Celebrating 20 years of AHAB and 10 years of ULTHA
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Wann? 10.03.2024
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Wo? Christuskirche Bochum
Eine Sonntagsandacht der anderen Art – Nautik Funeral Doom und Atmo-Black Metal, und beides im Zeichen des Kreuzes…?!
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Gerade Bands aus dem okkulten Bereich der Rockmusik bezeichnen und gestalten ihre Auftritte gerne als Rituale; Riten wiederum sind Zeremonien und kultische Handlungen, die meist im Rahmen einer Religion, der Anbetung einer Gottheit, ausgeübt werden. Musik spielte dabei wohl schon seit Menschengedenken eine grosse Rolle, stiftet sie doch Gemeinschaft, betont den besonderen, aus dem Alltag herausgehobenen, ja heiligen Charakter einer Zusammenkunft und kann im besten Falle Trancen auslösen, die die Gläubigen ihren Göttern näherbringen. Die meisten Kulturen haben für den spirituellen Effekt ihre Sakralbauten so gestaltet, dass deren Akustik ihre vielen hundert Besucher überwältigt – glasklare Verstärkung und massiver Hall machen jeglichen Klang noch eindringlicher, sei es gregorianischer Gesang in einer Kathedrale oder eine Glocke im buddhistischen Tempel.
Gedämpftes und gleichzeitig fokussiertes Licht, die herausgehobene Bühne und ein sich weit ausbreitender Klangkörper, der eine grosse Menge an Zuhörenden umfasst – interessanterweise treffen all diese sakralen Raumwirkungen genauso auf Konzerte zu, in jeglicher Musikrichtung und überall auf der Welt. Die feierliche Stimmung überträgt sich auf die Zuhörer, denen es so leichter gelingt, Abstand vom gewohnten Leben zu bekommen und sich auf eine von Klängen begleitete Reise ins eigene Innere einzulassen. Daher war die Wahl der Christuskirche Bochum – Kirche der Kulturen – für das sonntäglich letzte der drei gemeinsamen Jubiläumskonzerte von AHAB und ULTHA einfach perfekt, wie sich sehr schnell zeigen sollte. Das deutlich am meisten Zuschauer fassende Venue mit allein 850 Sitzplätzen war fast genauso ausverkauft wie die MS Stubnitz in Hamburg und der Turm in Halle, was zu den bisher grössten „Clubkonzerten“ für beide Bands führte. Und um es vorwegzunehmen, ja, es war eine absolut spirituelle Erfahrung für wohl alle Beteiligten.
Man merkt es den Zuschauern schon beim Betreten der Kulturkirche an – alles läuft etwas gesitteter, vorsichtiger, ruhiger ab als sonst. Zwar gibt es hinten eine Bar, doch stehen nun einmal Bänke und Stühle da, also setzt man sich auch brav hin und wartet ab, was passiert. Ein ungewohntes Gefühl in diesem Zusammenhang. Wer sich auskennt, geht hoch auf die Empore neben der Orgel, von wo man nicht nur eine sehr gute Aussicht auf Bühne und Publikum, sondern auch im Wortsinn umwerfenden Sound hat, da er dort oben gefühlt kulminiert. Doch zuerst ist es auffallend ruhig im Publikum, so dass es perfekt passt, dass Ralph Schmidt beim ULTHA-üblichen roten Licht zu Beginn den Prediger gibt und die Büßer mit ausgebreiteten Armen zur Sonntagsmesse einlädt. Noch kann man das Kreuz aufrecht hinter dem Drumraiser erkennen, das jedoch schnell vom Nebel verschluckt werden wird…
Die nach Jahren des Bestehens jüngere Band übernimmt also den ersten Auftritt, ULTHA gibt es nun seit zehn Jahren und das will nicht nur nach den glücklicherweise längst vergessenen Auflösungsplänen Ende 2019 etwas heissen. Die Kölner waren noch nie eine Gruppe, die es sich leicht gemacht hat, und gerade weil sie zu ihren Überzeugungen stehen, haben sie immer wieder kräftigen Gegenwind erfahren. Doch all dies ist heute vergessen, beim dritten Gig nach der Winterpause präsentiert sich das Quintett tight und hochmotiviert, als es mit ‚The Night Took Her Right Before My Eyes‘ von der 2016er ‚Converging Sins‘ einsteigt. Eine Setlist passend zum Bandjubiläum mit Songs aus verschiedenen Epochen, könnte man denken, doch da ihr selbstorganisiertes UNHOLY PASSION FEST Anfang Dezember für ULTHA traditionell immer wieder Gelegenheit zum Rückblick in die eigene Diskographie bietet, kommen heute vor allem Songs des letzten Albums ‚All That Has Never Been True‘ zur Aufführung, und zwar gerade diejenigen, die in ihrer Vielschichtigkeit vor allem das hervorheben, was ULTHA ausmacht: der starken Gegensatz zwischen verzweifelt-dissonantem Furor und mindestens melancholisch zu nennender ruhiger Atmosphäre.
Wie sie Beides aufbauen und vergehen lassen, gegenüberstellen und verbinden, aufeinanderprallen und explodieren lassen ist die eigentliche Kunst dieser Band, die sich stets allmählich in eine kathartische Rage spielt und die Zuschauer dabei mitnimmt, ja fesselt, und dies gelingt ihnen auch heute bei dieser grossen Menschenmenge. Von Andy, der mit seinem verhangenen Keyboard wie ein Pastor in der Kanzel wirkt, bis hinüber zu Lars, der wie in seinem eigenen Film agiert, spielen die Musiker genauso für sich selbst wie für ihr Publikum, und endlich einmal sieht man immer mal wieder durch den aufsteigenden Nebel hindurch, wie sich Manu fast unmenschlich an seinem Schlagzeug verausgabt. Ja, man sieht die Musiker und hat die Muße dazu sie zu beobachten weil man eben sitzt – und das macht einen enormen Unterschied zu einem Stehkonzert, bei dem man sich zwar auch auf die Livedarbietung konzentriert, aber doch wesentlich mehr abgelenkt wird durch Leute, die einem die Haare ins Gesicht werfen, anrempeln, sich mit neuen Getränken an einem vorbeischieben oder auch schlicht durch die Tatsache, dass man sich selbst bewegt oder zumindest im Gedränge auf den Beinen halten muss. All dies fällt hier weg, und lässt enorm viel Raum und innere Ruhe für Kontemplation und Konfrontation – die Musik wirkt ganz unmittelbar, und man kann sich dem nicht entziehen, was sie in uns auslöst. Da können die Emotionen auch leicht für Manche zu stark werden…
Chris und Ralph zelebrieren im Zentrum des Altarraums ihren geschrieenen und klar gesungenen Wechselgesang, und mit jedem Song wird ihr Ausdruck auch körperlich heftiger, die Gesten zwischen Wut und Verzweiflung grösser und raumgreifender. Der stark hallbetonte Sound schafft einen Gegensatz zu den Massen an Nebel, die in dieser Location jedoch im Gegensatz zu kleinen Clubs genügend Platz nach oben haben und sich lange halten, so dass man sich manchmal wie in den Wolken fühlen und ein wenig die Orientierung verlieren kann. Völlig unerwartet dann ‚The Avarist…‘ als Rückgriff auf ‚The Inextricable Wandering‘, ein genauso schwer verdaulicher Brocken wie die neuen Songs zum Thema Verlust und Tod, schliesslich nach einer guten Stunde der Abschluss mit den Ratten, und wir sind zurück auf dem harten Kirchenboden.
Ein Jahrzehnt ULTHA, das bedeutet bei den Kölnern auch, dass sich Dinge ändern werden, beginnend beim als das letzte angesagten Unholy Passion Fest VIII zum Abschluss des Jahres. Wer die Fünf daher 2024 noch sehen möchte – es gibt genügend Gelegenheiten, nutzt sie!
Setlist ULTHA:
The Night Took Her Right Before My Eyes
Der alte Feind (Jeder Tag reißt Wunden)
Dispel
Bathed in Lightning, Bathed in Heat
The Avarist (Eyes of a Tragedy)
Rats Gorged the Moon… And All Fell Silent
Wohin könnte eine Band, die sich den grausigen Geschichten der Seefahrer und endlosen Ozeane verschrieben hat, besser passen als in ein Kirchenschiff? Die Christuskirche mit ihrer rippenartigen Deckenkonstruktion erinnert an den Bauch eines Wals, und so kann man sich beim AHAB-Gig auch fühlen – gleichzeitig ausgeliefert, gefangen und geborgen, vom Grauen gepackt und von der Schönheit der Natur geblendet. Das Licht hat zu Blau gewechselt; ‚The Divinity of Oceans‘, was könnte hierher besser passen, spricht davon, von den „Demons of depth“ genauso wie von „A voyage into unknown, a leap into the dark„, und darauf lassen wir uns nun alle ein. Einen kleinen Einblick in Sound und Raumwirkung von AHAB in dieser Location gibt es hier (und noch mehr Videos des Abends per klick hier):
Das Quartett hat für seine Jubiläumskonzerte ein Programm mit Songs aus allen fünf Alben zusammengestellt, und gibt so einen weit gespannten Rückblick über sein Schaffen. Beim Blick auf die Bühne erkennen Fans jedoch sofort, dass etwas anders ist als sonst – vor zwanzig Jahren waren sie noch jung, wild und ungebunden, mittlerweile sieht das familienbedingt jedoch anders aus, die Band tritt daher bei diesen drei Konzerten mit zwei langjährigen Ersatzleuten auf. Chris am Bass und Peter an der Gitarre vertreten Stephan Wandernoth und Chris Hector hochprofessionell, doch ist das Feeling und die Interaktion zwischen der langjährigen Stammbesetzung natürlich eine andere. Das Publikum interessiert sich jedoch nicht für solche Spitzfindigkeiten und geht von Beginn an begeistert mit, manche hält es mittlerweile auch nicht mehr auf den Sitzplätzen, der Mittelgang ist daher nun voll von feiernden Zuschauern.
Nun kann man sich fragen, wieso gerade diese beiden Bands zusammen auf Tour gehen, die doch stilistisch aus ganz unterschiedlichen Ecken des Extremmetal-Spektrums kommen und daher ein sich nur marginal überschneidendes Publikum haben? Die Wirkung der beiden Auftritte, die sich trotz ihrer vielen Gegensätze eindeutig verstärken, gibt der Idee dahinter recht; ULTHA profitieren davon, dass AHAB-Fans, die sie zuvor nicht kannten, von ihrer extrem emotionalen Livepräsenz und ihrem Fokus auf Atmosphäre begeistert sind, und auch manch Blackmetaller wird von der Düsternis und abyssalen Tiefe der Ozeane, die AHAB befahren, in den Bann gezogen – Synergieeffekte also auf beiden Seiten. Tatsächlich ging der gemeinsamen Tour eine Zusammenarbeit mit Chris von ULTHA voraus, der beim Einstieg in AHABs neuestes Album, ‚Prof. Arronax’ descent into the vast oceans‘ von ‚The Coral Tombs’ seinen hysterischen Trademark-Kreischgesang beisteuerte, und das ist vielleicht der einzige Wermutstropfen des Abends, dass dieser Song nicht zur Aufführung kommt.
Wo ULTHA zuvor schon wie üblich geklotzt statt gekleckert haben und die Überreste des Nebels immer noch oben unter der Kuppel wabern, gibt es nun immer wieder massive Nebelfontänen wie den synchronen Blas von drei riesigen Walen, denn auch AHAB beherrschen das Spiel mit den Überraschungseffekten und Kontrasten perfekt, setzen sie jedoch ganz anders ein – dem entschleunigten Doom entsprechend getragener, schleppender, jedoch ebenso mit einem Hang zu Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Gerade Daniel Drostes Wechseln zwischen fiesen Growls und seinem unverwechselbaren, gänsehauterzeugenden Klargesang erreicht hier im Setting der Christuskirche eine unwiderstehliche Wirkung, die tief in den Bann zieht. Er steht im Mittelpunkt, was auch die Lightshow so wiedergibt, und hält souverän Kurs durch zwanzig Jahre musikalisch-maritimer Exkursionen der dramatischen Art. Den Kampf, das Leiden und das Scheitern des Menschen an der Urgewalt der Elemente genauso wie an sich selbst und seinen dunklen Seiten, man meint sie herauszuhören, aber genauso die Liebe zum Meer, seiner Pracht und seinen abertausend Geheimnissen.
Auch bei AHAB muss der Schlagzeuger besonders hervorgehoben werden, was Corny Althammer hier an hochpräzisem Druck auf die Felle bringt sucht seinesgleichen, und treibt das Quartett wie ein stampfender Schiffsdiesel zu einem furiosen Ritt durch Orkane, haushohe Kaventsmänner, Verfolgungsjagden und Schiffbruch an. So wie der ‚Old Thunder‘ rollt die Bandmaschinerie immer weiter voran, völlig losgelöst von Zeit und Raum, doch es sind die immer wieder aufkommenden leisen, feinen Momente, die sich in dieser Umgebung besonders einprägen.
Beim Gottesdienst gibt es keine Zugabe, nach dem Segen ist Schluss, aber ein Lied zum Ausgang ist möglich. Was könnte heute einen besseren Schlusspunkt setzen als der Klassiker ‚The Hunt‘?
Und dann ist es auch schon vorbei, das Licht geht an und trotzdem bleiben Viele erstmal noch sitzen, bevor sie sich auf den Nachhauseweg machen, zu sehr sind wir noch gefangen in einer völlig anderen Welt. Wer in der Pause noch kein Merch gesichert hat, tut es jetzt noch schnell – falls überhaupt noch etwas da ist, denn der Andrang war auch hier gross. Die Christuskirche ist auch eine Stunde nach Konzertende noch voller Nebel, unwirklich, mystisch, und das spiegelt auch den Eindruck wider, den dieses ganz besondere Konzert hinterlassen hat. In unserer Reisegruppe wird auf jeden Fall kaum gesprochen, bis sich draussen an der frischen Luft alle wieder gefangen haben und zurück sind auf dem harten Boden der Tatsachen, den wir für drei Stunden komplett verlassen durften. Bands wie Booker ist zu danken für dieses einmalige Erlebnis, das noch lange nachhallen wird!
Setlist AHAB:
Further South
Like Red Foam (The Great Storm)
The Sea as a Desert
Old Thunder
Redemption Lost
Colossus of the Liquid Graves
The Divinity of Oceans
Antarctica the Polymorphess
The Hunt
Bandinfo:
ULTHA sind eine atmosphärische Black Metal-Band aus Köln:
https://ultha.wordpress.com/
https://www.facebook.com/templeofultha/
https://www.instagram.com/ultha_youexistfornothing
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AHAB kommen aus dem Heidelberger Raum und sind die Begründer des Nautik Funeral Doom:
http://ahab-doom.de/
https://www.facebook.com/AhabDoom/
https://www.instagram.com/ahabdoom/
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Danke an C. Bühner für die Photos! Alle nicht näher benannten: © UltraVioletAudioVision 2024.