IATT – Magnum Opus

  • Veröffentlichung: 27.05.2022

  • Vertrieb: Black Lion Records

  • Versionen: Digital, CD, Vinyl

Stil: Progressiv-extravaganter Black/Death Metal

Zwischen allen Stühlen…

Schon interessant, wie es manchmal läuft im Leben – einen wirklichen Zugang zu ‚Magnum Opus’ habe ich erst bekommen, als ich mich zeitgleich zum einen mit IBARAKI, und zum anderen mit der neuen SEPTICFLESH beschäftigt habe. Dann hat das Album auf einmal gezündet, und auch wenn Jay Briscoe mit seinen fiesen, entweder zum Highpitch oder in Grabestiefen überdrehten, stark metalcorebasierten Shouts nie zu meinen favorisierten Sängern gehören wird, kann ich seine Vocals nun besser einordnen. Bei einer Platte, die mit einer melancholischen Violine startet, kommt solch krasser Gesang eine Minute später einfach überraschend, aber eben auch solche Dinge wie Saxophonsoli, Flamencogitarren, barocke Pianopassagen, Klangschalensessions, spacige Keyboardsounds oder coole Jazzläufe, und IATT (ehemals I AM THE TRIREME) haben all das im Programm. Das Quartett aus Philadelphia will sehr viel, und hat noch viel mehr Ideen.

Zu den oben genannten Bands könnte man noch FLESHGOD APOCALYPSE, aber auch IMPERIAL TRIUMPHANT hinzufügen, und damit ist die Arena, in der ‚Magnum Opus’ agiert, einigermassen abgesteckt. Zwischen technischem, teils verspielt symphonischem Death Metal mit rhythmischem US-Metalcore-Kern und sehr experimentellem, progressivem Black Metal kommt hier alles bunt gemischt aufs Tapet, und kann den Hörer anfangs tatsächlich überfordern, weil so viel auf einmal passiert, aber auch weil man nicht so recht weiss, wie ernst diese teils äusserst unkonventielle Mischung gemeint ist. Je länger das Album läuft, desto einfacher wird der Einstieg jedoch, die Dynamikwechsel sind weniger hektisch, IATT finden immer mehr zu sich selbst und geben ihrer Ideenvielfalt einerseits einen strukturellen Rahmen, und sich andererseits die Freiheit, diesen auszufüllen und wenn nötig auch mal zu verlassen.

… auf dem Weg zur Unsterblichkeit

Sein drittes Album ‘Magnum Opus’ zu nennen wirkt im ersten Moment anmassend, bezieht sich hier jedoch auf das Konzept der Platte, den ursprünglichen, von den ersten experimentellen Chemikern, den mittelalterlichen Alchemisten, geprägten Begriff der oft metaphysischen Suche nach dem „Stein der Weisen“, beziehungsweise des Versuchs der Herstellung von Gold aus unedlen Metallen; später wurde Magnum Opus dann mystisch übertragen auf die Innenwelt des Menschen ein Weg zur persönlichen Vollendung. Alchemisten suchten ebenso nach universellen Heilmitteln, die Unsterblichkeit ermöglichen sollten, das paradoxerweise stark deathcorige ‚Elixir of Immortality’ berichtet hiervon, wohingegen sich ‚Prima Materia’ mit der Urmaterie beschäftigt, aus der sich sämtliche gewünschten Stoffe erzeugen lassen. Die menschliche Hybris und Selbstbezogenheit war schon immer riesig, das ist heutzutage nicht anders, man schaue sich dafür nur eine Nachrichtensendung an… insofern sind IATT thematisch am Puls der Zeit, beziehen sich damit jedoch auch auf ihre eigene Entwicklung als Band.

Sie haben sich zudem für noch mehr Abwechslung prominente Verstärkung geholt, darunter an der Violine Ben Karas von den US-Proggern THANK YOU SCIENTISTS und den spanischen Folk-Black Metallern WINDFAERER, Jørgen Munkeby von den norwegischen Blackjazzern SHINING für das Saxophon in ‚Orobouros’ (die sonstigen Saxpassagen stammen von Zach Strouse von den Philly-Techdeathern BURIAL IN THE SKY), sowie UADAs Jake Superchi als Gastsänger in ‚Seven Wandering Stars’. Allein diese Zusammenstellung zeigt schon den extrem breiten stilistischen Anspruch von ‚Magnum Opus’. Doch auch ohne Gäste gehen dem Quartett die Ideen nicht aus, und am stärksten setzen sie diese um, wenn sie sich komplett davon frei machen, Genres entsprechen zu wollen, und vor allem den Instrumenten Raum für Experimente geben. Das beginnt mit dem nachdenklichen ‚Exculpate, Exonerate’, das nach seiner ersten Halbzeit einen spannenden Ausflug in die Progwelt macht, wird im darauf folgenden Techdeathkracher ‚Demiurgos (Architect Of Disaster)’ von formidabel geschreddeten Gitarren fortgesetzt, die später ein Klassikmotiv durch den Kakao ziehen, so dass sogar Gautier Serre seine helle Freude daran hätte, und endet mit vertrackten Rhythmusübungen im spacig flirrenden ‚Planes Of Our Existence’, meinem Albumfavoriten mit seinem herrlich entspannt gegen die entfesselten Gitarren anspielenden Saxophonsolo, hier sind IATT ganz sie selbst.

Und es wird noch besser, ‘Seven Wandering Stars’ bringt zu all dem Dank Superchis Vocals noch einen Eindruck davon, wie das Ganze mit cleanem Gesang klingen und wirken könnte, und macht zuvor einen Ausflug nach Stockholm zu TRIBULATIONs Gitarrenduo, und bleibt auch gleich dort, um Herrn Nödtveid einen Besuch abzustatten. Den Vogel schiessen die Amis jedoch mit dem wilden Rausschmeisser ‚Chrysopeia’ ab, der nach einem Kurztrip in den Barock plötzlich mit karibischen Congarhythmen (oder was auch immer…), einer Hammondorgel und Flamencogitarren aufwartet, die bei IGORRR genauso gut aufgehoben wäre – ein Riesenspass für jeden echten Crossoverfan! Nochmal kurz an der Klangschale gekratzt, und das wars.
Ein Querfeldein-Ritt auf einem buckelnden Bronco quer durch die wild wuchernde Prairie der Musikgeschichte vom Mittelalter bis heute mit einem Player auf den Ohren, der eigentlich eine Extremmetall-Jukebox im random mode ist, und bei der wir uns mit beiden Händen verzweifelt in der struppigen Mähne festzuhalten versuchen, bis wir ihn einigermassen beruhigen können. Das hier ist ganz sicher nichts für Anfänger! Eher für Conaisseure…
Hat trotzdem Spass gemacht, so dass wir’s gerne nochmal probieren, doch beim nächsten Mal auch gerne im bequemen Sattel, generell etwas gemächlicher und ohne die ganzen Disteln, die einem nur den Kopf verkratzen. Dann nehmen wir auch gern aufgeschlossene Freunde mit auf den Trip. Ich bin jetzt schon gespannt, was sie hinterher sagen.

Bandinfo:

IATT sind: Jay Briscoe (Vocals/Bass), Alec Pezzano (Guitar/Orchestrations), Joe Cantamessa (Lead Guitar) und Paul Cole (Drums).

https://www.facebook.com/iamthetrireme
https://iamthetrireme.bandcamp.com/music
https://www.instagram.com/iatt_official/

Diskographie:

Viatica (EP, 2009)
Unholy Divination (EP, 2010)
Pray for Damnation (EP, 2012)
Unholy (EP, 2013)
Gnosis: Never Follow the Light (LP, 2015)
St. Vitus Dance (EP, 2018)
Nomenclature (LP, 2019)
Magnum Opus (LP, 2022)

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