SCÁTH NA DÉITHE – Virulent Providence

  • Veröffentlichung: 03.02.2023

  • Vertrieb: Vendetta Records

  • Versionen: Digital, CD, Cassette, Vinyl

Stil: Hoch atmosphärischer, tragischer und wütender Death/Black Metal aus Irland

Gibt es so etwas wie ein generationenübergreifendes Gedächtnis? Was geben Eltern ihren Kindern an Lebenserfahrung unbewusst rein durch Vererbung, nicht durch Erziehung, weiter? Verändern Ereignisse der Vergangenheit auch die Erbinformationen, wie es Mutationen tun? Nach der Entdeckung der DNA in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts galt lange das Dogma, dass alle Zellen des Körpers genau denselben Satz identischer Chromosomen enthalten und daher die Erbinformationen aller Organismen ausschliesslich über die evolutionär sehr stabile DNA-Sequenz zwischen den Generationen weitergegeben werden. Genaue Beobachter misstrauten jedoch schon früh dieser Annahme, die sämtliche Einflüsse der Umwelt auf die Gene aussen vor liess. Heute gibt es einen eigenen Forschungszweig, die Epigenetik, die untersucht, wie sich Umwelteinflüsse von den Vorfahren auf die fNachkommen auswirken, denn dass Faktoren wie frühkindliches Trauma, Fehl- oder Unterernährung oder die Einwirkung von Umweltgiften dies tun, ist lange bekannt, und auch die genetischen Mechanismen, wie dies vor sich geht, konnten mittlerweile entschlüsselt werden.

Es gibt also sogar auf molekularer Ebene, in jedem von uns, ein kollektives Menschheitsgedächtnis, wie es von Psychologen und auch Physikern lange postuliert wurde, C.G. Jung nannte es das “Kollektive Unbewusste”, in dem das Erleben der Ahnen, deren archaische Erfahrungen über Rituale, Mythen und Märchen gesammelt und weitergegeben werden. Betrachtet man verschiedene Gesellschaften, so fassen diese auch ihre konkreten, bewussten Erinnerungen in Traditionen und Erzählungen des Kollektivgedächnisses zusammen, so dass diese für immer bewahrt werden. Die Vergangenheit lässt uns also auf ganz vielen Ebenen nicht los…

Cathal Hughes, alleiniger Akteur hinter SCÁTH NA DÉITHE, beschäftigt sich ebenfalls mit dem Weiterreichen von Erfahrungen durch die Generationen, hat sich jedoch zum Ziel gesetzt, diese Thematik durch seine Musik auszudrücken und zu verarbeiten. Insbesondere die ganz besonders von Härten aller Art, jahrhundertelanger Besetzung und Fremdbestimmung, (Bürger)Kriegen, Terrorismus, Naturkatastrophen, menschgemachten Hungersnöten und extremer Grausamkeit geprägte Geschichte seiner Heimat Irland ist seit Beginn Thema dieser Band. ‘Virulent Providence‘, das dritte Album, beschäftigt sich nun mit der grössten Katastrophe der irischen Geschichte, die das Land gezeichnet hinterliess und bis heute auf vielerlei Weise nachwirkt: The Great Irish Famine, die Grosse Hungersnot von 1845-49, der die unvorstellbare Zahl von einer Million Menschen zum Opfer fiel, was damals ein Achtel der Gesamtbevölkerung war. Mit ihnen verlor auch die gälische Sprache und Kultur an Bedeutung. Das seit dem Mittelalter unter englischer Herrschaft stehende Irland, komplett abhängig von der in diesen Jahren ausbleibenden Kartoffelernte, starb unter Höllenqualen und den Schreien verhungernder Kinder, während es weiterhin Getreidezoll an England zahlen oder, seiner Ländereien beraubt, in Armenhäusern schuften musste. Die Menschen waren teils zu schwach, Gräber für ihre verstorbenen Angehörigen auszuheben, die Leichen stapelten sich am Strassenrand… all dies ist auf dem bedrückenden Artwork von Cover und Booklet von Luciana Nedelea Artworks aus Transylvanien/Rumänien zu sehen, deren Kunst SCÁTH NA DÉITHE schon länger begleitet:


Weitere Millionen Iren waren in den folgenden Jahrzehnten gezwungen, auf seuchenbeladenen “Coffin Ships” in die USA, Kanada und Australien auszuwandern, von denen unzählige niemals ihr Ziel erreichten. Manche Jugendliche begangen Straftaten, nur um in die australischen Sträflingskolonien deportiert zu werden, wo es immerhin zu essen gab. Von diesem massiven Bevölkerungsverlust hat sich Irland bis heute nicht erholt, die Bevölkerungszahl der grünen Insel erreichte nie mehr den Stand vor der Hungersnot, und bis in die Gegenwart wirken vielerlei Folgen dieses Grauens nach, eingegraben in das kollektive Gedächtnis, weitergegeben durch Geschichten und Lieder wie ‘Amhrán na bPrátaí Dubha’, das “Lied von der Schwarzen Kartoffel”, das die thematische Basis von ‘Virulent Providence‘ bildet. Denn es ist vor allem die Folklore, die Gedichte, Geschichten, Mythen, Tänze und Lieder, die von den Grosseltern an die Kinder weitergegeben werden und somit Geschehenes weiter am Leben erhalten – und seien es die niemals zur Ruhe kommenden Gespenster der Hungertoten, wie sie auf dem Cover abgebildet sind…

Zwei monumentale Longtracks, beide um die zwanzig Minuten, fangen zwischen Black- und Death Metal pendelnd die Stimmung, aber vor allem die gespenstischen Stimmen der Millionen unschuldiger Todesopfer ein, deren Echos noch heute nachhallen. Es ist ein vielschichtiger Soundtrack unendlichen Leids, der nur so von unterschiedlichsten Emotionen birst: Schmerz, Qual, Todesangst, Verzweiflung, Trauer, Wut, Verbitterung, Klage, Hoffnunglosigkeit, Hass – unendliches Leid, das die tiefgläubigen Katholiken an Gott herantrugen, die nicht glauben konnten, was ihre Priester und die englische Obrigkeit ihnen weismachen wollten, nämlich dass die existenzberaubende Kartoffelfäule eine göttliche Strafe sei. ‘Amhrán na bPrátaí Dubha’ drückt eine andere Sicht aus und reiht sich damit unter gesellschaftspolitische Protestsongs ein, die gegen die soziale Ungerechtigkeit des Feudalismus und Fremdherrschaft rebellieren. Es waren ja gerade die unfreien, ärmsten unteren Gesellschaftsschichten, die der Hungersnot hauptsächlich zum Opfer fielen.

Ihr aussichtsloser Kampf ums Überleben, all die grauenvollen Ereignisse, Erlebnisse und Entscheidungen der Hungerjahre werden von SCÁTH NA DÉITHE im stampfenden Motiv des ersten Teils von ‚Virulent Providence’ vertont, der überfallsartig mit seinen verschiedenen übereinandergelegten Gitarrenspuren und dem unmenschlichen Keifen Hughes’ auf den Hörer einstürzt. Wellenförmig steigen und fallen die melancholischen Tremoloriffs, und bilden einen unendlich traurigen Soundteppich, oder eher ein Leichentuch, das die ausgezehrten, leblosen Körper einhüllt. Auf einmal verlangsamt sich alles und steigt noch tiefer hinab in das Elend der Menschen, die sparsamen, schweren Riffs verdeutlichen das hoffnungslose Ausgeliefertsein, während darüber die Reiter der Apokalypse galoppieren, nur um auf einmal in eine todesmetallische, walzende Raserei umzuschlagen, Wut und Verzweiflung vermengen sich, doch auch hieraus entsteht wieder eine dieser grossen, übermenschlichen Melodien, die mit ihrer Schönheit vor dem todtraurigen Hintergrund aufleuchten. Eine sehr langsame, gespenstisch-unwirkliche Ambientpassage erinnert an Abschiede, die grosse Reise über den Ozean oder den Styx, jenseitig wie Geräusche unter Wasser klingt es, wie nicht mehr von dieser Welt. Hier kommt nun das grosse Motiv zu voller Entfaltung, es könnte genauso von Violinen oder Celli gespielt werden und bildet den Widerpart zu heulenden Stimmen und verzweifelten Tremolos, und immer wieder grausamem Growlen und infernalischem Keifen. Fast liturgisch und unerschütterlich mutet auf dem Höhepunkt der Spannung der dialogartige Wechsel zwischen den beiden Death- und Black Metal-Gesangsstilen und parallel dazu das grabesschwere Riffing an – dem Schicksal ist nicht zu entkommen.

Das gleichzeitig beeindruckende als auch faszinierende an SCÁTH NA DÉITHEs Stil ist, dass ständig auf vielerlei Ebenen unterschiedliche Dinge passieren, die teilweise gegensätzliche Stimmungen ausdrücken, aber trotzdem miteinander harmonieren, indem sie zu einer vibrierenden, sehr lebendigen Atmosphäre verschmelzen, die changiert und sich ständig verändert und in verschiedene Richtungen weiterentwickelt. Eine ungeheure Dynamik macht die transportierten Emotionen noch plastischer und eindringlicher, und setzt sich tief im Ohr, ja direkt auf der Seele fest, so dass innere Bilder von verzweifelten Menschen und unbeschreiblichem Leid aufflackern können. Es scheint, als ob Cathal Hughes all das in sich selbst als Echo vergangener Zeiten wiederfindet, was er zu ‘Virulent Providence‘ verarbeitet hat, und dieser Vielzahl an Gefühlen nun endlich Raum geben kann – als ein Medium kollektiven Grauens, das endlich Erlösung finden will. Auch wenn es kein Verständnis geben kann für das Verhalten der englischen Kolonialherren, die den Iren nicht mal ihr Getreide zum Überleben liessen, ist deren Schuld doch immer noch tief in der verwundeten irischen Seele verankert.        

„Suffer the consequence of rule
Starved colony feeds gorged empire”

Das tragische Schicksal dieses Volkes hat es bis heute geprägt, viel Gewalt und Unheil in den folgenden Jahrzehnten gebracht, und das ist für mich die Geschichte des zweiten Teils von ‘Virulent Providence‘. Nochmal deutlich düsterer, verwirrender und auch zerstörerischer schleppen sich die Melodien schräg und dissonant bis in die heutige Zeit, in der die Erzählungen der uralten Gespenster nachhallen und die Nachkommen weiterhin quälen. Deutlich mehr Death Metal als zuvor trifft auf doomige Stimmung, Halt- und Hoffnungslosigkeit, bis hin zu (selbst-) zerstörerischen Oldschooligen, teils Hardcore-Passagen. Diese Gefühle sind genauso schwer auszuhalten wie zu benennen, hier passt die Art, wie Hughes seine Lyrics schreibt, perfekt dazu – es geht darin allein um Emotionen, die Verse sind mehr Beschreibungen von Gefühlen als zusammenhängender Text, und vervollständigen damit die Musik. Harte Kost, die viele Durchläufe benötigt um sie zu durchdringen, doch auch hier wird die Anspannung schliesslich aufgelöst, indem die tragisch-melancholischen Motive des ersten Teils wiederaufgenommen werden, mit der heutigen wütenden Verzweiflung zusammengebracht werden und schliesslich aufgelöst werden können im Austausch darüber. Vielleicht geschieht tatsächlich nur so Heilung: indem wir den Geschichten der Vergangenheit in unserem Leben Raum geben, sie bewahren, dabei jedoch als das anerkennen, was sie sind: der Nachhall einer lange zurückliegenden Zeit. Und das gibt uns die Freiheit, die Dinge heute anders zu machen. SCÁTH NA DÉITHE liefern uns die kathartische Erfahrung dazu – nutzt sie, die Welt braucht freie Menschen!

Bandinfo:

SCÁTH NA DÉITHE ist Cathal Hughes an Vocals, Guitars, Bass und Keyboards.

https://scathnadeithe.bandcamp.com/
https://www.facebook.com/scathnadeithe

Diskographie:

The Horrors of Old (EP, 2015)
Pledge Nothing But Flesh (LP, 2017)
The Dirge of Endless Mourning (LP, 2020)
Virulent Providence (LP, 2023)

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