SØSTRE – s/t

Stil: Black’n’Roll mit viel Drive, Phantasie und musikalischem Anspruch aus „Bergen Punkrock City“

Das sogenannte moderne Leben auf diesem Planeten voller Irrer ist kein Spass, und kann einer schon mal ein apokalyptisches Seelentief inklusive totalem Rückzug aus dem ganzen Wahnsinn verschaffen. Absolut verständlich, oder? Und entsprechend düstere Musik kann dann dabei helfen, etwas Abstand zum ganz normalen Wahnsinn zu bekommen. Doch auch der grösste schwarzmetallische Misanthrop und Griesgram, der nerdigste Psychedelic-Progster oder der superXstraightedge Punk brauchen ab und zu etwas Spass durch einen gewaltigen musikalischen Arschtritt, um aus ihren Gedankenschleifen heraus zu kommen und wieder geerdet, happy und verschwitzt zusammen mit anderen am Leben teilzunehmen, aka es so anarchisch und fröhlich wie nur möglich zu feiern.

Den perfekten Soundtrack dazu liefert eine neue Band aus dem norwegischen Bergen, das zwar eher für folkloristisch angehauchten Black Metal bekannt ist, aber eben auch eine „Punkrock City“ mit einer extrem aktiven Szene ist. Die vier Schwestern (=“Søstre“) sind zwar allesamt männlich, etwas Spielerisches, Tanzendes, Neugieriges geht ihnen jedoch bei aller Härte nie ab, sie schwelgen thematisch in schwarzer Magie und SciFi, Ritualen und Philosophie, Schlangen und explodierenden Monden, Schwerelosigkeit und Bewusstseinserweiterung, und beweisen auch musikalisch sehr viel blühende Phantasie.

Auf den ersten Blick setzt sich ihr künftiges Stammpublikum aus KVELERTAK-, TURBONEGRO- und MIDNIGHT-Fans zusammen, doch das Debüt bietet noch weitaus mehr Musikhungrigen Futter und öffnet das Genre in völlig neue ausserweltliche Sphären, denn obwohl es sich hier ganz klar um den bewährten Skandi-Black’n’Roll handelt, ist dieser im Fall SØSTREs mit teils durchaus exotischen und genreuntypischen Zutaten gepimpt, und setzt sich daher deutlich von ihren etablierteren Mitstreitern ab. Zuerst fällt jedoch auf, dass das BLACK hier wirklich GROSS geschrieben wird was düstere Stimmung, fiese Vocals und repetitives Riffing angeht, (Skate-)Punk dagegen das verlässliche Rückgrat bildet, auf dem die Bergener abgehen. Die Geschwindigkeit ist fast durchgehend hoch, das Schlagzeug bohrt sich messerscharf und schweisstreibend ins Ohr, dazu kommt der dreckig und gefährlich geshoutete Gesang und beide zusammen zelebrieren eine Aggression, die nicht um ihretwillen zur Schau gestellt wird, sondern der Motor ist, der die Songs antreibt, sie immer wieder in unendliche, spacige Höhen dreht, bis zum Raketenstart (‚Fucking Lift-Off’), und hier kommt die erste genrefremde Ingredienz ins Spiel, der sehr grosszügige Schuss Stoner-Doom und Psychedelic, den die Gitarren in unendlichen Umdrehungen immer mehr feiern und auskosten.

Vielschichtige Riff-Wiederholung funktioniert hier nicht linear, sondern zirkulär, spiralig, und genau das macht die hypnotische Wirkung (‚Flokken’) von SØSTRE aus: sie schaffen es ganz spielerisch, den straighten Vorwärtsdrang in ein Wirbeln zu verwandeln, eben wie bei einem Stunt in der Halfpipe, bei dem man hier jedoch statt wieder zu landen direkt ins Weltall abhebt – für die Bergener DER Sehnsuchtsort, direkt nach der eigenen Seele (siehe das komplexe ‚Psykonaut’). Deren Untiefen und Widersprüche benötigen eine analytischere Herangehensweise, und so kommt die Progressivität ins Spiel, teils mit jazzigen Crossovers, dann wieder mit Tech-Death-Einflüssen, die Single ‚Kausalitet’ erzählt davon und auch ‚Ensomt Rite’ mit seinen gebrochenen, komplexen Stop-and-Go-Rhythmen. Doch auch in der wildesten, mäandernden Improvisation groovt und rockt das Quartett aus Bergen, ohne jemals seinen roten Faden zu verlieren, und wenn es zu kompliziert wird, holt uns des Sängers dreckiges Lachen (‚Jernskogmøy’) immer wieder auf den Boden zurück, und grossartige, thrashiges Riffing und sogar klassische Twingitarren-Melodien schmeicheln den Ohren, wie es bei meinem Favorit ‚Hagen er i Skyggen’ (hört allein die letzte Minute!) immer wieder passiert. Gerade diese Souveränität und Spielfreude, mit der so viele unterschiedliche Elemente zu einem stets runden und mitreissenden Ganzen verbunden werden, zeigt dass SØSTRE keine Anfänger sind, jeder ist nicht nur an seinem Instrument ein Könner, doch vor allem das eigenwillige, stringente und doch sehr vielseitige Songwriting beweist dies. Hinzu kommt ein exzellenter transparenter Sound mit deutlichem Fokus darauf, den jeweiligen Akteur aus der Vielschichtigkeit der Zutaten herauszuheben, ohne die hypnotische Wirkung des Zusammenspiels zu Vernachlässigen.

All dies mündet in ein Debüt, dass das Quartett eigentlich von Null auf AOTY-Liste katapultieren müsste, und da seid nun auch ihr gefragt, dieser Hammerband die nötige Aufmerksamkeit in der schier unendlichen Masse an Neuveröffentlichungen zu verschaffen. Zuvor ist es jedoch die perfekte Sommer-, Festival- und Partyplatte, bei der wirklich allen das Tanzbein genauso jucken wird wie die Jubelfaust. Versprochen!

Bandinfo:

SØSTRE sind vier nicht näher bekannte Herren in Skatershirts aus Bergen, Norwegen.

https://www.facebook.com/sostre.official
https://www.instagram.com/sostre.official/

Diskographie:

Mørk Masse (EP, 2018)
Kausalitet (EP, 2023)
Søstre (LP, 2023)

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