LINUS KLAUSENITZER – Tulpa

  • Veröffentlichung: 06.10.2023 

  • Vertrieb: AOP Records 

  • Versionen: Vinyl, CD, Digital 
     

Stil: Langerwartetes erstes Soloalbum des TechDeath Fretless-Bassisten, das vor allem auf eingängige Melodik setzt

Wer mich kennt weiss: der Bass ist für mich das wichtigste und daher auch mein liebstes Instrument in der Rockmusik, und somit sind es logischerweise auch vor allem die BassistInnen, die ich am meisten schätze – ganz in Gegensatz zur landläufigen Meinung über die Virtuosen an den dicken Saiten. Und auch hier höre ich vor allem diejenigen sofort aus einem unbekannten neuen Stück Musik heraus, die einen ganz eigenen und individuellen Stil und Sound pflegen, technisch herausstechen aus der Masse und damit völlig neue Impulse für ihre Bands und Genres geben.

Linus Klausenitzer, einer der mittlerweile gereiften Extremmetalhead-Musikstudenten der Regensburg-Landshut-München-Achse, aus der seit Beginn der 2000er so grossartige Prog/Teach-Death und -Blackmetal-Formationen wie NONEUCLID, OBSCURA, ALKALOID und DARK FORTRESS hervorgingen, gehört ganz vorne mit zu diesen Musikern. Egal mit wem er spielt, er setzt stets Akzente, die auffallen und formt souverän und technisch herausragend die Basis komplexer Songs mit und brilliert mit geilen Soli, ohne sich dabei in den Vordergrund zu drängen. Hinzu kommt dass er meist fretless spielt, und hat gerade damit einen wunderbar warmen, vollen und trotzdem metal as fuck direkten Sound entwickelt, der geradezu ins Ohr hineinschmilzt, wenn er sich nicht gerade stählern hineinfrisst – doch dazu später mehr. Aus all diesen Gründen ist sein lange überfälliges Solodebüt natürlich Pflichtprogramm.

Ein begehrter Sessionmusiker ist der aus einer Musikerinnenfamilie stammende Bayer, hat sich wie seine Eltern früh für ein Leben als Profimusiker entschieden und ist doch trotz klassischer Ausbildung mit ganzem Herzen leidenschaftlicher Metalhead geblieben, der sich nicht nur seine eisernen studio- und Livesporen bei Bands wie den ersten drei oben genannten sowie der aus vorletzten OBSCURA-Besetzung hervorgegangenen und leider bisher viel zu wenig beachteten OBSIDIOUS verdiente, sondern alle auch musikalisch mit seinen Ideen und Kompositionen mitformte. Technischer beziehungsweise progressiver melodischer Death Metal, das ist, wo sich die beiden Welten treffen, wo Musiktheorie, vertrackte Rhythmik, Tremolo und Blastbeat aufeinanderprallen und daraus funkelnde komplexe Strukturen sowie vielschichtige Sounds entstehen, die den Zuhörenden nicht nur viel Raum für eigene Interpretation, sondern vor allem den Genuss ermöglichen, auch nach unzähligen Durchläufen immer wieder etwas Neues zu entdecken. Den virtuosen Musikern dagegen bietet das Genre Ausdrucksmöglichkeiten jenseits der reinen Spieltechnik, denn wer sich nicht mehr auf seine Fingerfertigkeit konzentrieren muss, hat den Kopf frei für vielerlei neue Experimente und das Vereinen von Gegensätzen rund um ein meist philosophisches Albumkonzept. Hier ist das das Freimaurerische Taschenbuch ‚Die Sphinx’ aus Wien 1873, geschrieben von Emil Besetzny; es geht um das alchemistische Erschaffen menschenähnlicher Wesen, die – in Gläsern wie dem des Covers aufbewahrt – durchaus genau wie die entsprechenden Songs ein Eigenleben entwickeln.

All diese Einflüsse hört man Klausenitzers Solowerk durchgehend an, er weiss genau, was ein Song braucht, um packend zu sein, und wo ihn ein ein Zuviel an technischen Spielereien überfrachten würde, wann man die Geschwindigkeit für ein konstantes Hörvergnügen anziehen muss und wann wiederum Zeit für Schwelgen in Dis/Harmonien ist – ‚Tulpa’ belohnt für die lange Wartezeit mit überraschenden Wendungen, eingängigen und auch teils entrückten Melodien und vor allem stählernem Biss. Dennoch haben seine Kompositionen oft eine bittersüsse Melancholie (Anspieltipp: das polyrhythmische ‚Our Soul Sets Sail’, tiefgründig und rein instrumental: ‚Sister In Black’), die sein singender Fretless-Bass noch verstärkt, auf dem Solodebüt kommt übrigens sein neuester Bass zum Einsatz, der nach seinen Ideen von seinem Endorser Ibanez Deutschland gebaut wurde: deren erstes sechssaitiges bundloses Modell mit stählernem Griffbrett, das fretless in dreckigen Metal überführt (wen dieser Wunderbass – Custom Ibanez BTB20TH6 20th Anniversary 6-String with Steel Fingerboard – interessiert, findet hier ein Video dazu). Und wer immer noch denkt, dass mit einem Bass nur zusätzlicher Druck im Mix aufgebaut werden kann und keine wilden Melodieläufe gespielt werden, sollte sich schleunigst ‚The Devil’s Tongue’ anhören.

Klausenitzer beeindruckt jedoch nicht nur mit einem packenden Erzählfluss des Albums, phantasievollem, abwechslungsreichem Songwriting und vielfältigen, spannenden Arrangements, er spielt neben dem natürlich stets herausstechenden Bass auch die Synthesizer, hat jedoch die restlichen Parts ebenso begabten Freunden und Kollegen überlassen: jegliche Vocals ausser seinem „Signature Singing Bass“ kommen von seinem ausdrucksstarken Bandkollegen bei OBSIDIOUS, Javi Perera, das Piano spielt seine Partnerin Vanesa Jalife. Lead-und Rhythmusgitarren übernehmen Ian Waye (SOREPTION) und Aaron Homma (ANNIHILATOR, KILLOTOROUS), letzterer auch die akustischen Sechssaiter. Die Gitarrensoli jedoch steuern ausser ihnen sechs weitere Gitarristen diverser metallischer Herkunft bei, was die ganze Melo/TechDeath-Sache nochmals abwechslungsreicher macht und Einflüsse aus Thrash, Powermetal und symphonischem Metal verschiedener Herkunftsländer miteinbringt: Roland Grapow (MASTERPLAN, Ex-HELLOWEEN) – ‚King Of Hearts‘, Phil Tougas (FIRST FRAGMENT, CHTHE’ILIST), V. Santura (TRIPTYKON, Ex-DARK FORTRESS) – ‚Sword Swallower‘ 
, Dee Dammers (U.D.O., DIRKSCHNEIDER), Chris Hermsdörfer (BEYOND THE BLACK, SERENITY) und Nicolas Alberny (GOROD).  
Doch ans Schlagzeug, diesen genreentsprechend extrem herausfordernden Job lässt er nur einen alten Freund und Bandkollegen aus diversen Gruppierungen, der gleichzeitig aktuell einer der prominentesten Metaldrummer überhaupt ist (und zu dessen ganzen Soloplatten wiederum Linus den Bass beisteuerte). Mit Hannes Grossmann (ALKALOID, TRIPTYKON, Ex-OBSCURA, Ex-NECROPHAGIST) hat er nicht nur einen der technisch und musikalisch versiertesten Drummer des Genres und darüberhinaus, sondern vor allem auch einen erfahrenen Produzenten an seiner Seite, der auch den glasklaren und ausgewogenen Mix und das Mastering übernahm.

Linus Klausenitzer legt hier ein Album vor, das seine persönlichen Vorlieben im Metalbereich mit der eigenen Erfahrung als progressivem Musiker vereint. Er hat geschafft, was er sich dafür vorgenommen hatte: eingängige und zugängliche Songs zu schreiben. Wer OBSCURAs ‚Akróasis’ schätzt (wozu Klausenitzer ausser dem seinem Namen mehr als gerecht werdenen Longtrack ‚Weltseele’ drei weitere Songs besteuerte), aber mit deutlich mehr Emotion und modernen Einflüssen, wer progressiven, instrumentallastigen Metal mit einer Schlagseite zum Melodeath mag, sollte ‘Tulpa’ unbedingt seine Ohren zu schenken. Für alle TechDeath-Fans ist das Album sowieso Pflichtprogramm, gerade weil es zeigt, wie viel mehr weniger doch sein kann. Chapeau!

It’s a family thing!

Bandinfo:

https://linus-klausenitzer.com/
https://www.facebook.com/LinusKlausenitzerOfficialSite/
https://www.instagram.com/linusklausenitzer/

Solo-Diskographie:

Tulpa (LP, 2023)

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