von UltraViolet aka U.Violet, zuerst erschienen bei www.Saitenkult.de:
DOOL – Love Like Blood (EP)
Mai 14, 2019
~ 2019 (Prophecy Productions) – Stil: Doom Rock ~
Man hört und liest es überall, die Zahl der Singles nimmt der Statistik nach immer weiter zu, und wieso sollte dieser Trend an Streetclip vorbeigehen?
Spaß beiseite, momentan kommen immer wieder nicht uninteressante EPs und Singles herein, auf die man mehr als nur einen kurzen Blick werfen sollte, und auf DOOLs neuesten 10“- Output trifft dies auf jeden Fall zu. ´A Love Like Blood´ – ein Kultsong nicht nur für KILLING JOKE-Fans, sondern einer ganzen Generation, das sind ganz schön große Fußstapfen, in die die Niederländerinnen da treten. Doch dass sie sie problemlos ausfüllen, das durften ihre Fans ja schon eine Weile regelmäßig live erleben. DOOL ist eine Band, die je nach eigener Stimmung ein und dieselben Song mit voller Wucht oder auch ganz zart dosiert spielen können, tendieren live jedoch meist zur Hochenergie. Daher kannte ich ´A Love Like Blood´ von ihnen bisher mit mächtig Power, die Studioversion ist jedoch von ganz anderem Charakter.
Für Jaz Coleman, den Sänger von KILLING JOKE, ist dieser Song sein Bekenntnis zu einem künstlerischen Arbeits-, nein, sogar Lebensethos als Krieger, der für seine Kunst nicht nur lebt, sondern metaphorisch gesprochen auch sein Blut dafür zu vergiessen imstande und willens ist: „To freedom with blood, if you like“. Jeden Tag leben, als ob es der letzte wäre, immer alles geben, bevor es zu spät ist: „Strength and beauty destined to decay, So cut the rose in full bloom“. Das Cover, so deutlich wie vieldeutig angelehnt an Sam Mendes‘ „American Beauty“, wurde bereits für den Übersee-Markt zensiert, ich finde die ältere Schönheit auf ihrem Bett aus Rosen, so wie wir sie glücklicherweise in all ihrer Pracht und Verletzlichkeit sehen können, einfach wunderbar.
Musikalisch nähern sich die Rotterdamer dem grössten Charthit der Briten mit viel Respekt, und drehen das poppige Tempo zuerst einmal deutlich herunter. Eine 45er Single auf 33 rpm gespielt, Wandern statt Aerobics, Kontemplation statt Dancefloor, wenn man so will. Carpe Diem statt „burn the candle at both ends“? Oder doch die Verbindung beider Extreme?
Damit legen sie auf jeden Fall eine nachdenkliche, melancholische, vor allem aber extrem sinnliche Ebene frei, die zuvor so nicht wahrnehmbar war, jedoch untrennbar zu DOOL gehört, und vor allem perfekt als Gegengewicht in unsere hektische Zeit passt. Leidenschaft ist eben nicht nur die Hitze des Gefechts, sondern noch viel mehr der Genuß der herausgezögerten Erfüllung. Auch wenn eisenharte KILLING JOKE-Fans lieber beim Original bleiben – die bessere Schlafzimmermusik liefern eindeutig die Niederländer.
Die Rückseite bietet mit ´She Goat´ und ´In Her Darkest Hour´ zwei Bandklassiker, aufgezeichnet beim Rock Hard Festival 2018, die meinen Wunsch nach einem kompletten Konzertmitschnitt dieser überragenden Liveband weiter befeuert – auch wenn ich sie schon viel intensiver als auf gerade dieser Aufnahme erlebt habe. Trotzdem, vor allem wäre jetzt mal dringend ein Nachfolger von ´Here Now, There Then´ angesagt, wir warten sehnsüchtigst darauf!
(Ohne Wertung)
DOOL – Summerland
Apr 10, 2020
~ 2020 (Prophecy Productions) – Stil: Rock ~
U. Violet, 10.4.2020
Wie aus dem Nichts schienen sie zu kommen, als die Fünf vor vier Jahren beim „Roadburn Festival“ ihren internationalen Live-Einstand gaben, und damit begann die schon im Bandnamen verankerte Reise – denn DOOL kann mit wandern, umherstreifen übersetzt werden. Dass dieses ständig mir ihrer Musik in Bewegung sein, ihr Liebstes ist, bewies der tatsächlich reichlich banderfahrene, ungezähmte Haufen um Ex-Elle Bandita und Bandleaderin Ryanne van Dorst sowie versprengte TDB-Mitglieder im weiteren Verlauf ihrer noch jungen Bandgeschichte auf unzähligen Touren und Festivals.
Eine hochintensive, extrem sinnliche Liveband mit in die Beine gehenden und das Herz entflammenden Dark-Rockern zwischen psychedelischer Improvisationskunst, doomig-melancholischer Düsternis und 90ies Goth-Rock-Attitüde, die sie je nach Stimmung in ganz unterschiedlicher, aber stets authentischer, kraftvoller und energiegeladener Weise auf die Bühnenbretter bringen, die offensichtlich ihre eigentliche Heimat sind. 2017 erschien dann ihr strahlendes Debüt ´Here Now, There Then´, und fand mit Hits wie ´In Her Darkest Hour´ oder ´The Alpha´ sofort seinen Platz in den Herzen all derer, die Musik vor allem dann anspricht, wenn sie nichts beschönigt, in die Eingeweide fährt und Schatten mit Licht, Yin mit Yang, Geist mit Sex verbindet, und das alles auf die songschreiberisch raffinierteste Art überhaupt.
War ´Here Now, There Then´ noch eine oft wütende, impulsive Scheibe direkt aus Herz und Unterleib, eine emotionale Achterbahnfahrt voller (Selbst)Anklagen und Zweifel, deutete bereits die letztjährige EP ´Love Like Blood´ eine Wendung an, hin zu mehr Innenschau als Extroversion. Damit war die Spannung auf das Zweitwerk kaum noch zu toppen, und ja, es überrascht und fühlt sich zugleich wohlig heimisch an. DOOL präsentieren sich 2020 mit deutlich mehr Post-Rock Sprödig-, ja sogar Sperrigkeit, womit sie an ´Why Aren’t You Laughing?´ ihrer geistesverwandten Landsleute von GOLD erinnern, mit teilweise erstaunlich reduzierten, meist jedoch noch elaborierteren, nochmal deutlich progressiveren Songaufbauten, die wohl auch vom Wechsel an einer der drei Gitarren beeinflusst sind, hat Tausendsassa Omar Iskandr (TURIA, SOLAR TEMPLE, LUBBERT DAS etc.) nun fest Reinier Vermeulens vakante und live lange von Jordi Ariza Lora übernommene Position eingenommen.
Nochmals gesteigert hat sich außerdem die spirituelle Kraft, die ´Summerland´, dem heidnischen Paradies, innewohnt und geradezu kongenial in Stücken wie ´Wolf Moon´ (mit der einzigartigen Farida Lemouchi von TDB und der Geschwisterband MOLASSES) oder dem wie auch ´A Glass Forest´ orientalisch gestimmten ´God Particle´(was für eine Verwandlung der Stimmungen innerhalb nur eines Songs!) ausgedrückt wird – DOOL haben sich, stark vereinfacht, von zornigen Punks zu inspirierten Philosophen entwickelt, und das steht ihnen in unserer so zerrissenen, und doch mehr denn je aufeinander angewiesenen Gesellschaft und Zeit sehr gut. Sie kennen sich selbst und ihre Stärken besser, sind gereift, doch keineswegs gesättigt, und erst ganz am Anfang einer hoffentlich sehr langen und erfolgreichen Reise. Oder um es mit Leonard Cohen zu sagen: First they took all Europe, now they’ll take the world.
(9 Punkte)