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MISOTHEIST – Vessels By Which The Devil Is Made Flesh

Black Metal ist heute mehr denn je ein Vehikel, um ohne den Umweg über den Intellekt pure Gefühle zu vertonen und dadurch eben auch auszuleben, die sich anders nicht ausdrücken lassen. Wut, Hass, Angst, Verzweiflung, Gewalterfahrung, Unverstandensein, Ekel, Scham, Verachtung, Rachegelüste, Einsamkeit, Eifersucht, Trauer – you name it, alle so richtig negativen Emotionen finden hier ein willkommenes Ventil, aber auch solche wie Sehnsucht, Zweifel oder Melancholie. Die dafür genutzten musikalischen Mittel sind mittlerweile weitgehend Interpretationssache; auch wenn sich natürlich Grundstrukturen und stilprägende Elemente wie die allumfassende Repetition stets wiederfinden lassen, ist die kreative Bandbreite des Genres heute so weit offen wie nie zuvor – und genau diese unglaubliche Vielfalt und ständige Evolution macht es ja gerade so spannend und faszinierend.

Trotzdem kann man sich die Frage stellen, was denn eigentlich zeitgemässen Black Metal im Kern ausmacht, was sozusagen heute die Definition, die Essenz des Stils ist? Während viele weiterhin expansiv mit Grenzüberschreitungen experimentieren, versuchen sich im Gegensatz dazu nicht wenige Bands an genau dieser Aufgabe der Reduktion, und eine Szene, die sich (nicht nur) damit einen Namen gemacht hat, die Fahne des weiterentwickelten klassischen…

SØSTRE – s/t

Das sogenannte moderne Leben auf diesem Planeten voller Irrer ist kein Spass, und kann einer schon mal ein apokalyptisches Seelentief inklusive totalem Rückzug aus dem ganzen Wahnsinn verschaffen. Absolut verständlich, oder? Und entsprechend düstere Musik kann dann dabei helfen, etwas Abstand zum ganz normalen Wahnsinn zu bekommen. Doch auch der grösste schwarzmetallische Misanthrop und Griesgram, der nerdigste Psychedelic-Progster oder der superXstraightedge Punk brauchen ab und zu etwas Spass durch einen gewaltigen musikalischen Arschtritt, um aus ihren Gedankenschleifen heraus zu kommen und wieder geerdet, happy und verschwitzt zusammen mit anderen am Leben teilzunehmen, aka es so anarchisch und fröhlich wie nur möglich zu feiern.

Den perfekten Soundtrack dazu liefert eine neue Band aus dem norwegischen Bergen, das zwar eher für folkloristisch angehauchten Black Metal bekannt ist, aber eben auch eine „Punkrock City“ mit einer extrem aktiven Szene ist. Die vier Schwestern („Søstre“) sind zwar allesamt männlich, etwas Verspieltes geht ihnen jedoch bei aller Härte nie ab, sie schwelgen thematisch in schwarzer Magie und SciFi, Ritualen und Philosophie, Schlangen und explodierenden Monden, Schwerelosigkeit und Bewusstseinserweiterung, und beweisen auch musikalisch sehr viel blühende Phantasie…

DØDHEIMSGARD / DHG – Black Medium Current

Als Fan freut man sich auf jede neue Scheibe seiner liebsten Bands, doch es gibt Gruppen, da spitzen wirklich alle im Business, die Musiker, Promoter, Booker, Szenekenner und KritikerInnen die Ohren, weil man von ihnen einfach mehr erwartet – mehr Neues, Ungewöhnliches, Inspirierendes, Experimentelles, ja auch Kontroverses. Die Norweger DØDHEIMSGARD gehörten schon immer zu diesen Bands, und auch ‚Black Medium Current’, DHGs sechstes Album macht da keine Ausnahme. Schon die erste veröffentlichte Single ‚Abyss Perihelion Transit’, siehe das Video unten, machte extreme Lust auf mehr, und nun steht die Veröffentlichung kurz bevor und ich kann sagen – das Warten hat sich absolut gelohnt, ob es im psychedelisch-proggigen Black Metal da 2023 noch eine Steigerung gibt ist unwahrscheinlich. Vielleicht lehne ich mich zu weit aus dem Fenster, aber für mich liegt sie als Jahreshighlight und Messlatte schon jetzt auf Augenhöhe mit ORANSSI PAZUZUs 2020er Meisterwerk ‚Mestarin Kynsi’, das damals ebenfalls Mitte April erschien, und das will schon etwas heissen…

…und ich habe nun die undankbare Aufgabe, meine Entzückung zu begründen. Dabei ist das eigentlich ganz einfach, denn wirklich alles, was auf ‚Black Medium Current’ passiert, findet auf einem schwindelerregend hohen Niveau statt…

Synergien & Symbiosen: SATYRICON & MUNCH, Oslo & der Black Metal

Ich schwöre, der Schatten auf dem Ausstellungsposter oben ist kein Fake. Ich habe ihn während der Aufnahme nicht mal wahrgenommen, so sehr war ich mit der schrägen Perspektive beschäftigt. Das neue MUNCH jedoch, wie das im Herbst 2021 eröffnete futuristische Gebäude im Hafen Oslos heisst, hat das Petruskreuz vor dem Eingang zu „SATYRICON & MUNCH“ mit Hilfe der Abendsonne und seiner Fassade aus Stahl und Glas selbst herbeigezaubert, zu recht und mit voller Überzeugung, da bin ich mir sicher. Wo, wenn nicht in Norwegens Hauptstadt liegen Licht und Schatten des Black Metal näher zusammen?

Wer diesen Sommer hier oben im 10. Stock an den Panoramafenstern steht, ist entweder speziell für diese Ausstellung gekommen und hat dafür teilweise lange Anreisen auf sich genommen, oder ist normaler Museumsbesucher und kommt rein zufällig hierher. Vielleicht läuft auch der Kreuzfahrttourist hier nur mal schnell durch und wundert sich über die musikalische Beschallung, vielleicht nutzt er die Bank hinten im Raum auch für ein erholsames Schläfchen, wie mein Nachbar beim zweiten Besuch es – für mich völlig unverständlich – eine ganze Stunde lang tat. Die „Eingeweihten“ unter den 350.000, die in den vergangenen vier Monaten Zeugen dieser Symbiose aus Expressionismus und Black Metal wurden, erkennen sich jedoch wie überall auf der Welt an ihrer Kleidung und Haarpracht, an der Reaktion auf die Musik, und vor allem an der Ehrfurcht, mit der sie den fast stockdunklen…

SATYRICON & MUNCH

…wenn Black Metal auf bildende Kunst trifft
„Ich ging spazieren mit zwei Freunden. Da sank die Sonne. Auf einmal ward der Himmel rot wie Blut, und ich fühlte einen Hauch von Wehmut. … Meine Freunde gingen weiter, und ich stand allein, bebend vor Angst. Mir war, als ginge ein mächtiges, unendliches Geschrei durch die Natur.“ 
(Edvard Munch 1891 über ‚Der Schrei‘)
Habt ihr Musik schon einmal gesehen? Sie nicht nur gehört, sondern gleichzeitig auch Bilder davon vor eurem inneren Auge gehabt? Nicht nur echte Synaesthetiker, also Menschen, die beispielsweise Töne gleichzeitig als verschiedene Farben oder Geschmäcker wahrnehmen, kennen solche automatischen Verbindungen unterschiedlicher Sinnesreize; auch ohne diese spezielle Fähigkeit ordnen wir Eindrücke verschiedenen Empfindungen zu, erleben Farben als „kalt“ oder „warm“, Klänge als „grell“ oder „weich“, Laustärken als „bedrohlich“ oder „geheimnisvoll“…
Um einen umfassenden Eindruck von etwas zu bekommen, setzen wir also mehrere Sinne gleichzeitig ein, jeder Waldspaziergang wird so zum Bad in Sinnesreizen, es gibt zu sehen, riechen, hören und fühlen, und wir kommen nicht nur wegen der guten Luft erfrischt nach Hause, sondern weil auch unsere Seele berührt wurde. Kunst wirkt auf dieselbe Weise…