Livebericht vom „Tales of Southern Lands“-Tourabschluss im P8
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Wann? 11.03.2023
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Wo? P8 Karlsruhe
Nach drei Wochen Europatour mit KARITI feiern die Karlsruher PsychDoomer daheim Tourabschluss mit diversen Überraschungen
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Vor drei Wochen bei MESSA und JULINKO (wir berichteten hier davon…) waren sie noch alle zusammen hier im P8, da am nächsten Tag ihre Europatour in Stuttgart startete, und nun feiern sie daheim den Tourabschluss – und haben dafür einige Überraschungen in petto. COLTAINE und KARITI waren bereits letzten September für neun Gigs zusammen in Italien, Deutschland & drumherum unterwegs, und die Kombination muss sich bewährt haben, denn diesmal sollten es ganze 21 Dates in 11 Ländern werden, ein grosser Rundumschlag in den aktuellen Homebases und den umliegenden Ländern. Kommen die HeldInnen müde zurück, oder von den Eindrücken unterwegs begeistert? Das P8 erwartet sie jedenfalls gut gefüllt… und gut gelaunt!
Die erste Überraschung ist der heutige zusätzliche Support: YRAH steht wie auch danach KARITI ganz allein auf der grossen Bühne, füllt sie jedoch mit ihrer enormen Präsenz und kraftvollen Stimme problemlos aus. Die junge Solokünstlerin, die ebenfalls bereits auf der kurzen Tour 2022 dabei war, macht den Anfang der heutigen „Frauenpower over Karlsruhe“ und hat ganz offenhörbar schon ihre eigene Fanbase mitgebracht, die sie lautstark anfeuert – dabei braucht sie das kaum, strotzt sie doch vor Leidenschaft, Selbstbewusstsein und Feuer. Selten habe ich erlebt, dass eine Musikerin live so mit einem gelungenen Song zufrieden ist, dass sie am Ende tatsächlich vor Freude ins Mikrophon lacht… sie ist das, was man eine geborene Rampensau nennt, kennt keinerlei Berührungsängste mit dem Publikum und macht mit akustischer Gitarre, Keyboard und Loopstation ihr Ding.
Und das schon länger, sie hat genauso schon Erfahrung als Strassenmusikerin gesammelt wie bei einer wohlbekannten Castingshow, und ist als Lela Leadsängerin der Stuttgarter Metalcoreler VENUES, besinnt sich jedoch mit ihrem Soloprojekt YRAH (wer weiss, ob es nach dem lateinischen ira=Zorn benannt ist?) auf die klassischen Singer-Songwriter-Tugenden: emotional packende Songs, die eine Geschichte erzählen, mit minimaler Instrumentierung und einer umwerfenden, rauchigen, tiefgehenden Stimme vorgetragen, die Loops machen Mehrstimmigkeit möglich und fertig ist die energiegeladene, doch stets auch nachdenkliche und geerdete Mischung zwischen zart und bestimmt, verspielt und klar – aber immer aus tiefster Seele. Passend zu ihrem kompletten DIY auf der Bühne hat YRAH selbst gebatikte, nachhaltige da Second Hand-Shirts und Taschen dabei, die reissenden Absatz finden, genauso wie ihr Drei-Song-Demo, zu dem demnächst mehr neue Songs hinzukommen werden. Behaltet sie auf jeden Fall im Auge!
Danach betritt карити – KARITI die Bühne, und auch wenn ihre Werkzeuge scheinbar die Gleichen sind, liegen doch Welten zwischen den beiden Frauen, was nicht nur durch ihre jeweilige Herkunft begründet ist. „KARITI“ ist Altkirchenslawisch und bedeutet „die Toten betrauern“, und das ist die poetische und musikalische Mission der Solokünstlerin. Aus der russischen Taiga stammend, lebt sie aktuell in Italien und hat ihr erstes Album ‚Covered Mirrors’ 2020 passend auf Aural Music herausgebracht, ein berührendes Werk über Tod, Verlust und Trauer, aber auch die Liebe und das Leben. Sehr zart und von Sehnsucht und Schönheit erfüllt sind diese Songs, und genau so steht sie nun auch mit ihnen auf der Bühne, eine Wandlerin zwischen den Welten, die die Toten und die Trauernden gleichzeitig begleitet, mit der an ihr riesig wirkenden Epiphone Sheraton, aus der sie mittels Fingerpicking, Stimmung live verändern und dem Spiel mit weiteren Effekten alles herausholt, und auch am elektronischen Klavier, zwischen denen sie wechselt wie zwischen den englischen und russischen Texten. Doch man sollte sich nicht vom Äusseren täuschen lassen, KARITI verkörpert genauso die Stärke und Endgültigkeit des Übergangs und geht nicht leichtfertig mit ihrer selbst gewählten Aufgabe um, die ihr wie uns Zuhörenden Katharsis verschafft. Sich mit dem Thema Tod zu befassen und es mitten in unser Leben zu holen, braucht viel Kraft und Standfestigkeit, aber eben auch Einfühlungsvermögen und Empathie, und beides ist in ihrem Spiel, mal mehr akustisch, dann aber auch mal mit schweren Doomriffs, aber vor allem in ihrer sanften, oft zurückgenommenen und doch extrem tragfähigen, eindrücklichen und schwer von Emotionen getränkten Stimme enthalten, und nimmt sofort gefangen.
In ihrem Auftritt gibt es zudem gleich mehrere Überraschungen, als erstes begleitet Amin von COLTAINE sie bei ‚The Baptism of a Witch (synth version)’ am Schlagzeug, was dem alten russischen Volkslied, dem sie eigene Lyrics verpasst hat, eine noch eindrücklichere, tief liturgische Wirkung verleiht. Hier ist das kathartische Element ihrer auf das Wesentlichste reduzierten Musik vielleicht am stärksten zu spüren. Beim ätherischen ‚Sky Burial’ betritt zum ersten Mal an diesem Abend die Solotänzerin Julie Grimm die Bühne und interpretiert den Song, auch noch das feinste Detail aufgreifend, mit ihrem ausdrucksvollen, orientalisch inspirierten modernen Tanz, als ob sie die Toten wieder zu einem traumähnlichen Leben erweckt – wir werden sie heute noch mehrmals wiedersehen. Und dann kommen auch Moe und Bene Berg vorsichtig auf die Bühne und begleiten KARITI bei einem neuen, bisher unveröffentlichten Lied namens ‘Son’ mit Bass und Gitarre. Ihr Auftritt ist so magisch, dass das Publikum nach jedem Stück erst einmal einige Sekunden braucht, bis es wieder in der Halle ankommt und in Applaus ausbrechen kann, der gerade am Ende nicht enden will – zu Recht! Bei ihr merkt man besonders, dass es der emotionale Abschiedsabend nach drei intensiven gemeinsamen Tourwochen ist, sie ist eben die Spezialistin für Ende wie Neubeginn, und auf neues Material von ihr warten nun sicherlich viele neu gewonnene Fans. Als sehr coolen Move lässt sie zum Abschluss einfach die Gitarre mit dem Verstärker Liebe austauschen und verlässt die Bühne…
Auch ihr Merch hat eine Besonderheit, gibt es doch eine eigene Merchkollektion, deren ausschliesslich den Tieren und Menschen in der Ukraine zu Gute kommt, noch ein Grund mehr, KARITI zu unterstützen!
Und dann betreten endlich die Karlsruher Lokalmatadoren die Bühne, geben sofort Vollgas und die eingeschworenen Fans stehen nun direkt vorne und beginnen sofort, zu jubeln, zu tanzen und springen, die Haare zu schwingen zum gefühlvollen PsychDoom vom COLTAINE, so dass auch die Protagonisten auf der Bühne noch ein letztes Mal nach drei Wochen Rundreise alles geben. Man könnte es genausogut Hair Metal nennen, sind doch ständig die Gesichter von Jules, Moe und Bene hinter ihren Haarvorhängen nur zu erahnen – Headbanging als Gruppentherapie, nur Amin muss hinter seinen Kesseln den Überblick behalten. Und da sind wir schon mitten im Thema, extrem druckvoll ist die Musik der Ex-WITCHFUCKER weiterhin, kommt einem immer wieder mit sludgiger Wucht entgegen, hat jedoch nichts von der Freiheit und psychedelischen, improvisierten Verspieltheit und vor allem Sensibilität verloren, die man von Moe und Bene Berg kennt, seit sie vor fast zehn Jahren die Band gegründet haben. Die wortlose Kommunikation nur mit Blicken zwischen den beiden Brüdern, die sich stets gegenüber stehen beim Spielen, auch die anderen in der Band haben sie übernommen und sich gegenseitig stets achtsam im Blick. Nicht nur durch diese Tour sind sie perfekt aufeinander eingespielt, COLTAINE ist ein Gemeinschaftswerk, auch wenn Moes Gitarre immer wieder die Marschrichtung angibt und natürlich Jules Gesang und Stageacting die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ich kannte sie noch nicht live und bin von der Vielseitigkeit, mit der sie growlt, schreit und auch ganz wunderbar singt, beeindruckt, ihre extrovertierte Art ist ein perfektes Gegengewicht zu den oft wie in ihrem eigenen Film, mit geschlossenen Augen agierenden Berg-Brüdern. Nicht-mehr-ganz-Neuzugang Amins (CRESTFALLEN QUEEN) unprätentiöses, reduziertes und doch stets krachendes Spiel tut sein Übriges zum schwerst doomigen Sog, den das Quartett auslöst. Ihre Musik, das ist sowohl auf als auch vor der Bühne einfach die Freiheit, das zu tun, was wir wollen und die zu sein, die wir alle gerade sind – bunt, verrückt, wütend, verspielt, traurig, wild, angepisst, aufgedreht oder nachdenklich, all das und noch viel mehr hat hier seinen Platz, und Band wie Publikum nehmen ihn sich und füllen ihn vollkommen beseelt aus.
Sie haben Songs aus fast der gesamten Bandgeschichte ausgewählt für diesen Abend wie ‚Verlust’ oder ‚Black Spot’, das überragend mitreissende ‚When Tigers Used To Smoke’, aber auch viele neue wie das treibend-extremmetallische ‚Culling’ und einige mehr, die Lust auf ein neues Album machen (das noch dieses Jahr aufgenommen werden soll und dann 2024 veröffentlicht) und gleichzeitig zeigen, wie vielfältig und doch immer typisch COLTAINE alles ist, was sie anfassen, wie ihre stets live aufgenommenen Stücke beim Gig förmlich vor Energie, Hall und Verzerrung explodieren, aber sich immer wieder auch in Trance-ähnlichen, tiefgründigen Schleifen verlieren. In diese Musik kann man sich fallen lassen, egal in welcher Stimmung oder Verfassung man gerade ist, sie fängt zuverlässig immer auf und gibt einem Kurzurlaub für die Seele…
Und auch wenn sie nicht mehr ganz taufrisch sind am Ende der langen Tour, das ist eine absolute Liveband und sobald sie auf der Bühne stehen springt der Funke wieder und wieder über zu einem wahren Feuerwerk an jam-like Auf- und Abbauten von Spannung und Emotion, Spielfreude und auch Nachdenklichkeit in manchen spiraligen Exkursen und verzerrungstechnischen Experimenten. In ihrer aktuellen Inkarnation ist da noch so einiges zu erhoffen. Auch bei ihnen kommt Julie Grimm zu einem sinnlich-psychedelisch-orientalischen Tanz, abermals voller Seele und absolut synchron auf die Musik abgestimmt, und die Musik und Performance auf ein ganz anderes Level hebend, auf die Bühne und motiviert damit auch das Publikum zu noch mehr Bewegung. Die letzten Überraschungen, vielleicht ja sogar ein Saxophon oder Gesangsduo?, und eventuellen Zugaben verpasse ich leider, da die Deutsche Bahn mich viel zu früh zum Aufbruch zwingt, doch dank Insta gibt es immerhin diverse Eindrücke der ausgelassenen After-Tour-Party mit Melting Circuits (playing live electronic music) und einer Tanzfläche voller glücklicher Menschen, denen nach so langer Pause endlich wieder vergönnt ist, was sie lieben: ihre Musik live zu den Menschen zu bringen und sie damit zu verbinden, ihnen ihr Leben für einen Abend bunter, wilder und lebendiger zu machen – heute Abend wird mir jeder zustimmen, das ist absolut gelungen!
Bandinfo:
COLTAINE:
https://coltaine.bandcamp.com/
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https://www.instagram.com/coltaine/
KARITI / карити :
https://kariti.bandcamp.com/
https://www.facebook.com/karitimusic/
https://www.instagram.com/karitimusic/
YRAH:
https://yrah.bandcamp.com/track/stranger
https://www.youtube.com/@YRAH/featured
https://www.instagram.com/yrah_music/