Diverse MESSA – Reviews

von UltraViolet aka U.Violet, zuerst erschienen bei www.Saitenkult.de:

MESSA – Feast For Water

23. Mai 2018

2018 (Aural Music/SPV) – Stil: Dark Doom


Tiefe. Dunkelheit. Unergründlichkeit. Schweigen. Es trennt, es überspült, es verwischt, es deckt alles zu. Wasser kann grausam sein, reißend, überflutend. Es kann die Luft nehmen, kann erschlagen, kann töten. Und all dies ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen…

Der MESSAs Debüt ´Belfry´ zierende, namensgebende Kirchturm von Graun, der seit 1950 aus dem künstlich aufgestauten Reschensee ragt, steht symbolisch für das grausame Schicksal etlicher aus ihrer Vinschgauer Heimat von ihrem Grund und Boden vertriebener Familien. Menschen ohne die Möglichkeit, jemals zu ihren Wurzeln zurückzukehren, verloren, haltlos, ruhelos.

Schon damals haben die Norditaliener ihr Thema, jedoch noch nicht ganz ihren Stil gefunden – dies ist nun anders. Aus teilweise stark verdrontem Ambient / Sludge, unterspült von okkultem Rock der Marke WINDHAND, sowie sehr ausführlichen instrumentalen Improvisationen á la BELL WITCH haben sie für ihren Zweitling nun ihre völlig eigenständige ´Scarlet Doom´-Version destilliert, die mit (etwas) weniger Fuzz, generell weniger Effekt, aber viel mehr Song überzeugt. Das Quartett hat den schlammigen Bodensatz verlassen und lässt sich nun in tiefen, dunkel-blauig-jazzigen und niemals seichten Gewässern treiben. Die Soli sind immer noch ausufernd, jedoch weder die Song- noch Albumstruktur verwässernd, sondern umspielen die Hörnerven konzentriert, gefühlvoll und zärtlich wie ein versierter Liebhaber.

´Feast For Water´ ist ein sehr weibliches Album geworden, Saras stark verhallte, oft schmeichelnd-einlullende, aber niemals gezähmte Stimme (absolut kraftstrotzender Höhepunkt: ´Leah´) zeigt Anmutungen an DOOLs Ryanne van Dorst, wobei sich die Band generell im niederländischen Kraftfeld von THE DEVILS BLOOD, URFAUST und auch GOLD suhlt. ´She Knows´ huldigt mit seinen Fender Rhodes-Passagen BOHREN UND DER CLUB OF GORE, ´Tulsi´ hat die Raffinesse und Power einer JEX THOTH-Beschwörung, um schließlich in einer Huldigung an John Coltrane zu enden. Bei ´White Stains´ muss man keinen geringeren als John Paul Jones an den Tasten vermuten, wiewohl dessen Stammband LED ZEPPELIN stets im Hintergrund unterschwellig wabernd wirkt.

An keinem echten Doom-Jünger kann diese vielgestaltige, gleichermaßen zurückgenommen-behutsame wie mächtig-packende Musik so abperlen wie der verlaufende Schriftzug weismachen will. MESSA gehen unter die Haut. Wie ein Stein, der ins Wasser geworfen wird, wird dieses Album sehr weite Kreise ziehen, und die gute Botschaft verkünden: Wasser ist Leben. Es nährt, es trägt, es hüllt, es heilt.

(8 Punkte)

https://www.facebook.com/MESSAproject
https://messa666.bandcamp.com/
https://vimeo.com/258254913

MESSA – Close

11. März 2022

2022 (Svart Records) – Stil: Doom

Eine der meisterwarteten Neuerscheinungen des Jahres ist gleichzeitig wieder einmal ein Paradeanlass dafür, ernsthaft zu fragen, ob der Trend zu immer weiter aufgefächerten Kategorisierungsschubladen unter dem großen „All things heavy“-Banner überhaupt noch Sinn macht, oder es in Zeiten ständiger gegenseitiger Befruchtung und Inspiration über sämtliche Genre-, Kulturraum- und Zeitgrenzen hinweg nicht auch andere, bessere Wege gäbe, Musik zu verorten, zu beschreiben, ohne Künstlern wie Fans damit ständig Schranken zu setzen?

Für MESSA selbst haben sich solche Fragen allerdings noch nie gestellt, sind sie doch der Beweis dafür, dass nur freie, offene und neugierige Geister wahrhaft Innovatives, die Hörgewohnheiten freudig Herausforderndes aus dem großen Fundus erschaffen können, der sich auf der Reise vom Blues bis hin zum heutigen Metal angesammelt hat – oder sogar schon viel früher da war. Sie sind eines der herausragenden Beispiele dafür, dass sich Musik nicht linear, sondern zyklisch entwickelt, Strömungen ineinander fließen lässt, manchmal stillsteht und dann wieder tosend losbraust, gleichzeitig ihrer Zeit voraus ist als auch aus uralten Quellen schöpft. Und schon sind wir beim Thema Wasser, dem kreativen Hauptthema von MESSA.

´Close´ ist ihr dritter Langspieler nach dem gefeierten 2018er ´Feast For Water´ mit dem die Band endgültig auf der internationalen Bildfläche erschien, es folgten intensive Touren und etliche Liveauftritte, darunter auch ein herausragender Gig beim Roadburn 2019, zu dem sie auch in diesem Jahr wieder eingeladen sind. In Tilburg wurde das Quartett damals live mit dem Saxophon begleitet, das auch auf ´Close´ wieder eine wichtige Rolle spielt, diesmal zusammen mit der Duduk, denn MESSA haben sich diesmal insbesondere von den Kulturen des südlichen und östlichen Mittelmeerraumes inspirieren lassen. Das Cover des neuen Albums sowie das Video zu ´Pilgrim´ zeigen folgerichtig den rituellen „Nakh“ aus der Gegend entlang der algerisch-tunesischen Grenze – Frauen beim traditionellen Tanz mit ihren offenen Haaren – wer hätte gedacht, dass dort weibliches Headbangen zum Werberitual für Hochzeiten dazugehört, und noch viel mehr für Identität, Spiritualität, Lebendigkeit und Lebenslust steht? Unsere Welt ist voller Verbindungen und Verflechtungen, wie sie sich eben auch in MESSAs Schaffen widerspiegeln.

Schon immer war eine wichtige Inspirationsquelle der ganz unterschiedliche musikalische und kreative Hintergrund der Bandmitglieder, die teils auch als visuelle Künstler arbeiten, und durch ihre diversen anderen Bands und externe Kooperationen (wie z.B. den ´Planet Of Doom´-Soundtrack, Saras Gastspiel bei OTTONE PESANTE), sowie neue Projekte (Leadgitarrist Alberto Piccolo als Dark Blueser LITTLE ALBERT, Saras neue Band BOTTOMLESS…) in den letzten Jahren noch zusätzlichen künstlerischen Input bekamen, der den Bandorganismus hörbar gestärkt hat, ihn nochmals deutlich fokussierter und gleichzeitig freier gemacht hat. Das norditalienische Quartett reduziert seine eingesetzten Mittel selbstbewusst bis hin zum absoluten Minimalismus der Pause, einer einzelnen gezupften Saite, eines klingelnden Glöckchens, und trumpft anderswo mit sattem Vielklang und bodenlos-verzerrten Schwerlast-Riffs auf, oft in ein und demselben Stück; perfektioniert finden sich diese das gesamte Album begleitende Stimmungswechsel im mit ´Pilgrim´ zentralen, sowie im gleichzeitig improvisiert wie vollendet daherkommenden ´0=2´.´Close´ ist ein Spiegel des Lebens, ein Auf und Ab, voller unterschiedlichster Dynamiken, Entwicklungen, Harmonien und Dissonanzen, und gleichzeitig das bisher rundeste MESSA-Album, denn sein Hauptfokus liegt wieder einmal auf der Alchemie der Verwandlung von Emotionen in Musik. Denn das ist, neben ihrer absoluten Souveränität als Songwriter und Instrumentalisten, ihre wahre Meisterschaft: sie verwandeln universelle Gefühle, für die wir oft noch nicht einmal Worte haben, die ganz tief in unseren Träumen, im kollektiven Unbewussten verborgen sind, in Klänge und Lieder, die gleichzeitig schmerzvoll und heilsam sind – für alle, die sich darauf einlassen.

Nicht weniger als magisch ist dabei der Einfluss von Saras überragender Stimme, die erstaunlicherweise nochmals an Volumen und Expressivität gewonnen hat. Diese Band funktioniert überhaupt deswegen so wunderbar, weil sie jedem Mitglied alle Möglichkeiten lässt, sich einzubringen und auszudrücken, Bandkopf Marco hat diesmal neben Bass, akustischer Gitarre und Synthesizer auch einen Dulcimer eingesetzt und Gitarrist Alberto fügt mit der arabischen Oud einen warmen orientalischen Sound zu seinem generell schon sehr 70er-lastigen Saiten- und Tasteninstrumentarium hinzu (´Hollow´, das mystisch-träumende ´Pilgrim´). Zusätzlich erweitern die bereits erwähnten Blasinstrumente die Schattierungen der Gefühlspalette, das über-sinnliche ´Orphalese´ zeugt davon, und sättigen die teils live in einer Höhle aufgenommen Songs mit organischer Tiefe. Und Rocco beweist einmal mehr, dass die einfühlsamsten und präzisesten Schlagzeuger und Percussionisten aus dem Black Metal kommen, und wie die anderen Protagonisten keinerlei Probleme damit haben, sich ein Repertoire zwischen Blues, Jazz, Psychedelic und World Music auf der einen, sowie Post-Punk, Dark Ambient, Black-, Drone und Doom Metal auf der aktuelleren Seite zu eigen zu machen.

´Close´ ist ein vollendetes Kunstwerk und wird als solches, wie ein in einen stillen Bergsee geworfener Stein, weite Kreise über das Jahr 2022 hinausziehen. Das Album ist die Neudefinition von Zeitlosigkeit. Weder die Isolation der vergangenen zwei Jahre, eigene oder fremde Erwartungshaltungen noch ihr neues Label konnten in irgendeiner Weise Druck in seinem Entstehungsprozess auf MESSA ausüben, entstehen Spannung und Intensität bei dieser Band doch daraus, dass sie sich in jedem Song wieder und wieder neu suchen und erfinden. Wer bislang noch keinen Fuß in ihr Universum gesetzt hat: eine deutlichere Einladung als diese zehn Songs kann es dafür nicht geben.

(9,6 Punkte)

U.Violet

https://messaproject.bandcamp.com
https://www.facebook.com/MESSAproject
https://www.instagram.com/messa_band/