EITRIN – Eitrin

Stil: Französischer Black Metal kokettiert noch stärker als üblich mit Industrial- und Ambient-Elementen, und wird dadurch grösser als die Summe seiner Teile…

So langsam beunruhigt mich die offensichtlich in Mode gekommene starke Affinität französischer Bands aus dem Black Metal-Spektrum zu potent tödlichen Substanzen. Waren es bei THOD noch infektiöse Agenzien wie Viren und Bakterien, die meist fatal endende Krankheiten auslösen, gehen EITRIN den direkteren und schnelleren Weg über letale Gifte, teils natürlicher, teils menschenerdachter Herkunft; und das ist auch bereits in ihrem Band- oder zumindest Projektnamen versteckt, ist es doch das isländische Wort für Gifte… und gleichzeitig der offizielle Firmenname von Debemur Morti Productions: Eitrin Editions.

So spät wie ich mit meinem Review dran bin, sieht es mittlerweile tatsächlich so aus, als ob aus dem Projekt zur Feier von nunmehr zwei Dekaden Debemur Morti Productions/DMP  eine neue All-Star-Band geworden ist, zumindest lassen Vindsvalsche Social Media-Kommentare solches vermuten. Und das wird all die freuen, die das selbstbenannte Debüt bereits kennen- und schätzen gelernt haben. Einer der drei Protagonisten ist damit bereits genannt, hört man in die Platte hinein ist sein Spiel und stilistischer Einfluss auch schwerlich zu leugnen, auch wenn EITRIN mit BLUT AUS NORD weit weniger zu tun hat als der Beitrag und Trademarksound von Vindsval (und dem ungenannten ebenfalls bei BAN tätigen Schlagzeuger W.d.F.) vermuten liesse. Dafür sorgen die beiden anderen Teile des Trios, zum einen Marion Leclercq / MÜTTERLEIN, die den absolut erstaunlichen, leidenschaftlichen Gesang beisteuert, zum anderen Multitalent Dehn Sora von u.a. TREHA SEKTORI und THROANE, hier zuständig für Atmosphäre sowie Backgroundvocals.

Dieses Spannungsfeld dreier Solo-KünstlerInnen und starker Persönlichkeiten, die es sonst gewohnt sind, ihre Musik ganz alleine zu entwickeln, bringt Erstaunliches, Avantgardistisches und vor allem Konfrontatives hervor, das sich gleichzeitig ins Ohr einzuschmeicheln versteht, obwohl Dissonanz hier über allem steht. EITRIN ist ein Klangorganismus, „Es“ lebt, dreht und windet sich, atmet vor allem (noch?) in seinem vergifteten Fiebertraum, der je nach der Stelle, wo die tödliche Wirkung im Körper einsetzt, auch den Hörer anders packt.

We are poets and nobodies
outcasts and troublemakers
surely we don’t expect anything good to happen anytime soon
twenty years of affection and still that lethal taste on our tongues!

(‚PHENOL – Sinister‚)

Die Dosis macht das Gift, das sieht man vor allem in Marions Lyrics und ihrem leidenschaftlichem, teils fast entrückt-jenseitigem Sprechgesang, die im Laufe der LP eine Vielzahl höchst ungesunder Emotionen beschwört, durchlebt und auskotzt – eine heilsame und sicherlich auch reinigende Erfahrung, die unterstützt wird von den eiskalten, dissonanten und messerscharfen Rifffolgen und splitternd-hallenden Effekten Vindsvals, sowie noch mehr vom gnadenlos hämmernden Schlagzeug, das den Industrialcharakter nochmals verstärkt.

Die Rettung naht durch die stets auf das Geblaste folgenden, den Wahnsinn und das schmerzerfüllte Leiden unterbrechenden feierlichen Gitarrenmotive, Chorgesänge und vor allem Ambient-Passagen Dehn Soras, oder lassen sie uns nur scheinbar von der Getriebenheit erholen, und sind vielmehr genau der Ort sind, an dem das Gift seine tödliche Wirkung ausspielt? EITRIN ist niemals das, was es zu sein scheint, sondern spielt Ursache und Wirkung ständig gegeneinander aus, was auch damit zu tun haben mag, dass manche der besungenen Gifte wie Muscarin oder Arsenik niedrig dosiert auch als Rauschmittel Verwendung finden oder fanden – und der Unterschied der Dosen hin zur Letalität ist naturgegeben winzigst…

‚Muscarin – What Is Sacred’ ist dementsprechend auch das prächtigste Stück mit starker Post-Punk-Atmosphäre, und sein Einstiegsriff kann den ‚777’-Schöpfer dann wirklich nicht verleugnen, während ‚Arsenic – The Eye Of The Whale’ mit überwältigender Dissonanz die Schönheit des Schrägen, Unangepassten feiert. Arsenik war seit der Antike (und bis zu seinem chemischen Nachweis per Marshscher Probe) nicht nur das meistverwendete Mordgift, leicht zugänglich da auch zur Bekämpfung von Ungeziefer benutzt, es diente auch als Tonikum, das den Appetit anregte und Mensch wie Tier fitter aussehen liess, die „Roßtäuscher“ verwendeten es daher, um alte, klapprige Mähren vor dem Verkauf gesund, glänzend und feurig aussehen zu lassen und so den zu erzielenden Preis zu steigern.

Das faszinierende Cover von Maciej Kamuda, der auch EITRINs Logo mit den Trompeten von Jericho entwarf, weist mit dem Spieler einer Todesorgel, der giftige Dämpfe entsteigen, wieder zurück auf das Label-Jubiläum. Während die Musik die Anwendung und vor allem spezifische Wirkung der Gifte aufgreift und vertont, sind Marions Lyrics assoziativ und daher deutlich freier, gehen über die Toxine hinaus zu toxischem Verhalten, es geht ihr stets um menschgemachtes Leiden, Gier, Hass, die Zerstörung der Erde und ihrer Lebewesen, Kriege und Machtspiele, Schmerz, Vergänglichkeit und Tod. In einem Song, Phenol – Sinister’ jedoch besingt sie Diejenigen, die seit zwanzig Jahren ihr kreatives Feuer weitertragen, bis zum Ende der unheilvollen Welt:

Twenty years of affection and still that lethal taste on our tongues
We are soloists and we are the voice
Of the orphans (and) the wanderers
Surely we don’t expect anything good to happen anytime soon

‚PHENOL – Sinister‘

Nur die Synergie dieser Drei kann diese kathartische Reise durch die lebensgefährlichsten Substanzen in Menschenhand erzeugen, und warnen vor der Konfrontation mit der unheilvollsten Bestie auf diesem Planeten – uns selbst.

Bandinfo:

EITRIN sind MÜTTERLEIN / Marion Leclercq (Vocals & Lyrics), Vindsval (Gitarren, fretless Bass) und Dehn Sora (Vocals & Atmospheres); Schlagzeug übernahm W.d.F.

https://eitrin.bandcamp.com

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