ANGSTSKRÍG – Angstkrig  

  • Veröffentlichung: 31.03.2023

  • Vertrieb: Despotz Records

  • Versionen: Digital, CD, Vinyl

Stil: Selbst nennen sie es “Nordic Black Metal”, und ein Mix aus allen skandinavischen Stilen mit viel dänischem Groove ist es auch…

Seit 2019 schon schleppen die beiden mysteriösen Protagonisten, die zusammen ANGSTSKRÍG bilden, ihre schweren Jutesäcke auf dem Buckel durch Feld, Wald und Wiesen, und man sollte denken, dass mit dieser niederdrückenden Last keine grossen Sprünge zu machen sind. Ja von wegen! Mit ihrem Zweitling ‚Angstkrig’ zeigen uns die Dänen, wie Turbo-Weiterentwicklung einer noch jungen Band aussehen kann. Geradezu ein Quantensprung ist dieses Album, sowohl was tightes Songwriting und abgefahrenen Ideenreichtum, aber vor allem die eigene Stilfindung angeht, und lässt Hörende immer wieder mit offenem Mund vor Erstaunen und vor allem Entzücken zurück. Aber vielleicht liegt das alles ja auch daran, dass sie nun auch mal statt der Säcke einen weissen Sarg durch Kopenhagens Strassen ziehen? Schauen wir uns das Ganze doch mal genauer an…

…beginnen jedoch erstmal mit etwas Aufklärung. Das neue Album heisst NICHT genauso wie die Band, sondern so, wie diese meistens falsch geschrieben wird – während sich ANGSTSKRÍG mit „Angstschrei“ übersetzen lässt, ist Angstkrig der „Angstkrieg“, was auch gleich zur diesmaligen Thematik überleitet. Entstanden während der Pandemie, bildet die Platte ab, unter welch enormem gesellschaftlichen und psychischen Druck der moderne Mensch – ANGSTSKRÍGs grundsätzliches Thema, siehe das Interview zum Debüt hier – heutzutage existieren muss und immer öfter daran zerbricht. Wir leben in einer unmenschlich beschleunigten und durchgetakteten Welt, in der uns Scheinwelten vorgespielt werden, die nichts mehr mit unserer tatsächlichen Lebensrealität zu tun haben, und uns immer weiter von uns selbst entfernen. Längst bestimmen Algorithmen viel mehr von unserem Denken, als wir wahr haben wollen, und nimmt uns künstliche Intelligenz nicht nur Arbeit ab, sondern übernimmt gleichzeitig, ganz (un)heimlich, vor allem durch sozialmediale Indoktrination Meinungsbildung im grossen Stil. Menschen als verängstigte, willenlose Lemminge, programmiert auf den eigenen Untergang – die Folgen sehen wir in einer auseinanderbrechenden Gesellschaft, und auf individuellem Level in der extremen Zunahme psychischer Erkrankungen. Diese Themen nehmen die beiden „Blackened Brothers“ auf und verarbeiten sie auf so direkte, zynische wie kluge Weise.

Aber vor allem geht es musikalisch zur Sache, noch deutlich abwechslungsreicher und druckvoller als auf ‚Skyggespil’, dem famosen Debüt (zu dessen Rezension geht’s hier). Und das will schon etwas heissen, denn der Stilmix, den das dänische Duo zu seinem Trademarksound geschmiedet hat, war ja schon von Anfang an auf eine sehr breite Basis gestellt. Die da heisst „Power Black Metal meets thrashy Black’n’Roll“, und hat keinerlei Berührungsängste mit tödlicher schwedischer Melodik, epischer nordischer Atmosphäre und Schwermut, gespickt mit schwarzem Humor und viel Groove. Sie sind eine Riff-basierte Band, treiben mit Drums und Gitarre die Songs voran und holen sich herausragende Gitarristen für die meisterlichen Soli, was dazu führt, dass jeder seine ganz eigene Duftnote auf den Stücken hinterlässt, ein weiterer Garant für viel Abwechslung.

Diesmal sind dies Mendel (ex-ABORTED), SIRENIAs Nils Courbaron sowie der schwedische Jazzer Carl Mörner Ringström, und hinzu kommt diesmal auch ein weiterer Sänger ausser dem Typen mit dem Hut an der Gitarre – es ist weiterhin nichts über die komplett schwarz verhüllten Persönlichkeiten hinter ANGSTSKRÍG bekannt, doch die aktuellen Videos machen nun auch denjenigen, die bisher nicht in den Genuss eines Livekonzerts kamen klar, wer von beiden singt, so langsam fallen also doch die Schleier. Beim Groovemonster ‚Midt i en Angstkrig’, dem Ding mit dem sehenswerten Sarg-Video tritt schliesslich Jøden auf, in Dänemark allseits bekannter Rapper, und hebt den sowieso schon mitreissenden Song auf ein spektakuläres Level – die Überraschung ist hier nicht die Crossover-Einbindung eines fremden Genres, sondern die Tatsache, dass alles wie aus einem Guss wirkt, eingängig, doch anspruchsvoll, und dabei niemals seinen Flow und Groove verliert.

Und das zieht sich durch die gesamte Scheibe: egal mit was sie uns überraschen, es passt generisch zu ihrem Stil & Sound, sei es das Piano, das mehrere und ganz unterschiedliche, eindrucksvolle Auftritte hat, der folkloristische Chorgesang oder hörspielhafte Passagen. Doch die Platte startet erstmal so, wie wir es schon vom Debüt kennen, schnell geblastet und hart gerifft und rausgekotzt, sie sind extrem angepisst beim an Milan Kundera angelehnten ‚Vishedens Ulidelige Lethed’, der „unerträglichen Leichtigkeit der Sicherheit“, noch schlimmer als jemals zuvor, aber machen sofort musikalisch besagten riesigen Sprung, was Komplexität und Eingängigkeit angeht, die Wut ist kunstvoll verpackt, das Piano bringt den Umschwung mit einer nachdenklichen Pause, und Mendels Schwedenstyle-Traumsolo veredelt messerscharf diese Sequenz.
Der erste Höhepunkt einer durchgehend auf hohem Niveau operierenden Platte ist dann ‘Luk Dine Øjne’, das gleich mit Nils Courbarons Solo beginnt, und sich im weiteren mit Stress und Ängsten beschäftigt, dem Hin- und Hergerissen sein zwischen all den Ansprüchen, denen wir heute unterliegen, und vor allem auch dem Fluch und Segen von KI, die uns zwar immer mehr Arbeit abnimmt, jedoch gleichzeitig unser Denken kontrolliert und nach fremden Interessen formt. ‚Kaprede Sind’ ist wieder ein typischer ANGSTSKRÍG-Hassbrocken, der vor allem auf Riffs und natürlich dem gebellten Gesang basiert, doch durch das dissonante Fusion-Solo von Carl Mörner Ringström einen avantgardistischen Touch bekommt. Mit interessanter Rhythmik à la SYSTEM OF A DOWN, spannendem Spiel mit düsteren Atmosphären und viel Groove überzeugt ‚Ulægelige Sår’, noch bedrückender wird es in ‚Enegangens Overlæs’, in dem der Bass, der diesmal deutlich präsenter ist als beim Debüt, die Linie vorgibt, bis das exzellente Schlagzeug wieder die Vorhut übernimmt. Auch der gallige, zornige Gesang bekommt eine noch grössere Bühne als zuvor schon, bis schliesslich der Mitstampfer ‚Uro’ mit seinem 70ies Flair den Sack endgültig zumacht, indem es textlich wie musikalisch eine Panikattacke erlebbar zu machen versucht.

Den aggressiven, kraftvollen und glasklaren, auf die Trademarks Drums und Gesang fokussierten Sound hat abermals Frederik Brandt Jakobsen in seinem Hikikomori Studio gezaubert, das an JONANTHAN HULTĖNs ‚Dark Night Of The Soul’ erinnernde Cover, diesmal jedoch die alles beherrschende Angst darstellend, stammt von NM.AAR.

Mit ihrem Zweitling unterstreichen ANGSTSKRÍG nicht nur ihren Anspruch, der Metalwelt einen neuen, einzigartigen Stil hinzuzufügen, sondern auch wie wichtig es ist, seine Kreativität in jeder Lebenssituation auszuleben – gerade um dem Wahnsinn des modernen Leben etwas zutiefst Menschliches entgegenzusetzen: nämlich die kranken, völlig aus dem Ruder gelaufenen gesellschaftlichen Zustände zu analysieren, sie zu benennen und das alles mit einer guten Prise Humor zu vermitteln. Sie sind die wahren schwarzen Narren unserer Zeit; wem bei ihren Songs das Lachen im Halse steckenbleibt, hat begriffen, dass es dringender denn je ist, unser Leben komplett zu ändern. Mit diesem Soundtrack habt ihr dazu auf jeden Fall die beste denkbare Unterstützung!

Bandinfo:

ANGSTSKRÍG sind ein Gitarrist und Sänger sowie ein Drummer unbekannter Personalia, die seit ihrer Jugend zusammen Musik machen, jedoch erst nun, nach individuellen beruflichen Karrieren, diese gemeinsame Band gegründet haben. Sie kommen aus Kopenhagen, Dänemark.

https://angstskrig.bandcamp.com/album/angstkrig
https://www.facebook.com/angstskrig/
https://www.instagram.com/angstskrigofficial/

Diskographie:

Skyggespil (LP, 2021)
Angstkrig (LP, 2023)

Imagine a blackened sound that claws at your very soul, a powerful, intense, swirling mass of energy emanating from your speakers, like the coming of the Four Horsemen of the Apocalypse heralding the end of the world. Except there’s only two of them, and they hail from Denmark.

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