Diverse (DOLCH)-Reviews

von UltraViolet aka U.Violet, zuerst erschienen bei www.Saitenkult.de:

(DOLCH) – NACHT

Feb 12, 2022

~ 2022 (Ván Records / Soulfood) – Stil: Schlafzimmermusik ~


Als “Dark Ambient” will mir iTunes ´Nacht´, den Mittelteil der vor zwei Jahren mit ´Feuer´ begonnenen konzeptuellen Trilogie „Feuer, Nacht & Tod“ also verkaufen, interessant! Dass die nächtliche Atmosphäre Herzensheimat für die mittlerweile zum festen Quintett angewachsene mysteriöse Entität mit dem Dolchsymbol ist, liegt auf der Hand, und hat bereits die Vorab-Single ´Tonight´ letzten Oktober bewiesen, nun bin ich gespannt, ob sich damit tatsächlich ein Stilwechsel verbindet? Die Antwort ist erwartungsgemäß: nicht wirklich.

Mit ´Feuer´ hatten sie sich mehr ins Licht und durch die formal konventionelleren Songs vordergründig weit nach vorne an die Bühnenkante der Öffentlichkeit gewagt, die Gitarrenbetonung mit viel schweren Riffs und poppigen Rhythmen brachte ihnen neue Fans ein, ohne die alten zu vergraulen, denn natürlich liegt bei aller scheinbaren Luftigkeit stets die bleierne Müdigkeit psychischer Ausnahmezustände über (DOLCH)s Musik, bleiben sie im Kern immer das undurchschaubare, gegen den Strich aller Erwartung gebürstete Duo M und T.

Nun also ein neues Kapitel, eines, das als perfekte schwarze Spielwiese für ihre sinistren Neigungen ausgebreitet ist. Wer kennt sie nicht, die blauen Stunden zu Beginn und Ende der Nacht, die die Wahrnehmung verschwimmen lassen, die Konturen brechen, dem Leben seine Härten nehmen? Genau zwischen diesen Polen bewegt sich das neue Album. ´Lights Out´- schweben, sich treiben lassen, Versprechen nicht einlösen, weiterträumen: „Take control, seeker of the night, pull everything to darkness, draw everything black” – ´NACHT´ ist eine sinnliche Verheißung, das ist von Anfang an klar.

Was sofort auffällt: dies ist ein anderer Sound, das ist weit weniger Berlin als viel mehr California Dreaming, wo die Platte zu weiten Teilen tatsächlich auch entstand. Weiterhin gibt es deutlich mehr männlichen Gesang, sogar einen Song durchgehend allein tragend (´I am OK (Hydroxytryptamin Baby PartII´), und generell ist alles deutlich transparenter, klarer abgemischt, doch ohne die akustische schwarze Zuckerwatte, in die (DOLCH) auch den Hörer mit einspinnt, komplett abzuwaschen.

Damit bekommen auch die Lyrics, zum ersten Mal komplett auf Englisch gesungen, noch mehr Gewicht als bisher, und ihre Vieldeutigkeit, ihr Zynismus und der hintersinnige Witz eine größere, internationale Bühne. Ob sich hinter dem Americana-´Ghost´ King Dude als Sprecher verbirgt? Extrem vielschichtig, undurchschaubar ist ´Nacht´ geworden, noch mehr als sonst. Es lohnt, sich darauf einzulassen, sich ´Into The Night´ treiben zu lassen, wenn es sein muss auch mit „shaking catholic bones”…vor Angst oder Verzückung, wie auch immer.

Musikalisch bewegen sich (DOLCH) wieder deutlich weg von den metallischen Einflüssen, nehmen die Gitarren zurück und bauen auf starke und undurchsichtige, verhallte Atmosphären, bis hin zum Post Punk und Dream Pop, was durch Ms flüsterndes Singen wie in ´Tonight´ nochmals verstärkt wird. Repetition spielt immer noch eine große Rolle, wird aber anders eingesetzt, Langsamkeit bis hin zum Schlafwandeln (´Into The Night´) herrscht vor.

Zentral stehen die beiden wohl wichtigsten Songs, denn (DOLCH) gehen mit zwei weiteren ´Hydroxytryptamin Baby´-Liedern, einer kleinen Trilogie in der Trilogie, thematisch und musikalisch zurück zu ´III – Songs Of Happiness, Words Of Praise´ und wiederholen mit der sehr realen, herzschlaggetriebenen Beschreibung einer akuten Depression, in der eine männliche Stimme auf die Frage, wie es ihm gehe, zwischen endlos-mantrahaften Wiederholungen der einlullenden Beteuerung „I‘m okay“ Dinge singt wie “I just can’t go out today to face the crowd in the subway” oder “I was lying on the floor instead of going to the grocery store, but hey, I’m okay” – jeder Betroffene und Angehörige kennt es nur zu gut.

Doch die Nacht gibt Schutz und Sicherheit, jetzt sind Dinge wieder eher möglich, und tatsächlich greift die Band, um den Kreis zu schließen, die bedrohlich-dronige Melodie des ursprünglichen ´Hydroxytryptamin Baby´ wieder auf, um sie, mit demselben beschleunigtem Herzschlag unterlegt, in ´House Of Glass (Hydroxytryptamin Baby PartIII)´ in einen darkwavigen, sinnlichen Discokracher zu verwandeln, der nicht nur wegen Ms Stimme BLONDIE beziehungsweise Debbie Harry galore ist: “no way out of this”.

Der Rest der Reise durch die Nacht bleibt undurchsichtig, flüchtig und immer mehr substanzgefärbt, wir hören Stimm- und Geräuschfetzen, wabernde Ambientklänge übernehmen das Steuer zusammen mit hormongesteuerter Leidenschaft, bis schließlich doch der Morgen graut, in Wortsinne, denn wie sollen wir mangels Taxi nach Hause kommen? Ihr sagt, diese Probleme müssen wir erst mal wieder haben? Zur „Once upon a Night in the West”-Tour mit THE DARK RED SEED im April kann das schneller als gedacht Realität werden. Nehmt genug Bargeld mit, ich habe euch gewarnt!

(8,5 Serotoninhemmer)

(DOLCH) – Feuer

Jan 04, 2020

~ 2019 (Ván Records & Totenmusik) – Stil: Endzeitmusik ~


“I’m glad we’re not what you want us to be” – wer mit diesem Mantra einen ganzen ´Love Song´ füllt, hat alles andere vor, als sich beim Hörer anzubiedern, und genau das macht (DOLCH)s erste regelrechte LP vor allem aus. Die Hamburger liefern mit ´Feuer´, dem ersten Teil einer Trilogie namens „Feuer, Nacht & Tod“ eine Platte ab, die am Ende des Jahres 2019 wegen ihrer Sprödigkeit und Unzugänglichkeit sehr gut neben beispielsweise GOLDs ´Why Aren`t You Laughing?´ platziert passt. Qualitativ sowieso, doch emotional ist sie eher für noch stabilere Gemüter geeignet als es die kritischen Holländer sind.

Ihr Stil ist weiterhin nicht in irgendwelche Genreklischees einzuordnen, bewegt sich auch heute zwischen Post Punk, Dark Ambient, Doom/Drone, Volkslied und schwarzmetallischer Repetition, ist aber nochmal deutlich düsterer, ja widerspenstiger bis hin zu galliger Desillusionierung geworden.

Dabei steigt das mysteriöse Duo, bei dem die Identitäten der Livemitglieder bekannter sind als die der beiden zentralen Akteure, Sängerin M und Gitarrist/Multiinstrumentalist T, diesmal gleich mit einem echten Hit ein: ´Burn´ ist feinster Zartbitter-Wave/Poprock mit Chilinote, ein Song mit echtem Dancefloorpotential in der Tradition von 80/90er-Sirenen wie Hazel O’Connor, Debbie Harry oder Annie Lennox, wäre da nicht die alles durchwehende Melancholie und Kälte von Gitarren wie Synths, die den Songtitel glatt konterkarieren. Mit Gänsehaut verbrannt, sozusagen, fast schon ein Weihnachtslied. Direkt danach besingt dann ´Halo (Afraid Of The Sun)´ in doomig schleppenden Tempo die Ängste, aber auch schwelenden Aggressionen bleicher blonder Nordlichter angesichts zu hoher UV-Einstrahlung – auch hier ein zwar grundsätzlich feuriges Thema, doch eine dermaßen gedämpfte bis genervt-vorwurfsvolle Ausführung, wie sie eigentlich nur unter starken Psychopharmaka entstehen kann. Diese zeitlupenartige Geisterbahnmusik kennen wir von (DOLCH) natürlich, aber in solch völlig unverblümter Negativität badeten sie bisher dann doch nicht. Die gefühlvoll-schwelgerische Ultraslow-Ballade ´A Funeral Song´ dagegen hätte auch schon auf der letzten EP ´III´ ihren morbiden Abglanz auf den letzten Weg ihres Protagonisten werfen können, ebenso erinnern das volksliedhafte ´Psalm 7´ und ´Feuer´ an frühe Werke wie ´Bahrelied´ oder ´Das Auge´, haben jedoch im direkten Vergleich deutlich an Unbekümmertheit eingebüßt.

Ganz besonders deutlich wird die Neuorientierung bei ´Mahnmal´, der als typischer (DOLCH)-Song zuerst unendlich viel Atmosphäre aufbaut, während seiner ganzen Länge mit im absoluten Fokus stehenden, tribalartigen Percussions einlullt, um dann mit in den Hintergrund verwischtem deutschen (Sprech-)Gesang die Errichtung einer Mauer zu beschwören, die sicherlich nicht zur besseren Verständigung beiträgt – das ist Zuckerbrot und Peitsche par excellence, der Hörer wird gelockt und sogleich wieder abgestoßen. Die Produktion solcher Musik, die sich unseren Hörgewohnheiten widersetzt, ungewohnte Schwerpunkte setzt und Instrumente in den Vordergrund stellt, die sonst nur dosiert im ausgewogenen Gesamtklang erscheinen, stelle ich mir als besondere Herausforderung vor, die von Michael Zech hier jedoch bravurös gelöst wurde, so transparent trotz gewollter Schattenhaftigkeit klangen (DOLCH) bisher noch nie.

Ich bin spät dran mit diesem Review und während ich es schreibe, wüten nicht nur in Australien ungeheure Brände, Amazonien lodert weiterhin im Flammenmeer, die ganze Erde trägt um den Äquator herum einen Feuergürtel, doch die sogenannte Erste Welt wähnt sich offenbar weiterhin in der Sicherheit, noch ein paar weitere in Reserve zu haben, und macht weiter wie gehabt. So wie Feuer janusgesichtig Zerstörung und Fruchtbarkeit gleichzeitig in sich trägt, so zwiegespalten sind Stimmung und Aussage dieser Platte. Dass auf unserem Planeten kaum noch etwas in Balance ist, und der Mensch die Ursache allen Übels, sei es im Zwischenmenschlichen oder Globalen, ist (DOLCH) schon lange klar. Wie wenig Hoffnung noch besteht, machen sie uns deutlich. Es liegt an jedem Einzelnen, etwas zu ändern – auch Katharsis ist durch Feuer möglich, aber Verantwortung für sein Tun muss schon jeder selbst übernehmen.

Während sich der Neuling mit dieser tief abgründigen und sich dem spontanen Gefallen widersetzenden Scheibe schwer tun mag, ist der Fan begeistert. (DOLCH) werden uns weiterhin Spiegel vorhalten und die Geschmäcker spalten, und das ist auch gut so.

(8 Punkte)

http://www.dolch-band.com
https://dolch.bandcamp.com/

(DOLCH) – III – Songs Of Happiness, Words Of Praise

Nov 04, 2017

~ 2017 (Ván Records) – Stil: Black Valium-Ambient ~


Wenn (DOLCH) ein Album ´Songs Of Happiness… Words Of Praise´ nennen‚ wenn sie dann `…mit Pauken und Trompeten` einsteigen, `Track Six` den teuflischen Rückwärtsvocals und den verstörendsten Song der neuen EP dem „Gute-Laune-Hormon“ Serotonin widmen, dann kann man all das wörtlich nehmen – darf es aber natürlich nicht. Die beiden Hamburger sind Meister der Ironie, des Zynismus, Existentialisten der extrem düsteren Musik, sie nehmen das Genre auseinander, sezieren es geradezu, wenn sie mit Fake-Applaus und extrem verlängerter Dauerschwingung spielen. Sie haben sich mittlerweile gut eingerichtet in ihrer Nische eines kühlen, zurückgenommenen, reduzierten Klangkosmos zwischen Ambient-Loops und zähflüssigen Black Metal-Eruptionen, der durchgehend auf Wiederholung basiert, wobei mir das Wort „gemütlich“ in diesem Zusammenhang nicht mal für eine Zehntelsekunde in den Sinn käme, unbequem, isoliert, spröde, brüchig ist der Boden, auf dem sie sich bewegen.

Die neuen Songs sind noch mal eine ganze Ecke düsterer, sperriger und unzugänglicher als die bekannten Lieder der ersten beiden Demos oder der letzten Singleveröffentlichungen, oft einschläfernd langsam – hier passiert nicht viel, aber gerade dies hat absolut hypnotische Wirkung. Alle Lieder funktionieren wie Mantras, es wird gesungen, jedoch noch viel öfter geflüstert und geraunt – EURYTHMICS unter starken Tranquilizern.

Die Uhr tickt während unserer zügigen Fahrt auf `The River`, es geht die ganze Zeit um Leben und Tod, um den Raum zwischen beiden, wenn nicht genügend Energie für das eine oder das andere da ist. Eine tod-(oder lebens-?) müde `Siren` lullt uns vor dem Hintergrund eines schleppenden Herzschlages mit ihrem sehnsüchtig-schmerzvoll verhalltem, lockendem Lied ein, bis wir geradezu überfallen werden von Gitarren und Schlagzeug, die jedoch sofort ebenfalls ruhiggestellt werden. `Hydroxytryptamin Baby I` findet komplett in einem Nebel statt, vielleicht auch in einer Gummizelle, aus der geknebeltes Wimmern und Stimmfragmente dringen, die Pauken und Trompeten bringen Besessenheit zurück und hinterlassen uns gelähmt. Beängstigender, gespenstischer geht es kaum. ´100 000 Days`? Sie müssen es halt immer übertreiben. Aber auch ein (DOLCH) ist nur ein TOOL, und auf sechs Minuten fragmentarischer Melodien und ätherischer Gesänge folgen schließlich zwölf ganze Minuten einer einzigen, wie üblich gedämpften Rückkopplungs-Dauerschwingung. Das Leiden, die Qual – es nimmt einfach kein Ende. Ein Paradestück der scheinbar endlosen gleichförmigen Wiederholung, das Meiste passiert hier im Hintergrund. Und ein ganz wunderbarer Song für die Distortion-Noise-Endlosschleife am Ende eines Konzertes, wie bereits auf der laufenden Tour mit KING DUDE zelebriert (Review siehe hier).

Die neue (DOLCH) sollte nur auf Rezept oder zumindest mit Beipackzettel an nervlich gefestigte Hörer ausgegeben werden. Sie ist regelmäßig, aber zuerst vorsichtig dosiert anzuwenden, wie bei jedem anderen Psychopharmakon wird die Wirkung erst nach einiger Zeit spürbar eintreten. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie ihren Psychiater oder örtlichen Schamanen.

(8 Punkte)