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Veröffentlichung: 07.07.2023
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Vertrieb: Independent
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Versionen: Digital, CD, Vinyl, Cassette
Stil: Atmosphärischer Native American Black Metal aus den Adirondack Mountains
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Inwieweit beeinflusst die Natur um uns, die Landschaft, das Klima, die Pflanzen- und Tierwelt der Gegend, in der wir leben, vielleicht sogar geboren und aufgewachsen sind, unsere Kunst? Hat der geographische Hinter-, oder besser Untergrund verglichen mit dem kulturellen, mit den Traditionen und der Geschichte, überhaupt einen Einfluss auf Menschen? Klingt Grossstadtmusik anders als solche aus nahezu menschenleerer Wildnis? Lässt sich Naturverbundenheit in Tönen ausdrücken, die eindeutig auf ihre jeweilige Inspiration zurückweisen? Hört man das Lagerfeuer und die ersten mehrstimmig gezupften Töne von ‚Autumnal Hearts Ablaze’, dem Intro zum zweiten BLACKBRAID-Album, fühlt man sich jedenfalls sofort nach Nordamerika versetzt, und zwar in eine nördlich kühle, bergige Region wilder Wälder; musikalisch erinnert es anfangs vielleicht genau wegen dieser Naturstimmung an Cascadian Black Metal und WOLVES IN THE THRONE ROOM oder AGALLOCH, schnell kommt jedoch noch eine andere Note hinzu, und zwar eine, die längst überfällig war – der Einfluss und Ausdruck der ursprünglichen Bewohner des Landes.
BLACKBRAID ist das Soloprojekt von Sgah’gahsowáh, der nach dem gerade in den USA extrem gefeierten Debüt ‚Blackbraid I’ bereits ein knappes Jahr später nun dessen Nachfolger vorlegt, doch die vorgelegte Release-Geschwindigkeit sowie nochmalige qualitative Weiterentwicklung der Musik sind bei weitem nicht das einzig Erstaunliche an dieser Neuentdeckung. Es ist nicht die erste indigene US-Black Metal Band (von denen die meisten wie zB Maȟpíya Lúta, Ixachitlan oder ‚Iisnááhí interessanterweise auch Soloprojekte sind), aber bereits jetzt die erfolgreichste, im Mutterland sprach man schon letztes Jahr von einem Hype, was vor allem angesichts der Tatsache beeindruckt, dass es sich um ein gewollt völlig unabhängiges Projekt handelt, das jedoch hochprofessionell aufgestellt ist – man schaue sich nur die Webseite und den Youtube-Kanal an oder verfolge die Öffentlichkeitsarbeit, die ihn immerhin ins Feuilleton der ‚New York Times‘ gebracht hat, und erhält den Eindruck, hier steht nicht nur ein einzelner Musiker, zwar gestärkt durch die doppelte Frauenpower von Wolf Mountain Productions sowie Suspiria PR, sondern ein gesamter Labelapparat dahinter. Hier denkt jemand von Beginn an gross und nutzt alle Möglichkeiten unserer Zeit, um seine Zuhörer zu erreichen – und jetzt auch andere Kontinente zu erobern. Sgah’gahsowáh hat dazu eine feste vierköpfige Liveband um sich geschart und tourt mittlerweile nicht nur durch die Staaten, sondern hat auch in Europa gleich bei den wichtigsten Festivals wie dem Hellfest, Copenhell und demnächst sogar beim Midgardsblot seine Visitenkarte abgegeben.
In Skandinavien aufzutreten wird hier speziell interessant, denn rechnet man aus BLACKBRAIDs Atmo-Black Metal die Melange aus von den heimatlichen Adirondack Mountains beeinflusstem USBM und den indigenen Einflüssen heraus, fusst er klar auf epischem skandinavischem Black Metal à la BATHORY, was durch den letzten Song ‚A Fine Day to Die’ schliesslich auch bestätigt wird. Quorthons Macht ist stark in Sgah’gahsowáh, seine Gitarren seine Lichtschwerter, Warpaint auch nichts anderes als Corpsepaint, und die Rückbesinnung auf Vorfahren und kulturelle Herkunft eine weitere Parallele, die jedoch völlig natürlich daherkommt und bisher einfach gefehlt hat, so wie generell die First Nations in der aktuellen amerikanischen Kultur mehr als unterrepräsentiert sind, die lange blutige, gewaltvolle und zerstörerische Geschichte der Kolonialisierung des Landes wirkt leider weiterhin nach. Doch indigene Flöte, Percussions, Tierschreie und Tanzrhythmen passen zum Black Metal genauso gut wie Hardanger Fiddle oder Dudelsack, haben jedoch den Reiz des Neuen noch nicht verspielt, was BLACKBRAID zu einem erfrischenden Hörerlebnis macht, auch wenn seine grundsätzliche Herangehensweise altbekannt ist: repetitives, druckvolles (Tremolo-)Riffing, Blastbeats galore, vielschichtige epische Melodien, eine fauchende, aggressive, aber auch ultratief growlende Stimme und abwechslungsreiche, immer wieder die Stimmung wechselnde und gerade was die vielseitige, komplexe Gitarren- und Schlagzeugarbeit angeht faszinierende Songs, die schon beim Debut keineswegs wie Anfängermaterial daherkamen und schon gar nicht wie solches produziert sind, ganz im Gegenteil. Die Songs gehen straight nach vorne, oft im Galopp, Ge-Fan-gene werden hier keine gemacht, ausser headbangenden und Fäuste reckenden, denn mitgerissen wird man sofort von den kraftvollen und treibenden Rhythmen, stillstehen ist hier unmöglich, und live muss BLACKBRAID ein wahres Spektakel sein.
Doch es gibt auch immer wieder stille, nachdenkliche Momente, gerade die grossartig warme und lebendige Akustikgitarre, die gern als Brücke zwischen den ganz unterschiedlich langen Songs aufspielt (‚Spells of Moon and Earth‘, ‚Celestial Passage‘), baut stets eine mystische, aber auch sehr emotionale Lagerfeueratmosphäre auf, man meint die weite Landschaft und erfrischende Nachtluft unterm Sternenhimmel selbst zu spüren, und setzt die Flöte ein, stellt sich automatisch eine Sehnsucht nach Rückverbindung mit der Erde ein, nach einem einfachen Leben nach ihren Zyklen von Werden, Wachsen und Vergehen anstatt der elektrifizierten Hektik unserer Grossstädte. Damit berührt BLACKBRAID einen Nerv im modernen Menschen und natürlich gerade auch im Blackmetaller, der diese Thematik bereits aus diversen Kulturen der Menschheit kennt. Es wird sehr deutlich, wie aussergewöhnlich stark Sgah’gahsowáh mit seiner Umwelt verbunden ist und aus ihr sowohl Inspiration als auch Kraft und Trost bezieht, denn erwähnte Sehnsucht kann auch als solche nach den eigenen Wurzeln verstanden werden, was für einen noch dazu adoptierten Native American vermutlich Lebensthema ist.
Trotzdem verliert seine Musik nie das Spielerische, ist bei aller Aggression ein Tanz und eine Feier des Lebens, welche Spiritualität als Kommunikationsweise mit der Natur in den Mittelpunkt stellt. Organisch wachsen auch die Songs mit starken Spannungsbögen wie die starke Single ‚The Spirit Returns’, oder legen einfach wie ein Sturm mit hoher Geschwindigkeit los (das WATAIN-Style ‚The Wolf that Guides the Hunter’s Hand’), doch es gibt auch okkult angehauchte downtempo-Stampfer wie ‚Twilight Hymn of Ancient Blood’, das im letzten Drittel zu einem veritablen Blackthrasher mit Mörderriff wird. Die beiden Longtracks im Zentrum des Albums, ‘Moss Covered Bones on the Altar of the Moon’ sowie ‘A Song of Death on Winds of Dawn’ sind eigenständige Geschichten, die ihre Themen und Motive sehr detailliert erforschen und gleichzeitig die Vielfalt der Band aufzeigen, trotzdem hätte vor allem Ersterem etwas Straffung gutgetan, was jedoch ein absolut vernachlässigbarer Kritikpunkt ist, immerhin sprechen wir von einer ganz jungen Band. Der zweite dagegen zeigt, dass BLACKBRAID immer dann am besten sind, wenn sie sich völlig frei von Konventionen machen, einfach losballern und sehen, wohin sie ein solcher Energieausbruch führt – denn er wird bei diesem nachdenklichen Songwriter über kurz oder lang sowieso wieder in mächtiger Schönheit und Epik eingefangen. Mein aktueller Favorit ‚A Song of Death on Winds of Dawn’ ist damit neben ‚The Spirit Returns’ auch mein Anspieltip für Neulinge.
Hier hat sich ein Black Metal-Fan diese extreme Musik als Ausdruck seiner inneren Wirklichkeit zueigen gemacht, eine klassische Interpretation des Genres mit seiner eigenen Seele versehen, und diese Authentizität ist neben seinem enormen Talent als Musiker wie Songschreiber vielleicht die Basis seines für einen bislang Unbekannten so enorm schnellen Erfolges. War das Debüt ein Paukenschlag einer wie aus dem Nichts kommenden Band, zeigt der Zweitling, dass hier noch eine Menge Potential brach liegt, von dem im Zukunft noch so Einiges erwartet werden kann.
Bandinfo:
BLACKBRAID ist das Soloprojekt von Sgah’gahsowáh (Vocals, Guitars, Bass), die Drums der ersten beiden Alben wurden von Neil Schneider eingespielt.
Live begleitet Sgah’gahsowáh eine feste Bandbesetzung.
https://blackbraid.us/
https://blackbraid.bandcamp.com
https://www.instagram.com/blackbraid_kvlt/
Diskographie:
Blackbraid I (LP, 2022)
Blackbraid II (LP, 2023)