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Veröffentlichung: 30.04.2023
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Vertrieb: Self-Released
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Versionen: Digital, CD
Stil: So kraftvoller wie ätherischer Doom zwischen Blackgaze und Post-Metal, sie nennen es selbst: Moongaze!
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Natürlich kann sie an keinem anderen Datum herauskommen. Nur eine Platte, die zur Walpurgisnacht erscheint, trägt die volle leidenschaftliche Kraft der selbstbestimmten, visionären, kreativen und ungezähmten Frau in sich und in die Welt hinaus, das weiss Barbara Brawand besser als jede andere, und schenkt uns zum heutigen Jahreskreisfest Beltane, anderthalb Jahre nach ihrem ersten Langspieler ‚Cycles’, eine aktuelle Momentaufnahme zum Status ihrer sich immer weiter entwickelnden und wachsenden Band. „Nur“ drei Songs umfasst ‚Ombreine’, doch was für welche! Ganz klar wird hiermit ein neues Kapitel aufgeschlagen…
…doch bevor wir uns darin vertiefen, wagen wir einen kurzen Blick zurück. War ‚Zessa’, die erste EP, noch ein Solowerk Barbaras mit Unterstützung durch den isländischen Musiker und Komponisten Árni Bergur Zoëga, wirkten an ‚Cycles’ bereits George und Mäsi mit, die Drums wurden damals von DORDEDUHs Andrei Jumuga eingespielt, bis Deniz 2021 als fester Schlagzeuger hinzukam. Der letzte Neuzugang war im vergangenen Jahr Tom Kuzmic (DISPARAGED, AMPUTATE) als weiterer Gitarrist, und in dieser Besetzung ging es an die Aufnahmen der „Schattenkönigin“, wie ich das Wortspiel „Ombreine“ (frz. ombre/reine?) deute. Und es wird tatsächlich deutlich düsterer, musikalisch wie inhaltlich, was nicht nur der Extremmetallerin in mir entgegenkommt, sondern wohl jeder empfindsamen Seele, die in der abgründig dunklen heutigen Zeit versucht, ihre Sinne irgendwie beieinander zu behalten. Denn Barbaras ureigener Stil bietet immer (mindestens…) beide Seiten – Hell und Dunkel, Wahrheit und Trug, Schönheit und Schmerz, Rauhes und Samtiges, und all das fängt die Lauschenden auch diesmal auf und hüllt sie ein auf einer Reise in menschliche Tragik und Abgründe, aber auch zu Beispielen für Resilienz und Standhaftigkeit.
Ein für Soldaten bei Todesstrafe verbotenes Lied…
Womit wir zum „Vreneli“ des ‚Guggisberglied’ kommen, dem wohl ältesten bekannten Schweizer Volkslied, das seit mehr als dreihundert Jahren die Menschen in seinen Bann schlägt. Sie lebte zu einer Zeit, als die rigide hierarchische und religiös bestimmte Gesellschaftsordnung die freie Entfaltung nach eigenem Willen gerade für Frauen nahezu unmöglich machte, was eben auch die Wahl des Ehepartners umfasste – wie es noch heute in vielen Teilen der Welt alltäglich ist. Ihre tragische Liebesgeschichte mit „Hans-Joggeli“ aus ärmlichen Verhältnissen, der nach einem blutigen Kampf mit seinem reichen Nebenbuhler in die Fremde fliehen muss, während Vreneli daheim weiter auf ihn wartet und hofft, zieht Menschen bis heute in ihren Bann – durch ihre eigenartige, schwermütig-dissonante Moll-Melodie voller Sehnsucht und Trauer ist sie zugleich archaisch wie zeitlos, und passt dadurch perfekt zu Barbaras langer künstlerischer Erfahrung mit der Neuinterpretation alter Musik. wazzara konzentrieren sich bei ihrer jenseitig schönen angeschwärzten Doomversion, die sofort als typischer wazzara-Song zwischen emotionaler Schwere und Tiefe und himmelstrebenden Melodien auffällt, ganz auf Vrenelis Erleben, ihre sich stetig wie ein Mühlrad drehende, geduldige und tiefe Liebe, deren Kraft schliesslich doch aufgebraucht ist und sie an gebrochenem Herzen sterben lässt – als das Mühlrad im Text bricht, tut es auch Barbaras Stimme, um die sich auf ‚Ombreine’ wieder alles dreht.
Doch sie hat ja ihren Coven, ihre „Gang“ um sich, die ihr den Raum und die Unterstützung gibt, ihre Ideen, Poesie und Kompositionen zu entfalten. Die Vier gehen diesmal mit ihr unerschrocken in eine bisher unausgelotete Tiefe, die das Wasser –wazzaras Element- eben auch verkörpert, es geht um Themen wie Trauer, Kummer, Eitelkeit, Vergänglichkeit, Übergänge – am Ende um den Tod, womit die EP die mit ‚Zessa’ begonnene Trilogie über das Rad des Lebens abschliesst. Da passt es, wie sich ihre Musik seit dem allerersten Beginn vor fast zehn Jahren von einem fliessenden Neuaufbruch über ein vielseitiges, vom Leben und seinen Anforderungen und Freuden nur so strotzendes Album zu einer selbst-bewussten und souveränen Studie zu Übergang und Endlichkeit entwickelt hat, die all dem damit verbundenen Schmerz eine unbeugsame Kraft, Widerstandsfähigkeit und Lebenslust entgegenstellt. Die Gitarren bauen dem Thema entsprechend blackmetallisch-düstere, flirrende Wände auf, die vom abwechslungsreichen, doomig-rhythmischen Spiel von Bass und Drums gestützt, aber auch einstürzen lassen werden. Tom Kuzmic als neuer zusätzlicher Gitarrist bringt noch mehr Fülle und Platz für Mäsis poetische und gleichzeitig kraftvolle Soli, trägt aber auch eigene, entgegenlaufende Melodieläufe bei, und Deniz schafft es spielerisch, die von Andrei bei ‚Cycles’ extrem hoch gelegte Latte an emotional moduliertem und erzählendem Drumming zu übertreffen, und wieviel Georges zentrierender und ordnender Einfluss Anteil an der Entstehung von ‚Ombreine’ hatte, lässt sich nur erahnen.
…und das Ende einer Trilogie
Barbara singt und spricht abermals in vielerlei Zungen, zwischen denen sie in Sekundenbruchteilen hin-und herwechselt, hat jedoch vor allem den Growlanteil, der die dunkle, auch gewalttätige Seite in uns allen spiegelt, stark erhöht, ‚What Lies Beneath’ zeugt davon, und genauso von der Vergänglichkeit allen Lebens, was sie wiederum mit ihrer ätherischen, sich immer wieder gewollt und sehr charmant überschlagenden Klarstimme ausdrückt, die auch beim schwermütigen, gar resignativen aber auch eigensinnigen ‚Visiûne‘ alles andere überstrahlt, das mit seiner Eingängigkeit und klarem Pop-Appeal echte Hitqualitäten hat. Gerade ihr stimmlicher Ausdruck auf ihren neuen Songs zeugt von einer Entwicklung und Reife, die sie noch mehr in ihre eigene Kraft hat kommen lassen, wazzara bekommt ihr offensichtlich sehr gut, ist ganz eindeutig ihr persönliches schöpferisches Ventil und mittlerweile auch eine Spielwiese ihrer Imagination, die sie für die Themen nutzt, die ihr am Herzen liegen, aber eben auch die Welt beschäftigen. Wenn sie so weitermacht, ihre innere Quelle frei sprudeln lässt, steht ihr und wazzara – mit der entsprechenden Unterstützung des Publikums – die Zukunft weit offen, ich zumindest bin schon jetzt total ungeduldig, was ein neues Album betrifft…
Der Sound, der bei wazzara schon immer von der Vielschichtigkeit der Arrangements sowie der Virtuosität der MusikerInnen lebt, hat vom neuen, umfassenderen Bandgefüge nochmals enorm profitiert, doch auch Andy Rosczyks Zaubermix hat eine deutliche Dosis zusätzlicher Atmosphäre und Vielschichtigkeit bei exakter Betonung der jeweils agierenden Protagonisten eingebracht. Gemastered wurde ‚Ombreine’ wie immer von Jonas Ekström, und um all die an der Produktion beteiligten Soundwizards entsprechend entlohnen zu können, hatten wazzara wieder eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne aufgesetzt. Es ist sicher lohnend, doch eben auch anstrengend, alles selbst in der Hand zu haben – doch wenn nach diesem Statement von EP kein Label auf die Zürcher zukommt, verstehe ich die Musikwelt endgültig nicht mehr.
Die sich stetig wandelnden WAZZARA haben sich als Quintett gefunden, ein nochmal höheres kreatives Level erreicht und damit ein neues Kapitel ihrer Karriere aufgeschlagen – und zwar mit einem Knall! Sie verwirklichen etwas, das in unserer Kultur jahrtausendelang fehlte: die Männer ermöglichen einer Frau, ihre Magie zu wirken, halten ihr mit ihrer Kraft und Expertise den Raum dafür und erfahren dabei gleichzeitig eine Verstärkung ihrer eigenen Kreativität – alle profitieren hörbar von dem, was sie in das gemeinsame Werk einbringen, und das Ergebnis klingt ganz und gar eigenständig und mit keiner anderen Band zu vergleichen. Hier wird weibliche Urkraft in Verbindung mit männlicher Ausdauer poetisch vertont und erzeugt eine berauschende Erfahrung für alle Sinne. Wer noch einen Energieschub für den kommenden Frühling und damit den neuen Start des Jahresrades braucht – hier ist er!
Bandinfo:
wazzara sind Barbara Brawand (Music, Lyrics, Vocals, Guitar), George Necola (Bass), Mäsi Stettler (Lead Guitar), Deniz Lebovci (Drums) und Tom Kuzmic (Guitar).
https://wazzara.com/
wazzara.bandcamp.com
facebook.com/wazzaraofficial
instagram.com/wazzara_official
youtube.com/@wazzara
Diskographie:
Zessa (EP, 2019)
Cycles (LP, 2021) – zum Review
Ombreine (EP, 2023)
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