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Wann? 08. & 09.04.2023
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Wo? Triptychon und Sputnikhalle Münster
Bericht vom alternativ-cultischen Osterwochenende mit viel schwarzer Kultur in Münsters Haverkamp
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Dass das CULTHE FEST eine durch und durch leidenschaftliche DIY-Veranstaltung voller Idealismus, Engagement und Herzblut ist, haben wir ja schon HIER in unserer Vorschau betont, die sich alle leider-bisher-noch-nicht-CulthistInnen zwecks Vermeidung von Wiederholungen zuerst einmal zu Gemüte führen sollten, bevor sie nun diesen Festivalbericht goutieren. Und wenn ihnen dann bewusst wird, was da seit zehn Jahren in schöner Regelmässigkeit, wenn auch zuletzt unterbrochen durch die Pandemie, zwei FeierTage lang im Haverkamp in Münster so alles los ist, werden echte Untergrund-Extremmetalfans ab sofort das Osterwochenende für einen Besuch in Westfalen reservieren, wie es eingefleischte (ist das heutzutage eigentlich noch eine valide Formulierung? Ich zumindest erinnere mich eher an die genialen Falafelrollos vom Al Hayat-Wagen im Hof…) Fans schon seit einigen Jahren tun…
Das Festival beginnt eigentlich schon nach dem Gang zum Briefkasten, wenn die Post mit den Karten eingetroffen ist – in einem so liebevoll handbeschrifteten Umschlag, wie auch das Musik- sowie das Rahmenprogramm des CULTHE FESTs kuratiert werden. Schön gestaltete Flyer und Sticker begleiten die Tickets und es würde nicht wundern, wenn dem Brief auch Weihrauch- oder vielleicht besser Lovecraftscher, unaussprechlich culthiger Schwefeldunst entströmen würde, passen würd’s allemal! Da ja graphische KünstlerInnen genauso Teil des Festivals sind wie die Bands, kann der Veranstalter Culthe Collectiv e.V. diesmal auch gleich auf diverse Designs für die Ankündigung der Kunstausstellung zurückgreifen, siehe unten, die von fünf Beteiligten spontan und ohne Absprache gestaltet wurden – was wunderbar widerspiegelt, wie die Kreativität rund um das Culthe Fest brodelt…
…Das Festival beginnt eigentlich schon nach dem Gang zum Briefkasten, wenn die Post mit den Karten eingetroffen ist – in einem so liebevoll handbeschrifteten Umschlag, wie auch das Musik- sowie Rahmenprogramm des CULTHE FESTs kuratiert werden. Flyer und Sticker begleiten die Tickets und es würde nicht wundern, wenn dem Brief auch Patchouli- oder vielleicht besser Lovecraftscher Schwefeldunst entströmen würde, passen würd’s allemal!…
Vielleicht spielt aber auch der ganz spezielle Vibe der Location mit hinein in diese unbändige Lust auf Gestaltung und Verwandlung, ist der Münsteraner Hawerkamp mit seinen Ateliers, Werkstätten, Clubs und Veranstaltungsräumen auf dem Gelände einer ehemaligen Baufirma schon seit vielen Jahren ein Selbstverwaltungsprojekt, das Kunst und Kultur fördert, entsprechend bunt, unkonventionell, improvisiert und lebendig ist das ganze Gelände im abgelegenen Hafengebiet, wo es nachts auch schon mal lauter zugehen kann. Auf dem Weg zurück in die Stadt nach den letzten Bands kamen uns die Nachtschwärmer unterwegs Richtung Clubs auf jeden Fall in Massen entgegen, was eine interessante Erfahrung war… ein bisschen verkehrte Welt, doch dass ein Metalpublikum in der Regel deutlich älter ist als die durchschnittlichen heutigen Feierwütigen und damit auch lange nicht mehr so ausdauernd, ist ja kein Geheimnis. Doch zurück zum Festival! Drei Bühnen wurden hier bespielt, als grösste die Sputnikhalle, dann in Clubgrösse die Bühne des Sputnikcafés (wo es zudem – anstatt namensentsprechender Heissgetränke – Pizza und Flammkuchen gab…) und schliesslich das Podium des Tryptichon einen Stock höher, wo die Soloacts und experimentelleren Bands auftraten, was mit den Künstlertischen in direkter Nachbarschaft sehr gut zusammenpasste.
Zudem fanden hier auch die beiden musikalisch begleiteten Lesungen statt, die die jeweiligen Festivaltage einläuteten, SAHNEMANN las Lovecraft und auch Eigenes, und die morbide Atmosphäre wurde mit grausigem Cello und dissonantem Saxophon des Duos ISSMICH nochmals unterstrichen – ein interessanter Einstieg, den ich mir jedoch auch gut mitten im Programm als ruhigere Alternative zum Runterkommen und Entspannen vorstellen könnte, am liebsten noch mit gemütlichen Sitzgelegenheiten. Die gibts zum Glück im Hof, wo man dem nachgehen kann, was ein Festival eben auch ausmacht: Leute zu treffen, zu quatschen, Infos auszutauschen und die weitere Konzertsaison zu planen… zum Glück hat das Wetter einigermassen mitgespielt, so dass dieser als Dreh- und Angelpunkt der Kommunikation genauso funktionierte wie auch als Biergarten und Essplatz neben dem sagenhaften Al Hayat-Wagen sowie als Merch-Area der Bands, zudem gab es noch ein paar Distrotische, an denen die BesucherInnen ebenfalls etwas Geld für den guten Zweck der Kunstföderung lassen konnten, bei Vendetta Records und Koloss Skateboards war diesbezüglich immer was los, aber auch mit allen Bands kam man in diesem familiären Setting problemlos ins Gespräch. Das Culthe Collectiv hat es sich ausserdem nicht nehmen lassen, Flyer mit Running Order und detailliertem Lageplan zu drucken, so dass sich auch wirklich niemand verlaufen konnte. Ihr seht, CULTHE FEST ist quasi ein Rundum-Sorglos-Paket!
Samstag, 8. April…
Richtig gut ist der Ansatz des Festivals, alle Bands – angenehme neun pro Tag – ohne Überlappungen starten zu lassen, so dass man gemütlich von einem Venue zum anderen schlendern kann, wobei es gerade im Sputnikcafé schon schnell eng wurde, war das LineUp doch wirklich durchgehend handverlesen und für das mehrheitlich anwesende freundliche Nerdpublikum spannend vielseitig. Samstag ging es gleich mit einem Knall los und den NordlichternFRIISK, die am frühen Nachmittag die Sputnikhalle zerlegten. Die herben Ostfriesen gaben gleich mal die Marschrichtung vor mit dem Nordseeküsten-Black Metal ihres Debüts ‚…un torügg bleev blot Sand‘, der live natürlich eher einem Orkan als einem idyllischen Strandspaziergang gleicht, die atmosphärischen Elemente treten auf der komplett blau illuminierten Bühne hinter der ungebändigten Wucht und Dramatik ihrer klassischen Genreinterpretation naturgemäss zurück, hier ist heute Abriss angesagt. Die verzweifelten Vocals T.’s in Saterfriesisch und Plattdeutsch ergänzen den massiven Soundwall der Band dabei perfekt, und hinterlassen ein zufriedenes Publikum, das fassungslos in den hellen Nachmittag zurückkehrt. Denn gleich geht’s weiter ins Café zu den Lokalmatadoren von NO SUN RISES, die mit ihrem atmosphärischen Post-Black Metal unter dem Motto „Antioptimistische Aktion“ die Gemüter wieder ein wenig zur Ruhe kommen lassen. Die Münsteraner präsentieren explorative, düstere und schleppende Songs, die urplötzlich förmlich in emotional tiefste Schwärze implodieren und trotzdem nie den Funken Hoffnung verlieren, sich der absoluten Verzweiflung immer wieder mit berührenden Gitarrenmelodien entgegenstellen. Eine sehr schöne balancierte Mischung aus Blackgaze und treibenden Passagen, die absolut verdient ihre LiebhaberInnen findet, das vollgepackte Venue bezeugt es.
Ich gehe geläutert und aufgebaut heraus, bin jedoch gleichzeitig besorgt, denn als nun alle drei Venues bespielt sind, wird mir endgültig klar – gute Bilder kann ich hier vergessen. Für ein hauptsächliches Black Metal-Festival ist das Bühnenlicht zwar grade egal und wird schon gar nicht zum Zweck von Photos gemacht, eher im Gegenteil, aber hier gibt es durch ständiges Dauerblau, übertrieben krasse Frontspots in Verbindung mit massig Nebel einfach keinerlei Chance, irgendwas Erinnerungstaugliches mit ästhetischem Wert hinzukriegen. Mein Photographinnenherz blutet, aber dann gibt’s diesmal entgegen meiner sonstigen Gewohnheit eben nur eine kleine Auswahl an Bildern…
Eine Ausnahme davon ist glücklicherweise die grossartigeMAUD THE MOTHwieder oben im Triptychon, die nicht nur mich ab dem ersten Ton sofort tief in ihren Bann zieht. Es ist nur folgerichtig, dass sie kurz danach auch beim Roadburn Festival spielt (nicht nur nur solo, sondernauch mit ihrer Band HEALTHYLIVING), denn die Multiinstrumentalistin Amaya López-Carromero ist ein herausragendes Beispiel für die neue Generation von Solistinnen wie LILI REFRAIN und KARITI, die aktuell mit ihren Loopstations, Zimbeln, Glocken und entsprechenden Effekten die Bühnen der angeschwärzten Etablissements im Sturm erobern. Amayas heutiges Hauptinstrument ist das Klavier/Keyboard sowie ihre klassisch ausgebildete Stimme, und beides beherrscht sie in ganz aussergewöhlicher Weise und baut spannungsreiche, kraftvolle Songs und vielschichtige Klangstrukturen damit auf, denen ein jenseitiger, ausserweltlicher Charakter anhaftet – es fällt leicht, sich in dieses warme Bad so ätherischer wie exzentrischer, jedoch stets seelenvoller Töne gleiten zu lassen und darin unterzugehen. Vor allem versteht MAUD THE MOTH es, sich selbst mitreissen zu lassen durch die Kunst, die sie kreiert, ohne dabei die Kontrolle über ihr Tun zu verlieren – sie versetzt sich quasi in eine wache Trance, und dies zu beobachten macht eine weitere Faszination ihres Auftritts aus. Nicht nur für mich der erste Höhepunkt des Festivals! Das Publikum feiert sie entsprechend, als nach viel zu kurzer Zeit unsere gemeinsame Reise endet, und dementsprechend wird ihr Tisch danach auch mein erster Merchstop und zwei neue CDs wandern in meine Tasche.
Zurück auf der grossen Bühne bieten die Leipzscher DEATHRITE dann das perfekte Kontrastprogramm – zumindest musikalisch, die Bühne bleibt erstmal weiter statisch blau, doch die gestandenen Deathpunx schaffen es mit ihrem ansteckenden Drive und der letztjährigen, angeschwärzt-doomigen EP ‚Delirium‘ im Gepäck schliesslich sogar, den Lichtmann aufzuwecken und mal eine Kontrastfarbe auszuwählen. Auf die Griechen YOVEL im Café hatte ganz offensichtlich nicht nur ich mich besonders gefreut, es ist so knallvoll dass ich nicht mehr vor die Bühne komme, was sich später genau so fortsetzen wird – hier ist es bei fast jedem Auftritt äusserst kuschelig. Und wir werden nicht enttäuscht, mit südlichem Klassenkampf-Temperament und ihrem melodiegeladenen Overdrive-„Black Metal For The Oppressed“, wie sie es selbst bezeichnen, bringen sie Bewegung in jeglichem Sinne mit aus Athen und schnell das Café zum schwitzen. YOVEL kombinieren schwermütigen, bassbetonten Griechenstil mit wunderbar komplexen, schon progressiven Gitarren, Spoken Word-Einlagen und einer klaren Message: ¡No pasarán! Ein beeindruckender und mitreissender Auftritt, dementsprechend gilt’s danach auch hier Merch abzugreifen, zumal sie passend zur Gesinnung knallrote Shirts dabeihaben.
Wieder oben auf der Solistenbühne entführt THE DEVIL’S TRADEs Dávid Máko die Zuhörenden mit seiner Gitarre und seinen schwermütigen Songs zwischen Darkfolk und Americana gleichzeitig in die ungarische Puszta wie die nordamerikanische Steppe, eigene Songs wechseln sich mit Volksliedern und Traditionals ab, die er in seiner Weise und viel schwarzem Humor in den Ansagen neu interpretiert. Zurück in der Sputnikhalle zelebrieren Schwadorf und seine SUN OF THE SLEEPLESS einen technisch makellosen, nordisch kalten atmosphärischen Black Metal mit nur einem Hauch von mystischer Folklore, die bei seinen bekannteren Bands ja die Hauptrolle spielt. Doch den Status eines Ambient-Sideprojects hat die Band schon längst verloren, das hier ist einfach eine weitere Inkarnation Schwadorfs vieler Interessen mit einer sehr starken Ästhetik, viel Poesie und einer Schwerelosigkeit, die mir stets den Eindruck vermittelt, auf Vogelsflügeln eine gebirgige Landschaft von oben zu betrachten, ‚Phoenix Rise‘ eben. Traumhaft!
So knallvoll wie bei DAWN RAY’D war das Café bisher noch nie, was nicht nur an ihrem neuen Album ‘To Know The Light‘ liegen mag, sondern dem ihnen vorauseilenden Ruf und sicher auch der mitreissenden Bühnenshow des RABM-Flagschiffs (= Red and Anarchist Black Metal…) aus der Arbeiterstadt Liverpool. Sänger Simon beeindruckt nicht nur als Gummimensch, der sich auf der Bühne windet, seine gesellschaftskritischen und antifaschistischen Lyrics shoutet und sich völlig verausgabt, sondern auch mit seiner Fiddle, die zugleich das Bodenständige und Sehnsuchtsvolle der Rebellion beschwört. Und genau das macht die Musik des nordenglischen Trios aus, die Gegenpole von ultraharschem klassischem Black Metal zu melancholischen, bittersüssen Folk-Melodien, und was in der Spannung zwischen beiden Extremen alles passiert. Sie haben nicht nur Flugblätter ihres selbstgegründeten Labels Action Now! mitgebracht, die dem Anfänger erklären, was Anarchie ist und was nicht, und wieso Antikapitalismus die Lösung so gut wie aller Probleme ist, sondern schliessen mit ihrem furiosen, atemlosen Auftritt voller Punk-Vibe und Wut den RABM-Dreiklang dieses ersten Tages im Sputnik-Café ab, der mit den Antifaschisten NO SUN RISES begann, die den gesellschaftskritischen Athenern YOVEL, Mitgliedern des „Metal Solid@rity“-Kollektivs, später ihre Instrumente geliehen und damit deren Auftritt überhaupt ermöglicht hatten, und eben mit den revolutionären Merseysidern seinen Höhepunkt fand. Allein für dieses künstlerische, aber vor allem politische Statement, drei so unterschiedliche wie wichtige Akteure antifaschistischen Black Metals zusammen zu buchen, gebührt dem Culthe Collectiv höchster Respekt! Es geht eben auch anders als mit halbgaren Grauzone-Zugeständnissen, wie sie viele andere Veranstalter immer wieder machen, aber das sieht man hier ja überall – das Culthe Fest ist ein offener und inklusiver Ort für alle – ausser Faschisten. Wie gut, dass Abglanz.Siebdruck sogar die entsprechenden Sticker im Angebot hat, die die Botschaft „BM against Fascism“ hoffentlich mittlerweilen in vielen Städten verbreiten!
Heutiger Headliner sind ULTHA, die nicht zum ersten Mal zu Gast beim Culthe Collectiv sind, passen sie mit ihrem DIY-Ethos und Selbstverständnis als Band perfekt hierher. Ich sehe sie ja nun nicht gerade selten live, jedoch beim Soundcheck zum ersten Mal unter einer glitzernden Discokugel spielend, was so ziemlich der grösstmögliche Kontrast zu dem ist, was sie nachher hier aufführen werden… es muss offenbar eine Discokugelpflicht auf dem Gelände geben, in so gut wie jedem Raum hängt eine, doch die Lichtleute haben sämtliche Exemplare davon während dieser zwei Tage leider komplett ignoriert. Dem so brachialen wie niederschmetternden Auftritt der Kölner hätten einige wenige Lichtstrahlen jedenfalls nicht geschadet, ich habe die Band zumindest noch nie so dermassen frustriert, wütend, aber vor allem verloren, fast schon resigniert erlebt wie heute. Wie eine Walze der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit rollt der brutal intensive Auftritt mit extrem viel Drive über das Publikum hinweg und straft mal wieder alle Kritiker Lügen, die behaupten, die Kölner „wären kein Black Metal“. Zudem stellen diese ihr anspruchsvolles Vorjahresalbum ‚All That Has Never Been True‘ in den Mittelpunkt ihres Sets, das sich immerhin mit den unzähligen Toden beschäftigt, die alle von uns in ihrem Leben immer wieder sterben, bis schliesslich dann auch die allerletzte Stunde geschlagen hat; macht man sich klar, dass es diese harte Kost ist, die hier in Musik umgesetzt auf die Bühne kommt, macht der paradoxerweise gleichzeitig introvertierte wie expressive Gig wieder Sinn und bietet allen Zuhörenden Gefühle zum Andocken an, und das Publikum in der komplett gefüllten Sputnikhalle nutzt das auch. ULTHA nimmt alle mit, die Headbanger, die Fäusterecker, die mit den geschlossenen Augen genauso wie die mit vor Erstaunen weit offenen, mit dem ständigen Wechsel ihrer Songs zwischen geblasteter Raserei und atmosphärischen Passagen voller schwermütiger Melodien, irgendwo finden sich alle in dieser so vielschichtigen Musik wieder.
Und ganz gegen Ende, vielleicht tatsächlich mit der lauthals geforderten Zugabe, kommt schliesslich doch noch das typische Katharsis-Gefühl auf, die Erleichterung, ja Befreiung nach dem Durchschreiten des Tales der Qualen, und entlässt das Publikum schliesslich geläutert und trotzdem nachdenklich in die kühle Osternacht… morgen geht es weiter, jetzt müssen erstmal die vielen, so unterschiedlichen Eindrücke des ersten Tages verarbeitet werden.
Ostersonntag, 9. April…
Irgendwie wache ich massiv gerädert auf, was an den anstrengenden letzten Wochen liegen kann, drehe mich daher nochmal um und verpasse so schliesslich komplett den heutigen Festivalbeginn, was bedeutet dass mir leider PERISH, HÆRESIS und schliesslich auch noch KESYS entgehen, auf den ich mich besonders gefreut hatte – dahinter steckt nämlich mit Jeff Grimal einer der ausstellenden Künstler. Was ein Mist, doch der Tag kann nur besser werden… wird er dann paradoxerweise auch gleich mit dem Nihilismus von MORAST, deren ultrazäher, vernichtender Blackened Doom uns gefühlt noch tiefer in den Untergrund als nur in die Katakomben der Sputnikhalle zieht. Ich kenne keine Band, die Doom so pechschwarz und doch mit dem unglaublichen Groove bei gleichzeitiger Maschinenhaftigkeit der Rhythmusfraktion L. & R. interpretiert, wer hier nicht zumindest dezent mitwippt kann nicht mehr unter den Lebenden weilen. Einzig Sänger Zingultus hält die tiefschwarze, eiskalte akustische Lava nicht davon ab, auf der Bühne abzugehen wie ein Irrwisch und noch mehr Negativität zu versprühen wie seine Bandgenossen, was dem Aufritt eine schwelende Aggression verleiht, die ich bisher so von den Rheinländern nicht kannte, irgendwie war der Schlamm da ungemütlich am kochen… harte Kost!
Und es geht gleich weiter mit extremer Dunkelheit, Verzögerung und Schwere, auch wenn diese nun aus einer ganz anderen Richtung kommen. Mit dem aktuell in Leipzig ansässigen Trio FVNERALS erwartet uns nun im Sputnikcafé zwar wiederum bodenloser, bleischwerer Doom, doch im Gegensatz zu MORAST wird es kühl und elektronisch, und gleichzeitig extrem heavy und abyssal tiefgründig. Hier stehen der einzelne schwere Beat und das unendliche Riff im Mittelpunkt, jeder Schlag aufs Fell, jeder Griff in die Saiten haben eine Endgültigkeit als wären sie die jeweils letzten, und hallen entsprechend schier unendlich nach. Darüber webt Sängerin und Bassistin Tiffany Ström als Gegenentwurf ein ätherisches Netz aus Sphärengesang, der effektvoll verfremdet den massiven Riffs von Syd Scarlet entgegenschwingt. Ihr Mix aus Drone-Doom, Ambientflows und Post-Punk-Touch packt Zuhörende im Genick und zieht sie nach unten, bodenlos, dystopisch, endzeitlich, zerstörerisch, schwärzer kann es kaum noch werden. Ein FVNERALS-Liveauftritt ist trotz – oder gerade wegen? – der Langsamkeit der Songs Schwerstarbeit für Drummer Thomas Vaccargiu, der mit einer Vehemenz auf die Felle drischt, als ob es um sein Leben ginge, was dem Thema ihres neuen Albums entspricht, geht es auf ‚Let The Earth Be Silent‘ doch darum, wie die Menschheit ihre Lebensgrundlage, den Planeten Erde, zerstört. Auch hier also eine politische Aussage, die zu denken gibt…
BANK MYNA aus Paris sind fraglos die technisch experimentellste – sprich: abgefahrenste – Band dieses doch sehr abwechslungsreichen Wochenendes, sie lassen auf der winzigen Triptychonbühne bisher unbekannte Instrumente wie eine effektmässig getunte Standuhr am Beginn von ‚Los ojos de un cielo sin luz‚ genauso erklingen wie selbstgebastelte elektronische Saiteninstrumente, und haben ganz offensichtlich viel Spass am Experimentieren sowie an der Exploration ihrer vielen Ideen. Sängerin Maud Harribey begeistert genauso mit ihrer ätherischen Stimme wie mit ihrer Geige und Glockenspiel, die dem vielschichtigen, sich zuerst vorsichtig, wie schwebend ausdehnenden und aufbauenden Ambient-Drone-Sound Lebendigkeit und Emotion hinzufügen. Die in sich gekehrte Band spielt sich selbst und ihr andächtiges Publikum sanft und spielerisch in Trance – ganz tolle Neuentdeckung!
Dark Arts & Crafts Exhibition
Ich habe noch ein paar Einkäufe zu machen, und so verschwinde ich danach im Nebenraum bei der Dark Arts & Crafts Exhibition, die in zwei Räumen zeigt, was visuelle Kunstschaffende mit den dunklen Künsten verbinden & verbindet, und das kann ganz unterschiedliche Formen annehmen. Insgesamt elf KünstlerInnen bieten ihre Artworks zum Kauf an, und diese decken ein grosses Spektrum ab, das Angebot reicht vom filigran bemalten Rehbockgehörn und Knochenschmuck und -artefakten bei Nefelibata Rites, Gigposters und mehr bei Apes of Doom, Ölgemälden bei Linde Art sowie Jeff Grimal, über diverse Drucke bei Hagiophobic, Deubel.art, Skullcult (von wo die wunderschöne WSDT-Kooperation „El Aquelarre“ in neonpink mit musste) und Dark Dark Grey, die als HÆRESIS-Sängerin heute doppelt gefordert war. Zudem gabs Siebdrucke, Shirts sowie antifaschistische Sticker bei Abglanz.Siebdruck und individuellen Silberschmuck von 𝖜𝖊𝖑𝖙𝖊𝖗𝖜𝖔𝖗𝖝. Leider hatten die handbedruckten Slips bei Drowned Orange bereits ihre Liebhaberinnen gefunden, doch ich gehe zufrieden mit Patches von ihr nach Hause und denke darüber nach, welches Banner am passendsten für mein Zuhause wäre. Die Ausstellung war immer wieder gut besucht und sicherlich wurden hier auch einige Tattootermine vereinbart, da die Meisten ja auch auf Haut arbeiten, sowie Bandkooperationen besprochen.
Und wem der Geldbeutel danach immer noch zu schwer war, der ging unten beim Culthe -Stand vorbei für Festivalmerch, generelle Infos und Fundbüro oder raus in den Hof zu Supreme Chaos Records, Golden Coffin Records und Vendetta Records, für die das Culthe Fest eine feste Nummer im Jahreskalender ist, oder zu den local heroes von Koloss Skateboards. Überall ist die Stimmung entspannt, erfreut und kommunikativ, da alle Beteiligten quasi selbst der Zielgruppe des Festivals entsprechen, Familientreffen eben, aber genauso offen für neue Verwandtschaft.
Und schon geht es weiter… WOLVENNEST sind eine meiner liebsten Livebands, denn was die BelgierInnen auf der Bühne an ritueller Atmosphäre und hypnotischen Sounds gemeinschaftlich zu erzeugen in der Lage sind, schafft so kein anderes Kollektiv – ihre starke Introversion macht es paradoxerweise möglich, dass Band und Publikum stets sehr schnell eins werden, der unbeschreibliche Sog ihrer Musik zieht stets in eine willkommene Trance und macht ihre Auftritte zu feierlichen Happenings. Hier ist die Bühne zu klein für die üblichen Videoprojektionen, aber WLVNNST haben eigenes Lichtpersonal dabei, was endlich mal eine Chance auf Bilder bedeutet. Schon vor Konzertbeginn werden wir vor der Bühne durch die zahlreichen Räucherstäbchen, denen der übliche Schädel diesmal als Halter dient, in andere Sphären gelockt und mit den ersten Tönen sind Alltag und Weltzustand komplett vergessen, der Kopf schaltet sich aus, das Tanzbein zuckt, und eine innere Reise beginnt – auch für die ProtagonistInnnen auf der Bühne, die sich gemeinsam in einen dunklen, mystischen Rausch spielen, was gerade bei den drei Gitarristen immer wieder faszinierend zu beobachten ist – rein äusserlich sind Marc De Backer, Michel Kirby und Corvus von Burtle komplett unterschiedliche Typen, doch im Zusammenspiel agieren sie in der Art, wie sie ein Motiv vom einen zum anderen weitergeben, wie ein einziger Organismus. Die Band ist perfekt aufeinander eingegroovt, auch Sängerin Shazzula wird immer immer selbstbewusster und offener in ihrem Auftreten, es wird deutlich – die Band hat sich endgültig etabliert und wird in Zukunft Headlinerplätze besetzen.
Der Kontrast könnte nun mal wieder kaum grösser sein, als letzte im vollgestopften Café treten heute SUN WORSHIP auf und verwandeln es wie bei ihnen üblich zumindest vorne in eine Sauna. Für Lars an der Gitarre, Mikro und diversen Verstärkern ist es bereits der zweite Auftritt nach dem mit ULTHA gestern, und es ist immer wieder beeindruckend mitzuerleben, wie er seine allerletzten körperlichen und mentalen Reserven mobilisiert bei der Raserei, die das Berliner Duo nun mal live zelebriert. Ihm steht Drummer Bastian in nichts nach, mittlerweile hat dieser sich sogar eine bizarre, maulkorbartige Stirnband-Mikrokonstruktion gebaut, die es ihm ermöglicht, in sozusagen jeder Position und Situation und bei jeder Geschwindigkeit hinter seinem Kit auch noch zu singen. Ihr eklektischer, wilder Mix aus Punk, Death und Black Metal besticht durch seinen Groove und seine Direktheit, hinter der sich jedoch vielschichtige und komplexe Songs verbergen, trotzdem ist das hier heute die letzte Möglichkeit, noch mal so richtig die Sau rauszulassen, und das Publikum ergreift sie genauso wie die Zwei auf der Bühne. Was für ein Ritt!
THE RUINS OF BEVERAST-Chef Alexander von Meilenwald hat kurz vor Start Probleme mit einem Effektgerät, doch da kann MORASTs Ash glücklicherweise mit seinem aushelfen, so dass wir in Folge einen nahezu perfekten, majestätischen Headlinerauftritt der Aachener erleben werden. Vor allem Livedrummer Jhn ist mal wieder ein unglaubliches Tier an den Kesseln, es ist ja schon eine grosse Herausforderung, in der Band eines Drummers ihn selbst zu ersetzen, aber was er heute – bei bestem Sound – entfesselt ist einfach nur grandios. Nun stehen hier aber auch nur hochkarätige Musiker zusammen auf der Bühne, Bassist G.ST von ESSENZ, und Tausendsassa Arioch an der zweiten Gitarre, das ist schon geballte deutsche Black Metal-Historie, und diese Besetzung harmoniert extrem gut, das ist zu spüren. Vor allem gibt sich Meilenwald so nahbar wie selten zuvor, geht immer wieder in Kontakt mit seinen Mitmusikern, und dieses Zusammenspiel erzeugt eine Magie, die zusammen mit dem wellenförmigen Ansteigen, Explodieren und Verebben ihrer kristallklaren Soundwälle zwischen Doom und Black Metal auch das Publikum erfasst, das je nach Gusto eher bei den schwarzmetallischen Parts abgeht, sich in den Groove fallen lässt oder still die progressive Vielschichtigkeit des letzten Albums geniesst. Als sie schliesslich auch noch das schamanische ‚Exuvia‘ spielen, meinen absoluten TROB-Lieblingssong, ist es endgültig um mich geschehen und ich tanzbange bis zum Ende durch. Der tosende Schlussapplaus belohnt die Aachener für einen intensiven und alle Facetten der Band beleuchtenden Auftritt, der durch seine Vielfalt offensichtlich auch alle im Publikum abgeholt hat.
Das war’s! Es fällt zugegeben nicht ganz leicht, die Räumlichkeiten zu verlassen, die für zwei Tage eine neue Heimat und ein schillerndes Panoptikon spezieller, beeindruckender bis extravaganter Interpretationen der dunklen Künste im Metal waren. Mein grosser Respekt gilt den MacherInnen, sowohl für ein sehr vielfältiges, von extrem guter Szenekenntnis zeugendes Programm, das doch immer eine verbindende rote Linie erkennen liess, als auch für ihre besonders beeindruckend klare politische Kante – das Culthe Fest schreibt sich nicht bloss „No Nazis“ auf die Fahne, sondern geht den logischen Schritt weiter und bringt das Gegenprogramm auf die Bühne – Chapeau!
Wenn ich Wünsche anmelden dürfte – ein ruhiger Indoor-Bereich mit Sitzgelegenheiten und Heissgetränken wäre schön, wenns draussen zu nass oder kalt ist, und zumindest einen Song lang gutes Photolicht wäre ein Traum – alles weitere ist sowieso schon perfekt durchdacht, liebevoll gestaltet und reibungslos organisiert. Das CULTHE FEST ist eine echte Preziose unter den Metal-Untergrundfestivals und sticht dadurch heraus, dass es diese Musik als Kunstform ernstnimmt, und dementsprechend auch ein scheuklappenfreies Publikum anzieht, das diese Möglichkeit ausgiebig nutzt. Besser gehts kaum. Auf noch viele Jahre, CULTHE FEST!!!
Mehr Infos zum CULTHE FEST 2023:
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