Gleich zwei Church Of Ra-Bands live bei einer Clubshow = Pflichtprogramm!
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Bands der Church Of Ra sind per (Selbst-)Definition emotional extrem intensiv, und für ihre Liveauftritte gilt dies nochmals mehr. Und wenn gleich zwei der flämischen Formationen, die sowieso untereinander vielerlei personelle Überschneidungen haben und ein gemeinsames künstlerisches Ethos teilen, zusammen auftreten, sind Gänsehaut und Katharsis garantiert, egal welcher Stilart innerhalb des Kollektivs man selbst mehr zugeneigt ist. Heute in Karlsruhe sind es die minimalistischen Blackmetaller WIEGEDOOD sowie der C.O.R.-Nukleus AMENRA mit seiner hochästhetischen Postrock-Variante, die diesen Abend zu einem ganzheitlichen, Körper und Seele reinigenden Ereignis machen werden.
Beide Bands haben mit ihren jeweils letzten Alben Konzeptreihen abgeschlossen, auf WIEGEDOODs die ‚De Doden Hebben Het Goed’-Trilogie folgte Anfang diesen Jahres die extrem heftige ‘There’s Always Blood At The End Of The Road’, AMENRA hatten im Jahr zuvor nach sechs ‚Mass’-Kapiteln ‚De Doorn’ vorgelegt. Da bietet es sich an zu touren, doch es steht noch viel mehr dahinter: nach den vergangenen Jahren und all dem, was auf die Pandemie folgte oder in ihrem Windschatten sichtbar wurde, brauchen alle, wirklich alle Beteiligten, also Musiker, Crew, Veranstalter wie Fans endlich wieder tiefe Erlebnisse, gemeinsame Stunden, in denen wechselseitig die Akkus zumindest für eine Weile wieder aufgeladen werden können, und wenig bietet sich hierfür mehr an als ein AMENRA-Liveauftritt, bei dem sich, um Veranstalter Chris Marmann zu zitieren, „Unbeschreibliche Energie sich Bahn [bricht]– gefolgt von Insichgekehrtsein und Fragilität, um dann wie eine Dampfwalze langsam zu implodieren“.
Wie viele sich genau danach sehnen zeigt sich schon draussen vor dem P8, es ist voll, das Publikum schwarz gemischt, man sieht viele AMENRA-Shirts, und die Band sitzt mitten im Biergarten entspannt mit Kaltgetränken am Tisch. Noch vor ein paar Wochen sah das mit dem Zuschauerandrang noch ganz anders aus, durch Festivals haben sich die Leute glücklicherweise wieder an Konzertbesucht gewöhnt, und solch einen Leckerbissen lässt man sich eben auch nicht entgehen, selbst wenn es draussen immer noch fast 30 Grad hat. Entsprechend heiss ist es später auch auf der Bühne, doch auch im Zuschauerraum ist Mitgehen deutlich wichtiger als trocken bleiben, der Schweiss fliesst und spritzt daher in Bächen bei beiden Auftritten. Es muss doch einiges dran sein an der Sehnsucht nach Rückverbindung bei den Leuten, nach Re-ligio, sei es mit Seinesgleichen, den eigenen spirituellen Wurzeln, einem höheren Sinn im Leben, stärkerer moralisch-ethischer Anbindung oder der Natur mit ihren Zyklen, und all das wird in den Ritualen der Belgier, wenn man mag eben auch körperlich, zelebriert. Eine streng und ästhetisch perfektionierte Messe aus wogender bis explosiver Musik, dazu abgestimmtem Lichtspiel und vor allem intensivsten Emotionen.
Doch zuerst ist der heutige Special Guest dran. Und die dunkle Seite der Macht ist stark in WIEGEDOOD, gerade ihr aktuelles Album ist ein Abgrund der Verzweiflung, brutal in seiner Gnadenlosigkeit dem Hörer gegenüber, der mit fast durchgehenden 45 Minuten ultrabrachialem Geknüppel und Keifen konfrontiert wird, nur gelegentlich von melancholischen Gitarrenmelodien und Samples unterbrochen. Düsterster Black Metal, in traditioneller Zweite Welle-Machart, doch gleichzeitig ganz modern in Sound und Wirkung. Die beiden Gitarren von OATHBREAKERs Gilles Demolder und Sänger Levy Seynaeve, Ex-Basser von AMENRA, weben ein flirrendes pechschwarzes Netz, das uns permanent mit Bleigewichten unter Wasser zieht und nur selten nach Luft schnappen lässt, die ständigen Blastbeats von Wim Coppers treiben das irre Geschehen rastlos nach vorne – wer sich gegen den Strom stellt, hat sofort verloren, hier zählt nur loslassen und sich hingeben. Denn dann merkt man erst, wieviel Schönheit in diesem fein geklöppelten Gewebe steckt, wieviele Schichten sich hier zu einem Ganzen zusammenfügen, und auch, dass Seynaeve nun auch beeindruckenden Kehlkopfgesang draufhat. Um das Ganze etwas aufzulockern, werden auch ältere Stücke dazwischengestreut, eine wahre Erholung, wenn man ihre Strukturen wiedererkennt in all dem dissonanten Chaos. WIEGEDOOD und FUNERAL MIST, das ergäbe eine Konzertpaarung, die tatsächlich die Spreu im Publikum vom Weizen trennen würde… auch nach dieser Stunde hier im P8 bleiben wir wieder einmal atem- und sprachlos zurück. Durchatmen tut nicht nur wegen der Hitze not, die Intensität des Auftritts muss erstmal verdaut werden. Also raus, Luft schnappen und mit mindestens einem Kaltgetränk für Isotonie gesorgt!
Setlist WIEGEDOOD:
- FN SCAR 16 (TABATEOTR… almost completely performed)
- And in Old Salamano’s Room, the Dog Whimpered Softly
- Until It Is Not
- Ontzieling (DDHHG II)
- De Doden Hebben Het Goed II (DDHHG II)
- Noblesse Oblige Richesse Oblige
- Now Will Always Be
- Nuages
- Carousel
Die Pause tut gut, auch weil man endlich wieder mit Freunden quatschen und fachsimpeln kann. Konzerte sind einfach viel mehr als nur Livemusikgenuss, sie sind herzerwärmende, ja lebensnotwendige soziokulturelle Happenings, selten wurde dies deutlicher als in den stillen, isolierten und damit auch innerlich kalten vergangenen Jahren, in denen sie so selten waren. Menschen, die zusammenkommen um Musik zu machen oder gemeinsam live zu geniessen, setzen auch der zunehmenden sozialen Kälte etwas entgegen, und ziehen erst recht nicht in einen Krieg…
Doch genug philosophiert, denn mit AMENRA geht es jetzt sofort ins Land der extremen Kontraste und des synaesthetischen Gesamtkunstwerkes, die Bühne ist nur durch wechselnde schwarzweisse Projektionen beleuchtet, der visuelle Anteil des Auftritts hat fast ebenso grosse Bedeutung wie die Musik der Westflandern, die uns heute einen Mix aus allen Schaffensperioden darbieten. Colin H. van Eeckhout, Sänger und in seiner gequälten und gleichzeitig rastlosen wie gummiartigen Beweglichkeit Epizentrum der Band, beginnt wie üblich mit dem Rücken zum Publikum zu singen, dreht sich jedoch recht schnell schon zu uns um, nimmt distanten Kontakt mit dem Publikum auf, was nicht heissen soll das er in irgendeine Interaktion geht, das ist bei C.O.R.-Bands nicht üblich, die sind völlig mit sich selbst beschäftigt, synchron bangend oder stillstehend. Und doch ist dies einer der, wenn man das überhaupt so sagen kann, leichteren, lichteren Auftritte von AMENRA, die gesamte Stimmung ist weniger herunterziehend, verzweifelt und düster wie sonst, dabei trotzdem fesselnd und gleichzeitig befreiend.
Es ist eine Messe alter Art, die hier zelebriert wird, zu der wir uns heute versammelt haben, eine aus der Zeit als sich die Gläubigen noch selbst mit Dornbüscheln geisselten, um Gott, um der Erlösung durch Qual, Schmerz und auch Selbstbestrafung näher zu kommen. Sich selbst wieder zu fühlen, in den eigenen Körper zurückzukommen in einer Welt, die ein einziger Overkill an Sinneseindrücken, tausenderlei Ablenkungen und ständiger Anforderungen geworden ist, kann wohl heute als Motivation angesehen werden, freiwillig diesen Leidensweg mitzugehen. Es ist ein headbangendes Glaubensbekenntnis an die Kraft der Monotonie der ultratiefen Riffs der beiden Gitarristen Mathieu Vandekerckhove und Lennart Bossu, den Sog der ewigen Repetition und an die sanfte Zerbrechlichkeit intimer, ruhiger Momente, die sich im wortlosen Dialog von Vandekerckhove und van Eeckhout entwickeln, dann, wenn die Bühne stockdunkel ist, und der Gesang nicht mehr kreischend geschrieen, sondern sehnsüchtig und voller Trauer gehaucht, fast geweint wird. AMENRA, das ist, wenn selbst Noten, einzelne Gitarrenanschläge einsam und verloren sind, durch den Raum schweben und verhallen. Das völlige Zurückgeworfensein auf das eigene, nichtige Leben. Musikalischer Existentialismus, herausfordernd und tranceerzeugend zugleich, mit dem einzigen Ziel der Katharsis.
Es fällt schwer, solch Geschehen objektiv zu betrachten, denn hier regiert allein Emotion. Löst man sich, wird deutlich, dass auch die Rhythmusfraktion aus Kraftschlagzeuger Bjorn Lebon und dem neuen Bassisten Tim De Gieter schon perfekt aufeinander eingespielt ist, so wie generell jegliches Detail des Auftritts sitzt. Natürlich werden die ersten Töne der Post-Metal-Hymne ‚A Solitary Reign’ mit Begeisterungsrufen quittiert, das Publikum wogt mit der Band in diesem traumartigen Trademarksong, der wie immer von Ausschnitten des dazugehörigen Videos illuminiert wird und die starken Gegensätze, das feierlich Rituelle, den ständigen Wechsel zwischen tief meditativen, die Stille erforschenden Passagen und plötzlichen Explosionen heftigster Schwere, die AMENRAs Musik ausmachen, auf die Spitze treibt. Hier kann sich Schmerz wandeln, die gequälte Seele Ruhe finden indem sie wieder und wieder alle Tortur herausschreit und wieder zurück zu sich selbst kommt. Man kann der Band nur danken, dass sie diese Aufgabe stellvertretend für uns Zuhörer übernimmt, und ihr mit unserem Mitgehen und Applaus etwas Energie dafür zurückgeben.
Der Querschnitt durch die vielleicht kontrastreichsten Stücke der Band endet nach dem nächsten Song wie üblich abrupt, wir sind nun wieder auf uns selbst gestellt. Alles zurück auf Anfang also? Nein, wir sind erneuert:
“The Pain. It Is Shapeless. We Are Your Shapeless Pain.”
Setlist AMENRA:
- The Pain. It Is Shapeless. We Are Your Shapeless Pain. (Mass III)
- Razoreater (Mass IIII)
- Plus près de toi (Closer to You) (Mass VI)
- De evenmens (De Doorn)
- Terziele / Tottedood (Mass IIII)
- Am Kreuz (Mass III)
- A Solitary Reign (Mass VI)
- Diaken (Mass VI)
Bandinfos:
https://www.wiegedood.com
https://www.facebook.com/wiegedood
https://www.instagram.com/wiegedood_official/
http://www.churchofra.com/
https://amenra-official.tumblr.com/
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https://www.instagram.com/Amenra_official/