von UltraViolet aka U.Violet, zuerst erschienen bei www.Saitenkult.de:
SCHAMMASCH – Hearts Of No Light
Dez 22, 2019
~ 2019 (Prosthetic Records) – Stil: Post-Black Metal ~
Wenn eine Band ihre Larger-than-life-Platte veröffentlicht hat, ist es schwer, danach einfach wieder zum Tagesgeschäft überzugehen. Für SCHAMMASCH war nach ´Triangle´, dem überragenden 2015er Tryptichon und Gesamtkunstwerk klar, dass nicht nur eine Pause, sondern nun auch einmal etwas ganz anderes her muss; und sie lösten dieses Dilemma sehr charmant mit der ob ihrer abgrundtiefen Dunkelheit extrem fordernden Konzept-EP ´The Maldoror Chants: Hermaphrodite´. Zudem hat sich die Band seitdem nicht nur live, sondern dauerhaft personell erweitert und mit J.B nun einen dritten festen Gitarristen in ihren Reihen, der dem vielschichtigen Sound der komplexen Stücke deutlich mehr Volumen gibt. Damit stand einem neuen, vierten Langdreher nichts mehr im Wege, und was die Schweizer mit ´Hearts Of No Light´ zustande gebracht haben, braucht keinen Vergleich mit seinen Vorgängern zu scheuen – wenn man denn unbedingt vergleichen muss.
Vielmehr gewinnt man den Eindruck, dass die Basler sich und ihr Schaffen zum einen retrospektiv unter die Lupe genommen haben, und gleichzeitig noch experimenteller als zuvor an den Entstehungsprozess von ´Hearts Of No Light´ herangegangen sind. Die drei Gitarren weben einen dichten Klangteppich, aus dem die düsteren Arpeggios, ein SCHAMMASCH-Trademark, wie Stichflammen wieder und wieder heraufzüngeln, und der durch die perlenden harmonischen Läufe verdichtet wird; der Sound ist generell sehr voll, tief, und deutlich wärmer und weicher als zuvor geworden, was möglicherweise auch dem Einfluß von Markus Stock (EMPYRIUM, SUN OF THE SLEEPLESS…) geschuldet ist, in dessen „Klangschmiede Studio E“ die Platte gemischt und gemastered wurde. Die Zusammenarbeit mit Lillian Liu, einer (nicht nur) klassischen Pianistin, die ebenso wie die Mitglieder des SAROS Collectives eine Universalkünstlerin ist und auch als preisgekrönte Photographin und Model arbeitet, erweitert die generell schon immer sehr erhabene Stimmung um neue, die Ernsthaftigkeit noch verstärkende Elemente.
Nach dem Pianointro schliesst der erste Song ´Ego Sum Omega´ ganz nah an ´…Hermaphrodite´ an, in Stimmung wie in Tonlage, und gibt damit dem Fan einen roten Faden in die Hand, der sehr hilfreich sein wird, um sich in einem vertrackten Klanglabyrinth zu orientieren. Denn Bandkopf C.S.R. ist das Kunststück gelungen, eine Platte zu komponieren, die sowohl von enormer Vielseitigkeit lebt, als auch durchgehende Elemente immer wieder aufnimmt – je öfter man ´Hearts Of No Light´ hört, desto mehr fühlt man sich darin daheim, da von Anfang bis Ende Motive in abgewandelter Form auftauchen und wieder vergehen, um Neuem Platz zu machen. Die erste Hälfte entwickelt sich als die oben angedeutete kleine Werkschau der Schweizer, nur auf einem Niveau, das sich ausschliesslich an den Höhepunkten von ´Triangle´ und ´Contradiction´orientiert. Danach entwickelt sich jedoch die B-Seite nicht nur zu einem Potpurri feinster eidgenössischer Tonkunst, sondern vor allem zu einem grossartigen Überraschungspaket.
©Ester Segarra
Besonders sticht dabei die zweite Kooperation heraus: ‘I Burn With You’ beginnt eindrucksvoll mit Lyrics und Stimme Aldrahns (Ex-DØDHEIMSGARD, THORNS), dessen knurrend-hysterischer, hochemotionaler und gefühlstiefer Sprechgesang einen starken vokalen Kontrapunkt zu C.S.R.s eher rufendem Bariton setzt – im Laufe des Songs steigert Aldrahn sich, wie von ihm gewohnt, extrem in seine Rolle hinein und macht aus einem eher kühlen Hörspiel, in dem auch Lillian Liu Akzente setzt, eine dramatische Minioper; beide reissen schliesslich auch C.S.R. mit hinauf zu einem Vortrag, der packender kaum sein könnte – SCHAMMASCH as its very, very best! Im Anschluss geht es genauso hochklassig, doch wiederum extrem überraschend weiter – so unspektakulär, wie ´A Paradigm Of Beauty´s Intro sich ganz langsam und repetitiv entwickelt, so faszinierend entpuppt sich über viele Umwege und Umleitungen der Ohrwurm dieser Platte schliesslich als klassischer 70er US-Hardrock-Song mit einer Hookline, die man von einer Ex-Black Metal-Band so nicht erwartet hätte (macht euch weiter unten im Video einfach selbst ein Bild davon…). Das Ding geht nicht nur ins Ohr, sondern auch in die Beine, und wenn es noch Metaldiscos geben würde, wäre es ein veritabler Dancefloor-Hit! C.S.R. singt ihn mit kraftvoller Klarstimme, und legt hier ein Gitarrensolo hin, wie man es von ihm bisher noch nicht gehört hatte – auch wenn die Basler schon immer Andeutungen ihrer Einflüsse haben aufblitzen lassen, diese liebevolle Hommage an die Hochzeiten des harten Rocks hätte wohl keiner auf dem Zettel gehabt…Chapeau!
Doch ´Katabasis´ kriegt danach wieder die Kurve zurück zu dem, wie wir SCHAMMASCH kennen. Von B.A. W‘s extrem vielseitigen Percussions, die gerade auch live stets stark beeindrucken, kann man ja niemals genug schwärmen, und in den beiden abschliessenden Stücken erhalten sie nochmal viel, viel Platz. Auch die alles durchtränkende Düsternis ist wieder zurück, sowie die atmosphärischen Klänge und field recordings, gerade im über viertelstündigen Schlussstück, das damit stark an ´The Supernal Clear Light Of The Void´, den dritten und abschliessenden ´Triangle´-Teil erinnert. Doch auch hier überrascht wieder etwas ganz anderes – eine lange Flamenco-Gitarrensentenz erdet und erhebt uns gleichzeitig. Hinzu kommt die dritte Zusammenarbeit, diesmal mit Dehn Sora (TREHA SEKTORI, THROANE, OVTRENOIR), der faszinierende, ewig wabernde, Sci Fi-artig verhallte Sounds und flüsternde Stimmen beisteuert, die diese absolut runde Sache langsam und sehr meditativ in einem finalen weissen Rauschen ausblenden.
Fazit: SCHAMMASCH ist mit ´Hearts Of No Light´ die Quadratur des Dreiecks gelungen; ihr viertes Langwerk bringt eine Menge Innovationen ins Spiel und schafft es gleichzeitig, stilistisch die gesamte Bandhistorie zu überspannen. Sie ist daher für Neulinge genauso perfekt geeignet, sich einen Eindruck vom Stil der Schweizer Avantgardisten zu machen, wie sich Fans der Band daran erfreuen werden, zwischen der üblichen Auslotung abyssaler menschlicher Untiefen auch einmal ein paar Lichtblicke in der gewohnten Düsternis erhaschen zu können. Ganz grosses Kino!
(9 Punkte)
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SCHAMMASCH – The Maldoror Chants: Hermaphrodite
Jun 26, 2017
~ 2017 (Prosthetic Records) – Stil: Avant-Garde Black Metal ~
Härter, schneller, komplexer? So mancher wird sich gefragt haben, wie sich SCHAMMASCH nach einem kolossalen Trilith wie ‚Triangle‘ aus dem vergangenen Jahr noch steigern könnten. Die eigenwilligen Schweizer geben mit ihrer neuen Veröffentlichungsreihe die einzig folgerichtige Antwort: in Abkehr des allgegenwärtigen Fortschrittswahns gehen sie zurück zur Quelle, zu ihren spirituellen Wurzeln, in die Essenz ihres schöpferischen Selbst.
Wie viele Künstler des Surrealismus ist die Band stark beeinflusst vom Werk des französischen Dichters Lautréamont, den „Gesängen des Maldoror“. Teile daraus vertonen sie nun auf Basis des Originaltextes, und die Geschichte des Hermaphroditen bildet den ersten Teil hiervon. Auf 30 Minuten reduziert erwarten den Reisenden (es wäre völlig unzutreffend, hier nur vom „Hörer“ zu sprechen) an orthodoxe Mönchschants erinnernde, perkussive Sprech- und Chorgesänge zusammen mit viel Schlagwerk, die ihn durch atmosphärische Soundscapes begleiten und führen – bis er loslässt, sich einfach nur fallen lässt in die transzendente Erfahrung, und wenn er Glück hat, in die Trance.
Dass C.S.R nicht nur eine wunderschöne Sing-, sondern auch Sprechstimme hat, war schon zuvor bekannt, doch hier bekommt sie nochmals ein ganz anderes Gewicht: von zart-brüchig (‚These Tresses Are Sacred‘) bis zu fordernd-tief (‚May His Illusion Last Until Dawn’s Awakening‘) steht sie stets im Fokus. Dronig-düstere Gitarren steigern und akzentuieren die hypnotische, fast beängstigende Stimmung durch ständige Wiederholung des zu Beginn ganz schlichten Hermaphrodit-Themas. Gegen Ende des dritten Songs wird das Motiv von Tasten übernommen, alles kommt fast zum Stillstand, und die Stimmung schlägt um: passend zur Morgenstimmung erreichen wir den Moment auf dieser Platte, der pure Schönheit körperlich erfahrbar macht, heilig ist und Schauder über den Rücken laufen lässt; ‚These Tresses Are Sacred’ leitet über in die beiden energetisch dichtesten Songs des Albums. Nun singen Gitarren und Bass wie befreit auf, zusammen mit einem kristallklaren, treibenden Drumming von Boris A.W. (unglaubliche Präzision, hervorragend abgemischt!), halten uns jedoch weiterhin in einem Loop, nein, eher einer Ellipse wie gefangen in der Geschichte, erhöhen die Spannung weiter und alles kulminiert schließlich in der wunderbaren Raserei von ‚Chimerical Hope‘. Es ist fast unmöglich, am Ende die Augen wieder zu öffnen, und nicht sofort wieder von vorne zu beginnen, zu ergreifend schön war diese Erfahrung.
Dass ich einen Tag nach dem Release von `Hermaphrodite` der Erstaufführung dieses Werkes beim ‚The End of Music-Festival‘ in Heidelberg beiwohnen durfte, hat meine Ehrfurcht noch weiter gesteigert. Es war im Raum fast mit Händen greifbar, dass diese Veröffentlichung ein Lebensgefühl trifft, eine Gegenströmung zu digitaler Entfremdung und alles durchdringendem, seelenlosen Individualisierungs- und Optimierungszwang, wieder hin zum Blick auf das Große Ganze. Musik als Trost und Ermunterung, das individuelle wie kollektive Schicksal wieder selbst in die Hand zu nehmen.
Das Experiment ist gelungen. Der Sonnengott (babylonisch Šamaš) hat sich aufs Innigste mit der Sonne des Bösen (Aurore du Mal = Maldoror) vermählt. Habt teil an diesem Fest!
(3 x 3 = 9 Punkte)