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Veröffentlichung: 22.07.2022
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Vertrieb: Eisenwald Tonschmiede
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Versionen: Digital, CD, Vinyl
Stil: Progressiver und atmosphärischer Black Metal mit Anteilen von Doom, Industrial und noch vielem mehr…
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Don’t judge a book by it’s cover – und lass dich nie mehr von einem unappetitlich martialischen deutschen Bandnamen bei fremdsprachigen Bands abschrecken! Dass ich um PANZERFAUST bisher einen grossen Bogen gemacht habe, reut mich nun, denn das vorliegende Album lief mir vom ersten Spin an extrem gut rein, und da es sich um den dritten Teil einer Tetralogie handelt, musste ich natürlich nachsitzen und mir zumindest die beiden Vorgänger draufschaffen. Selbst schuld! Oder eher – zum Glück doch noch rechtzeitig begriffen?
Die ersten beiden Teile, ‚The Suns of Perdition: Chapter I – War, Horrid War’ und ‚Chapter II: Render Unto Eden’, unterscheiden sich trotz ihrer Treue zum Trademarksound der Kanadier genauso stark voneinander wie vom nun vorliegenden dritten Teil, der mir persönlich am meisten entgegenkommt – hätte ich mit dem themenentsprechend extrem brutalen und zwischen Bösartigkeit, Aggression, Verzweiflung und Qual pendelnden ‚War, Horrid War’ begonnen, wer weiss, ob ich am Ball geblieben wäre. Krieg und alle seine Werkzeuge und Schrecken werden hier so dermassen drastisch vertont und verarbeitet, dass entsprechend harte Kost dabei herauskommt. PANZERFAUST haben verschiedene Kriegsszenarien der Neuzeit herangezogen, besonders solche, die zeigen wohin uns der Verlust jeglicher Moral gebracht hat, die erste Atombombe ist wohl das beste Beispiel dafür: am Tag nach „Trinity“ ist für immer nichts mehr so wie zuvor, wir erleben es gerade am entfesselten Angriffskrieg in der Ukraine und den Drohungen des russischen Präsidenten.
‚Render Unto Eden’ mit seinem Käthe Kollwitz-Cover (dem Bild ‚Aufruhr’ von 1899 aus der Bauernkrieg-Reihe nachempfunden) und einer Gesangseinlage von Maria Arkhipova von den russischen Paganmetallern ARKONA dagegen ist musikalisch wie thematisch komplexer, vielschichtiger und nachdenklicher, aber auch freier, luftiger, experimenteller. Hier geht es um gegensätzliche philosophische Ideen als Nährboden menschlicher Konflikte, die Frage, wie es zu all den Grausamkeiten, die Menschen begehen, kommt. Einmal mehr zeigt sich, dass hinter PANZERFAUST mit Brock Van Dijk ein äusserst kluger und belesener Kopf steht, der sich seit seiner Jugend mit der Thematik beschäftigt, die er nun mit Suns Of Perdition (statt „sons of perdition“, den Söhnen der Verdammnis… ) zu erklären versucht. Es ist eine uralte philosophische Frage: was steckt hinter den zerstörerischen Umtrieben, was bringt Menschen dazu, gegen besseres Wissen und Gewissen Schlechtes, sogar abgrundtief Böses zu tun? Gerade heute fragen wir uns dies besonders oft, angesichts der Tatsache dass die Menschheit sich selbst zerstört. Und den eigentlich blauen Planeten mit dem Grossteil seiner Bewohner gleich mit. Wie konnte es so weit kommen?
Nun also Teil 3, ‚The Astral Drain’. Es gibt unzählige Memes, die die Menschheit aus der Sicht Ausserirdischer als so ziemlich das hinterletzte und vor allem dümmste Gesocks im Universum darstellen – aus gutem Grund. Ist dies das Thema, Homo sapiens als die Art, die wider besseren Wissens und rein aus Egozentrik einen wunderbaren Planeten zugrunde gerichtet hat? Die Endzeitstimmung und durchgängige Abgeklärtheit dieser Platte sprechen dafür, dass wir uns thematisch nun in der Gegenwart befinden, in Zeiten, die sich weiter verschärfen. Haben wir endgültig völlig den Verstand verloren? Die aktuelle Abwärtsspirale macht es glauben…
Die Musik zumindest spiegelt diesen Blick aus der Distanz wieder, ist gleichzeitig voller Emotionen wie Abscheu und Verzweiflung, und dann wieder abgeklärt und teilnahmslos, und trotzdem, so paradox es klingen mag, voller Intensität. Und das ist, was mich an ‚Chapter III: The Astral Drain’ so fasziniert, es ist mitreissend und extrem heavy, ohne ständig die dafür üblichen schwarzmetallischen Mittel wie extreme Geschwindigkeit oder Dissonanz zu verwenden, die Atmosphäre ist spannungsgeladen und oft viel mehr post-rockig als metallisch, aber immer superintensiv, wie ein lauerndes Biest, kurz vor dem Sprung auf die Beute. Oder ein Panzer, grollend rollend und, einmal gestartet, nicht mehr zu stoppen.
Auf der einen Seite arbeiten PANZERFAUST mit extreme Kontrasten, Düsternis, repetitivem Stampfen und massivem Fokus auf den Rhythmus, auf der anderen erzeugen langsame Abwandlungen und Steigerungen der Riffs eine sehr vielschichtige, hohe Komplexität, die doomige Dichte erinnert an THE RUINS OF BEVERAST, die kalte, klare Produktion sowie der Gitarrensound an SCHAMMASCH, und die wunderbar perkussive Schlagzeugarbeit von Alexander Kartashov legt mit extremzerr-ultratief-Bassist Thomas Gervais einen düsteren, variablen Teppich unter die oft zurückgenommenen Gitarren, die aus ihrer verzweifelten Repetition jedoch immer wieder einzelne Strahlen in den grau regentriefenden Himmel schicken.
Diese Gegensätze spiegeln sich auch im neu etablierten Wechselgesang zwischen Goliaths abgründigen Growls und Bandchef Brock Van Dijk tiefem Bellen wider, die sofort bei ‚Death-Drive Projections’ begeistert; wer mit dem längsten Stück einsteigt, ist sowieso selbstbewusst genug auf die eigenen Stärken zu vertrauen. Denn dass diese Entwicklung hin zu noch mehr Atmosphäre und gesetzterem Tempo nicht jedem Fan gefallen wird, ist klar, entspricht jedoch dem Thema und ist auch eine Chance, neue Hörer auf sich aufmerksam zu machen, was auch auf der vor kurzem angeschlossenen Euroour mit UADA bestens gelang.
Zudem strukturieren wie Dante’sche Höllenkreise drei kurze, wassergetränkte und an TYPE O NEGATIVEs ‚World Coming Down’/’Life Is Killing Me’-Phase erinnernde Ambient-Interludien sowie ein langes und stark perkussives Zwischenspiel das Album in die Themen Angst, Schmerz, Wut sowie Enantiodromie unterteilt, dem Konzept der Yin-Yang-Natur aller Dinge, die allem Lebendigen als Grundgesetz innewohnt: wenn Dinge einseitig in ihr Extrem geraten, verwandeln sie sich allmählich in ihr unbewusstes Gegenteil, eine ebenso starke Gegenposition baut sich auf, die Gegensätze regulieren sich im Aufeinandertreffen durch Opposition und Konflikt. Im Menschen handelt das Unbewusste gegen den bewussten Verstand und durchbricht irgendwann dessen bewusste Kontrolle, und man braucht sich nur Staatsführer und ihre Vasallen anzusehen, um dieses Phänomen zu erkennen, das die Welt gerade noch mehr in Brand setzt. Nero it überall unter uns, wie auch die Lyrics von ‚Tabula Rasa‘ festellen…
Passend dazu ist ‚The Astral Drain’ wie in einer Vorwegnahme der neuen Sintflut ständig hörbar von Wasser, Regen und kakophonischem Hintergrundgeschrei durchnässt, was die dystopische Stimmung nur noch weiter verstärkt. Am Ende wird ‚Tabula Rasa’ gemacht, die beiden Stimmen werden noch prägnanter als zuvor eingesetzt, der Drive geht den Kanadiern auch zum Ende hin nicht aus, ganz im Gegenteil.
Wer auf intelligenten, abwechslungsreichen und komplex arrangierten atmosphärischen Black Metal steht, kommt hieran nicht vorbei. Ich bin sicher, ‘The Suns of Perdition, Chapter III: The Astral Drain’ wird durch seinen enormen Detailreichtum noch weiter wachsen, und die Ungeduld auf den vierten Teil wächst derweil ins Unendliche… bleibt es beim vorgelegten Veröffentlichungstempo der Tetralogie, ist jedoh schon 2023 damit zu rechnen. Wir sind schwer gespannt, was dann auf uns zukommt!
„This is the final chance to utter the final sin
In the flood or by the fire
No one will be the wiser“
Bandinfo:
PANZERFAUST sind Brock Van Dijk (Vocals/Guitar), Thomas Gervais (Bass), Goliath (Vocals) und Alexander Kartashov (Drums).
https://panzerfaust.bandcamp.com
https://www.facebook.com/PANZERFAUST.BM.OFFICIAL
https://www.instagram.com/panzerfaustblackmetal/
Diskographie: (nur LPs und EPs)
The Winds Will Lead Us… (LP, 2006)
The Dark Age of Militant Paganism (LP, 2008)
Bythos-Proarkhe (EP, 2010)
Ephphatha (EP, 2011)
Jehovah-Jireh: The Divine Anti-Logos (Full-length, 2013)
The Lucifer Principle (EP, 2016)
The Suns of Perdition – Chapter I: War, Horrid War (LP, 2019)
The Suns of Perdition – Chapter II: Render unto Eden (LP, 2020)
The Suns of Perdition – Chapter III: The Astral Drain (LP, 2022)
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[…] grosse Emotionalität. Wem zwar die bekannteren letztjährigen Alben wie die von COLDWORLD, VANUM, PANZERFAUST, ISKANDR oder UNGFELL kennt, hat trotzdem noch eine Menge an Neuheiten zu entdecken, die neugierig […]