WAZZARA & DORDEDUH live

Swiss Moongaze meets Romanian Black Progressive Metal

Verspätete Plattentaufe…

Zwei Bands und ihre jeweiligen herausragenden Zweitlinge haben mich durch das vergangene Jahr auf besondere, doch ganz unterschiedliche Weise begleitet, was sich dann auch entsprechend in meinem Jahresrückblick niederschlug. Zuerst überraschten DORDEDUH im Mai mit ihrem zwischen Progrock und folkloregetränktem Black Metal pendelnden Jahrhundertalbum ‚Har’, das mich mit seiner positiven Kraft, Schönheit und geerdeten Spiritualität durch den gesamten Sommer begleitete. An Samhain brachten dann die mir bis dahin noch unbekannten WAZZARA um Barbara Brawand ihr LP-Debüt Cycles heraus, was mich komplett umgehauen hat – es trifft nicht nur genau meinen Musikgeschmack durch seine vielen Stimmungs- und Dynamikwechsel in seiner stimmigen Melange aus bassbetontem Doom, zart-emotionalem Blackgaze, grossen, mal folkigen, mal gothischen Melodien und extremmetallischer Härte, sondern hat mich vor allem mit seinem thematischen und sprituellen Fokus auf kraftvolle, schöpferische, eben zyklische Weiblichkeit sehr ermutigt und vor allem ganz tief berührt. Absolute Seelenmusik eben.

Als ich jedoch in der Vorbereitung eines Interviews mit Hupogrammos herausfand, dass Putrid aka Andrei Jumugă auf beiden Alben Schlagzeug spielt, da die Bands miteinander befreundet sind, hat sich ein Kreis geschlossen, und ich habe mich nicht mehr wirklich gewundert, als das ursprünglich für den 11. Dezember 2021 geplante gemeinsame Konzert im Gaswerk Winterthur angekündigt wurde. Da muss ich hin! Was für ein Glück, diese beiden Bands zusammen auf einer intimen Clubbühne zu erleben! Big C hat jedoch zuerst einmal einen Strich durch die Rechnung gemacht, doch die Verlegung in den Mai und auf ein Wochenende kam auch mir entgegen, und so wurden fixe Reisepläne gemacht.

Die Bahnverbindung ist schneller als erwartet, und das ehemalige Gaswerk in Winterthur stellt sich als Schmuckstück unter den alternativen Kulturzentren heraus, mit u.a. einem Kino und zwei Bühnenräumen, von denen heute der gemütlichere im Keller bespielt wird.

Die Atmosphäre ist entspannt, man kennt sich ganz offensichtlich untereinander und hat sich viel zu erzählen nach all der Zeit ohne oder mit nur wenigen Konzerten; ich fühle mich zuerst ein bisschen, als ob ich uneingeladen in eine Familienfeier hineingeplatzt wäre, da viele auch die Bands freundschaftlich begrüssen und viele Besucher wie untereinander abgesprochen WAZZARA-Bandshirts tragen (was, wie ich später erfahre, in diesem Fall anzeigt, dass sie am Crowdfunding für die Produktion von ‚Cycles’ beteiligt waren!), aber dieses Gefühl legt sich ganz schnell, da die Stimmung so offen, wohlwollend und eben familiär ist.

WAZZARA sind zuerst dran, denn das hier ist ja ursprünglich als ihre Plattentaufe geplant gewesen, also versammelt sich alles schnell vor der übersichtlichen Bühne, und die Band steigt mystisch mit ‚As The Stars’, dem ersten Song der ‚Zessa’-EP, ein. Dass Deniz, der neue Mann am Schlagzeug, sich schon bei den beiden vorangegangenen Gigs einspielen und ins Bandgefüge integrieren konnte, wird schnell deutlich, ist bei dem komplexen Songmaterial jedoch nicht selbstverständlich, da braucht es schon einen Profi wie ihn, um Babs, Mäsi und George das Wasser (pun intended…) zu reichen. Dabei ist es noch gar nicht so lange, keine zwei Jahre her, dass aus Barbaras so zarten wie leidenschaftlichen Soloprojekt eine vollständige Band wurde. WAZZARA selbst gibt es ja auch erst seit 2019, doch die Ideen dafür muss die Bandleaderin schon lange im Herzen herumgetragen haben, so viel Output es in dieser kurzen Zeit gab.

Es geht überraschend, aber sehr passend weiter mit dem getragen beginnenden, aber gerade durch Babs’ Growling dann bedrohlich durchstartenden, vielschichtigen ‚Ancestral Bonds’, das die so unterschiedlichen Seiten der Band perfekt repräsentiert, den Hauptteil der Setlist machen heute natürlich Songs von ‚Cycles’ aus. ‚Obsidian Skies’ entführt uns in auf unsere dunkle Seite und die quälenden nächtlichen Besucher, die sich ungefragt schwer auf unserer Brust niederlassen, ein wirklich tief unter die Haut gehender Song, der wieder die vielen Facetten der Band zum strahlen bringt, Mäsis brilliante Leadgitarre spielt dabei eine ganz wichtige Rolle, und natürlich Babs so unterschiedlicher, mal hochemotionaler, dann wieder gefährlich gefauchter und immer tief authentischer Gesang.

Mich freut besonders, dass im Anschluss auch das TYPE O-Cover ‚Wolf Moon’ mit den entsprechend weiblich interpretierten Lyrics zur Aufführung kommt, Pete Steeles Hymne auf die Fruchtbarkeit der Frau passt nicht nur optisch durch sein Schweizer Double, dem (nicht nur alle) überragenden wirbelnden Ruhepol George am Bass perfekt zum Thema von ‚Cycles’, und da das hier und heute die offizielle Plattentaufe ist, gibt es eine humorige Verlosung für alle, die das Album noch nicht haben sollten. Der tolle, ganz klare und ausgewogene Sound trägt zudem dazu bei, dass das Publikum begeistert mitgeht, und dass der Grossteil der Anwesenden die Songs sehr gut kennt bewirkt, dass überall fleissig die Haare geschwungen werden – mal verträumt, mal voller Wut im Bauch. Dazu eignen sich das magisch-getragene ‚Mænic’ genauso wie das treibende ‘Inwards’ mit seinen Doublebassgewittern unter Babs sehnsuchtsvollem Gesang – WAZZARA haben uns mittlerweile komplett in ihrem Bann. Die Band versteht es, einem durch die ständig wechselnden Stimmungen und Stilistiken ihrer Songs gleichzeitig Gänsehaut und Glückseligkeit zu bescheren, und das funktioniert live natürlich noch besser als auf Konserve.

Zessa’ schliesst leider schon den heutigen Gig, doch die Vier werden nicht einfach so ziehen gelassen, sondern lautstark noch einmal zurück auf die Bühne gerufen. PARADISE LOSTs ‚No Hope In Sight’ wird die Zugabe, nochmal gibt es viel Applaus und dann geht es erstmal verschwitzt aber glücklich isotonische Getränke an der Bar ordern…

Setlist WAZZARA:

  • As The Stars
  • Ancestral Bonds
  • Obsidian Skies
  • Wolf Moon (TYPE O NEGATIVE cover)
  • Mænic
  • Inwards
  • Zessa
    Zugabe:
  • No Hope In Sight (PARADISE LOST cover)

…und nachgeholte Albumvorstellung

Doch recht zügig ist die Umbaupause herum und es geht zurück in den randvoll gefüllten Keller. DORDEDUH sind heute früh per Flieger angereist, und auch ihnen merkt man an, wie froh sie sind, dass endlich Liveauftritte wieder möglich sind. Nebel steigt auf und ohne Umschweife legen sie mit ‚Timpul întâilor’, dem geheimnisvollen Opener von ‚Har’ los, und sobald die Drums Fahrt aufnehmen, gehen die Fans schon headbangend mit. Der Sound ist gefühlt nun nochmals eine Nuance brillianter, was für die komplexe und vielschichtige Musik der Rumänen eine Grundvoraussetzung für einen gelungenen Gig ist.

Jederzeit ist jedes einzelne Instrument herauszuhören, und darüber gibt Edmonds / Hupogrammos Stimme fauchend oder klar den jeweiligen Ton an. Wie schnell, eigentlich sofort, die Vier in den Flow kommen macht deutlich, dass sie ihre neuen Songs schon ein paarmal mehr vor Publikum spielen konnten als WAZZARA, doch auch die Gemeinsamkeiten beider Bands werden nun noch einmal klar, die starke Rhythmusbetonung genauso wie das Spiel mit wechselnden Stimmungen und Dynamiken, dem steten nach vorne Gehen bei einem alles überstrahlenden Eindruck des in sich Ruhens und aus dieser inneren Gewissheit Schöpfens, für das man die nötige Lebenserfahrung und Selbstsicherheit braucht.

Selbst der wohl Jüngste heute auf der Bühne, DORDEDUHs Schlagzeuger Andrei, bringt dies mit, aber auch die Zähigkeit und ein ganz besonderes Talent für sein Instrument, das ganz besonders wichtig ist und daher weit vorne liegt im DORDEDUH-Sound. Dank seiner Skills spielt er scheinbar mühelos und selbstvergessen die vertracktesten Rhythmen wie im folgenden ‚Desferecat’ sowie dem in die Hüfte gehenden Wirbelwind namens ‚Descânt’, bringt dabei viel Blech zum Einsatz ohne sich jemals durch Extravaganzen (die er sich bei diesen Anforderungen schon kräftemässig nicht erlauben könnte) hervorzuheben, und hält so die Bandmaschinerie am Laufen.

Darauf bauen Flavius, der Schlacks am Bass und Cristian / Sol Faur an der Gitarre auf, die wie blind aufeinander eingespielt den Groove frei fliessen lassen, selbst wenn es in wirbelnde Blastbeats und Tremolopickings wechselt – wir haben es hier schliesslich mit Black Metal zu tun – auch wenn die progressiven und Ambient-Anteile auf ‚Har’ stark zugenommen haben, gibt es genügend Hochgeschwindigkeitspassagen, bei denen sich das barhäuptige Rhythmusduo bangend fast bis auf den Boden herunterbeugt und man sich fast wie in der alten Zeit vor der Jahrtausendwende fühlen kann… und prompt kommt als nächstes ein Stück vom Debüt ‚Dar De Duh’,  nämlich das bassbetonte, stimmungsvolle und motivisch mit ‚Har’ verbundene ‚Pândarul’ zum Vortrag. Sol Faur wechselt sich mit Hupogrammos an der Leadgitarre ab, und auch Flavius lässt sich am Fünfsaiter nicht lumpen, wenn es um interessante Läufe geht.

Hupogrammos ist ein Multitasking-Zauberer, er singt mit beeindruckendem Stimmumfang klar, spricht mystische Texte, keift bedrohlich und übernimmt auch noch den Chorus, während er wie nebenbei seine Soli raushaut, und man merkt ihm an, dass er sehr zufrieden ist mit dem Verlauf des Abends. Das Quartett aus Timișoara hat auf der Herfahrt realisiert, dass es heute Abend heftige extremmetallische Konkurrenz ganz in der Nähe gibt, und bedankt sich bei WAZZARA für die Einladung und vor allem bei allen Anwesenden für den begeisterten Empfang und die enthusiastische Stimmung, obwohl zeitgleich im nur 20 km entfernten Zürich das erste „Eros in Arms“-Festival stattfindet. Entsprechend geben auch DORDEDUH alles, auch die Longtracks wie beispielsweise das geheimnisvolle ‚Vraci de nord’  und schliesslich auch meinen ‚Har’- Lieblingssong ‚În vieliștea uitării’ . Das Publikum ist mittlerweile komplett in die Sagen- und Mythenwelt der Rumänen abgetaucht, und will auch jetzt noch lange nicht aufwachen, und so gibt es auch von ihnen noch eine Zugabe, und zwar das majestätische ‚Jind de tronuri’ vom Debüt, und auf das empörte Pfeifen von wegen „last song“ heisst es nur lakonisch: „Come on, another fucking nine minutes!“  (in der gekürzten Liveversion, wohlgemerkt…). Danach sind wirklich Alle zufrieden, und es geht ausgepowert und glücklich zum gemütlichen Teil des Abends über, bei dem sich alle Musiker unter die Gäste mischen und viele interessante Gespräche entstehen, und auch der Merchtisch gut geleert wird, bis auch das Gaswerk irgendwann weit nach Mitternacht seine Türen schliesst.

Setlist DORDEDUH

  • Timpul întâilor
  • Desferecat
  • Descânt
  • Pândarul
  • Vraci de nord
  • În vieliștea uitării
    Zugabe:
  • Jind de tronuri

Fazit:

egal wie weit der Weg auch ist, wenn ihr bestimmte Bands unbedingt sehen wollt, fahrt hin! Gönnt euch das einzigartige Erlebnis, komplett & glückselig in der Musik aufzugehen. Jedes Konzert ist ein Geschenk und ein heilsames Erlebnis, für alle Beteiligten. Nirgends sonst könnt ihr euch gegenseitig so gut gegenseitig die Batterien wieder aufladen als in der Gemeinschaft mit den Bands und genauso durchgeknallten Besuchern wie ihr selbst, und gleichzeitig komplett den Alltag hinter euch lassen. Auch wenn es nun schon vier lange Wochen her ist, zehre ich von diesem Abend und den wunderbaren Begegnungen mit Babs und den anderen Musikern bis heute. DANKE!!!

Und an alle Veranstalter und Booker: holt diese beiden Ausnahmebands in eure Läden!!! Ihr werdet es keinesfalls bereuen!

Bandinfos:

wazzara.bandcamp.com
www.facebook.com/wazzaraofficial
https://www.instagram.com/wazzara_official/

https://dordeduh.bandcamp.com
https://www.facebook.com/Dordeduh/
https://www.instagram.com/dordeduhband/

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