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Veröffentlichung: 05.12.2023
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Vertrieb: Ván Records
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Versionen: Digital, CD, Vinyl
Stil: Ritueller SW-Black Metal trifft auf psychokkulte Soundscapes, und beide verschlingen sich im Tanz umeinander gegenseitig...
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Ein geheimes Auftragsprojekt, von dem weder Auftraggeber noch Zweck oder Umfang bekannt sind, stellt hermeneutische Numerologie schon im Titel allem voran. Die gematrische dreifache Vier – 4 MusikerInnen, S, I, S & K – haben einen undurchschaubaren, düsteren Pakt geschlossen, möglicherweise zwischen 40 Kerzen, 3 Schalen mit Räucherwerk und 1 Schädel, wer weiss? STNC VVTCH war auf jeden Fall geboren. Nun gilt zu entscheiden, ob es ein Wechselbalg scheinbar unvereinbarer Genres wie Black Metal, Doom, Psychedelia und Post-Metal geworden ist, oder das perfekte Wunschkind seiner vier Musikereltern, von denen zwei, Isa und Selina, ihr letztes Werk ja auch ‚Vexir’ nannten, also Erfahrung mit Tarnung, Täuschung und den mindestens zwei Seiten der Medaille haben. Und Genregrenzen zu überschreiten ist ja sowieso das Ziel sowohl von E-L-R als eben auch von Michel Kirby und WOLVENNEST … und die Brüsseler Szene, aus der auch Shaun Van Calster, der vermutlich die Initialzündung zu diesem Projekt gab und wie Kirby und Marx bei LENGHT OF TIME spielte, stammt, ist wohl ebenfalls sehr freigeistig und Neuem gegenüber offen.
Als Wechselbalg wurde im Mittelalter übrigens ein Kind bezeichnet, das von Hexen oder sogar dem Teufel selbst abstammte und einer Wöchnerin heimlich im Austausch mit ihrem Neugeborenen untergeschoben wurde, um „die Menschen zu belästigen und ihnen zu schaden“, der zentrale Titel ‚Mirage / Die Hexen’ mag diese Sicht bestätigen. Auf jeden Fall haben SATANIC WITCH gute Kontakte ins Jenseits, hat Lord Petrus Steele doch ‚Kvlt’ ganz offensichtlich nicht nur mitgeschrieben, sondern sogar dessen Vocals ultratief wie immer eingesungen und auch den Bass bedient. Davon darf es zukünftig gerne mehr geben! Denn diese Band erfahrener MusikerInnen, die bei aller experimentellen Herangehensweise und der Vielzahl an Einflüssen schon auf ihrem Debüt so komplett und gefestigt klingt, darf auf keinen Fall eine Eintagsfliege bleiben.
“La mort c’est rouge, et puis c’est bleu…et puis c’est froid. Et par-dessus tout cela devient un silence »
Honoré de Balzac
Doch man darf sich nicht täuschen lassen, STNC VVTCH sind keineswegs ein Zweite Welle-meets-TYPE O-Ripoff, sondern reinterpretieren vielmehr in jedem Song eine andere ihre liebsten Bands, und das sind ganz offenbar alles Grenzgänger zwischen den extremen Stilrichtungen, die jedoch bei aller Härte sinnlich-okkult mit den nicht fassbaren Welten jenseits der Schleier arbeiten. Für die teilweise irre schwarzmetallische Geschwindigkeit, die Leidenschaft und den Furor von ‚Mirror Hour’ oder ‚For None’ wären da MARDUK/FUNERAL MIST, und dann natürlich WATAIN & THE DEVIL’S BLOOD, auch BLUT AUS NORD lassen aus der Ferne grüssen. Doch immer ist die Stilistik gebrochen, ist alchemistisch etwas Neues, bisher ungekanntes aus bekannten Zutaten entstanden – das verwunschene ‚For None’ lässt uns diese perfekt ineinanderfliessende Entwicklung vom flirrend-peitschenden Doublebass/Tremolopicking-Fundament hin zu einem symphonischen, vielschichtigen Ambient-Walzer, der von den ätherischen Stimmen Isas und Selinas getragen wird, mitverfolgen und ist dabei ganz grosses magisch-mystisches Gänsehautkino. Und gleichzeitig eine Lektion in Top Notch-Songwriting. Dass hier auch die Produktion keine Wünsche offen lässt, passt zum perfektionistischen Gesamtkonzept.
Der starke Doom- und Psychedelic-Anteil wiederum vereint sich ganz wunderbar mit dieser gothischen Black Metal-Interpretation, die vor allem auf Atmosphäre setzt, shoegazige Naturmystik miteinbezieht und auch vor poppigen Melodien nicht zurückschreckt, als Geschwister im Geiste kommen aus der Richtung des abseitigen Doom (DOLCH), URFAUST, auch JEX THOTH und manchmal sogar THE RUINS OF BEVERAST in den Sinn. Doch STNC VVTCH sind viel mehr als nur die Summe der Stilistiken ihrer Ursprungsbands und ihrer musikalischen Sozialisation. Der zentrale, am meisten eigenständige und trotz seinem Fokus auf Repetition elaborierte, hypnotische Longtrack ‚Mirage / Die Hexen’ vereint all diese Elemente und Stärken der ProtagonistInnen, gerade auch was den Kontrast zwischen gefauchten männlichen Vocals und der wie Yin und Yang dagegengestellten weiblichen Sphärengesängen angeht, und weist damit in eine mögliche Zukunft für SATANIC WITCH: die alchemistische Verschmelzung der Genres so zu verfeinern, dass schlussendlich gar keine Grenzen mehr zwischen ihnen existieren, sondern sie vielmehr völlig ineinander aufgehen – so wie es echte Ekstase nicht besser vermag.
Wenn dies tatsächlich der Pakt der 4 sein sollte, uns Zuhörende schwarzmagisch und übersinnlich in Rausch und rituelle Trance zu versetzen, dann müssen wir uns auf weitere so sanfte wie tiefgreifend erschütternde musikalische Erdbeben gefasst machen. Das Zeug dazu hat das mystische Quartett auf jeden Fall.
Bandinfo
STNC VVTCH sind im Kern Shaun Van Calster (Gitarre), Michel Kirby (Gitarre), I.R. und S.M. (Vocals); hinzu kommen Jonathan Marx (Bass) und Bram Moerenhout (Schlagzeug). ‚4:44′ ist ihr Debütalbum.
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