BEDSORE / MORTAL INCARNATION – Split

  • Veröffentlichung: digital 27.04.2022

  • Vertrieb: 20 Buck Spin

  • Versionen: Digital, CD, Vinyl

Stil: Future Death Metal ?!!!

Man muss sich ja schon Gedanken machen über das Sorgenkind Death Metal. Irgendwie hängengeblieben im ewigen Wiederkäuen alter Ideen, Technik sehr gut, aber Innovation mangelhaft, ausser in gewissen ausserschulischen Untergrund-Arbeitskreisen ist die Motivation, etwas zum eigenen Vorankommen zu tun, eher gering. Sich an den älteren Mitschülern zu orientieren, die schon x-Mal die Ehrenrunde gedreht haben seit sie sich auf längst verwelkten Lorbeeren ausruhen, macht eben auch nix besser. Und dann dieser latente Hang zur Gewaltverherrlichung und die Verweigerung, das tiefgestimmte eigene Gefühlsleben abseits von Instinktbefriedigung und aggressiver Impulsivität zu erforschen – wenn das alles so weitergeht, ist die Versetzung aus der Metal-Grundschule stark gefährdet. Dabei sah im Kindergarten doch alles noch so vielversprechend aus… und nun hat das schwarze Familienschaf Black Metal den älteren Bruder fast komplett abgehängt, was die Zukunftsperspektiven angeht. Sogar die Cousins Melodeath und Deathdoom haben noch die Kurve gekriegt und mittlerweile eine Festanstellung bei Majors, aber der klassische Deathmetal – ein wirklich trauriges Bild… lange geht das nicht mehr gut.

Doch es gibt noch Hoffnung. Sie kommt, wie so oft, von weit draussen im All, wo aus grosser Distanz der Gesamtüberblick über die Welt der Rockmusik und ihre Zusammenhänge leichter fällt. Zwei junge Bands, selbst durch Kontinente voneinander getrennt und aus komplett unterschiedlichen Kulturkreisen, haben sich als Seelenverwandte und Brüder im Geiste gefunden: die Römer BEDSORE und ebenfalls aus der Hauptstadt Japans, Tokyo, MORTAL INCARNATION.

BEDSORE by Francesco Maria Pepe

Weltall als Zukunftsperspektive?

Zusammen zeigen sie nun auf einer Split, wo eines der möglichen Zukunftsszenarien des Death Metal liegen kann: in der Offenheit für echte Progressivität jenseits von hochtechnischem Gefrickel, auch mal reduzierter Geschwindigkeit bis hin zu doomiger Schwere, psychedelischer Freiheit und vor allem der Konzentration  auf Atmosphäre, spannende Arrangements und komplexes, vielschichtiges Songwriting, ohne die Grundmerkmale des Genres und seine Geschwindigkeit und Härte zu vernachlässigen.
Natürlich gibt es diverse Vorreiter, die ähnliche Pfade beschreiten, man denke an frühe TRIBULATION, die zu schnell verglühten Australier dISEMBOWELMENT, MORBUS CHRON / SVEWEN, in den letzten Jahren HORRENDOUS, mit einem jeweils etwas anderen Twist auch SPECTRAL VOICE oder hierzulande ALKALOID. Und ja, man hat sich auch vom grossen Bruder Black Metal einiges abgeguckt, gerade was das vielfache Aufschichten von Klängen, gerade der Gitarren, angeht, aber auch die stellare Weite und endlos vibrierenden und langsam verhallenden Töne, nicht umsonst gibt es das Genre Space/Cosmic BM schon seit einer Weile. Dennoch haben sowohl BEDSORE als auch MORTAL INCARNATION ganz eigene Zugänge gefunden und dabei Türen aufgestossen zu einer möglichen Zukunftsvision weit über vorhandene Stilrichtungen hinaus.

Beide Bands haben sich viel Zeit für die Erforschung ihrer Ideen gegönnt, die Vorbereitungen für diese Split liefen drei Jahre lang, und nun liefern sie jeweils episch lange Tracks ab, ‚Shapes From Beyond The Veil Of Stars’ der Italiener liegt bei 16:25, ‚In The Perpetual Torment Of Recurrence’ der Japaner bei 14:23 Minuten. Sie nähern sich ihrem Ziel von ganz unterschiedlichen Seiten an, kommen jedoch beide so gut am Endpunkt, der Essenz ihres gemeinsamen Projekts, an, dass die Split wie aus einem Guss wirkt.

MORTAL INCARNATION

BEDSORE machen dabei gleich mit einem opulenten 70ies Progrock-Intro klar, wo sie hinwollen. Warmer Fretless Bass, mächtige Orgel und komplexes Schlagzeug stimmen darauf ein, dass dem Quartett Atmosphäre über alles geht. In ‚Shapes From Beyond The Veil Of Stars’ wechseln sich ständig Blicke hinter den sanften Schleier einer Traumwelt mit treibend geblasteten, gerne dissonant ausbrechenden hochtechnischen Passagen ab, in denen jedes Instrument explorativ sein eigenes Ding macht, um schliesslich doch wieder in fast bewegungslosem Lowtempo-Dialogen anzukommen, die allein von den Saiteninstrumenten getragen werden. Der Gesang ist mehr ein begleitendes Bellen in den Uptempoteilen, hier sprechen vor allem die Gitarren.
Eine enorme Zahl rockmusikalischer Versatzstücke sind in diesen Mammutsong enthalten, und es braucht eine ganze Menge Durchläufe, um einigermassen nachvollziehen zu können, wo diese Reise hingehen könnte. Das wäre auch mein einziger winziger Kritikpunkt: was BEDSORE hier alles reinpacken, ist fast zu viel, das wäre Material für mindestens ein komplettes Album; als Duftmarke und Ausblick auf die Zukunft passt es jedoch wieder.

MORTAL INCARNATION zäumen dagegen das Pferd von der entgegengesetzen Seite auf und steigen mit einem Midtempo-Riffgewitter ein, das schnell sehr an Fahrt gewinnt. ‚In The Perpetual Torment Of Recurrence’ ist der homogenere der beiden Songs, Shimpei Miuras ultratiefes Growlen ist ebenso sparsam eingesetzt wie Jacopo Gianmaria Pepes Vocals, doch deutlich durchdringender, ja beschwörend und bildet einen extrem spannenden Kontrast zu den singenden Gitarren, die wie Laserstrahlen in die Unendlichkeit dringen. Auch die Japaner sind technisch über jeden Zweifel erhaben ohne damit zu prahlen, wechseln immer wieder die Tempi und Stilistiken, jedoch mit mehr Behutsamkeit, der rote Faden ist auch in hektischeren Teilen stets präsent, die Songbausteine wiederholen sich mit interessanten Twists und Abwandlungen, die Spannung bleibt die gesamte Zeit durchgehend sehr hoch. Sie sind fest im DeathDoom à la dISEMBOWELMENT verwurzelt und haben zudem auch den deutlich stärkeren Black Metal-Bezug, bauen flirrende Soundwälle auf und mit fast thrashigen Galopps wieder ab, nur um wieder von dieser über allem herrschenden, perlenden Gitarre eingefangen zu werden, und bieten trotz tiefster Düsternis schliesslich den hoffnungsvolleren Ausblick in die Zukunft.

Erstaunlich ist der teilweise fast identische Gitarrensound und –einsatz, als ob beide Bands Proberaum und Equipment teilen würden, allein dadurch wird schon die gemeinsame Vision deutlich. Und es ist absolut faszinierend, wie hier zwei junge Bands aus Ländern, die man nicht unbedingt auf dem Schirm hat wenn es um Death Metal geht, einen jeweils extrem ausgereiften, jedoch ganz freien und offenen Vorschlag aufs Tapet bringen, wie sie sich die Weiterentwicklung des Genres vorstellen könnten. Das ist absolut zeitlose Musik, die alles eingesaugt hat was die vergangenen Jahrzehnte hervorgebracht haben, und es weiter in die Zukunft projiziert. Von mir aus kann es total gern in dieser Richtung weitergehen. Diese Split ist ein Einstand mit Pauken und Trompeten auf der grossen weltweiten Bühne: an BEDSORE und MORTAL INCARNATION werden wir hoffentlich in Zukunft nicht mehr vorbeikommen. Liebe Booker, eine gemeinsame Tour wäre ein Traum!

Bandinfos:

BEDSORE

sind: Jacopo Gianmaria Pepe (Vocals / Guitars), Stefano Allegretti (Guitars / Synths / Organ and Keyboards), Giulio Rimoli -(Bass / Fretless Bass) und Davide Itri (Drums)
https://bedsoredeath.bandcamp.com/
www.facebook.com/bedsoredeath

Diskographie:

Demo (2018)
Hypnagogic Hallucinations (LP, 2020)

MORTAL INCARNATION

sind: Shimpei Miura (Vocals / Guitars), Kaito Wada (Guitars), Ryosuke Yamamoto (Bass) und Keita Mishima (Drums)
https://mortalincarnation.bandcamp.com
www.facebook.com/mrtlncrntn

Diskographie:

Lunar Radiant Dawn (Demo, 2019)

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