EXANIMATVM – Sollvm Ipsa Mor

Stil: Tiefschwarzer okkulter Death Metal aus South of Heaven… oder besser: vom Ende der Welt

Ob Punta Arenas, die südlichste Stadt der Welt, ganz unten an der Spitze des Kontinents im windgepeitschten, eisigen und kargen subantarktischen Süden Chiles gelegen, durch das riesige Eisschild abgeschnitten und isoliert vom Rest des Landes, näher an R’lyeh liegt als irgendein anderer Ort der Welt? Lauscht man EXANIMATVM, so drängt sich dieser Gedanke schnell auf, zumal wenn man wie ich ein Jahr lang dort an der Magellanstrasse gelebt hat und die Gegend daher kennt. Zumindest ist die berüchtigte Isla Dawson nicht weit entfernt, genutzt als Gefängnisinsel zuerst für die Ausrottung der Ureinwohner und später im Pinochet-Regime als Folter- und Konzentrationslager für Oppositionelle. Ein rauher, unwirtlicher, karger und kaum besiedelter Fleck Erde in grandioser, wunderschöner Natur, dem lange übel mitgespielt wurde, bevor er als Touristendestination in unmittelbarer Nachbarschaft zu Feuerland, Kap Hoorn und dem Torres del Paine-Nationalpark sowie als Hafen für Antarktiskreuzfahrten Aufwind bekam.

Die Winter sind lang, dunkel und kalt, Tier und Mensch müssen sich der rauhen Natur anpassen, um zu überleben. Diese Einsamkeit, das auf sich selbst gestellt und ausgeliefert sein an die Elemente findet sich im Death Metal EXANIMATVMs stets wieder, der von düsterster Atmosphäre nur so strotzt. ‚Sollvm Ipsa Mor’ ist die zweite full length des 2013 gegründeten Quartetts, das auch schon ein Livealbum vorzuweisen hat – die lokale Szene muss sich stark weiterentwickelt haben dort unten in der Subantarktis, zwei Tage mit dem Bus oder fast 6 Flugstunden von der Hauptstadt Santiago entfernt. Auf der Nordhalbkugel entspricht diese Lage Nordskandinavien oder noch eher Island, und genau das hört man auch, wenn sich der typisch südamerikanische, brutale Stil nie verleugnen lässt.

Vier Songs umfasst die Platte, und gleich zu Beginn wird eine unheimliche, beklemmende Atmosphäre aufgebaut. Schwer schlagen die Wellen der Magellanstrasse, von den Selk’nam, die als Jäger und Nomaden ursprünglich Feuerland besiedelten, „Atélily“ genannt, ans Land, stampfend und rollend ist auch der Sound des Albums, mehr als zuvor vom Black Metal inspiriert. ‚En Las Negras Aguas De Atélily’ lauert der Tod, und dort herüber kamen die europäischen Eroberer, die sich den neu entdeckten Kontinent samt seiner Natur- und Bodenschätze gewaltsam zu eigen machen und dabei ihre unterdrückerische Religion sowie diverse Krankheiten gleich mitbrachten. Der Genozid an den eigenen Vorfahren im 19. Jahrhundert wirkt in der Musik von EXANIMATVM nach, ebenso das Land, das sie hervorgebracht hat und auf dem sie leben, und das eiskalte tiefe Wasser, das sie überall umgibt. Grundsätzlich spanisch singend, sind sie ihren Wurzeln ebenso treu wie sie mit Verwendung der Selk’nam-Sprache sowie lateinischen Einsprengseln ihre innere Zerrissenheit zum Ausdruck bringen. Wenn Lateinamerikaner sich dem Christentum entgegenstellen hat das nochmal eine andere Gewichtung und Bedeutung als in Europa, da die Zwangschristianisierung im Zuge der blutigen Kolonialisierung des Kontinents hier erst deutlich später stattfand, und nichtsdestotrotz heute die christliche Religion eine deutlich grössere Rolle in der Lebenswirklichkeit der Menschen spielt als hierzulande.

War der Vorgänger ‚Dispersae Et Tormentvm’ noch vor allem brutaler, primitiver Oldschool Death Metal mit südamerikanischem Flair, haben die doomigen Anteile nun nochmals zugenommen, die Geschwindigkeit ist runtergedreht (‚Sollvm Ipsa Mor o La Voraz Antítesis del Cosmos’), was die Atmosphäre noch beklemmender macht. Ein deutlicher Schritt hin zum atmosphärischen Black/Death Metal isländischer (ALMYRKVI/SINMARA), aber auch mitteleuropäischer Prägung (THE NEGATIVE BIAS, THE RUINS OF BEVERAST, NECROS CHRISTOS, BÖLZER) zeigt sich in den Nebel, Eis und umherziehende Geister beschwörenden Intros genauso wie im hämmernden, dissonanten Riffing, dessen Abwechslungsreichtum ebenso wie in den Songstrukturen deutlich erhöht wurde, und trotzdem repetitiv geblieben ist. Bass und Rhythmusgitarre halten den stampfenden Rhythmus, die Vocals bleiben jedoch konsequent grabestief, generell ist die Platte sehr basslastig und erdig.

Sie können jedoch jederzeit wieder losgaloppieren, wie das mehr als zehnminütige und zentrale ‚Magna Veritas’ zeigt – vom Longtrack zu sprechen verbietet sich bei Songlängen nie unter siebeneinhalb Minuten, er zeigt jedoch deutlich, wo nun bei den Chilenen der Schwerpunkt liegt, im genüsslichen Auskosten sinistrer Stimmungen und rituellen Beschwören tiefster Schwärze und Kälte. Kein Song ist okkulter und erzählender, spielt souverän mit wechselnden Emotionen und Geschwindigkeiten, ein eingeschobenes Lamentieren erhöht nochmals den rituellen Eindruck. Mein Favorit bleibt trotzdem das mysteriöse ‚Chskl O En Las Misteriosas Profundidades De Tkoyuska’, das tatsächlich eine patagonische Lovecraft-Story vertonen könnte, und herrlich mit Dissonanzen und Dynamiken spielt, und diesen speziellen mitreissenden Gitarrenlauf hat, aus dem sich ein kosmischer Gesang unter gefrorenen Sternen erhebt – einfach grandios!  

Alles in allem ein schwarzer Diamant vom Ende der Welt für alle, denen ihr Death Metal nicht schwarz, rituell, mysteriös und atmosphäregeladen genug sein kann.

Bandinfo:

EXANIMATVM sind Demis Ferreira (Bass, Vocals), Enzo Velásquez (Guitars, Bass), Jorge Tréllez (Guitars) und Claudio Muñoz (Drums).

http://exanimatvmdm.bandcamp.com/

https://www.facebook.com/Exanimatvmdm

Diskographie:

Negra Iniciación (Demo, 2013)
Diaboli Gratia (EP, 2014)
Dispersae et Tormentvm (LP, 2016)
Cantici Nigromanticaru (Livealbum, 2018)     
Sollvm Ipsa Mor (LP, 2021)      

1 Kommentar

    • Franz auf 13. September 2022 bei 5:00
    • Antworten

    Achtung!

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