JENNY HVAL – Gott hassen

  • Veröffentlichung: 28.02.2023

  • Vertrieb: MÄRZ Verlag

  • Versionen: Hardcover, E-Book

 

 Der zweite Roman der schwedischen Musikerin, Performancekünstlerin und Autorin ist mehr Black Metal als so manche Band…

Können Worte Emotionen jemals umfassend beschreiben? Wohnen ihnen gar Gefühle inne, sind sie wie elektrisch damit aufgeladen, oder lösen sie diese nur aus? Was gibt Worten diese sogartige Wirkung auf uns, und woher beziehen sie die Energie dafür? Wird sie durch den kreativen Akt des Schreibens kanalisiert, aber wo war sie dann zuvor? Wie gelingt AutorInnen dieser magische, Bedeutung und vor allem Verbindung erschaffende Prozess und was ist hilfreich und notwendig dafür? All diesen und vielen weiteren künstlerischen, magischen und existenziellen Fragen geht JENNY HVAL in ‚Gott hassen’ nach.


Die Norwegerin ist bisher vor allem als vielfach ausgezeichnete Musikerin bekannt, hat jedoch zudem Kreatives Schreiben und Performance studiert und arbeitet als Journalistin und Autorin, und all diese verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen finden nun in ihrem zweiten Roman zusammen. Man kann dieses Buch mit ihrer eigenen, zwischen Avant-Pop und Electroexperimentellem oszillierenden Musik in Hintergrund lesen, tatsächlich passt jedoch der von ihr ständig untersuchte und auch immer wieder zitierte „total misanthropische Black Metal“, gerne frühe DARKTHRONE, deutlich besser zum Leseerlebnis, geht es doch viel um die Jugend der namenlosen Protagonistin, die Gott hasst und Black Metal verehrt, entsprechend auch selbst in einer Band spielt und die Farbe Schwarz als einzig mögliche identifiziert, stellt sie doch den totalen Kontrast zu den properen weissen Dörfern des tiefchristlichen und genauso spiessbürgerlichen Südnorwegen dar, der verhassten, stockkonservativen und eineingend doppelmoralischen Heimat der Icherzählerin. Wieviel Autobiographisches in diesem Text enthalten ist, spielt keine wirkliche Rolle, ist er doch vor allem eine radikale Auseinandersetzung mit den einschnürenden gesellschaftlichen Einschränkungen auf der einen und den grundlegenden Bedingungen für ein sinnerfülltes, selbstwirksames Leben auf der anderen Seite, und darauf basierend eben auch den Voraussetzungen für gelingendes Schreiben, ja generell für Kunst als magischen Akt. Wie wichtig Freiheit im Denken dafür ist, auch dies verbindet sie wieder mit dem Black Metal, doch sollte man sich nicht täuschen lassen – es ist kein Buch über Musik, sondern über das Leben im von Black Metal als Rebellion, Sub- und Antikultur geprägten Norwegen der späten 90er Jahre sowie der Jetztzeit, und es ist vor allem die Geschichte einer Künstlerin, die mit und im Black Metal aufwuchs, und damit eine absolut seltene Perspektive einer Autorin.

Hval ist eine moderne popkulturelle Mystikerin, ist es doch immer das Streben nach Transzendenz, das über den eigenen Körper hinausreichen, womöglich sogar völlig aus ihm heraustreten, um sich mit anderen zu verbinden und damit die göttliche Erleuchtungserfahrung jenseits des Christentums, ja der Religion an sich zu erfahren, und die daraus entstehende gemeinschaftliche Exstase, die sie interessieren. Sie analysiert immer wieder Worte, ihre Bedeutung, Konstruktion und Aussprache in verschiedenen Sprachen, vor allem die ihr so verhasste südnorwegische Schwere und gedankliche Schwerfälligkeit und dekonstruiert damit ihre übliche Verwendung, macht aber auch gleichzeitig klar, dass ihr bewusst ist, wie stark Worte auf Menschen wirken. Hass ist ein sehr grosses, energiereiches Wort, und einen Roman mit dem Satz „Ich hasse Gott“ zu beginnen ein zutiefst blackmetallisches und gleichzeitig feministisches Vorhaben. Wie wunderbar passend, dass die Covergestaltung der deutschen Ausgabe mit lila Hintergrund und runenzackiger Schrift dies so plastisch illustriert!

Der Titel ‚Gott hassen’ ist eine Provokation aller Gottesfürchtigen, dieselbe, wie wenn sie, wie immer komplett schwarz gekleidet, in der Grundschule während der Aufnahme des obligatorischen Klassenphotos „Zur Hölle!“ flucht und damit alle zutiefst irritiert, Unruhe stiftet und sich wiederum von der Menge abgrenzt, es ist aber gleichzeitig auch eine Parole des Untergrunds, der Andersartigen, Verborgenen, eine Einladung an alle subversiven Elemente, sich in der gemeinsamen Ablehnung gesellschaftlicher Normen zusammenzufinden. Eine typische Coming of Age-Geschichte pubertärer Auflehnung also? Das wäre zu kurz gegriffen. Neben den ständigen Rückblenden in ihre ländliche Jugend, in der die Protagonistin zu spät geboren aufwuchs für die Zweite Welle und zudem das falsche Geschlecht für eine tragende Rolle im Black Metal hatte, spielt der Roman im Oslo ihres frühen Erwachsenenalters, in dem sie während einer Phase der persönlichen Neuausrichtung und Selbst(er)findung mit ihren Freundinnen Venke und Terese einen praktizierenden und vor allem wütenden Hexenzirkel gründet. Hier kommt auch Revolte gegen die althergebrachte, rein männliche dominierte norwegische Kulturelite mit ins Spiel, durch zum Leben erwachte Bilder Edvard Munchs oder Stätten und Figuren aus Romanen Knut Hamsuns und Henrik Ibsens; Munchs namenloses Mädchen aus ‚Pubertät’ tritt selbstwirksam mutig und natürlich ebenfalls ihren Schöpfer hassend aus dem Bild heraus und begleitet die drei Hexen bei ihren schwarzmagischen und anarchistischen Aktionen, die Oslo ab sofort unter einem jahrhundertealten Mief gefangen halten oder unerklärliche elektrische Störungen verursachen – so mächtig ist ihr Hass.

Und so niedrig, primitiv, obszön, fleischlich, blutig, aber eben auch sinnlich sind seine Energien, die gerade in der Interaktion der Hexen immer mehr Raum einnehmen, so wie sie es auch in den Lyrics der Musikerin Jenny Hval immer wieder tun – weibliche Selbstermächtigung, Sex und Körper sind ihr grosses Thema. Die Magie, die zwischen den drei Frauen entsteht und ihre subversive, aber höchst kreative Auflehnung gegen das Patriarchat macht ‚Gott hassen’ zu einem feministischen Manifest, das es nicht nötig hat, das, worum es stets geht, überhaupt zu benennen: weder das Wort „Feminismus“ noch das dazugehörige Adjektiv oder die „Feministin“ kommen irgendwo auf den 236 Seiten vor, bestimmen jedoch den Subtext jederzeit. Je weiter sich die Erzählung von üblichen Formen entfernt, je phantastischer und surrealer sie wird, desto mehr weibliche Körperlichkeit und jede Menge, gerne auch explizite Sexualität findet statt, und nach einem Exkurs in den Zusammenhang zwischen Sünde, Schuld und Pornographie bezieht sich Hval erneut auf ein bekanntes Gemälde, diesmal Katsushika Hokusais ‚Kraken und Perlentaucherin’ oder patriarchalischer ‚Der Traum der Fischersfrau’, dessen nach aussen gekehrte Innerlichkeit und Ekstase sie wiederum mit ‚Pubertät’ verbindet:

„Es sind diese Reibungen und Funken, die die Fantasie dazu anregen, sich langsam auszubreiten und all die guten, unmöglichen Orte zu verbinden. Hier sage ich: Stell dir Pubertät und den Schatten um ihren Körper herum als die Perlentaucherin mit den Oktopussen am Strand vor. Stell dir den Schatten als glühendes, schwarzes Organ vor, das sich aus ihrem Körper herausstreckt, die Innenseite und die Außenseite vereint, Dunkelheit und Glühen, Wut und Freude, ihr Hass und mein Hass. Hier sage ich: Stell dir die weichen Konsonanten und Vokale der Menschen aus Südnorwegen vor, wenn sie hassen sagen, statt hater sagen sie hadær oder hadår (und für fader, Vater, sagen sie fadær oder fadår), stell dir vor, wie die weiche Sprache sich, amphibischen, salzigen Tentakeln gleich, in die Tiefe erstreckt, hinab ins Meer, in den Hals, den Kopf, den Untergrund, und in die magischen Dimensionen.“

Katsushika Hokusai – „Kraken und Perlentaucherin“ © picture alliance

Weitere immer wieder aufgegriffene Erzählstränge beschäftigen sich unter anderem mit Bands und Banden, Subkultur und Mainstream, Corpse Paint, Dunkelheit, Elektrizität, dem Ursprung des (kosmischen) Internets, Hexenverfolgung, Schule, Eingeweiden und Ausscheidungen, Wüsten, Waldwanderungen, sozialen Medien, Bonusmaterial, Radioaktivität und sogar dem Geschlecht von Atombomben, die entweder auf männlich interpretierter Kernspaltung oder weiblicher Kernfusion beruhen, sowie der Transzendenz der Neues hervorbringenden Wasserstoffbombe – Hval ist eine Forscherin, sie sucht stets nach einer Wahrheit zwischen und hinter dem Bekannten und nach Verbindungen zwischen allem, als ob diese Assoziationen die Menschheit auf eine neue evolutionäre Stufe heben würden. Das Internet, das ebenfalls reine Verbindung zwischen Maschinen wie Individuen ist, spielt in ihrer Welt daher ebenfalls eine grosse Rolle, auch Digitalisierung ist ein solcher Evolutionsschritt hin zur Verbundenheit aller, auch derjenigen, die sonst ungehört blieben. Und in all dem findet sich eine grosse Portion Humor, die den Lesegenuss nochmals steigert.

Parallel dazu schreibt die Icherzählerin seit der ersten Seite des Romans an einem Drehbuch, also der Transzendenz von Geschriebenem; vielmehr versucht sie in den perfekten, einzig produktiven, magischen Zustand zu kommen der es ihr ermöglicht überhaupt ihren eigenen Ansprüchen gerecht schreiben zu können. Lange misslingt ihr dies, doch im letzten Teil des Buches wird ein daraus entstandener Film vorgestellt; ‚Gott hassen’ ist damit auch eine philosophische Parabel über Kreativität, die noch vielerlei mehr Be-Deutungsschichten hat, die alle von den Lesenden entdeckt werden wollen. Es ist eine ebenso verschachtelte wie verspielte Wortkunst und vor allem ein unglaublich kluger, vielfach gewundener Gedankenstrang, der überall Zusammenhänge ent- und aufdeckt, vermischt und verbindet, Grenzen überschreitet und auflöst, auch zwischen Realität und Phantasie. Ihr Text verlangt danach, sich dem Strom ihrer vielfältigen Assoziationen hinzugeben, mitreissen zu lassen, dass Jenny Hval sehr rhythmisch schreibt, macht dies einfach, ihre häufigen Aufzählungen haben etwas vom Reim der Raplyrics, in der ständigen Wiederholung und Neubetrachtung bekannter Motive in einem anderen thematischen Zusammenhang ist ihre Sprache jedoch purer repetitiver Black Metal, wie sie ihn auch heute in Zusammenarbeit mit avantgardistischen Musikern wie Lasse Marhaug oder Thor Harris erlebt, ihre gemeinsame US-Tour mit SWANS 2014 wird hier ebenfalls Erinnerungen wachgerufen haben (das Original mit dem Titel ‚Å hate Gud‚ erschien 2018). Doch schliesslich löst Hval am Ende des langen Monologs an die Lesenden, die stets direkt mit Du angesprochen werden, als ob sie mit ihr verbunden wären, sie kennen würden, die Geschichte im Wortsinn auf, indem sie sämtliche ProtagonistInnen zurück ins Eidotter, ins Fruchtwasser und die Ursuppe schickt, in den gemeinsamen Ursprung, ohne Subjekte, nur noch als subversive Existenzen, jedoch miteinander vereint. Die Frage, ob sie es selbst ist, das Du, dem sie näherkommen will, löst sich dabei ebenso auf wie die Autorinnenschaft ihres Lebens. Das Schreiben als Worte, Bedeutungen und Menschen verbindende, liebevolle Performancekunst hat sein Ziel erreicht.

…und?

Sag,
sind wir schon mal so nah gewesen?

THE END

Edvard Munch – Forskerne, 1911/1925–27? © Munch Museet, Oslo

Jenny Hval – Gott hassen

Black Metal, Hexerei und Edvard Munch: Eine Jugend in Norwegen

Aus dem Norwegischen von Clara Sondermann
240 Seiten, gebunden
MÄRZ Verlag
ISBN: 978-3-7550-0015-0

„Ich schreibe an meinem Film. Ich schreibe, um etwas herauszufinden, oder meinen Weg aus etwas heraus zu finden. Einen Weg aus der Sprache? Irgendwie macht man ja genau das, wenn man einen Film schreibt. Das Dokument bahnt sich einen Weg aus der Domäne der Schrift. Das Geschriebene existiert nicht mehr nur für sich allein, es ermöglicht ein neues Kunstwerk, den Film, und gibt sich ihm hin, so wie sich das Bonus-Material zu Darkthrone den Platten hingibt, die die Band einmal herausgegeben hat. Ich denke, so will ich schreiben: unbestimmt, unordentlich, unmöglich, primitiv. Das Drehbuch ist ein Fluch, der noch nicht ausgesprochen wurde. Ein Ritual, das noch nicht begonnen hat. Ein magisches Dokument. Vielleicht kann ich in diesem Dokument nach dem Primitiven suchen. Vielleicht kann ich in diesem Dokument etwas aus der Sprache ausgraben; etwas, das we- der in der Schrift noch in Bildern existiert, sondern nur in einem Zwischenraum. In einem ganz neuen Raum. Weder dieser Raum noch das Schreiben selbst sollte eine Wiederholung gelernter Anweisungen sein. Auf diese Weise definieren wir Blasphemie. Ich habe nie gelernt, Gott zu hassen.

Im Schreiben gehe ich aus den Szenen heraus und betrete sie wieder, ich sehe alles. Hier drinnen bin ich Gott. Ich kann nur mich selbst hassen.“



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