haben und für diesen typisch sind, da sie abbilden, was und wie die dortige Szene spielt, man denke beispielsweise an Cascadian Black Metal oder im Death Metal den Gothenburg Sound. Doch wenn man den Maßstab grösser ansetzt und an ganze Regionen denkt – kann man Skandinavien von Osteuropa, den Alpenraum von Westeuropa oder den Mittelmeerraum von Südamerika unterscheiden? Nord- von Südamerika? Asien von Ozeanien?

Ich finde ja, dass sich gerade im Black Metal die Klimazonen hörbar unterscheiden, vor allem gebirgige Gegenden mit viel Eis und Schnee auch einen frostigeren, klirrenden Sound haben; und natürlich lassen sich die jeweiligen typischen Folk-Einflüsse heraushören, orientalische Sounds klingen ganz anders als slawische Tonfolgen, hellenischer Black Metal anders als japanischer, auch wenn sich Bands untereinander immer wieder befruchten. Doch wie klingt dann Metal aus…

PHANTOM SPELL – Immortal’s Requiem

Manchmal staune ich über mich selbst und es fühlt sich immer ein wenig nach Fremdgehen an, wenn ich so dermassen abgehe auf puren Heavy- und Hard Rock, im Kontrast zu meinem doch eher extremen und düsteren Geschmack, doch wenn ich es mir recht überlege, ist es stets die Magie, die mich bei Musik anzieht, und davon hat PHANTOM SPELL wirklich mehr als genug. Es ist zudem eine Art Zeitreise zu den Quellen, ein Wiederverbinden mit den Wurzeln schwermetallischer Klänge, hier eben mit dem Progrock der 70er Jahre, der damals zeigte, wie sich eingängige Melodien auch mit anspruchsvollen (Dis)Harmonien verbinden lassen.

Ähnlich wie mit Kyle McNeills Projekt hier erging es mir in den letzten Jahren beispielsweise mit TANITH, WYTCH HAZEL oder HÄLLAS, und das, obwohl ich kein wirklicher Retro- oder Vintage-Metal-Fan bin. Doch dem 70ies Prog/Rock à la KANSAS, WISHBONE ASH und URIAH HEEP, der sich auf treibende und herrlich solierende Gitarren, atmosphärische, gerne melancholische Keyboards und charakterstarke Stimmen als Hauptelemente fokussiert und damit eine Larger-than-Life-Stimmung, die man auch gerne episch nennen kann,  ohne bombastisch zu sein, erzeugt, ihm wohnt eben viel der oben erwähnten Magie inne, und dazu eine verträumte, folkloristische Zeitlosigkeit, die einfach…

AHAB – The Coral Tombs

Ein Mann, zwischen mitfühlendem Humanismus und abgrundtiefem Hass auf die Menschheit zerrissen. Von Forschergeist, Kunst- und Naturbegeisterung genauso angetrieben wie von einem unstillbaren Durst nach Rache und Vergeltung. Genial, geistig hellwach und voller innovativer Ideen, doch innerlich tot, seit er seine Lieben, seine Vision für eine bessere Welt, einfach alles verlor, was sein Leben ausmachte – wer könnte besser für die extremen Kontraste in der Musik von AHAB stehen als le capitaine Nemo, Kommandant der „Nautilus“, der seine Toten auf dem tropischen Meeresgrund begräbt, wo Korallenpolypen sie allmählich in lebenden Särgen einschliessen?

‚The Coral Tombs’, das Covermotiv ist der Korallenfriedhof aus „20.000 Meilen unter den Meeren“, Jules Vernes bekanntestem maritimem Roman, denn diese unterseeische Reise durch alle Weltmeere ist diesmal die literarische Vorlage für das fünfte Album der Nautik Doomer und Begründer dieses Funeral Doom-Subgenres. Doch überraschend schwarzmetallisch melden sich die Süddeutschen zuerst einmal mit einem turbulenten Blastbeat-, Schrei- und Riffgewitter aus ihrer achtjährigen Pause zurück, nämlich mit dem rasant vertonten Angriff des ersten Unterseeboots der Literaturgeschichte auf das Expeditionsschiff von Professor Aronnax und seinen Gefährten. So wie ein Schiff-…

ULTHA – Forget Everything And Remember (The Lost And Obscure)

Weit mehr als nur ein noch fehlendes Sammlerstück ist diese Zusammenstellung von 13 Songs unter der Abkürzung FEAR, die auf Doppel-CD alle von ULTHA aufgenommenen Songs umfasst, die nicht auf den bisher vier Alben sowie der ‚Belong‘-EP veröffentlicht wurden. Und da es sich bei den Kölnern um eine sehr aktive und vor allem auch sehr offene Band für Splits mit Freunden handelt, war genügend Material für diesen Sampler vorhanden, der vor allem auch den Newbies unter den Fans als eine etwas andere Art der Band-Retrospektive taugt…

Die Idee von Vendetta-Chef Stefan Klose, an das überragende 2022er Album ‚All That Has Never Been True‘ noch eine Veröffentlichung zu hängen, muss bei Ralph Schmidt & Co. auf weit offene Ohren gestossen sein, was dazu führte, dass Tastenwizard und Studiobetreiber Andy Rosczyk nochmal zusätzliche Arbeit bekam, man damit jedoch den Fans eine unerwartete Überraschung zum UNHOLY PASSION FEST VI bieten konnte, die dort auch sehr gern und fleissig erworben wurde. Zwei CDs mit 135 Minuten Spielzeit und einem faszinierend-labyrinthischen Artwork von Joscha Bauer sind es geworden, die von Andy zuvor komplett remastered wurden. Es handelt sich dabei um Demos, Splits, EPs und ein Tape, genauer: die beiden ‚Dismal Ruins ‚-EPs sowie die ‚Floors Of Heaven‘-EP, die beiden Tribute-Splits mit den…