DRAMANDUHR – Tramohr

Stil: „Mediterranean Avantgarde Metal“ mit starkem okkultem Weltmusik- und Black Metal-Einfluss

Eines der vielen Luxusprobleme des modernen Lebens: in Zeiten von Homestudios und Eigenproduktionen wird das Angebot an neuen Bands und Veröffentlichungen immer nur noch grösser und unübersichtlicher, doch gleichzeitig passiert es viel zu selten, darunter auf etwas so ausserordentlich Neues zu stossen, dass ich sofort, von den ersten Takten an komplett begeistert bin, und sich diese Begeisterung über die weitere Spielzeit nur noch steigert. Noch seltener geschieht dies durch etwas bisher völlig Ungehörtes, absolut Innovatives, das neue Perspektiven oder sogar eine ganz neue Welt eröffnet; und die höchste Steigerung ist, dass diese Musik auch noch so dermassen abgefahren, experimentell und verrückt ist, dass sie meinem anspruchsvoll schrägen Geschmack entspricht, und mich für die nächsten Wochen zu beschäftigen und erfreuen versteht. Ihr ahnt es schon, aktuell ist das endlich mal wieder passiert…

Voilà, Auftritt DRAMANDUHR! Und gleichzeitig Eintritt in eine andere, in eine Traumwelt – oder eine Vision, wie auch immer man es bezeichnen möchte. Die Illusion ist hier jedenfalls so umfassend und gelungen, dass der Hörer für die gesamten achtunddreissig Minuten gefangen ist in einem Paralleluniversum, das zum einen diverse musikalische Einflüsse zu einem einzigartigen Mix aus harten Riffs zwischen Black Metal und Dark Rock, exaltierten Melodien aus kultischer Liturgie, mediterraner Folklore und sogar tanzbarem Pop, und vor allem exzentrischem mehrstimmigen Gesang miteinander vereinigt, uns jedoch vor allem einsaugt in einen sinnlichen, mystischen inneren Film und eine unbekannte Geschichte von jenseits des Schleiers des Bewussten. Musik für dionysische Nächte voller Lust und Trance, dem Dramanduhr, einer bacchanalischen ausserirdischen Gottheit geweiht, die, beschworen beim Ritus des gerade ausbrechenden Vulkans, wie es auf dem Cover abgebildet ist, in die Gläubigen eindringt und ihre Ratio ausschaltet zugunsten der alleinigen Aktivierung ihres heiligsten Teils – dem Wahnsinn, oder vielleicht besser, dem animalischen, ursprünglichen Anteil. Dadurch werden ihre archaischen Instinkte purer sexueller Energie und Gewalt im Unterbewusstsein geweckt, und Kreativität kann entstehen. Was für ein Konzept! Kein Wunder, dass es selbst aus einer Vision, ausgelöst durch ein melodramatisches Ereignis, entstanden ist…

‚Tramohr’ ist das Debüt der sizilianischen Band aus der antiken Stadt Syrakus, fast noch in Sichtweite des Ätna, dem höchsten aktiven Vulkan Europas, der seinen Stempel auf dieser Platte ebenso hinterlassen hat wie die Kultur der grössten Mittelmeerinsel. Hier auf Sizilien haben sich über Jahrtausende die Völker des Mittelmeerraumes, Griechen, Römer, Araber, Byzantiner und sogar germanische Stämme niedergelassen beziehungsweise es erobert, so dass vielerlei ganz unterschiedliche Einflüsse in der hiesigen Kultur und den Sizilianern selbst nachwirken. Hinter DRAMANDUHR steckt ein alleiniger Protagonist, was angesichts der vielen Stärken des Albums beeindruckt. Er schreibt die Songs und auch Lyrics, worauf ich gleich noch näher eingehen werde, spielt Drums sowie alle Gitarren, Synthesizer und weitere Instrumente wie Theremin und folkloristische Percussion ein, singt, meist mehrstimmig, und arrangiert und produziert schliesslich seine Musik auch noch selbst – alles zwar heutzutage nicht unüblich, doch ist ein solches Niveau gerade des Songwritings, wie es hier auf einem Erstling vorgelegt wird, absolut aussergewöhnlich, zudem er gar nicht ursprünglich aus dem Metal kommt, sondern sich erst in den letzten Jahren näher mit dieser Spielart von Rockmusik beschäftigt hat. Dass dies auch von Vorteil sein kann, merkt man der Vielschichtigkeit seiner Musik und vor allem der Offenheit für ungewöhnliche Elemente an. Für die Violine und Bratsche unterstützte Dramanduhr Matteo Blundo, die Sopranstimme in ‚Ixaltirud’ steuerte Tiziana Ambrogio bei, gemixed und gemastered wurde ‚Tramohr’ von Lorenzo Coriglione.

Der Name DRAMANDUHR enthält „Drama“, das altgriechische, emotional packende Bühnenspiel; die heutige Definition beinhaltet zudem eine grosse Portion von tragischen, auch gerne melodramatischen Emotionen, Drama ist theatralisch im Wortsinn. Und das bestimmende Element von DRAMANDUHR ist zweifellos der enorm wandelbare und hoch expressive, stets cleane Gesang, der im Vordergrund steht und die jeweilige Stimmung der Songs vorgibt, indem er ständig neue Emotionen und Atmosphären heraufbeschwört. Es ist meist mehrstimmiger Gesang, exaltiert, ausdrucksvoll und intoniert im sizilianischen Dialekt, mit rollendem R, vielen U’s und zischenden Sch’s, und fest verankert in mediterranen Traditionen. Die Lyrics klingen fürs deutsche Ohr zuerst Italienisch, vielleicht mit etwas Spanisch oder Katalan dabei, doch wenn man genauer hinhört, ist es das gar nicht, sondern eine aus Glossolalie, dem Spiel mit frei geformten Silben entstandene und später sogar transkribierte eigene Sprache namens „Dahrmonium“, womit sich DRAMANDUHR unter Bands wie MAGMA, SIGUR RÓS oder DEAD CAN DANCE einordnet, die ebenso in Phantasiesprachen singen. Dies bietet den Vorteil, nicht durch Interpretation von Texten abgelenkt zu werden und so den reinen emotionalen Ausdruck des Gesungenen aufnehmen zu können – es wird wichtiger, die Songs zu fühlen als zu verstehen.

Denn jeder ist anders, und führt in eine andere Sphäre. Es gibt kultisch-pathetische wie den Starter ‚Dramanduhr’, der die Tür zu dieser fremden Welt öffnet, das esoterisch-jenseitige ‚Ixaltirud’ mit seinem drängenden Rhythmus und liturgischem Gesang ist Transzendenz pur. In ‚Ixtratarrastràh’ dagegen mischen sich mediterrane Folklore, gechantete Vocals und Black Metal-Riffing zu einer okkulten Beschwörung, ‚Tàhn Stun Karràh’ kommt mit Weltmusik-Elementen und deklamierendem Sprechgesang zu electro-wavigen Sounds, erinnert an Klaus Nomi und David Bowie, ‚Anassihn Tharek’ ist eine Anrufung der Gottheit mit viel hellenischem ROTTING CHRIST-Feeling und Drive, sowie einem Mix aus DCD-Gesang und Dark Rock-Stimmung – was für eine Kombination! Mit ‚Tàh Loh Rehn Kilt’ kehren wir ans Mittelmeer, vielleicht nach Nordafrika zurück, die Streicher und Percussions bringen viel folkloristisches und melancholisches Feeling in diese romantische Serenade ein, bei der das Dahrmonium mit seinen speziellen Lauten besonders zur Wirkung kommt. Bei ‚Tèhr Ick Tarramàh’ muss endlich mal erwähnt werden, wie durch die extreme Gitarren-und Riffbetonung des DRAMANDUHR-Sounds ständig Parallelen zu CULT OF FIRE auftauchen, trotz des durchgehend cleanen Gesangs. Doch noch mehr kommen DORDEDUH/NEGURA BUNGET ständig in den Sinn, deren folkloristische und rituelle Betonung im Kombination mit progressiven Ideen hier einen Spiegel findet. ‚Rahm Deh Rahm’ entführt in vergangene Zeiten von Moog-Synthesizern und Artrock-Vocals, ‚Retrizaxerat’ hat eine gute Melodic Death-Metal Schlagseite, aber auch einiges vom Schlager, und erinnert zudem an THY CATAFALQUEs letzte Alben und deren Naturverbundenheit, die auch hier deutlich zu spüren ist – faszinierend, wie DRAMANDUHR all dies in Enklang bringt. Den Abschluss macht der Titelsong, er startet mit ägyptischem Einschlag, einem Singer-Songwriter-Thema, viel sehnsüchtigem Pathos, wechselt zu RAMMSTEIN-Akkorden und schafft es schliesslich doch, all dies miteinander zu verbinden und zusammenzufassen, was an Inspirationen hier hineingeflossen ist, und wie technisch versiert an Instrumenten und vor allem Gesang der Sizilianer ist.

Nach knapp vierzig Minuten bleibt man fasziniert und vor allem beeindruckt zurück, wie sich jemand derartig vielfältig und offen für jegliche unterschiedlichen Einflüsse von der Muse inspirieren lassen konnte, und daraus eine kaleidoskopisch schillernde Einheit, die Selbstbewusstsein, Eigenständigkeit und absoluten Wiedererkennungswert hat, geschaffen hat. Unsere Welt ist einerseits im grausamen Griff der ungezügelten Gier und des Machstrebens Weniger, unter denen Milliarden von Menschen leiden, diese wiederum lassen ihre ursprünglichen, animalischen Triebe zugunsten eines friedlichen Zusammenlebens nicht mehr zu und unterdrücken sie stattdessen. Vielleicht wäre es besser und vor allem gesünder für alle, diesen wilden Energien regelmässig freien Lauf zu lassen, indem wir sie für feurig inspirierte Kreativität nutzen sowie dafür, endlich unsere eigenen Souveräne zu werden, statt unter „dem System“ zu vegetieren? DRAMANDUHR hat das verstanden und seine Natur, seinen Schaffensrausch unbegrenzt fliessen lassen wie kochende Lava, die alles verschlingt, was ihr in den Weg kommt. Todbringend, aber auch lebensspendend – vermutlich lässt sich eine solche grenzenlose Vision von entfesselten Kulten und uralten Kulturen nur durch Black Metal-beeinflusste Musik ausdrücken, der Freiheit und Authentizität das Wichtigste sind. ‚Tramohr’ kann uns somit dabei helfen, in unsere eigene Kraft und Mitte zurückzufinden und eine bessere Zukunft zu erschaffen, und das ist weit mehr als eine Schallplatte normalerweise zustandebringt.

Bandinfo:

DRAMANDUHR ist Stefano Eliamo (Songwriting, Vocals, Lyrics, Guitars, Bass, Synthesizer, Drums, Percussion).

https://linktr.ee/Dramanduhr
https://dramanduhr.bandcamp.com/
https://www.facebook.com/dramanduhr
https://www.instagram.com/dramanduhr/

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