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Veröffentlichung: 16.12.2022
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Vertrieb: Kscope
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Versionen: 2 Disc – CD & DVD Edition (or Audio only: Digital, Vinyl)
Stil: Audiovisuelles Gesamtkunstwerk & Best Of-Neueinspielung von einem der seltenen Allroundkünstler unserer Zeit
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JONATHAN HULTÉN ist für vieles zu bewundern – seine virtuosen Gitarrenkünste, den absolut sicheren Umgang mit seiner so vielschichtigen wie umfangreichen Stimme, sein ausdrucksstarker und gleichzeitig extrem reduzierter Stil als Songwriter und Lyriker, sein so phantasie- wie effektvolles Styling, mit dem er sich ständig neu erfindet, sein enormes Talent als Graphiker, sein expressiver Selbstausdruck als Tänzer, nicht zuletzt seine zurückhaltende und doch stets hochpräsente menschliche Art, doch vor allem für seine schier unerschöpfliche Kreativität, die sein Aufgehen in all diesen Kunstformen erst möglich macht.
Am meisten beeindruckte mich jedoch sein Ausstieg von TRIBULATION, gerade zum Zeitpunkt ihres kommerziellen Durchbruchs, den HULTÉN jedoch offensichtlich benötigte, um seinen ganz eigenen Weg als Universalkünstler gehen zu können. Frei von jeder Einschränkung, ohne Kompromisse, nur sich selbst und seinen eigenen Ansprüchen verpflichtet, offen für jegliche Ideen, die da kommen. Dass er gefühlvoll und packend komponieren kann und daraus mit den einfachsten Mitteln, aber einem grossen Perfektionismus exakt auf sich als Performer zugeschnittene Stücke voller Klarheit und doch tiefer Emotionalität gestalten kann, ist lange bekannt, sein erstes Lebenszeichen von 2017, die EP ‚The Dark Night Of The Soul’ hat es genauso bewiesen und seine Fans verzaubert wie das 2020er LP-Debüt ‚Chants From Another Place’. Nun, da er sich den Freiraum für jegliche Experimente geschaffen hat, nutzt er diesen auch aus, seine Video-Beiträge zu den während der Pandemie gestreamten Festivals „Slay At Home“ und „Roadburn Redux“ hatten hatte es bereits angedeutet, doch wohl nicht einmal er selbst hat damit gerechnet, zu was sich ‚The Forest Sessions’ entwickeln würden.
Ein einzigartiges Projekt
Vielleicht hat sie sich ja auch aus dem Filmen für die virtuellen Festivals entwickelt, diese Idee, innerhalb von 24 Stunden an verschiedenen Orten im Wald nahe Stockholms Livevideos zu den stärksten seiner Songs zu drehen, denn dafür hatte er es genauso gehalten und ‚The Call To Adventure’ sowie ‚A Dance In The Road’ in einem winterlichen abgeholzten Waldstück – seinem Statement gegen Abholzung und Umweltzerstörung – gedreht; ‚The Call To Adventure’ ist daher auch in zwei sehr unterschiedlichen Versionen auf dieser Compilation enthalten und damit das perfekte Beispiel dafür, wie sehr sich die ‚Forest Version’-Interpretationen von den Originalen unterscheiden. Grundlage für das Abenteuer war auf jeden Fall die Idee, ein Konzert aus dem Wald komplett zu streamen – damit also auch, Covid-19 ein kreatives Schnippchen zu schlagen – doch nach den ersten Plänen wurde aus der Setlist dieses geplanten Auftritts eben eine Zusammenstellung von einzelnen Videos in unterschiedlichen Umgebungen, alle nicht weiter als 40 Minuten von Stockholm entfernt.
Es waren nicht seine ersten Videos, so wie er das Artwork seiner Platten selbst entwirft, hat er dies bereits für TRIBULATION getan, und auch Musikvideos konzipiert und gedreht, doch wie seine Musik als Solist sind diese neuen Filme durch und durch von seinem Kunstverständnis und seiner Weltsicht durchdrungen. HULTÉN hat eine sehr enge Verbindung zur Natur, zu Wäldern, Meeren, Pflanzen, Tieren, Tag und Nacht – all ihren Daseinsformen, und das lebt in seiner Musik genauso auf wie in seinen Visuals. In ‚The Forest Sessions’ ist die Natur eine Kathedrale – und die Musik erklingt darin entsprechend wie eine Liturgie, ein Lobpreis und eine Ehrerbietung im Angesicht der Schöpfung. Entsprechend wurden Hintergrundgeräusche wie Vogelgezwitscher, Wind in den Bäumen oder Feuerknistern in den Aufnahmen erhalten, ja spielen eine eigene Rolle, machen den Eindruck erst vollständig. Hinzu kommt ein subtiler Hang zur Mystik, zu Geschehnissen und Wesenheiten ausserhalb unserer üblichen Sinneswahrnehmung, den Welten hinter dem Schleier… der einzige neue Song auf dem Album, ‚Dance Of The Water Spirits’, spricht schon im Titel davon. Und so ist auch die Stimmung in den Videos zum einen sehr naturverbunden, jedoch vor allem geheimnisvoll, träumerisch, diffus, ganz egal ob tags oder nachts gefilmt wurde. Die verschiedenen, spannend ausgewählten Locations geben den jeweiligen Songs genauso eine neue Wirkung wie Hulténs exaltierte Outfits und Make-Ups, die sich ebenfalls ständig verändern. Er ist eine Kunstfigur in der Natur, wirkt jedoch nicht störend, eher wie eine Wesenheit, die hier schon immer existiert und nun erstmals sichtbar wird.
Mal sitzt er einfach Gitarre spielend im Wald, dann wiederum steht er aus der Vogelperspektive gefilmt am Rande eines ehemaligen Steinbruchs (‚The Mountain’) oder spielt nachts zwischen Kerzenlicht und Räucherschwaden auf einer alten, sicher unglaublich schweren Orgel (‚Wasteland’), allein der planerische und personelle Aufwand für nicht nur ihren Transport, und generell für die Gestaltung der Locations muss riesig gewesen sein, ebenso das notwendige Team für diese filmische Mammutaufgabe. Da wird ein Floss mit einer Tänzerin nachts über einen vernebelten See gezogen (‚Dance Of The Water Spirits’) Fackeln brennen in einem Wald voller Spiegel (das stark Americana-lastige ‚Where Devils Weep’) und ein besonders effektvolles Video entsteht in einer stillgelegten alten Mine – all dies wird sehr raffiniert gefilmt und hat trotz der völlig unterschiedlichen Umgebungen eine einheitliche Ästhetik. Mein Favorit in musikalischer wie filmerischer Hinsicht ist jedoch ‚…And The Pillars Tremble’, das abschliessende Video, gefilmt in einer Schonung mit akkurat und symmetrisch in Reihen gepflanzten Birkenstämmen. Vor diesen himmelstrebenden Säulen steht Hultén und begleitet seinen mehrstimmigen Gesang mit einer Art gestischem Tanz, und sein so expressiv wie kunstvoller, choraler Gesang, wiederum nur begleitet von einer Orgel, führt genauso zum Himmel wie er die Zuhörenden erdet – das vielleicht eindrücklichste Stück wird so zum Inbegriff der blauen Stunde zwischen Tag und Nacht – eine wunderbar reduzierte und gleichzeitig majestätische Interpretation!
Seelenmusik für innere Reisen
Und damit endlich zur Musik. „Experimentelle Versionen“ der verschiedenen Songs sollen es sein, seiner besten natürlich, und teilweise fallen diese auch komplett anders aus als im Original. Als ob er sich selbst covern würde, sind manche Stücke wie von innen nach aussen gedreht, anders instrumentiert und gesungen, auch mit Percussion und Elektronik wird experimentiert, vor allem wird jedoch jeweils ein besonderer Stil in Musik wie gesanglicher Interpretation hervorgehoben, passend zum Videosetting, was das Erlebnis noch beeindruckender und abwechslungsreicher macht. Und generell gilt ja bei JONATHAN HULTÉN „weniger ist mehr“, das ist diesmal nicht anders. Dreh- und Angelpunkt ist stets sein enorm variabler und einzigartig vielschichtiger, anrührender Gesang, den er bei den Aufnahmen, die immerhin zweieinhalb Jahre, von Januar 2020 bis Juni 2021 andauerten, mehrstimmig über die Filme legte. Er lässt einen sehr nahe an sich heran bei diesen extrem intimen Versionen und behält trotzdem eine kühle Distanz, bleibt unfassbar, wie ein Wesen aus einer anderen Sphäre. Der kristallklare Sound, der wirklich jedes Knacken und Rufen im Wald abbildet, tut sein übriges zum Eindruck, mitten dabei zu sein, gemixt und gemastered hat abermals Ola Ersfjord.
Und als ob all dies noch nicht genügen würde, hat Hultén zu jedem Song ein Gedicht verfasst und im Stil der Videos liebevoll zeichnerisch animiert, welche als Interludes zwischen den Songs eingeblendet werden und eine eigene kleine Geschichte erzählen. Hier kehrt er tatsächlich sein Inneres nach aussen, und gibt dem Ganzen noch mehr persönliche Note, und wer sich jetzt noch überlegen sollte, ob er ‚The Forest Sessions’ tatsächlich braucht, dem ist nicht zu helfen. Denn sie sind nicht nur für alle Fans emotionaler Songwriterkunst ein Pflichtkauf, sondern ein modernes Gesamtkunstwerk, das vor allem als Medizin für die Seele wirkt. Man sollte jegliche Fahrstuhlmusik weltweit einfach damit ersetzen, unsere Welt wäre endlich ein friedlicher und liebevoller Ort…
Bandinfo:
Jonathan Hultén spielt sämtliche Instrumente, singt und nimmt in Eigenregie auf, komponiert und schreibt Texte und Gedichte, und ist zudem für die graphische und visuelle Gestaltung all seiner Veröffentlichungen zuständig.
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