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Veröffentlichung: 23.06.2023
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Vertrieb: Vendetta Records
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Versionen: Digital, CD, Vinyl
Stil: „Dark, depressive, beautiful, triumphant.“ – Blackened Narcotic Metal, Atmospheric Black/Doom Metal, Ambient…
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Ihr alljährliches “Unholy Passion Fest” nutzen die Black Metaller ULTHA stets dafür befreundete Bands einzuladen, oder solche, die ihnen in den vergangenen Monaten besonders aufgefallen sind – vielleicht auf Tour als Vorband, wie es bei LOATHER der Fall war. Und hat man die vier Wiener einmal live erlebt, wie eben beim UPF VI Ende letzten Jahres in Köln, dann versteht man schnell, warum die Wahl gerade auf sie gefallen ist. Zurückhaltend bis introvertiert, fast schon autistisch agierend füllt das stets kopfbedeckte Quartett die Bühne mit einem ganz besonderen Charisma und nimmt das Publikum dadurch gefangen. Sie faszinieren durch ihre stoische Präsenz, ihre Experimentierfreudigkeit, aber vor allem durch ihre Eigenart, die sich wie ein roter Faden durch alle ihre Kompositionen zieht: Metal, aber auch Noise und Pop zu dekonstruieren und auf sehr spezielle Weise wieder zu einem unberechenbaren Hybrid, gespeist nicht vom Furor, sondern seinem Gegenteil, der Betäubung, zusammenzusetzen. Narcotic Metal eben…
‚Eis’, LOATHERs erster Langspieler, ist damit auch das Gegenteil einer Sommerplatte, kommt jedoch mit seiner kalten, schwermütig-hypnotischen Stimmung gerade richtig zur aktuellen Hitzewelle, wenn man schweissgebadet gar nichts mehr mit sich anzufangen weiss, das Hirn überfordert abschaltet und sich dunkle Gemüter sowieso lieber ins kühle, dunkle Haus oder den ebensolchen Wald zurückziehen. Wie eine sanfte kühle Brise bringen dann die sechs sehr unterschiedlichen und doch zusammenklingenden Songs Erleichterung, und nicht nur deswegen, weil sie den Zuhörenden tröstliche Gemeinschaft im Anderssein vermittelt. Das Sperrige, Dissonante, Noisige, das stets im Kontrast zu mindestens einer sanften Melodie, sei sie gesungen oder gespielt, steht, ist wie eine Parabel auf die Unvollkommenheit und Widersprüchlichkeit des Lebens, das trotz allem immer wieder Schönheit und Harmonie hervorbringt.
Die Wiener steigen zwar gleich mit ihrem am stärksten gegen den Strich gebürsteten Song, dem (post)punkigen ‚Ephemeral’ in ihr Langdebüt ein, auf dem sie erstmal Krawall machen, aber auch gleich durch ihren mehrstimmigen harmonischen Gesang zeigen, wie seelenvoll ihre Musik eigentlich ist. Sie bevorzugen dabei vor allem ein langsames, träumerisches Tempo, das die Sehnsucht in den Songs noch betont und ebenso die Unschärfe, das Verschwommene, gleichzeitig Schwermütige wie Verspielte, trotzdem gibt es auch immer wieder Ausbrüche, die dann gern im blackmetallischen Gewand daherkommen, doch wie an einem Gummiband werden diese Fluchtversuche immer wieder zurückgezogen in die triste, trübe Ausgangssituation. Dort kann es doomig, nihilistisch noisig, aber vor allem – gerade wenn Klargesang hinzukommt – geradezu zart gefühlvoll werden (‚Holler Your Name’), wird jedoch sofort wieder gebrochen, in die Uneindeutigkeit verwiesen. Modernes Leben als Blackened Doom-Soundtrack, in dem zwar alles theoretisch möglich ist, doch ebenso infrage gestellt wird und somit in Orientierungslosigkeit, Heimatlosigkeit, Verlorenheit endet. Leben, ja, aber vor allem Sterben, denn der Tod ist immer wieder Thema auf ‚Eis’, nicht nur die Titel sprechen davon.
Dass sie uns als Trost diese empathische Zärtlichkeit anbieten, die auch noch im dissonantesten Moment aufscheint (hört nur das besonders grossartige ‚Mortuary’ mit seinem unfassbaren Spannungsaufbau!) ist Gnade und Perspektive zugleich. Gerade in diesem Song outen sich die Österreicher auch als traditionelle Metalfans, sie setzen seine Mittel nur anders ein als die typische Powermetal-Band, denn bei LOATHER sind sämtliche Elemente mit Gefühlen codiert, sie spielen nicht über sie hinweg, sondern lassen sie regelrecht aufblühen, geben ihnen den nötigen Raum, sei es metallische Leidenschaft, noisig-brüllende Verzweiflung, doomige Depression, ambienten Traum – doch diese Codes können auch wechseln, was das Zuhören und sich einfühlen noch spannender macht.
Noch zurückgenommener wird es beim Titelsong, der zwischendurch sogar völlig stoppt und wieder neu begonnen werden muss, was übrigens ein Markenzeichen dieser nachdenklichen Band ist, die sich nicht scheut zuzugeben, dass im Leben viele Dinge eben nicht so laufen wie geplant – sie lassen uns jedoch sozusagen live daran teilhaben, wie sie damit umgehen, indem sie Stücke scheinbar aufgeben, ins Leere laufen lassen bis fast zum Stillstand, dann jedoch unverhofft Mittel und Wege finden, anders und neu weiterzumachen – Scheitern als Experiment, als Tor zu neuen Möglichkeiten, die man sonst gar nicht gesehen hätte, und eben nicht als Niederlage. Und Langsamkeit als Behutsamkeit, die sich der modernen Hektik ganz bewusst entgegenstellt, wobei jede einzelne gezupfte oder angeschlagene Saite zählt, fast schon mit Bedeutung aufgeladen wie im Jazz. Der Longtrack ‚Lost Sight’ hingegen kommt gespenstig grungig daher und zerfasert mittendrin fast vollständig, durch die Reduktion auf sparsam gezupfte Bass-Saiten und wiederum stark verhallten vielstimmigen Klargesang finden die vier Protagonisten schliesslich doch wieder zusammen und bringen den Song zu einem fulminanten Ende.
Sogar die Aufgabenverteilung innerhalb der Band hat viel Experimentelles, denn sie wechselt immer wieder – zum Beispiel singen alle Vier, mit ganz unterschiedlichen Stilen und Stimmen, auch hier kommt wieder das für sie typische Spiel mit Gegensätzen zum Tragen, die Lust daran, „Stille mit Lärm zu kontrastieren (und umgekehrt)“, wie sie selbst sagen. Diese Schwarz-Weiss-Malerei saugt die Zuhörenden in ein Labyrinth aus vielerlei Klängen, die zudem mal von links, von hinten, dann wieder versteckt von rechts auf sie zukommen – eine Einladung, sich ganz aufs Lauschen und die davon hervorgerufenen Emotionen einzulassen. Da überrascht auch nicht mehr, wenn in ‚Proper Burial’ schliesslich sogar Twingitarren so richtig über verzweifelten Schreien aufdrehen, eine Metalhuldigung, die zuvor so dekonstruiert wurde, als ob sich ein blutiger Anfänger zum ersten Mal am Riff versuchen würde – anything goes.
Wir sehen, LOATHER sind eine Band, die sich zwischen allen Stühlen besonders wohl fühlt und trotzdem ganz genau weiss, wofür sie steht; die lange Kreativpause zwischen der letzten EP ‚Haganvelt‘ 2019 und diesem LP-Debüt hat ihnen als Gruppe gutgetan und ihren unverwechselbaren Stil nochmals herausdestilliert. Das zeigt auch der Vergleich mit ihrem bereits sechs Jahre alten, genialen VAN HALEN-Cover, das in Köln live sehr beeindrucken konnte, da es dem Zynismus des Titels ‚Ain’t talkin‘ bout love’ vielleicht näherkommt als das Original.Der Deal mit Vendetta Records kam übrigens nach ihrem fulminanten Auftritt beim Unholy Passion Fest VI zustande – man sollte die Wiener also nicht nur im Plattenschrank haben, sondern auch zu ihren Auftritten pilgern. Ihr tut, ganz ohne Ironie, viel für euer Seelenheil damit!
Bandinfo:
LOATHER sind David Bauer (Guitar, Vocals), Hannes Gruber (Drums, Vocals), Dieter Kienast (Bass, Vocals) und Michael Schneeberger (Guitar, Vocals).
https://www.facebook.com/Loatherband
https://www.instagram.com/loather.wien/
https://loathermusic.bandcamp.com/
Diskographie:
1 (Demo, 2017)
Ain’t talkin‘ bout love (Van Halen Cover) (Track, 2017)
† (EP, 2018)
B-Sides (Compilation, 2018)
haganvelt (EP, 2019)
Relics (Compilation, 2021)
Eis (LP, 2023)