Diverse OBSCURA – Reviews

von UltraViolet aka U.Violet, zuerst erschienen bei www.Saitenkult.de:

OBSCURA – Diluvium

Jul 14, 2018

2018 (Relapse Records) – Stil: Prog/Tech Death


Ihr kennt das ja: eine Lieblingsband kündigt an, ins Studio zu gehen – juhuu, bald endlich wieder ein Meisterwerk im Player, klasse, mal sehen, was ihnen diesmal alles so einfällt. Muss ich gleich den anderen Nerds erzählen! Später hört man, dass die Aufnahmen nun abgeschlossen seien und der Mix beginne, und die Vorfreude wächst weiter, ein Hauch von Nervosität kommt gar dazu. Schliesslich wird das Veröffentlichungsdatum angesagt, ja geil, endlich! Und irgendwann ist es dann tatsächlich soweit, das gute Stück ist da, die ersten Töne perlen aus den Lautsprechern, und natürlich, wie erwartet, wie lange ersehnt – diese göttlichen Soli, diese irren Breaks, jessas, was growlt der fies, und was für ein Hammer-Refrain, ja, alles miteinander der reinste Waaaahnsinn!

Ok, dem ersten Durchlauf folgt natürlich sofort der zweite, immer noch ist die Begeisterung schier unendlich – aber die Konzentration lässt schon merklich nach, naja, war abgelenkt, morgen noch mal konzentriert hören, vielleicht im Zug. Bei diesem Durchlauf wird die gleichzeitige Lektüre dann schon wichtiger, hoppla, Platte schon wieder zuende? Hmm, seltsam, kann mich gar nicht so richtig an die einzelnen Songs erinnern. Aber sowas Progressives braucht halt seine Zeit, um sich richtig zu entwickeln! Geb ich ihr noch ein paar Chancen…Und so geht es ein paar Wochen lang, das gerade Gehörte setzt sich nicht fest im Kopf, hinterlässt keine wirklichen Spuren, während andere, interessantere Scheiben, vielleicht gar von ganz neuen Bands in den Player kommen und deutlich öfter goutiert werden; und irgendwann ist das so lange herbeigesehnte Wunderwerk schlicht vergessen und ward nie mehr gehört. Schade, aber sei’s drum, vielleicht beim nächsten Mal wieder…

Tja, und hier kommt nun der Unterschied zwischen Euch und mir ins Spiel: während das Teil bei Euch schlicht in der Versenkung verschwindet, muss ich ein möglichst objektives, sachliches Urteil darüber fällen…ufff. Grenzenlose Begeisterung, aber ich werde wie immer mein Bestes geben 😉

Vielleicht ist die den mit ’Cosmogenesis’ begonnenen Zyklus nun abschliessende ’Diluvium’ ja tatsächlich so gemeint: viel näher dran an der Eröffnung als am Mittelteil, rauer, düsterer, härter, das Ganze kompakt und endgültig abschliessend. Dann läge ich mit meiner Einschätzung, ’Akróasis’ sei der eigentliche Höhepunkt dieser Quadrologie, nämlich goldrichtig. Natürlich ist die Neue technisch brilliant, die Songs mit allen kompositorischen Finessen gespickt und trotzdem nicht ausufernd lang, sondern auch für Nicht-Progger konsumfreundlich gestreamlined, sie durchzieht jedoch auch sehr viel nicht nur Vocoder-erzeugte kosmische Kälte, der fast nur durch Linus Klausenitzers Fretless Bass etwas Herz entgegengesetzt wird (’The Seventh Aeon’!). Steffen Kummerer faucht harscher denn je, Rafael Trujillo liefert gemeinsam mit ihm (und vor allem auch alleine) abgezirkelte Traumsoli ab, gleichzeitig wird oft deutlich Geschwindigkeit rausgenommen und sehr ruhige Passagen zeigen auffallend viele Remineszenzen an 70ies Progrock und vor allem klassischen NWoBHM mit seinen traditionellen Twingitarrenläufen, wie man sie zuletzt beispielsweise bei KHEMMIS hörte (’The Conjuration’, oder, wie von OPETH bekannt, in ’Ekpyrosis’) – allein, mir fehlen die Haken, die sich im musikalischen Gedächtnis festsetzen und mein Herz nach mehr bluten lassen. Der Songaufbau ähnelt sich – trotz aller struktureller Gimmicks und Tempiwechsel – über fast die gesamte Platte hinweg, ihn eindimensional zu nennen wäre nun bei der dargebotenen Virtuosität wirklich übertrieben, aber etwas weniger Vorhersehbarkeit würde mehr Spass bringen. Den hat man jedoch auf jeden Fall mit der Produktion von V. Santura, die wie immer keinerlei Wünsche offen lässt.

Natürlich, jede Platte steht auch in einem Zyklus für sich allein. Kann man daher einer Gruppe vorwerfen, dass sie nicht noch einmal ein so von Kraft und Leben strotzendes Werk erschaffen hat, wie es ’Omnivium’ und vor allem ’Akróasis’ sind? Ich denke ja, denn was ’Diluvium’ fehlt, sind die absolute Freiheit, die tiefe Leidenschaft und vor allem die strahlende Pracht des Vorgängers. Das zweite Lied ’Emergent Evolution’ kommt da noch am nächsten ran, hier jubeln nicht nur die Gitarren, hier hat man wieder den Eindruck eines organischen Gemeinschaftswerks, eines Ideen- und Kraftaustauschs innerhalb der Band, während sonst der bisher von OBSCURA ja gerade vermiedene Alleingang der Instrumente leider in weiten Teilen vorherrscht.

Natürlich ist das alles Jammern auf exorbitant hohem Niveau. Wer seine Freude vor allem an virtuoser technischer Spielerei wie aus Übersee hat, wird auch hier sehr glücklich werden und lange immer wieder neue, abgefahrene Details in dieser Musikerscheibe entdecken. Der stimmungs- und hookverliebte Tech-Death-Fan ist weiterhin bei den Kompagnons von ALKALOID besser aufgehoben.

(6,5 bassanschmachtende Punkte)

OBSCURA – A Valediction

Dez 17, 2021

~ 2021 (Nuclear Blast Records) – Stil: Progressive / Tech Death ~


OBSCURA sind nach drei Jahren zurück, und Besetzungswechsel gehören ja zu den bayrischen Techdeathern wie überhöhte Geschwindigkeit auf dem Griffbrett, wieso sollte es beim sechsten Album anders sein? Doch diesmal dreht sich das Personalkarussell erstaunlicherweise nur einen Schritt nach vorne und ganze zehn Jahre zurück zum ´Omnivium´ Line-Up – eben mit Ausnahme des Schlagzeugers, der diesmal nicht Hannes Grossmann, sondern David Diepold heisst. Wir haben also wieder das niederländische Fretless-Urgestein Jeroen Paul Thesseling (PESTILENCE) am Bass sowie einen nach seiner Genesung und den Erfolgen mit ALKALOID unüberhörbar wieder zur alten Grösse und Kunstfertigkeit zurückgekehrten Christian Münzner in der Mannschaft, was folgerichtig grandiose Gitarrenduelle zwischen ihm und Bandboss Steffen Kummerer bedeutet, unterlegt, nein vielmehr komplimentiert von diesem unverkennbaren warmen, elastischen Bass und einem jungen österreichischen Drummer, der hungrig ist zu zeigen, was er alles drauf hat.

Viel wichtiger ist jedoch, dass mit den beiden Songwriter zurückgekehrt sind, die vor allem im Fall von Münzner ein Gutteil der Kompositionsarbeit übernehmen; dass Kummerer hier nicht nur entlastet wird, sondern vielmehr neue Impulse erhält, die seinem Perfektionismus ungebremste Kreativität entgegensetzen, tut dem Album hörbar gut, die Songs atmen eine Spontanität, Frische und Freiheit, die gerade beim Vorgänger ´Diluvium´ zugunsten einer fast sterilen Hochglanzproduktion weitgehend verloren gegangen war.

´Diluvium´ markierte 2018 den Abschluss von OBSCURAs zehn Jahre andauerndem konzeptuellem Vier-Alben-Zyklus, und es war höchste Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen und sich von dem philosophischen und künstlerischen, aber eben auch extrem technischen, ja maschinellen Konzept dahinter zu lösen, und zurück zum Musiker als Menschen zu kommen. Wohin dieses verstärkte „Menscheln“ sogleich führen kann, zeigt wohl am überraschendsten ´When Stars Collide´ mit Björn „Speed“ Strid (SOILWORK, THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA) am Mikro, ein lässiger Melodeath-Stadion-Smasher mit dazu passendem Östrogenvideo, wie man ihn von den Techdeathern so bisher niemals erwartet hätte.

Hinzu kommt, dass ´A Valediction´ im Gegensatz zu den vorangehenden Produktionen beim Gottvater des Gothenburg-Sounds, Fredrik Nordström, im Studio Fredman aufgenommen und abgemischt wurde, der dem Album seinen raumgreifenden, vollen und zeitlosen Klang verpasst hat, der sich weniger auf die virtuosen Details fokussiert, sondern stets die Gesamtwirkung im Blick hat. Selbst der handwerklich extrem anspruchsvolle, typisch perlende Gitarrensound erhält unter seine Hand einen entspannten, fast lässigen Vibe, was Songs wie ´Forsaken´, ´Orbital Elements II´ oder der Titelsong zeigen. Die beiden Gitarrenheroen müssen sich nichts mehr beweisen, komponieren und shredden auf hohem Niveau ein Solo nach dem anderen, aber tatsächlich songdienlich, melodiebezogen und ohne den typischen, hochkomplexen OBSCURA-Trademarksound zu verlassen (´In Adversity´ mit seinen himmlischen Twinleads…). Experimente sind trotzdem erlaubt, gerade auch was Kummerers uncleanen Gesang angeht, siehe das ultratiefe Growling bei ´Devoured Ursurper´, das sich harmonisch in die neue Ausrichtung einpasst.

Und dann natürlich dieser Bass! Als ob er ein Eigenleben führte, laufen seine Linien im Kontrapunkt zu den Gitarren und erschaffen damit dieses typische barocke vielstimmige OBSCURA-Klangbild, das mit seiner Harmonie sofort fesselt und dann damit begeistert, dass bei jedem Durchlauf neue Details hinzukommen. Wie wichtig Thesselings Siebensaiter ist, zeigt sich schon daran, dass das Album mit einem Bassintro beginnt, und es ist einfach eine Freude, diesem Alleskönner zuzuhören, wie er seine Melodien wachsen lässt in einem Umfeld, das dafür auch genügend Freiraum bietet. Es bleibt spannend, wieviel Input von diesem zwischen Jazz und Metal stehenden Bassisten in hoffentlich künftigen Alben noch hinzukommt.

Sie sind zurück mit einem Neustart! Nach dem Abschluss ihrer Konzeptreihe und dem Wechsel zu „Nuclear Blast“ stehen OBSCURA als gereifte Band gleichberechtigter Mitglieder mit einem Album in den Startlöchern, das nicht nur die Frickeljünger, sondern tatsächlich auch die weitere Progressivgemeinde abholt, indem es gewohnte Stärken und relaxte Souveränität miteinander verbindet, ohne auf Härte und Geschwindigkeit zu verzichten. In dieser Konstellation dürfen gerne noch einige weitere Scheiben entstehen…

(8,5 Punkte)

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