Diverse BLUT AUS NORD / YERÛŠELEM – Reviews

Diverse BAN-Reviews von UltraViolet aka U.Violet, zuerst erschienen bei www.Saitenkult.de

BLUT AUS NORD – Disharmonium – Undreamable Abysses

~ 2022 (Debemur Morti Productions) – Stil: Avant-Garde Metal ~

03. Jun. 2022, https://www.saitenkult.de/2022/06/03/blut-aus-nord-disharmonium-undreamable-abysses/


Irgendwann musste es soweit kommen, dass Vindsval sich komplett in die Welt dieses anderen Meisters des Phantasmisch-Kosmischen stürzt, und er tut es mit vollem Risiko und ohne Sicherungsseil (oder sollte man eher Sauerstoffschlauch sagen?). Also alles wie immer auf dem 14. Album in 28 Jahren? Teils, teils.

Mit der letzten Veröffentlichung, ´Hallocinogen´, sahen wir BLUT AUS NORD auf einem Weg hin zu mehr unangestrengter Hörbarkeit, ja sogar Harmonie und deutlich weniger Raserei, Dissonanz, Noise-Betonung und genereller Härte, verglichen mit ´Deus Salutis Meae´ oder der vorangegangenen krassen Schwarz-Weiß-Malerei der ´777´-Trilogie. Nichts Neues bei den Franzosen, die starke Kontraste so sehr lieben wie neue Herausforderungen, und von jeher ihre Marschrichtung von Platte zu Platte veränderten. Durch das neue Projekt YERÛŠELEM hat sich schon vor mehr als drei Jahren eine neue Abzweigung in Richtung Post Punk/Darkwave/Industrial ergeben, die daher nun in der Hauptband nicht weiter vertieft werden muss. Aber es ist auch kein neues ´Memoria Vetusta´-Black Metal-Kapitel geworden, dessen Anteil nimmt in Vindsvals Spätwerk sowieso kontinuierlich gegenüber den Elektronik-lastigen Spielarten ab.

Wohin geht die Reise diesmal? In einem seiner extrem seltenen Interviews hatte Vindsval schon vor zwei Jahren angekündigt, dass das nächste Album noch mehr die progressive Seite und den psychedelischen Ansatz erforschen werde. Ihm ist wichtig, die Verbindung von Musik zu Träumen, Empfindungen und Gefühlen sicherzustellen, und Rationalität ganz außen vorzulassen. „L’Art commence quand cesse le bruit des hommes”, Kunst beginnt wo der Lärm der Menschen endet.

Nun also hymnische Walgesänge aus Lovecraftschen Tiefen. ´Disharmonium – Undreamable Abysses´ kommt trotz seiner Komplexität und Detailtiefe erstaunlich gestrafft, ausgewogen dissonant und gleichzeitig gut hörbar rüber, man könnte es fast als BLUT AUS NORD easy listening bezeichnen, oft kommen innere Bilder eines persönlichen Cthulhu-Films auf, dessen Soundtrack dieses Album sein könnte. Die Songtitel sprechen für sich: ´Chants Of The Deep Ones´,´Tales Of The Old Dreamer´, ´That Cannot Be Dreamt´ oder ´The Apotheosis Of The Unnamable´- Ph’nglui mglw’nafh Cthulhu R’lyeh wgah’nagl fhtagn, ok, aber wenn das so weitergeht, erwacht er demnächst…

Das Album startet in der abyssalen Tiefe, die ´Chants Of The Deep Ones´ beginnen dort mit einem fast Kinderlied-einfachen Motiv, aber schnell beginnen unaussprechlich verzerrte, alptraumhafte Laute in eine chorale Kakophonie einzustimmen, und jede Stimme, jeder der Großen Alten will sich darin vor den anderen behaupten. Ein Sternengesang bringt schließlich etwas Ordnung ins Chaos, und alles endet mit dem elektrischen Brummen und Vibrieren eines dicken Unterwasserkabels am Meeresboden.

Da ist aber auch die nie unterbrochene Verbindung in den Kosmos, die von den rasenden Drums wie ein hochkomplexes Morsesignal gehalten wird, über dem die durch eine ganze Serie von irren Effekten verfremdeten Gitarrenriffs und Keyboards ihre eigenen, verworrenen Geschichten erzählen. Die organische Schichtung und Vermischung all dieser Ebenen zu einem lebendigen, atmenden, seufzenden und bisweilen auch schreiend dissonanten Klangteppich ist Vindsval bisher nie so gut gelungen wie auf ´Disharmonium – Undreamable Abysses´, und auch wenn sich seine Stilmittel nicht oder nur minimal ändern, übt das Album einen hypnotischen Sog aus, der die Zeit verkürzt: sie geht viel schneller vorbei als in der realen Welt, und es gibt auch nach vielfachen Durchläufen ständig Neues zu entdecken in den diesmal zwischen sechs und sieben Minuten langen Stücken, die aufeinander aufbauen und bis zum Schlüsselsong ´That Cannot Be Dreamt´ die Spannung und parallel dazu den Irrsinn steigern. Entrückte Drones, unverständliches Gebrabbel, psychedelische Keyboardfolgen und darüber die typischen, wirbelnden Riffs – man kann froh sein, dass man sich zumindest am Schlagzeug orientieren kann, in diesen die Sinne überwältigenden Klangkaskaden, doch es wird nie beängstigend oder bedrohlich. Wir haben uns in unserem Schicksal eingerichtet, treiben auf den an- und abschwellenden Gezeiten, sehen Neptun in die Augen, werden in den Mahlstrom der Unendlichkeit gezogen, und erkennen mit dem letzten Lichtstrahl (die weit zurückblickenden letzten zweieinhalb Minuten von ´The Apotheosis Of The Unnamable´!!!) nur noch, dass die wirbelnden Galaxien am Nachthimmel nun sämtlich Tentakel und Saugnäpfe dazubekommen haben.

BLUT AUS NORD haben mit der Tradition gebrochen, stets ein stilistisch komplett anderes Album anschließen zu müssen, aber dafür eine extrem inspirierte neue Inkarnation gefunden.

Danke für diesen Trip, Vindsval!

(9 erwachende Große Alte)

https://blutausnord.bandcamp.com/

https://www.facebook.com/Vindsval.official

BLUT AUS NORD – Deus Salutis Meae

~ 2017 (Debemur Morti Productions) – Stil: Abyssal Ambient / Black Metal ~


21. Okt. 2017

„Domine Deus salutis meae die clamavi et nocte coram te.”
„Herr, du Gott meines Heils, zu dir schreie ich am Tag und bei Nacht.“

Der titelgebende 88. Psalm ist ein Klagegebet in größter Verlassenheit und Todesnähe. Ein einsamer, kranker und verzweifelter Mensch schreit Todesangst und Schmerzen heraus zu seinem Gott, von dem er genauso verstoßen wurde wie von seinen Angehörigen und Freunden. Er sieht sich bereits zwischen Erschlagenen in die tiefsten Grube geworfen, von finsterer Nacht umgeben, und fragt sich nur noch, ob es für ihn eine Hoffnung durch Erlösung, Wiederauferstehung geben kann. „Mein Vertrauter ist nur noch die Finsternis“ – und ich befürchte, genau dies ist Vindsvals Losung für das zwölfte Komplettalbum der französischen Black Metal-Erneuerer. Auch der Hörer wird um Erlösung bitten, wenn er in diese fast unerträgliche, grenzwertig unhörbare und dennoch, wie üblich, trotzdem faszinierende Platte eintaucht.

Nach Abschluss der beiden ´Memoria Vetusta’-und ´777’-Trilogien wird nach 23 Jahren Bandbestehen wieder einmal ein ganz neues Kapitel aufgeschlagen, und um es vorwegzunehmen: die großen, epischen, (Gitarren-)Melodien, eingebettet in und getragen von flirrenden Layers gewoben aus mantrenartig wiederholten und variierten Sätzen diverser Saiten- und Tasteninstrumente, wie man sie von „diesen“ BLUT AUS NORD kennt, gibt es nicht mehr. Was sich bereits bei der letztjährigen Split ´Codex Obscura Nomina’ abzeichnete, wird hier auf ein neues Level gehoben: Melodie, Harmonie? Fehlanzeige. Nicht einmal in den instrumentalen Parts, nirgends.

Pure Dissonanz regiert über eine Kakophonie helikopterartig an- und abschwellender, meist langsam stampfender Maschinengeräusche, greller, an Folter gemahnender furienartiger Schreie und unverständlich hallender Echos ritueller Beschwörungsformeln dunkler Mächte. Ein Mahlstrom der Zerstörung. Wo befinden wir uns hier? In einer Höhle? Falsch. Bereits tief in der Hölle. Und, wir ahnten es bereits, diese ist menschgemacht. Gedanken an Celans ´Todesfuge’ drängen sich auf.

Die wenigen erholsamen Phasen erleben wir in den kurzen instrumentalen Zwischenspielen (´Gnosis’), doch plötzlich attackieren gottlose Wespenschwärme unsere Ohren (´Impius´), schon werden wir in den abscheulichen Höllenpfuhl geworfen und mit glühenden disharmonischen Riffs gemartert – die Krise (´Apostasis’) besteht aus einem Wechsel von Blastbeat-Gewittern und langsamen, strukturierteren Parts, Gitarren winden sich in symphonisch-schmerzvollem Wahnsinn, im Hintergrund findet eine widerwärtige Anrufung in babylonischem Stimmenwirrwarr statt, doch irgendwann findet alles irgendwie doch noch zu einer Ordnung. Denn nun tritt der Fürst des Abyss (´Abisme’) selbst auf, in einem der ausgeprägt rhythmischen, sehr langsam stampfenden Stücke wird ihm mit überraschend schönen, vielstimmigen Chören gehuldigt -,der eingängigste Song bisher, so etwas kann möglicherweise auch der SAMAEL-Fan goutieren. Doch ab dann wird es äußerst anstrengend bis zermürbend, gespenstische, tranceartige Zerrklänge, Stimmen verlorener Kinder wirbeln um den Hörer herum, bisher noch erahnbare Strukturen lösen sich vollends auf, die Offenbarung (´Revelatio’) bringt für mich kein Licht ins Dunkel (´Èx Tenebrae Lucis’), und irgendwann ist es auch genug mit der Buße (´Metanoia’), denn die Ambient- und Noise-Versatzstücke wiederholen sich, werden austauschbar und bringen die Stücke damit fast an die Grenze zur Belanglosigkeit. Und nach einer guten halben Stunde ist dann auch ganz plötzlich alles vorbei. Exitus.

Dieses Album ist noch wesentlich extremer und abseitiger als das bisherige Schaffen von BLUT AUS NORD, und kann damit als Zeichen unserer Zeit, sogar als Prophezeiung gedeutet werden. Es vereint bedrängende Black Metal-Wurzeln mit psychedelischem Industrial und noisy Ambient, treibt diese unheilige Allianz auf die Spitze und eröffnet damit einen musikalischen Blick in abstoßende, widerwärtige (menschliche) Abgründe. Nur zu empfehlen für hartgesottene Hörer mit hohem Resilienzfaktor!

(7 nostalgische Punkte)

https://www.facebook.com/blutausnord.official

YERÛŠELEM – The Sublime
2019 (Debemur Morti Productions / Soulfood) – Stil: Black Post-Industrial

“Dans un halo de ténèbres éclatantes, ils fusionnèrent avec le moment sublime, le Grand Mal que toute la vie attend.” (777 – Cosmosophy, Epitome XV)

Kalter endloser Hall, klirrendes Echo, zähflüssiger, teils atonaler Industrial. Doch darüber schrauben sich erhaben und hypnotisch wellenförmige Gitarren- und Keyboard-Melodiebänder gen Himmel. Mit YERÛŠELEM hat BLUT AUS NORD-Kopf Vindsval gemeinsam mit seinem langjährigen Mitstreiter W.D.Feld eine neue Ausdrucksform begründet, die stilistisch völlig anders als beispielsweise das letzte BAN-Album ’Deus Salutis Meae’ ausgerichtet ist, und auch inhaltlich eher an die großartige 777-Trilogie anschließt, dabei aber viel mehr Post-Punk und New Wave (’Sound Over Matter’) enthält. Der Black Metal hört dabei interessiert zu und wirft nur ab und zu mal etwas ein (’Triiiunity’), ’Eternal’ erreicht mühelos ’Cosmosophy’-Größe, ’Babel’ ist ein Monstrum der maschinellen Monotonie, und ’Textures Of Silence’ beschließen wunderbar ein Album, das fordernder und gleichzeitig meditativer ist als alles, was die Franzosen bisher geschaffen haben. Wie jemand einmal über ’777 – Sects’ gesagt hat, ist auch dies eine Platte, die man mit viel Ruhe und Kopfhörern in einem abgedunkelten Raum genießen sollte.

(8,5 Punkte – U. Violet)