METAL, MACHT, MISOGYNIE – im Lichte der Diskussion zur Causa RAMMSTEIN – Teil III

Teil III – Sexismus im Rock und Metal – a.k.a. ‚Woman, be my Slave‘?

„There’s a lot of sexism in rock & roll actually, that’s why there aren’t more girl bands. Because there’s certainly a lot of resentment among the tight trouser brigade … I don’t know why, but they do see it as a threat. I don’t have that attitude … so I really don’t understand it.“

Lemmy Kilmister, 1992

Ich gebe es zu, ich habe mich total verschätzt, was das Thema „Sexismus in der Rockmusik“ angeht, und zwar nicht nur wegen dem extremen Ausmaß an Misogynie auf sämtlichen Ebenen im Musikbusiness wie auch generell in der Popkultur. Zwar gab es hier bisher noch kein echtes #metoo wie seit 2017 in der Filmindustrie, doch immer wieder outen sich auch prominente Frauen wie zB Lady Gaga als „Rape Survivor“, das Thema ist schon lange unterschwellig am Brodeln. Da mir bewusst war, dass allein die dahinterstehenden gesellschaftspolitischen Fakten zwar sehr schwer wiegen, aber zu wenig bekannt sind, habe ich in Teil I alltägliche Gewalt gegen Frauen und Teil II speziell Sexismus und sexualisierte Gewalt, denen Frauen in männlich dominierten Gesellschaften ausgesetzt sind, entsprechend ausführlich behandelt – wer also erst hier einsteigt, sollte sich zum besseren Verständnis zuvor dort mit den erschreckenden Zahlen und Fakten auseinandersetzen, die zeigen, wie fatal sich hegemoniale Männlichkeit auch in unserer scheinbar so aufgeklärten Gesellschaft immer noch auf das Leben von Frauen und nicht-binären Menschen, die ich hier stets genauso miteinbeziehe, auswirkt.

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Doch nicht nur, weil es ein so vielschichtiger und unübersichtlicher Themenkomplex ist, tue ich mich so schwer, den Sexismus im harten Rock aus rein professioneller Distanz zu untersuchen, denn es betrifft mich selbst, ich muss selbstkritisch mein eigenes Verhalten damals als junger weiblicher Metalhead betrachten, und zugeben, dass ich sogar heute noch immer wieder über Dinge hinwegsehe, die ich im Berufs- und Privatleben so nicht akzeptiere. Manchmal habe auch ich immer noch einen blinden Fleck, wenn es um das Erkennen und Benennen von Sexismus in der Szene geht – einfach weil er so alltäglich und „normal“ scheint, dass kaum jemand noch darüber nachdenkt, weil er verdeckt bis positiv verpackt wird à la „Female Fronted“ oder weil das Empfinden von Frauen diesbezüglich, auch von anderen Frauen, gern als übertrieben angesehen und infrage gestellt wird: „Ach komm, stell dich nicht so an, das war doch schon immer so!“, was ja nie ein Argument ist und an sich schon übergriffig, aber – war es das tatsächlich? Und falls ja, wie zur Hölle kam es so weit, dass Frauen in der Rockmusik bis heute in der Minderheit und damit Exotinnen sind? Wie kam es verdammt nochmal soweit, dass Rock/Popstars jahrzehntelang mit sexualisierter Gewalt, auch gegenüber Minderjährigen, davonkamen und es nicht einmal ihren Ruf oder ihre Plattenverkäufe schädigte?? Und wie kam es in drei Teufels Namen soweit, dass Frauen in der Szene bis heute oft nicht richtig dazugehören, weil mann ihnen die Fähigkeiten und „Credibility“ abspricht??? Die Thematik wird nochmal komplexer, es menschelt allerorten, der Text wird lang und um den roten Faden nicht zu verlieren, hilft nur Reduktion. Im Folgenden soll daher exemplarisch an drei ausgewählten Beispielen aus dem Livesektor beleuchtet werden, in welchen Rollen Frauen im Rock und Metal Sexismus regelmässig begegnen kann: als Musikerinnen auf der Bühne, als Fans oder Groupies hinter der Bühne, sowie als weibliche Metalheads unterwegs in der Szene. Natürlich deckt das bei weitem nicht die gesamte Tragweite des Problems ab, daher schauen wir uns zuerst nochmal genauer an, was Sexismus eigentlich bedeutet und wo er auftritt, um ihn leichter zu erkennen und besser gegen ihn vorgehen zu können:

SEXISMUS
… bezeichnet die Diskriminierung von Menschen aufgrund des Geschlechts – ihre Be-/ oder Abwertung, Benachteiligung oder auch Bevorzugung oder das Aufrechterhalten des ungleichen Status der Geschlechter in der Gesellschaft. Sexismus kann sich gegen alle Geschlechter richten, überproportional betroffen sind jedoch Mädchen und Frauen sowie Personen, die sich nicht heteronormativen, zweigeschlechtlichen Vorstellungen von Geschlecht zuordnen lassen. In einer männlich dominierten Gesellschaft zeigt sich Sexismus vor allem in der Abwertung und Marginalisierung von Frauen, Trans Personen und Weiblichkeit im Allgemeinen. (Cis-)Männlichkeit wird hier als Norm verstanden, an der alles gemessen wird.
Er begründet sich aus Stereotypen und Rollenbildern darüber, wie Menschen aufgrund ihres Geschlechts „zu sein haben“. Die Wurzeln hinter diesen Geschlechterstereotypen sind Annahmen darüber, dass Geschlechter in einem hierarchischen Verhältnis zueinanderstehen (dem Patriarchat…) und Männlichkeit das überlegene Geschlecht sei, zum Beispiel: „Männer sind stark“, „Frauen sind harmoniebedürftig“. Mit diesen Rollenbildern wird jeder Mensch schon früh in der Kindheit konfrontiert und verinnerlicht sie als gelernte Annahmen über Geschlecht, glücklicherweise beginnt sich hier langsam in Erziehung und Pädagogik etwas zu ändern.

Sexismus tritt in verschiedenen Formen auf. Auf der zwischenmenschlichen Ebene beschreibt Sexismus die Äußerung von sexistischen Einstellungen durch Worte oder Handlungen wie die zur Schau gestellte Ablehnung von Gleichberechtigung, durch Aussagen auf Basis stereotypischer Rollenzuschreibungen:
„Frauen sollen zurück an den Herd, nicht in den Vorstand!“ oder „Warum beantragen Sie Elternzeit, Sie sind doch ein Mann? Wo ist Ihre Frau?“

Oft ist der sexistische Gehalt einer Äußerung jedoch nicht so leicht zu erkennen, etwa wenn die Diskriminierung von Frauen pauschal geleugnet wird oder wenn Maßnahmen zum Abbau von Ungleichheiten zwischen Geschlechtern abgelehnt oder bagatellisiert werden. Generell fand hier zuletzt ein Wandel statt vom Ausdruck offener sexistischer Einstellungen hin zu mehr subtilen und versteckten Formen der Diskriminierung. Im breiten Spektrum sexistischer Einstellungen und Verhaltensweisen stellt die sexuelle Belästigung eine besonders verletzende und herabwürdigende Ausprägung von Sexismus dar.

Viele verbinden Sexismus mit den Hashtags #MeToo und #Aufschrei. Das „Me Too Movement“ ist eine soziale Bewegung gegen sexuellen Missbrauch, sexuelle Belästigung und „Rape Culture“.  #MeToo wurde ab 2017 im Zusammenhang des Bekanntwerdens sexueller Übergriffe und Skandale rund um prominente Persönlichkeiten benutzt, um in den sozialen Medien auf die allgegenwärtigen Erfahrungen mit Alltagssexismus und sexueller Belästigung aufmerksam zu machen, indem sie unter diesem Hashtag veröffentlicht wurden. Seitdem trauen sich immer mehr Opfer öffentlich zu machen, was ihnen angetan wurde – #metoo hat damit erfolgreich einen Stein ins Rollen gebracht, der die Gesellschaft noch lange beschäftigen wird, Wegschauen ist nicht mehr so einfach möglich wie es zuvor war.

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#MusicMeToo
Nach den Vorwürfen gegen Till Lindemann haben sich vor kurzem in Deutschland AktivistInnen von #Deutschrapmetoo mit anderen Initiativen zusammengetan und #MusicMeToo gegründet, möglicherweise gerade angesichts der Tatsache, dass sich aus dem betroffenen Musikbusiness bisher so gut wie niemand zum Thema äusserte. Die neue Plattform bietet die Möglichkeit, eigene Sexismus- und sexualisierte Gewalterfahrungen in der Musikindustrie öffentlich und anonym zu teilen, hier kann mann sie nachlesen. Vor allem soll #MusicMeToo zeigen, wie groß und normalisiert das Ausmaß sexualisierter Übergriffe in der Branche generell ist (von den „Fuck Lines“ vor den Tourbussen und dem „Row Zero“-Casting über mangelnde Unterstützung und Herunterspielen von Grenzüberschreitungen von Agentinnen, Bühnenarbeiterinnen und Tontechnikerinnen uvm durch Vorgesetzte und Kollegen bis hin zur ständigen Anmache überall im männerdominierten Musicbiz), und dass dahinter keine Einzelfälle, sondern tief verwurzelte Strukturen stehen. Auch strukturelleUngleichbehandlung, prekäre Arbeitsplätze und fehlende Transparenz sollen angegangen werden, sowohl die Musikbranche selbst als auch die Politik sind dafür gefordert. (Ein interessantes Interview mit einer der Gründerinnen gibt es hier)
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Wie jede andere Form der Diskriminierung kann auch Sexismus eine strukturelle Dimension haben. Struktureller Sexismus beschreibt die Benachteiligung von Frauen, nicht-binären, inter- und trans Personen aufgrund der Organisation unserer Gesellschaft und ihrer Institutionen, Beispiele sind die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen oder die geringe Zahl von Frauen in Führungspositionen, da sie als weniger kompetent für Führungsaufgaben wahrgenommen werden. Gerade hier gibt es gesellschaftliche Veränderung, aber sie ist – da historisch gewachsen – langsam und mühselig, und muss immer wieder neu angegangen werden.

Sogenannter Alltagssexismus beschreibt die Tatsache, dass Sexismus fast beiläufig, subtil unser Verhalten und unsere Beziehungen prägt, da er als gesellschaftliche Norm akzeptiert ist. Einzelne Vorfälle von Sexismus mögen harmlos erscheinen, aber sie erschaffen eine Atmosphäre der Einschüchterung, Angst und Unsicherheit. Dies führt zur Akzeptanz von Gewalt, meist gegen Frauen und Mädchen.
Sexismus kann nicht losgelöst von anderen Diskriminierungsformen betrachtet werden. Frauen, die von Sexismus und und gleichzeitig von zB Rassismus oder Ableismus betroffen sind, werden anders – meist stärker – diskriminiert als Frauen, die „nur“ Sexismus erfahren. Auf dieses Phänomen sich überlagernder Diskriminierungsformen verweisen die Begriffe „intersektionale Diskriminierung“ oder „Mehrfachdiskriminierung“.

Im Kulturbetrieb, der vor allem durch die #metoo-Debatte seine Strukturen überprüft und teilweise offengelegt hat, zeigt sich Sexismus bespielsweise in der Tatsache, dass Schauspielerinnen in Deutschland 46% weniger verdienen als Schauspieler, Theater- oder Filmproduktionen meist von (Cis-)Männern geleitet werden und das Arbeitsverhältnis zudem oft stark hierarchisch strukturiert ist, was es leicht macht, die abhängige Position von Frauen auszunutzen, die sich beispielsweise nicht den möglicherweise sexistischen Regieanweisungen fügen.
In der Kunstwelt ist bekannt, dass weitaus mehr Bilder von Malerinnen in Archiven stehen als ausgestellt sind. Die „Guerilla-Girls“ prangerten diese Abwesenheit von Künstlerinnen in den Ausstellungen der Museen an: „Do women have to be naked, to get into the Met. museum? Less than 5% in the Modern Art sections are women, but 85% of the nudes are female“.
Im Musikbusiness sieht es ähnlich aus, wie ein aktueller Review aus UK (McCarry et al, 2023) zusammenfasst: „There are endemic levels of sexual harassment and sexualised violence within the music industry that can be described as widespread, systemic and normalised … historical and entrenched misogyny and sexism along with the lack of regulation, process and governing frameworks create conditions for both the maintenance of gender inequality and the perpetuation of sexual harassment and sexualised violence within the music industry“. Gerade der Livemusik-Sektor sei dabei prädestiniert für sexualisierte Übergriffe, und fast die Hälfte der MusikerInnen als auch Beschäftigten im Veranstaltungssektor (darunter je nach Umfrage bis zu 96% der Frauen) geben an, Zeugen oder Betroffene sexualisierten Missbrauchs gewesen zu sein. Trotzdem meldet nur die geringste Zahl Betroffener den Übergriff – über 85% schweigen. Warum? Sie finden keine Unterstützung bei Vorgesetzen und Kollegen: „Research has found widespread tolerance of sexual harassment within the music industries, which is reflected by incidences of victim-blaming and colleagues supporting the perpetrators. Event staff, including promoters, security and bands, have been found to trivialise reports of sexual harassment and are also perpetrators themselves. Bystander silence contributes to the continuation of male hegemony and normalisation of the widespread sexual harassment within the music industries“.

(Quellen u.a.: Bündnis ”Gemeinsam gegen Sexismus“ https://www.gemeinsam-gegen-sexismus.de; https://diversity-arts-culture.berlin/woerterbuch/sexismus; https://www.musicmetoo.de/; McCarry et al (2023): The sound of misogyny: sexual harassment and sexual violence in the music industry)

Harter Rock und Metal ist mehr als andere Genres noch immer eine vorwiegend männliche Domäne, ein „Boys Club“, und wer hier dazugehören will, muss so manche misogyne Kröte schlucken – auch wenn sich die Metalszene selbst als besonders offen und inklusiv ansieht und viele Individuen darin dies tatsächlich auch sind, die allmählich steigende Zahl an Musikerinnen und Frauenbands bestätigt dies. Doch auch Metaller sind Männer, die in einer patriarchalen Gesellschaft aufgewachsen sind und deren Normen verinnerlicht haben, sie haben auf dieser Basis eine mittlerweile immerhin über ein halbes Jahrzehnt überdauernde Subkultur aufgebaut und sich selbst darin einige Konformitätsregeln gegeben, die sie wiederum gegen Outsider abgrenzt: mann bleibt hier gerne unter seinesgleichen, zusammengehalten von Gefühlen der Kameradschaft und Solidarität, spielt und geniesst Musik, fachsimpelt darüber und feiert. Wer dazukommen will, muss ihre Regeln akzeptieren, um mitspielen zu dürfen, und diese können liberal oder auch extrem restriktiv ausgelegt werden. Während beispielweise im Punk grundlegende Werte als Basis und Verhaltenskodex der Szene gelten, ist dies im Metal, der sich als unpolitisch ansieht, deutlich geringer ausgeprägt.

Für die einen könnten gerne deutlich mehr Frauen im Metal aktiv sein, die anderen sind froh, zumindest hier einen Raum nur für sich zu haben. Umgekehrt fühlen sich viele Frauen als Fans sehr wohl in der Szene und keineswegs benachteiligt, während immer mehr andere, vor allem Musikerinnen, Agentinnen, Veranstalterinnen, Tontechnikerinnen, Crew und all die anderen Frauen, die von ihrer Arbeit in der Branche leben, ihrem Unmut über Ungleichbehandlung und Belästigung Luft machen. Ungleichbehandlung besteht vor allem darin, dass sie nicht ernst genommen werden, bevormundet, seltener gebucht und auch schlechter bezahlt werden. Betrachtet man Livekonzerte, ist in manchen Genres bis heute das Geschlechterverhältnis im Publikum wie auf der Bühne >80% oder sogar noch deutlich mehr Männer, und anwesende Frauen dann häufig Partnerinnen, deren eigener Fanstatus wiederum gerne angezweifelt wird, sie werden als Anhängsel angesehen; für Frauen als Fans ist immer noch vielfach der Groupiestatus reserviert. Auf ein Metalfestival zu gehen ist für Frauen zwar deutlich angenehmer im Vergleich zum Mainstreamangebot, was Anmache, sexualisierte Belästigung und Übergriffigkeit angeht, weil für Metalfans tatsächlich die Musik die Hauptrolle spielt (traurige Ausnahmen bestätigen die Regel, das Bråvalla Festival, Schwedens Branchenführer, wurde wegen steigender Vergewaltigungszahlen nach 2017 ganz aufgegeben), gleichzeitig werden weibliche Fans hier jedoch ständig mit Machismen und extrem frauenverachtenden Lyrics und Gewaltdarstellungen auf Covern und Merch konfrontiert, und um überhaupt als Fans akzeptiert zu werden, müssen sie sich erstmal durch besonders gute Sachkenntnis gegenüber den Gatekeepern des wahren Metal beweisen – am besten gehen sie auch in den Pit, um ihre Credibility zu beweisen; Musikerinnen müssen entsprechend mindestens doppelt so gut (-aussehend) wie Männer sein, um anerkannt und in absolut männerlastigen Lineups für Auftritte gebucht zu werden – und werden dann gerne gefragt, wie es für sie „als Frau“ (nicht als Musikerin!) so sei, hier zu spielen?

Wie lässt sich all diese Ambivalenz erklären? Wieso ist die Metalszene derart männlich dominiert, vor, auf wie hinter der Bühne, in den Medien, ja ganz egal, wo man hinschaut? Und wieso ändert sich dies nur so extrem langsam?

Welche Rollen spielen Frauen im Metal? Sind sie auch als aktive Protagonistinnen in der Szene willkommen? Sind die Gedanken von Feminismus und Gleichbehandlung hier überhaupt schon angekommen? Und ist „Female Fronted“ ein Qualitätsmerkmal oder eher ein Armutszeugnis?

Wie problematisch ist das Verhältnis zwischen Fan und Star, sowohl was die Überhöhung durch extreme Fankultur, ungleiche Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse als auch das oftmals narzisstische Selbstverständnis der Idole angeht?Wieviel Sexismus und Übergriffigkeit können sich Musiker erlauben, ohne von ihren Fans gecancelt zu werden? Können sich Frauen im Metal sicherer als in anderen Musiksparten fühlen?

Wie gefährlich ist Metal und sein Geschlechterbild? Hatte der PMRC vielleicht doch recht, was dargestellte sexuelle Gewalt gegen Frauen im Metal betrifft? Wenn die extreme Misogynie im Death Metal wirklich „nicht so gemeint“ ist, was ist dann ihre Motivation? Und wie wirkt sich die Konfrontation damit auf weibliche wie männliche Fans aus?

Ist der Metal tatsächlich die letzte Bastion echter Männlichkeit, wie es Corey Taylor (SLIPKNOT / STONE SOUR) ausdrückte?

Heavy metal is the last bastion of real rebellion, real masculinity, real men basically getting together
and beating their chests”

…aber was bedeutet das dann für seine Zukunft???

Mit einigen dieser Fragen wird sich dieser letzte Teil beschäftigen, andere sprengen inhaltlich den Rahmen, könnten aber interessante neue Projekte werden. Hier soll es erst einmal darum gehen zu klären, ob der Metal tatsächlich ein grösseres strukturelles Sexismusproblem als andere Musikgenres hat, und wenn ja, was mann dagegen tun kann? Selbst Godfather Lemmy kann uns da leider nicht weiterhelfen:

Geschichte und Sichtbarkeit von Musikerinnen in der Rockmusik

Vielleicht hilft ja ein Blick zurück in die Anfänge der Rock’n’Roll, um zu verstehen wie es zu diesem exklusiven Macho-Männerbund der harten Rocker kam? Fragt man sich, wieso Rockmusik scheinbar von Anbeginn an eine rein männliche Veranstaltung war, kommt man heutzutage nicht mehr an der Tatsache vorbei, dass das so gar nicht stimmt. Denn Frauen wie Big Mama Thornton, Sister Rosetta Tharpe, LaVern Baker, Ruth Brown oder Wanda Jackson und viele weitere mehr waren zu ihrer Zeit Stars und spielten sehr wichtige Rollen in der Entstehung und Weiterentwicklung des Genres, doch dies wurde bis vor kurzem aus der allgemein bekannten Rockgeschichte getilgt. Auch in anderen kulturellen und wissenschaftlichen Bereichen war dies grundsätzlich üblich, denn – oh Wunder! – auch Geschichte ist eine männliche Domäne und hat die Macht, Frauengeschichte(n) unsichtbar zu machen, einfach, indem Akteurinnen nicht mehr erwähnt werden. Heutzutage ändert sich dies glücklicherweise wieder und beispielsweise im „Women In Rock Project“ geht es genau darum, endlich den Pionierinnen und damit auch möglichen Role Models für die heutige junge Generation eine Stimme und vor allem erneute Sichtbarkeit zu geben, den Frauen, die beim Urknall des Rock’n’Rolls dabei waren:
 

«Hunderte von Frauen und Mädchen haben in den 50er und frühen 60er-Jahren Rock’n’Roll-Songs kreiert und aufgeführt. Ihre Beiträge prägten die Kultur und den Sound von Rock’n’Roll.
Dieses Projekt widmet sich der Erhaltung und dem Erzählen ihrer Geschichten.»

http://www.womeninrockproject.org

Heute erinnern sich nicht nur Frauen wieder daran, wie gross beispielsweise Sister Rosetta Tharpes Einfluss auf Rock’n’Roller wie Chuck Berry, Jerry Lee Lewis, Little Richard oder Elvis noch Jahrzehnte nach ihren eigenen Erfolgen seit den 1930er Jahren war. Die charismatische und stimmgewaltige 1915 geborene Schwarze stand als musikalisches Wunderkind bereits mit sechs Jahren in Chicago Gospel singend auf der Bühne, und war eine der Ersten, die eine elektrisch verstärkte Gitarre spielte – und wie! Deutlich wilder und aggressiver als ihre männlichen Zeitgenossen, und dazu sang sie auch noch alttestamentarische Texte… Gleichzeitig war ihre lesbische Beziehung mit ihrer Duopartnerin Marie Knight ein offenes Geheimnis, und als sie deutlich später aus Marketinggründen ihren Manager öffentlich heiratete, veranstaltete sie ihre Trauung als das erste Stadionkonzert der Geschichte vor 25.000 zahlenden Gästen. Eine begabte, innovative, selbstbewusste, freigeistige und geschäftstüchtige queere Schwarze als Godmother of Rock’n’Roll? Unmöglich… da müssen schon echte Kerle her, Männer, mit denen sich der hart arbeitende Familienvater genauso gut identifizieren kann wie der das Vaterland verteidigende Soldat und sogar der langhaarige, rebellische Halbstarke. Und was das dann teilweise für welche waren bzw. sind, zeigt die folgende Liste, deren von Abscheu und Entsetzen hervorgerufene Unvollständigkeit mann mir bitte entschuldige, ich konnte irgendwann einfach nicht mehr weiterrecherchieren:

The great Rock’n’Roll Swindle – Timeline des Missbrauchs

  • Jerry Lee Lewis heiratete mit 22 in dritter Ehe seine 13-jährige Cousine und hatte zwei Kinder mit ihr.
  • Chuck Berry (einer seiner größten Hits war „Sweet Little Sixteen“) wurde nach der Anklage einer 14Jährigen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, mit Minderjährigen gedrehte Pornofilme brachten ihm weitere juristische Probleme.
  • Elvis Presley hatte lebenslang ein ausgeprägtes Faible für minderjährige Mädchen („Cherries“), lernt seine spätere Frau Priscilla als 14 Jährige kennen und lieben.
  • David Bowie,
  • Jimmy Page (LED ZEPPELIN) und
  • Iggy Pop (THE STOOGES) teilten sich unter anderen eine minderjährige Geliebte, die anfangs 14 jährige Lori Mattix: „I was still a virgin and terrified … Stuey (his bodyguard) brought out Champagne and hash. We were getting stoned when, all of a sudden, the bedroom door opens and there is Bowie … He escorted me into the bedroom, gently took off my clothes, and de-virginized me.”. Jimmy Page schloss Lori in seinem Hotelzimmer in Los Angeles ein, da sie minderjährig nicht mit ihm auf Tour gehen durfte, aber zu seiner Verfügung stehen sollte sobald er wiederkam. Mit 17 wurde sie Mick Jaggers Groupie, aber dieses Thema benötigt seinen eigenen Raum, und wird noch gesondert behandelt werden. Ihre Freundin Sable Starr, hatte dreizehnjährig ein Verhältnis mit Iggy Pop, sie war eine der ersten sogenannten „Baby-Groupies“, die Anfang der 1970er Jahre auftauchten: „I slept with Sable when she was 13 / Her parents were too rich to do anything“ (‚Look Away‘).
  • Bill Wyman war jahrelang mit der anfangs erst 13-jährigen Mandy Smith zusammen, er war zu dem Zeitpunkt 47. Fünf Jahre später heiraten sie. Was heute als Missbrauch einer Minderjährigen angeprangert würde, war für die Regenbogenpresse damals eine „Märchenhochzeit“. Die ROLLING STONES kokettieren sogar damit, eine der wüstesten Bands des Rockbetriebs zu sein und druckten auf ihre Fanshirts: „Stones withstand Divorce, Slander, Rip-Offs, Slagging, Under-Age Sex, Alcohol, Drugs“.
  • Don Henley (EAGLES), verurteilt der Verführung Minderjähriger, auch zu Straftaten aka Drogenmissbrauch – die beiden betroffenen 15 und 16jährigen Mädchen wurden wegen Prostitution und Besitzes illegaler Drogen festgenommen (!).
  • Steven Tyler (AEROSMITH) erwähnt seine Beziehung zur 16jährigen Julia Holcomb in seinen Memoiren. Als diese ihn daraufhin ua wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger anklagt, kontert er die Vorwürfe mit der Tatsache, dass er damals ihr Vormund gewesen sei (sic!), denselben Trick wendete Ted Nugent mit seiner minderjährigen Freundin, ebenfalls mit dem Einverständnis ihrer Eltern, an.
  • Sid Vicious (SEX PISTOLS) der Mord an Nancy Spungen bleibt ungeklärt, sie wurde erstochene neben dem unter Drogen stehenden Sänger gefunden, am Tag nach seiner Haftentlassung auf Kaution stirbt er an einer Überdosis.
  • Gary Glitter wurde angeklagt und verurteilt wegen Besitzes von Kinderpornographie, acht Fällen von Kindesmissbrauch an Mädchen von 12 – 14 Jahren, die Opfer waren teilweise unter Drogen gesetzt.
  • Michael Jackson überstand mehrere Anklagen und Freisprüche (…nach finanzieller Einigung) wegen sexuellen Missbrauchs minderjähriger Jungen
  • Bertrand Cantat (NOIR DÉSIR) erschlug seine Freundin Marie Trintignant, eine bekannte französische Schauspielerin, bei einem Streit und wurde zu acht Jahren Haft verurteilt.
  • Nikki Sixx und MÖTLEY CRÜE brüsten sich in ihrer Bandbiographie „The Dirt“ u.a. ihrer Übergriffe an einer narkotisierten, wehrlosen Frau, Sixx sagt selbst, dass manche der damaligen Vorfälle justiziabel gewesen sind; es heisst, dass die Band Mitarbeiter auf die Suche nach „Virgin Groupies“ schickte, weil sie besonders scharf darauf waren sie zu entjungfern – „to pop their cherries“.
  • Antony Kiedis ist wegen sexueller Belästigung eines Fans verurteilt, seine RHCP-Bandkollegen Flea und Chad Smith wurden mit der gleichen Anklage festgenommen. Kiedis beschreibt trotzdem in seiner Bio „Scar Tissue“ seinen Sex mit Minderjährigen und schreibt sogar den Song ‚Catholic School Girls Rule‘ darüber: „Im the class she’s taking notes / Just how deep deep is my throat“…
  • Ian Watkins (THE LOSTPROPHETS) wurde wegen sexuellem Missbrauch an Kindern im Alter von unter 13 Jahren in 13 Fällen zu 35 Jahren Haft verurteilt. Er hatte u.a. versucht, ein 11 Monate altes Baby zu vergewaltigen und einem Kleinkind Kokain gegeben.
  • Häusliche Gewalt ist ein weiterer, recht häufiger Tatbestand unter Rockern, genannt seien hier Bobby Liebling (PENTAGRAM), der seine wehrlose Mutter verprügelte, sowie Josh Homme und Tommy Lee, bei denen es die Ehefrauen traf.
  • Tim Lambesis (AS I LAY DYING) wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt, weil er einen Auftragskiller angeheuert hatte, um seine Ex-Frau ermorden zu lassen.
  • Marilyn Manson beschreibt in seiner Biographie „The Long Hard Road Out of Hell“, wie er im Backstage-Bereich Fans nackt an eine Bondage-Apparatur fesseln liess, worauf sie dann ihre geheimen Ängste und Wünsche zu beichten hatten. Im Kapitel «Häppchen für die Fans: Meat und Greet» wird die Demütigung eines tauben Mädchens beschrieben. In der Realität haben ihn in den letzten Jahren mehrere Ex-Partnerinnen sowie andere Frauen, darunter auch ein zum Zeitpunkt der beschriebenen Vergewaltigung minderjähriges und sexuell unerfahrenes Mädchen, schweren sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Bisher kam keine Klage zur Verurteilung.
  • Auch Folk/Country-Star Ryan Adams musste sich gegenüber den Vorwürfen emotionalen und sexuellen Missbrauchs von sieben Frauen, darunter drei seiner Ex-Partnerinnen, verteidigen. Er wies die Anschuldigungen zuerst zurück, entschuldigte sich jedoch später öffentlich für die Vorfälle.
  • Aktuell sieht sich RAMMSTEIN-Sänger Till Lindemann schweren Anschuldigungen mehrerer junger Frauen gegenüber, die ihm im Rahmen eines obskuren Casting-Systems sexuellen Missbrauch im Rahmen von Liveauftritten vorwerfen, möglicherweise unter dem Einfluss heimlich verabreichter Drogen. Die Band dementiert jegliche justiziablen Vorkommnisse und hat Medienanwälte beauftragt, die rechtliche Schritte gegen alle Personen eingeleitet haben, die entsprechende Anschuldigungen vorbrachten, sowie gegen Presse und Medien, falls diese gegen die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung verstiessen. Nach mehreren Anzeigen Dritter ermittelt nun die Berliner Staatsanwaltschaft gegen den Rammstein-Frontmann.

Harter Stoff, nicht wahr? Justiziabler sexualisierter Missbrauch gehört offenbar seit Anbeginn zum Rock’n’Roll dazu wie das verzerrte Gitarrenriff und der Marshall-Verstärker. Da erscheint es fast harmlos, wenn AC/DC Drummer Phil Rudd seinen ehemaligen Assistenten ermorden lassen wollte und dafür, in Kombination mit Drogenvergehen, auch verurteilt wurde…

Zwar spiegelt, wie bereits in Teil II ausgeführt, die Musikszene auch nur die in der Gesellschaft latent vorhandene Misogynie sowie den unfassbaren alltäglichen sexuellen Missbrauch von Frauen, nicht-binären Personen und auch Kindern durch Männer wider; bedenkt man jedoch, dass diese Liste (zusammengestellt v.a. aus Artikeln der Jahre 2017-2022, die das Thema durch den Weinstein-Skandal und der #metoo-Debatte oder wegen jeweils aktueller Gerichtsverfahren gegen Ian Watkins, Ryan Adams oder R. Kelly aufgriffen – aus den Biographien der Stars wie Bowie oder Page wurden all diese Tatsachen mittlerweile penibel entfernt…) zum einen nur ein kleiner Auszug der publik gemachten Straftaten von Musikern ist und der grösste Teil vermutlich nie ans Licht der Öffentlichkeit gelangt, fallen trotzdem schon hier einige Dinge auf:

  • Ein Grundmythos des Pop ist auch heute noch, dass männliche Musiker deswegen Bands gründen, um Zugang zu weiblichen Fans zu haben – während diese meist nur endlich einmal ihrem Idol nah sein wollen. Von echten Groupies abgesehen, gehen beide Seiten backstage also oft von unterschiedlichen Prämissen aus, und hier nutzen die Stars dann ihre Machtposition gegenüber Fans aus, indem sie übergriffig werden. In gewisser Weise machen sie diese und andere Grenzüberschreitungen sogar erst dazu, sie sind gerade dadurch keine normalen Menschen mehr, sondern werden zu Rockstars: „Rebellen, die sich mit den Zwängen der Spießerwelt nicht abfinden. Die ihr den Krieg erklärt haben. Die keine Grenze anerkennen, sondern die Grenzüberschreitung zu ihrer Mission machen.“ (Rapp, T., 2023).
  • Eine Grundtatsache des Musicbiz ist weiterhin, dass es im Falle von Superstars um richtig viel Geld geht – und sobald diese Millionenmaschinerie nicht mehr läuft, verlieren nicht nur die Musiker, sondern auch alle anderen, die finanziell am Rattenschwanz des Pied Piper hängen, ihre Einkünfte – und das sind sehr viele Existenzen. In der Industrie gilt daher quasi eine Omertà, ein Gesetz des Schweigens, das uns auch jetzt im Falle Lindemann begegnet – so gut wie niemand aus dem Umfeld der Band spricht, aber auch keine Konzertveranstalter, Plattenfirmenvertreter etc. Eine löbliche Ausnahme gibt es mit Berthold Seliger hier zu hören.
  • Minderjährige und sogar Kinder werden sehr häufig Opfer sexueller Übergriffe, Musiker haben offenbar ein besonders grosses Interesse an leicht beeinflussbaren, unerfahrenen Opfern, die sich nicht wehren können. Es geht ihnen also nicht nur um Befriedigung ihrer Triebe, sondern um Machtausübung und psychische Manipulation Schwächerer.
  • Im Fall Schwarzer Künstler wie Chuck Berry, Michael Jackson, R. Kelly oder diversen Gangsta-Rappern ist die öffentliche Empörung und damit auch die Chance, vor Gericht zu landen und verurteilt zu werden stets deutlich grösser als bei Weissen, es gibt also auch einen rassistischen Anteil an der Wahrnehmung und Beurteilung von Tätern und Taten, der teils soweit geht, zu fragen, ob man ihre Musik überhaupt noch spielen oder hören darf?
  • Teilweise liegen Jahrzehnte zwischen den ersten Anklagen bis hin zu möglichen Verurteilungen (bei R. Kelly brauchte es 25 Jahre und eine Fernsehserie bis zur endgültigen Verurteilung zu 30 Jahren Haft…), was zum einen zeigt, welche Macht unantastbare Popstars und ihr Geld haben, und zum anderen, wie wenig den Opfern geglaubt wird, teilweise noch zusätzlich aus einem überhöhenden Starkult, der modernen Form des Heiligenkults, heraus; man denke nur an die Eltern, die ihre Söhne Michael Jackson trotz bekannter Anschuldigungen weiter zuführten.
  • Entsprechend der Täter-Opfer-Umkehr durch die Musiker selbst, aber vor allem ihre Rechtsanwälte in trautem Einklang mit der oft noch männlich geprägte Justiz fallen die Strafen meist sehr gering aus, falls es nicht sowieso zuvor schon zu einer aussergerichtlichen Einigung und damit der faktischen Zahlung von Schweigegeld kommt. Werden Rockstars verurteilt, kommen die meisten von ihnen erstaunlicherweise mit Geld- oder Bewährungsstrafen davon.
  • Musiker entschuldigen ihre Verbrechen oft mit psychischen und Suchtproblemen, und suchen sich zu spät, nämlich erst dann Hilfe, wenn die Vorfälle öffentlich und der Schaden an ihren Opfern längst angerichtet ist – dies sich nicht einzugestehen ist eine typische, toxisch männliche Haltung, die u.a. auch dafür verantwortlich ist, dass die Lebenserwartung von Männern weltweit kürzer ist als die von Frauen.
  • Selbst nach Bekanntwerden von Anschuldigungen oder sogar nach seiner Verurteilung wird das Idol noch von vielen seiner Fans reflexhaft verteidigt und sogar weiter verehrt. Fans verdrängen aktiv („Strategisches Ignorieren“ und das DARVO-Prinzip, siehe Samira El Ouassil hier), was ihre als musikalische Genies gefeierten Idole tun, vorrangig aus Selbstschutz – schliesslich hat man einiges an Energie, Aufmerksamkeit und Geld in die Verehrung des Stars investiert und sich vor allem persönlich und auch öffentlich mit ihm identifiziert, und müsste nun erkennen, dass diese Person diese Zuneigung absolut nicht verdient hat. Dass man das Idol in Zukunft nicht mehr ohne schlechtes Gewissen verehren kann, wird jedoch wiederum seinen Opfern, die den Star anklagen, angelastet, sie sind in dieser Denkweise daran schuld, dass damit nun ein Stück eigener geliebter Identität wegfällt. Die Konsequenz: die Betroffenen sollen mundtot gemacht, am besten komplett zerstört werden, hier setzt der Mechanismus der Täter-Opfer-Umkehr ein, wie es die Anklägerinnen im Rammstein-Skandal gerade als Shitstorm der Fans inklusive Morddrohungen und dem Aussetzen von Kopfgeldern erleben.
  • Erstaunlicherweise fallen weibliche Rockstars nicht durch solch übergriffiges Verhalten auf, dafür werden sie regelmässig und vor allem online eindeutig angemacht, beschimpft und beschämt… vorwiegend von Männern. Und wenn sie wie zB Cardi B und Megan Thee Stallion in ‚WAP‘ offen mit ihrer sexuellen Macht und Lust spielen, Selbstermächtigung galore, sind sie keine Rockgöttinen, sondern obszöne Schlampen. Komisch, oder? Double standards, anyone?

Hinzu kommt, dass in einer Gesellschaft, die die Vor-Machtstellung von Männern auf der einen Seite durch die Duldung von Rape Culture fördert und gleichzeitig juristisch sanktioniert, der wilde, ungezähmte Rock’n’Roller mit seinem sex- und drogengetränkten Lifestyle (und vielleicht noch Millionenkonto…) als testosteronstrotzende, rebellisch-männliche Heldenphantasie gefeiert wird, und sich so auch der bürgerlichste Fan beim Konzert mitgröhlend im Abglanz des „Bad Boy“ sonnen und durch diese Projektion gefühlt für kurze Zeit aus seinem öden Alltag und seinen privaten Repressionen ausbrechen kann. Das Idol wird zum Stellvertreter, dem moralische Grenzüberschreitungen, gerne enthemmter, rücksichtsloser sexueller Art und gegenüber Frauen, zugestanden werden, ja von ihm geradezu verlangt werden, die für Otto Normalfan in der Realität tabu sind. Verweist der Star die Frau auf ihren „angestammten Platz“ unter seiner Dominanz, wird er dafür gefeiert – protestieren Frauen dagegen, wie vor den Münchner RAMMSTEIN-Konzerten vor dem Olympiastadion geschehen, werden sie (trotz Polizeipräsenz!) von Fans mit Flaschen beworfen, mit Vergewaltigungsfantasien und Schlägen bedroht sowie sexualisiert beleidigt. Sie könnten ja das gefeierte, unantastbare Heldenbild vom Sockel stossen…

Einladend wirkt so etwas ganz sicher nicht, was also zieht Frauen eigentlich trotz allem in die Szene?

Freundin, Groupie oder Nerd – als Frau in der Metalszene

Rhetorische Frage, die Musik zieht natürlich alle von uns in die Szene. Gerade Metal ist ein Genre, das eine starke emotionale Identifikation anbietet, dadurch, dass hier die Schattenseiten, das Unaussprechliche des Lebens angesprochen und verarbeitet werden, dass Frustration, Aggression, Schmerz und Gewalt ein Ventil finden in einer geradezu brutal körperlichen und extrem lauten Musik, einer Wall of Sound, der gegenüber alle gleich sind und die dadurch auch gerade die Underdogs und Misfits der Gesellschaft, die Marginalisierten und die, die sonst nirgends so richtig dazupassen, magnetisch anzieht. Auch diejenigen, die, gleich welchen Geschlechts, vielleicht jahrelangen Missbrauch jeglicher Form hinter sich haben. Gerade Gigs verbinden Fans und Musiker mit- und untereinander, indem sie durch das Konzertritual ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln. Hier erleben alle die einzigartige Möglichkeit der Transzendenz, der Freiheit, auf einem Konzert alles zu vergessen, was einen bedrückt, komplett aus sich herauszugehen und gemeinsam mit Anderen, die diese viszerale Leidenschaft für verzerrte Riffs, dröhnenden Bass und entfesselte Drums genauso teilen den Moment zu feiern, die eigenen Probleme hinter sich zu lassen und einfach komplett in der Musik aufzugehen…

…und nun stell dir als Mann mal vor, du surfst euphorisch auf der Crowd bei einer deiner liebsten Bands, verschwitzt und high von der unglaublichen Stimmung des Gigs, der Power der Band und deinem Lieblingssong, den sie gerade spielen, und während du weitergereicht wirst, fasst dir ständig jemand zwischen die Beine, an deine Genitalien, im Englischen so passend „private parts“ genannt. Wie würdest du das finden? Und was würdest du tun?
Schau dir dazu mal dieses Video an:

Sam Carter wurde für die Konzertunterbrechung und seine Wutrede weltweit in den Medien gefeiert, gerade die Erwähnung des „Safe Space“, die ein Auftritt eigentlich sein sollte, ist dabei extrem wichtig. Als Mann wird dir sowas kaum passieren, doch das Beispiel zeigt: Frauen können nie genauso viel entspannten Spass wie Männer haben, denn sie müssen immer aufpassen was sie tun, und zwar längst nicht nur, ob sie Crowdsurfen wagen können oder nicht. Das fängt nämlich bereits bei den Vorbereitungen für den Abend an, wir fragen uns regelmässig, welche Kleidung wir tragen sollen (oder lieber nicht…), wie wir uns verhalten (hoffentlich nicht zu flirty, zu offenherzig…), wie andere sich uns gegenüber verhalten, ob unsere FreundInnen noch in der Nähe sind, ob unser Getränk noch sauber ist, ob unser Heimweg sicher ist, und vor allem stets: ob wir unserem Gegenüber vertrauen können. Eigentlich nicht die besten Voraussetzungen für eine gute Zeit und echten Eskapismus, oder? All das ist jedoch für Frauen schon völlig verinnerlichter Alltag, überall, völlig unabhängig von der Metalszene, doch wäre es nicht schön, diese zu genau dem Safe Space für uns alle zu machen, den der ARCHITECTS-Sänger fordert?

Dazu würde jedoch gehören, übergriffiges Verhalten anderer, so wie er es tat, direkt anzusprechen und dessen Eskalation proaktiv zu verhindern, Frauen echte Schutzräume anzubieten wenn sie sie benötigen, im direkten Kontakt nicht einfach von genereller Zustimmung auszugehen, sondern danach zu fragen, ein Nein als solches auch zu akzeptieren und generell ehrlicher und offener miteinander zu reden und umzugehen – sich einfach besser umeinander zu kümmern. Und natürlich auch gegen hate speech, abwertende Kommentare oder Witze, passieren sie real oder online, vorzugehen, denn je mehr Frauenhass zugelassen wird, desto mehr wird er zur Norm. Hierzu können natürlich auch Veranstalter einiges beitragen, wie die aktuell vieldiskutierten Awareness Teams bei grossen Events sowie überhaupt mehr geschulte weibliche Ansprechpartnerinnen zB in der Security anzubieten, aber auch dadurch, dass sie öffentlich eine Zero Tolerance-Strategie nicht nur gegen Rassismus, Faschismus und Homophobie, sondern ausdrücklich auch gegen Sexismus vertreten, wie es viele JUZe und kleinere Veranstalter bereits tun. Dann fühlen sich auch Frauen dort sicher(er) und dadurch willkommen.

The Future is Female – Take the power back!

Denn es muss erst einmal ein öffentliches Bewusstsein geschaffen werden für eine Problematik, die wie alle Folgen des Backlash gerade wieder zunimmt. Dafür wurde beispielsweise in Schweden statt dem bereits erwähnten Bråvalla Festival mit dem „Statement Festival“ ein Fest ausschliesslich von und für Frauen, nicht-binäre Menschen und Transgender veranstaltet (dessen Sinn zwar diskutabel ist, was jedoch sofort reflexartig wieder einen „Männerfeindlich! Diskriminierend!“-Gegenwind anfachte, der es bis zum schwedischen Ombudsmann für Gleichberechtigung schaffte…), und mehrere Festivals haben sich zu einem „Social Media Blackout“ gegen zunehmende sexualisierte Übergriffe auf Konzerten zusammengetan.

Nachdem eine von ihnen auf einem Gig sexuell belästigt wurde, dies in Social Media bekannt machte und sie die grosse Resonanz vieler Frauen darauf erschütterte, gründeten fünf Teenager aus der englischen Indieszene 2015 die Initiative „Girls Against“ (https://www.girlsagainst.co.uk/), die sich zum einen als inklusives Netzwerk ansieht, das Opfer auffängt und ihnen Raum für die Verarbeitung ihrer Erfahrungen, auch direkt vor Ort auf Festivals, anbietet, aber gleichzeitig durch Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit auch politisch gegen Misogynie und sexuelle Belästigung in der Livemusik anarbeitet – eine absout unterstützens- und nachahmenswerte Sache!

In Schweden wurde es zuletzt ruhiger um zwei Fraueninitiativen, die direkt aus dem Metal entstanden, zum einen 2016 #DearDarkness (https://www.instagram.com/deardarknessofficial/), die eine Community für Frauen im Hard Rock und Metal schufen: „For telling stories from all points of views. To inspire. To challenge. To change.“ und später zusammen mit den Frauen von „Hardrock gegen Rassismus“ sowie „Heavy Metal Action Night“ die #KillTheKing-Petition starteten, die Zeugnisse von Frauen sammelte, „die Vergewaltigungen, Übergriffe, sexuelle Belästigungen, körperliche und seelische Misshandlungen und erniedrigendes sexistisches Verhalten gegenüber Frauen und Nicht-Mitgliedern in der Hardrock-Szene beschreiben. Diese abscheulichen Handlungen wurden von Bandmitgliedern, Fans, Veranstaltern, im Publikum, hinter der Bühne, auf Festivals, bei After-Partys und in unseren Wohnungen begangen. Von Männern in der Rockszene.“, und einige davon hier nachzulesen ist harte Kost. #killtheking war gedacht als das #metoo des (schwedischen) Metal, um frauenfeindliche Weltanschauungen bei Bands/Musikern und in Lyrics aufzuzeigen und mehr Sichtbarkeit für Frauen im Heavy Metal, ihre Situation und ihre Geschichten zu erzeugen. Die #metoo-Debatte hatte in Schweden generell starke Resonanz gefunden, und durch grosses Engagement vieler Initiativen nicht nur im Kulturbereich, sondern in vielerlei Feldern wie dem Bildungs- und Gesundheitssystem, der Jurisprudenz, der Bauindustrie, dem Handel, Sport und Militär uvm dazu geführt, dass sexualisierte Belästigung als strukturelles Problem angesehen wurde, und schliesslich 2018 in einem neuen Gesetz mündete, das nicht einvernehmlichen Sex verbietet. Kurz danach kam es auch hier zu einem Backlash, die feministische Regierung in Schweden wurde vom rechten Lager abgelöst – hier sehen wir Misogynie live als „Straf- und Kontrollmechanismus des Patriarchats“ (Kate Manne) am Werk, erfolgreiche Frauen dafür abzustrafen, sich patriarchalen Anforderungen an Weiblichkeit zu verweigern. Auch #killtheking erhielt heftigen männlichen Gegenwind, die Anschuldigungen lauteten von „Der Heavy Metal wird von Frauen in den Dreck gezogen“, „Alles nur erlogen, ihr Feminazis buhlt nur um Aufmerksamkeit“ bis hin zu persönlichen Beleidigungen und Drohungen, vielleicht ist ja das der Grund, weswegen es so still um die Initiativen wurde.

In Finnland wiederum haben sich 2021 unter dem nationalen #Musictoo-Banner #metaltoo (https://www.instagram.com/metaltoo) mit #punkstoo (https://www.instagram.com/punkstoo/) zusammengeschlossen und Geschichten von Opfern gesammelt und anonym veröffentlicht. Auch sie sehen als grösstes Problem, dass die Betroffenen nicht ernstgenommen wurden und die Täter durch ihr Ansehen und ihre Bewunderung in der Szene geschützt werden. Diverse Bands, Venues und Veranstaltungen unterstützen die Initiative, darunter BATTLE BEAST, AMORPHIS, Tuska Festival, Nummirock, Ruisrock, sowie Helsinkis Tavastia Club.

Noch später, nämlich erst jetzt durch die aktuellen Geschehnisse hat sich, wie bereits oben erwähnt, auch in Deutschland #Musicmetoo aus verschiedenen Initiativen wie #Deutschrapmetoo, „Safe the Dance“ und anderen heraus formiert, ein wichtiger Schritt, Kräfte zu bündeln und gemeinsam Aufmerksamkeit zu schaffen, denn es geht um viel mehr als „nur“ Sexismus, sondern die dahinterstehenden patriarchalen Strukturen und den generell massiven Machtmissbrauch im Musikbetrieb. Und es geht darum, das dröhnende Schweigen zu beenden, wenn solche Fälle – egal ob in Klassik, Schlager, Rock oder Pop – ans Licht kommen, auch wenn dann die Privilegien mancher Weniger, bei denen sich die Macht konzentriert, zu wackeln beginnen. Susann Hommel, eine der Gründerinnen, sagt hier im Interview:  „Machtgefälle und Machtmissbrauch werden durch solche Fälle sichtbar […] Die Art, wie wir in der Musikbranche arbeiten, müsste einen Wertewandel erfahren. Ich weiß nicht, ob das alle so gut finden würden.“ – denn weniger Macht bedeutet natürlich auch weniger Geld, das gilt aktuell auch für all diejenigen, die jahrelang weggeschaut haben „um die Geldmaschine Rammstein nicht zu gefährden.“ (Ubl 2023).  

Auch wenn einige Stimmen schon vorhersagen, dass die Lindemann-Affäre bald wieder aus den Schlagzeilen verschwunden sein wird, liegt es nun und in Zukunft doch an uns allen als Fans, MusikerInnen, VeranstalterInnen und allen weiteren AkteurInnen in sämtlichen Berufsfeldern der Szene, das Momentum zu nutzen, um den Mund aufzumachen und auf Übergriffe, die ungleiche Situation und die strukturelle Diskriminierung von Frauen, nicht-binären und anderen marginalisierten Menschen im Metal und der Musikindustrie allgemein aufmerksam zu machen und diese nicht mehr zu dulden. Wir müssen Wege finden, Ungleichbehandlung abzuschaffen, denn damit setzen wir uns dafür ein, die Szene kreativ am Leben zu halten – indem wir sie offener, solidarischer, vielfältiger, transparenter, bunter, demokratischer und somit tatsächlich machtvoll, inklusiv und sicher für alle machen. Wir alle können dadurch nur gewinnen.

“I like the comfort in knowing that women are generally superior and naturally less violent than men. I like the comfort in knowing that women are the only future in rock and roll.”

Kurt Cobain, Journals
© Lia Kantrowitz @VICE

Quellen und Interessantes zum Weiterlesen
(Das komplette Literaturverzeichnis findet sich: hier)

Zitierte Initiativen:

Bündnis ”Gemeinsam gegen Sexismus“ https://www.gemeinsam-gegen-sexismus.de
Diversity Arts Culture Berlin https://diversity-arts-culture.berlin/woerterbuch/sexismus
#MusicMeToo https://www.musicmetoo.de/
Women in Rock Project http://www.womeninrockproject.org
Girls Against https://www.girlsagainst.co.uk/
#DearDarkness https://www.instagram.com/deardarknessofficial/
#Killtheking https://www.facebook.com/killthekingtoo
#metaltoo & #punkstoo Finnland https://www.instagram.com/metaltoo/

Ausgewählte Quellen und Weiterführendes:

Gewalt gegen Frauen – bundesweites Hilfetelefon

Soforthilfe bekommen Frauen über das bundesweite Hilfstelefon „Gewalt gegen Frauen“ unter der kostenfreien Nummer 08000 116 016 (24 Stunden am Tag besetzt). Auf der Seite des Hilfstelefon (https://www.hilfetelefon.de/) gibt es ein umfassendes Onlineangebot für Frauen. Die Seite kann man auch anonym besuchen. Beratung ist in 18 Sprachen möglich.   

Titelbild: © Dominik Heinkele, 2022

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