DOOL – The Shape Of Fluidity

  • Veröffentlichung: 19.04.2024

  • Vertrieb: Prophecy Productions

  • Versionen: Digital, CD (Artbook & Digipak), Vinyl

Stil: Un-fassbar gute und vor allem leiden-schaftliche Musik von Menschen, die sich keinen Begrenzungen beugen…

Wir leben in ungeheuer wechselhaften Zeiten. Der Turbo des Kapitalismus und die Gier nach Macht haben nicht nur die Erde in Brand gesetzt, alte und neue Kriege geschürt und tiefe Klüfte in unsere sozialen Gefüge geschlagen, durch sie und die immer rasantere digitale Entwicklung ist Stabilität auch in der Weltpolitik und globalen Wirtschaft zum Fremdwort geworden . Für viele Menschen auf diesem Planeten verändert sich ihre Welt schneller als sie es erfassen können, und all diese Unwägbarkeiten treiben Verunsicherte, die sich nach den vermeintlich guten alten Zeiten sehnen, in die Arme von Demagogen. Der starke Mann soll es richten, dabei haben wir es doch letztlich alle selbst in der Hand, wie wir mit Veränderungen umgehen.

Der griechische Philosoph Heraklit wusste schon 500 v. Chr. vom Panta Rhei, „Alles fliesst“, ist ständig in Veränderung und die alltägliche, nur scheinbare Erfahrung von Stabilität und Identität ist irreführend, da im Grunde das Ergebnis ständiger Bewegung. Leider wurde seine Lehre wie auch das sogenannte Flussfragment „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen“ von seinen Nachfolgern nicht als der natürliche Prozess beständigen Werdens und Wandels, als die spannungsgeladene Einheit der Gegensätze interpretiert, die in ihrer Polarität jederzeit ineinander umschlagen können, Platon & Co. legten vielmehr den Grundstein für die Dualität aller Dinge, die Trennung von Körper und Geist, Mensch und Natur, Ursache und Wirkung und so weiter, die uns heute so viele Probleme bereitet. Während sich die westliche Welt als rein materielle Einheit definiert, durch Naturgesetze und erforschbare Phänomene bis hinein in die subatomare Welt, den Mikrokosmos zu erklären versucht, hat sie missachtet, dass wir durch immer weiteres Spezialisieren, Zerlegen und Analysieren der Mechanismen hinter der Komplexität der Dinge völlig vergessen, den Blick auf das grosse Ganze zu richten. Doch davon hängt unser weiteres Zusammenleben auf globaler wie lokaler und zwischenmenschlicher Ebene ab. Ihr Ziel ist weiterhin die Aufteilung, Eroberung, Umgestaltung und Be-herr-schung der Erde und ihrer Ressourcen, mit allen fatalen Folgen für unseren blauen Planeten.

Im fernen Osten dagegen ging man ganz anders an diese Fragen heran. Hätten sich Heraklit und Laotse getroffen, die vermutlich nur um die hundert Jahre, aber viele tausend Kilometer trennten, es wäre ein interessanter Dialog geworden, denn ihre jeweiligen Ansichten haben viele Parallelen. Die Daoisten in China, geprägt durch eine energetische Weltsicht (remember „Qi“…), versuchen die Welt als Ganzes zu verstehen. Synthese statt Analyse ist angesagt, sie suchen nach allgemeingültigen Verbindungen, Zusammenhängen, Synergien, nach den Makrogesetzen sowohl der Natur wie auch der menschlichen Entwicklung. Für sie ist die Integration des Menschen in seine Umwelt genauso wichtig wie die Gestaltung der Umwelt für den Menschen, solange beides auf eine Harmonisierung hinausläuft, die das Leben ausmacht – ein Gleichgewicht aller sich gegenseitig beeinflussenden Elemente und Kräfte. Im Daodejing sind Gegensätze daher auch keine starren Kontraste, sondern formen eine Einheit ständig ineinander übergehender Polaritäten, das Prinzip des Yin und Yang. Alles wandelt sich und beeinflusst sich dabei gegenseitig, und strebt letztendlich zu kosmischer Harmonie.

Nun bekommt das westliche duale Weltbild, gespiegelt in der binären Natur der fortschreitenden Digitalisierung unseres Lebens, ja seit geraumer Zeit deutliche Risse, da es eben nicht die Realität abbildet. Die Welt ist genauso wenig statisch und in Gegensätzen verhaftet wie die sie bevölkernden Menschen, sondern alles ist beweglich, eben im Fluss, irgendwo auf einem Spektrum von reinem Weiss über verschiedenste Grautöne bis hin zum Vantablack. DOOLs Hauptperson Raven van Dorst kann ein Lied hiervon singen, und tut dies nun auch ein ganzes Album lang – auf The Shape Of Fluidity’. Songs wie ‚Venus in Flames’, ‚Self-Dissect’ oder ‚Hermagorgon’ sprechen schon in ihren Titeln von der schmerzhaften Auseinandersetzung mit der eigenen, in Ihrem Fall vor allem geschlechtlichen Identität als Hermaphrodit, mit der Sie sich in den letzten Jahren verstärkt auseinandergesetzt haben. Der Mut, diesen hoch privaten, inneren Kampf um das sich selbst in allen Facetten akzeptieren und lieben können öffentlich zu machen, und gleichzeitig Parallelen dazu in unserer immer komplexeren, bedrohlicheren und sich ständig wandelnden Welt zu finden, ist Ihnen nicht hoch genug anzurechnen, und läuft als roter Faden durch das gesamte Album.

Sei es der wütende innere Dialog zwischen männlichem und weiblichen Pol, die wir ja alle in uns tragen, im extrem dynamischen ‚Venus in Flames’, der auch im Video grandios dargestellt wird, oder das leiden-schaftliche ‚Hermagorgon’, das Selbstbehauptung und den Ausbruch aus binären Zwängen be- statt verhandelt, die Gegensätze sind stets betont hörbar, aber die Dynamik zwischen ihnen, der Wandel in Rhythmik und Geschwindigkeit genauso wie in Stimmung sind stets noch viel stärker. Wie Wellen durchzieht ‚The Shape Of Fluidity’ das Auf und Ab der Emotionen, das Aufbrausen von Allem, was einfach herausmuss und die Sanftheit von Selbst-Vertrauen und Hingabe an den Fluss des Lebens. Dieser Wechsel zwischen Stärke und Verletzlichkeit, Offenheit und Intimität charakterisiert eine Musik, die sich entsprechend auch nicht in die leider immer noch üblichen Genreschubladen einordnen lässt. Ist es Dark Rock, ist es Metal, Progressiv Rock oder gar Doom? Dem Quintett ist das egal, sie treiben aus ihren Wurzeln im Punk, Okkultrock und Black Metal bunt schillernde Blüten, die mit ihrem animalischen Duft Menschen anlocken, denen nur ein Leben nicht ausreicht, die vielmehr nach Transzendenz und dem sich Verlieren, in Musik aufgehen und versinken streben.

Dieser Effekt ist bei diesem dritten Studioalbum noch stärker als bei den Vorgängern, DOOL haben sich in der aktuellen Besetzung als Band auf Augenhöhe gefunden und komponieren nun mehrheitlich gemeinsam, statt dies wie zuvor allein Raven zu überlassen, und diese gebündelte Kraft der Kreativität haut einen gerade bei den ersten Durchläufen einfach um. Dazu trägt auch Neuzugang Vincent Kreyder an den Drums eine ganze Menge bei, da die Rhythmen bei DOOL ja niemals einfach nur geradeaus laufen, sondern vielerlei Schrittwechsel vornehmen. Ebenso ist nun auch Omar Iskandrs Beitrag an einer der heiligen drei Gitarren (10 years already – RIP Selim!) neben Wirbelwind Nick Polak nicht mehr zu unterschätzen. Auch wenn vieles, wie beim Titelsong, ‚Hymn for a Memory Lost‘ oder auch auch dem SISTERS OF MERCY-Knaller ‚Evil In You’, absichtlich gegen den Strich gebürstet ist, gibt es doch immer einen gemeinsamen Nenner, bei dem sich alle schliesslich wiederfinden. Mit seiner ungezähmten, manchmal gar bedrohlichen, dunklen Energie, die nun einmal in uns allen schlummert, schliesst ‚The Shape Of Fluidity’ mehr an das Debüt ‚Here Now, There Then‘ als an Summerland an, weist jedoch sieben Jahre nach dem hochklassigen Erstling nochmals weit über ihn heraus.

Diese Band gibt Raven die Basis für eine Gesangsdarbietung, die alle Facetten Ihrer einzigartigen Stimme noch mehr zum Glänzen bringt als bisher schon, Sie agieren hier endlich völlig befreit und neugierig auf neue Möglichkeiten wie im geheimnisvoll-poetischen ‚House Of A Thousand Dreams’ (Persönliches Highlight! Wer sprechsingt da verdammt nochmal den sexy Männerpart? Ich komm einfach nicht drauf…), das Sie zuerst erzählend, dann fast kindlich singen, während die Gitarren die Spannung weiter und weiter steigern, um schliesslich genussvoll zu explodieren. Im Gegensatz dazu stehen die Melancholie von ‚The Shape Of Fluidity’ oderdas spröde ‚The Hand of Creation’, das mit einer kraftvoll-tiefen Stimme gesungen wird und sich auch vor allem um diese dreht, Raven ist und bleibt der Mittelpunkt der Band. Und wer DOOL schon einmal auf der Bühne erlebt hat, fragt sich bereits jetzt, wie diese extrem vielschichtigen, spannunsvollen und immer auf eine Klimax hinarbeitenden Songs erst live knallen sollen? Hier spielt zudem die extrem druckvolle Produktion von Magnus Lindberg mit hinein, die Brechern wie ‚Hermagorgon’ nochmals die nötige Wucht gibt.

DOOL, was das Umherstreifen an Land beschreibt, haben durch existentielle Fragen und innere Kämpfe, aber auch angesichts einer Menschheit, die sich endgültig nicht mehr an feindlichen Dualismen festhalten kann, wenn sie weiter bestehen will, das weiche Element des Wandels für sich entdeckt und schwimmen nun hier weiter gegen den Strom – jedoch mit diesem ungezähmt-wilden Album auch in die Arme all derer, für die dunkle Rockmusik Rettung und Hoffnung in dramatischen Zeiten ist. Keine Angst, ihr müsst euch einfach nur hineinfallen, treiben und davon verändern lassen, die Magie der Verwandlung ist unfehlbar…

Bandinfo:

DOOL sind Raven van Dorst (Gesang, Gitarre), Nick Polak (Gitarre), Omar Iskandr (Gitarre), Vincent Kreyder (Schlagzeug) und JB van der Wal (Bass).

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Diskographie:

Here Now, There Then (LP, 2017)
Love Like Blood (EP, 2019)
Summerland (LP, 2020)
Visions of Summerland (Live at Arminius Church Rotterdam) (2023)
The Shape Of Fluidity (LP, 2024)

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