HR Giger Museum & Bar, Gruyères, Schweiz

(Von UltraViolet aka U.Violet, zuerst erschienen am 21.05.2018 bei www.Saitenkult.de)

Ein würziger Duft von warmem Käse liegt über dem pittoresken, mittelalterlichen Bergdorf, er weht herüber von den unzähligen Raclettes und Fondues, an denen sich eine nie abreißende internationale Touristenschar labt. Wer hierher kommt, ist auf Genuss aus – sei dieser kulinarisch oder kulturell. Gruyères, auf 810 m Höhe im Kanton Fribourg in der Westschweiz gelegen, erfüllt mit seiner herausragenden Lage zwischen Kuhweiden, Bergen und Wäldern perfekt das Klischee des Schweizer Bergidylls. Der Ort ist weltbekannt für seinen Bergkäse, das den Marktplatz überragende Schloss Greyerz – und seit nunmehr genau zwanzig Jahren auch für das H.R. Giger-Museum mit der dazugehörigen Bar.

Tritt der Besucher durch das Tor der Festung Saint-Germain und rechts ein paar Stufen hinauf, steht er bereits auf einer der biomechanoiden Reliefsteinplatten, wie sie überall im Museum verlegt sind. Die Symbiose von Mensch und Maschine, der Grundpfeiler in Gigers Kunst, begegnet uns auch in den Statuen und der ‚Birth Machine‘-Installation an der Fassade des Chateaus.

Schon vor dem Museumsgebäude wird damit der krasse Gegensatz zwischen dem inszenierten Touristennepp und dem Inbegriff des düsteren Pop-Surrealismus und phantastischen Realismus deutlich. Trotzdem hat sich HR Giger in den Ort und die ihn umgebende mystische Landschaft verliebt, als er zu seinem 50. Geburtstag eingeladen wurde, auf Schloss Greyerz eine grosse Retrospektive zu zeigen. Da sich wenig später die Gelegenheit ergab, Haus Nr. 2 des Festungsgebäudes zu erwerben, zögerte er nicht und wandelte es in sein Museum mit angeschlossener Galerie für Sonderausstellungen um. Aktuelle Direktoren des Museums sind Gigers Witwe Carmen Maria Giger und Metalikone Thomas Gabriel Fischer a.k.a. Tom Warrior (TRIPTYKON, CELTIC FROST), einer von HRGs langjährigen Assistenten und Freunden.

Mit Betreten des dreistöckigen Museumsgebäudes findet sich der Besucher endgültig in einer anderen Welt wieder. Wie bei HRG zuhause in Zürich-Oerlikon (siehe das Giger-Biopic ‚Dark Star – HR Gigers Welt‘) sind auch hier fast sämtliche Wände sowie die steilen Stiegen schwarz gestrichen, das Haus ist verwinkelt und die düstere Ausstellung schon sichtlich in die Jahre gekommen, was jedoch kein Wunder ist bei dem stetigen Durchstrom an Besuchern; gleichzeitig atmet hier somit alles weiterhin das Odeur von Gigers charmantem Künstlerchaos.

Die Ausstellung ist chronologisch und thematisch gegliedert, es gibt verschiedene Themenräume, aber auch dazwischen in jedem Winkel irgendetwas Neues, wie beispielsweise die schon stark oxidierte Oscar-Statue von 1980 zu entdecken. Der grosse Raum zu Beginn des Rundganges ist ‚Alien’ und Gigers weiteren Filmausstattungen für ‚Poltergeist II’ und ‚Species’ gewidmet, die schiere Größe eines ausgewachsenen ‚Alien’ beeindruckt genauso wie der Blick in einen teilweise auseinandergenommenen Kopf. Anhand diverser Handskizzen wird deutlich, wie viel Arbeit in solch einem animierten Geschöpf steckt, bis es so aussieht und auch funktioniert wie geplant. Dass Regisseur Ridley Scott HR Giger nach Betrachtung seines Buchs ‚Necronomicon‘ für seinen Film engagierte, überrascht nicht, wenn man die gleichnamigen Bilder und Skulpturen sieht:

1976-B-303: Necronom IV, 1976, 100×150 cm, Acryl auf Papier auf Holz, www.hrigermuseum.com

2005-T-001: Necronom 2005, 1990–2005, 110×78×220 cm, Polyester, Metall. Foto: Matthias Belz, www.hrigermuseum.com

Im Nebenraum stehen Tisch und rippengestützte Harkonnen-Stühle des letztlich von David Lynch nicht verwendeten ‚Dune’-Designs, als ob sie auf ein Festmahl auf dem Wüstenplaneten warten würden. Menschliche Beckenknochen bilden die Kopfstützen – eine im Wortsinn verkehrte Welt. Auch hier wieder eine Geisterbahn, wie sie Hans Ruedi seit seiner Kindheit immer wieder selbst baute – diese transportiert rostig und mit Totenköpfen und Reisszähnen bestückt Erhängte, eine echte Alptraumsequenz, die an Deportierung und Massenmord gemahnt.

Giger Museum, Photo: Matthias Belz, www.hrigermuseum.com

Ein abgetrennter Rotlichtraum mit expliziten Darstellungen ist nur für Erwachsene zu betreten, wobei man sich fragen muss, ob konsequenterweise nicht noch viele weitere Bilder dorthin zu „verbannen“ wären. Penetration jeglicher Körperöffnungen durch Phalli, Waffen, Schlangen oder andere Objekte ist alltäglich in HRGs Kunst, sexuelle Extase findet man jedoch kaum, eher eine Art gelähmtes Stillhalten; generell sind vor allem seine Airbrush-Bilder statisch, oft wie eingefroren, was sie nicht weniger beklemmend macht. Dass Frauen in Gigers Universum nicht nur Hauptdarstellerinnen, sondern oft auch die dominierenden Akteurinnen sind, zeigt mit subtilem Humor ‚The Bride of Satan’, deren High Heel-bewehrte Rückansicht wesentlich mehr Raum einnimmt als der von ihr gerittene bocksbeinige Gehörnte…

Giger Museum, Foto: Matthias Belz, www.hrigermuseum.com

Li Tobler, Gigers grosse Liebe und Muse, die ihrem Leben depressiv früh ein Ende setzte, ist als ätherische Schönheit in den ‚Li I und II’-Bildern, aber auch einigen weiteren hier gezeigten Werken verewigt. Zu ihren Lebzeiten diente sie HRG auch als Leinwand für seine biomechanoiden Sprühpistolenmotive. Die ständig wiederholten Exekutionsmotive durch Revolver und Gewehre im Mund (‚Pumpexcursion’) erinnern mich an ihren Freitod, den Giger nie, schon aus ästhetischen Gründen nicht („Wie kann sich jemand mit einem so hübschen Gesicht nur dort hineinschießen?“, soll er einmal gesagt haben) überwinden konnte. Dabei begleitet ihn eine Faszination für Schusswaffen bereits seitdem er als Junge von seinem Vater eine Pistole bekam – für den Verächter jeglicher Gewalt inklusive dem Töten von Lebewesen ist es magisch, dass die Wirkung einer Schusswaffe erst weit in der Distanz einsetzt, dies entspricht für ihn dem Ergebnis, das er selbst mit seiner Sprüh-Pistole erzeugt.

1974-B-250: Li I, 1974, 70×97 cm, Acryl und Tusche auf Foto, www.hrigermuseum.com

“Landschaften” nennt er seine Wiederholungsbilder und Plastiken, die dasselbe, jedoch im Detail stets veränderte Motiv großflächig in mehreren Reihen ständig wiederholen. Das können warzige Babyköpfe sein, Phalli oder zottig-schrundige, an Eingeweide erinnernde Membranen – die großen Themen des Hans Rudolf Giger, das unendliche Rad des Lebens aus Geburt, Sexualität und Tod kehrt darin stets wieder.

‚Landschaft‘-Wand in der Giger-Bar Gruyères, Photo: U.Violet

 

Dazu passt dann auch der ‚Christ Table’: drei jeweils stehend und Überkopf hängende Gekreuzigte stützen die runde Glasplatte eines Cocktailtischchens, eine gleichzeitig irritierende, ironische wie ästhetisch gelungene Installation, die entsprechend gemischte Gefühle im Betrachter hervorruft. Religiöse Motive spielen oft eine bedeutende Rolle in der Bildwelt des Atheisten, der von vielen als Okkultist oder gar Satanist verkannt wird, jedoch nur das bildlich wiederspiegelt, was aus den tiefsten, dunkelsten Urgründen seiner Seele, aus einem kollektiven Unbewussten aufsteigt.

Am beeindruckendsten in dieser Werkschau ist für mich jedoch der ‚The Spell‘-Raum, der, wie ich später erfahre, auch Hans Ruedis Lieblingsraum war: vier mehrere Quadratmeter große Airbrush-Formate bilden die Wände, in denen es jeweils eine zentrale Hauptfigur gibt (Bildausschnitte davon hier). In „The Spell IV“ ist dies Baphomet, auf einem Schädelthron in seiner üblichen hermetischen Haltung und Ausstattung mit Ziegenkopf, Engelsflügeln und schlangenumwundenem Stab sitzend, statt weiblicher Brüste besitzt er jedoch Köpfe Handgranaten tragender Babys, eine Spritze hängt in seinem linken Arm, er wird flankiert von verwesenden Ratten, von der Flamme der Intelligenz gepfählten weiblichen Necronomartigen und schlangendurchwundenen Pentagrammen. Dieses Bild ist ein perfektes Beispiel für Gigers Vermögen, seine Kunst mit soviel Symbolik wie nur möglich anzureichern, ohne auch nur im geringsten die Ästhetik dadurch zu beeinträchtigen.

Organische Symmetrie findet sich wieder in den an Hightech-Platinen erinnernden ‚New York City’-Gemälden, die noch aus der Airbrush-Phase Gigers stammen. Später hat sich der Künstler vor allem dem Dreidimensionalen sowie der für ihn wesentlich direkteren und authentischeren (Tusche-) Zeichnung, von denen einige im Eingangs- und Shopbereich des Museums zu sehen sind, gewidmet.

2012 Portrait HR Giger 2, Photo: Annie Bertram

Das Dachgeschoß beherbergt einen Teil seiner Privatsammlung phantastischer Kunst, wie beispielsweise Joe Colemans ‚Portrait of Charles Manson’ oder eine bronzene Spinne aus Menschenknochen von seinem Künstlerfreund André Lassen (‚Spider Table’), sowie Mixed Media-Werke des „Sexpressionisten“ Steven Johnson Leyba. In einem Nebenraum kann der Film ‚Dark Star – Die Welt des HR Giger’ angeschaut werden, schon allein deswegen und auch für die wechselnden Sonderausstellungen in der angeschlossenen Galerie sollte man sich mehrere Stunden Besuchszeit reservieren.

 

In der HR Giger Bar

Eine der beiden noch existierenden Giger-Bars (die zweite ist in Gigers Heimatstadt Chur zu bewundern) befindet sich direkt gegenüber dem Museumseingang, und man sollte sich das Erlebnis, dort in einem Harkonnen-Drehstuhl einen ‚Alien Coffee’ oder ‚Dark Shadow’ zu genießen, nicht entgehen lassen.

Die komplette Einrichtung wurde von HRG vor allem mit Bezug auf sein “Alien“-Design entworfen und realisiert, die an gotische Gewölbe erinnernde Decke aus knochenfarbenen, teils wirbelsäulenartigen, teils reptiloiden Rippen- und Pfeilerstrukturen hat schon manchen an Jona’s Aufenthalt im Bauch des Wals gemahnt, das ganze Ambiente strahlt jedoch eine einladende, entspannte Ruhe aus, in der sich die Vielzahl an hier verwirklichten Details Stück für Stück erfassen lässt.

Draussen zieht der Touristenstrom hoch zum Schloss, hier drinnen lassen sich die Eindrücke aus dem Museumsbesuch langsam mithilfe eines heimischen grünen Kräuterschnapses verdauen, bevor man sich selbst wieder in die Realität begibt.

Au revoir, Gruyères! Ich werde ganz sicher wiederkommen.

Alle nicht näher bezeichneten Photographien: U.Violet.

Mit Dank an das HR Giger Museum, Château St-Germain CH – Rue du Château 2 – 1663 Gruyères

www.hrgigermuseum.com
https://www.facebook.com/pg/museumhrgiger
http://www.hrgiger.com/

 

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