ULTHA – Reviewsammlung: Interview, Belong, The Inextricable Wandering, MORAST-Split, div. Liveberichte…

Stil: Komplexer, unvergleichlicher atmosphärischer Black Metal mit einem Kaleidoskop an Emotionen. Ja, ich bin Fan!

Diverse ULTHA-Reviews von UltraViolet aka U.Violet, zuerst erschienen bei www.Saitenkult.de:

ULTHA – Belong (EP)

~ 2019 (Vendetta Records) – Stil: Black Metal ~

(Review zuerst erschienen bei www.saitenkult.de am 08.10.2019)


“Man is a strange creature:
all his actions are motivated by desire,
his character forged by pain.
As much as he may try to suppress that pain,
to repress the desire,
he cannot free himself from the eternal servitude to his feelings.
For as long as the storm rages in within him,
he cannot find peace,
not in life,
not in death…”
(Dark – 2. Staffel, Netflix)

Gibt es den perfekten Song? Was muss passieren, damit eine Band ihr absolutes Meisterwerk erschaffen kann? Und was zeichnet ein solches dann aus?

Im Falle von ULTHA, der gefühlt ewigen deutschen Black Metal-Untergrundhoffnung, die seit Jahren höchste Qualität abliefert und stets auf dem Sprung zu einer großen internationalen Karriere ist, kommen vor allem zwei Dinge zusammen: zum einen die langjährige, und seit fünf Jahren gemeinsame Erfahrung als Musiker, ihre gegenseitige Ergänzung und Potenzierung, und die aus der heute schließlich perfekten Bandzusammensetzung entstehende Energie und Inspiration; aber vielleicht sogar noch mehr das Leben an sich: schmerzhafte, frustrierende, deprimierende, Zorn entfachende und enttäuschende Eindrücke, die Mastermind R tagebuchartig und kathartisch mittels seiner Stücke zu verarbeiten versucht. Können die anderen Bandmitglieder all dies nicht nur nachvollziehen, sondern auch durch eigenes Erleben ergänzen, unterfüttern und empathisch mittragen, kann etwas entstehen, was der Seele einer Band entspringt, was genau das transportiert, was dieses Kollektiv der Welt zu geben hat, auf seine ganz individuelle wie unverkennbare Weise.

Whenever the light takes hold
only the night will answer.

Der perfekte Song kann, aber muss nicht unbedingt technisch oder kompositorisch perfekt sein – es ist selbstredend, dass er es bei den Perfektionisten von ULTHA ist. Was ihn jedoch vor allem auszeichnet, ist, dass er nichts anderes als die Seelen der Hörer erreicht. Das kann man bereits beim ersten Erleben spüren durch ein unwillkürliches Luft anhalten, schwer schlucken müssen, durch kalte Schauer, die einem den Rücken herunterlaufen, und ja, auch durch Tränen, die man vergeblich wegzublinzeln versucht.

Schon einmal waren die Kölner verdammt nah dran am perfekten Song. ´Fear Lights The Path (Close To Our Hearts)´, der siebzehnminütige Abschlusstitel des überragenden 2016er Albums ´Converging Sins´ galt nicht nur unter ULTHA-Fans als DER Song der Band überhaupt. Grandiose Suspense, große Melodiewände, Reduktion auf und Wiederholung nur des absolut Wesentlichsten, und der Wechsel zwischen geblasteter Raserei und bedeutungsschweren Riffs zogen auch Hörer außerhalb des Black Metal-Spektrums magisch an.
Kein Song des 2018 dann bei Century Media erschienenen, exzellenten, aber doch ganz anders ausgerichteten Nachfolgers ´The Inextricable Wandering´ (unser Review dazu gibt es hier) konnte an diesen Inbegriff bedrängender Hoffnungslosigkeit, der auf einzigartige Weise US-orientierten Black Metal, Doom und Post-Punk zu einem mitreißenden und hochemotionalen Mahlstrom verschmilzt, nahtlos anschliessen.

A harvest of defeat and defilade,
whenever words fail.

Drei Jahre später nun wischt ´No Fire, Only Smoke´ diesen Ausnahmesong zwar nicht vom Tisch, stellt ihm jedoch ein noch ausgereifteres, vielschichtigeres und vor allem emotional noch weitaus fordernderes Gegenstück zur Seite. Wollte ich dieses Review hier beenden, könnte und müsste ich feststellen: „DAS ist ULTHA. Genau DIESER eine Song!“.
Doch ich muss noch ein paar mehr Worte verlieren zu diesem Stück, das etwas in mir bereits beim ersten Anhören so berührte, dass ich , ja, zu weinen begann, und mir zuverlässig noch nach gefühlt hundert Durchläufen ab einem bestimmten Moment wenn nicht Tränen, dann zumindest Gänsehaut beschert. Was macht ihn zu (m)einem Song des Jahres, und weit darüber hinaus?

Zuerst einmal – rein technisch ist dies ein typisches Stück der Kölner, und folgt dem gewohnten Aufbau eines ULTHA-Songs, der ein Riff ständig in Variationen und auf verschiedenen Instrumenten wiederholt, sie minimal abwandelt, spiegelt, umdreht oder in der Tonlage verschiebt. Eine kleine, sehnsüchtige Melodie, die ständig variiert wird – schon dieser Aufbau nimmt das Thema des Songs vorweg: es immer wieder neu versuchen, doch irgendwo „zu landen“, endlich anzukommen, dazuzugehören, zu jemandem zu gehören, immer wieder die Kraft für einen Neubeginn aufzubringen, nie die Hoffnung zu verlieren, obwohl man schon so oft enttäuscht wurde  – ein absolutes Thema unserer Zeit!

The architects of all we hold dear,
desired, only to be left alone.

Desweiteren ist hier alles perfekt austariert, auf den Punkt getimed, nichts passiert zu früh oder zu spät, ist zu laut oder zu leise, alles geschieht wie im Flow, ergibt sich aus sich selbst, nimmt die Musiker wie den Zuhörer einfach wie in einem Strudel mit. Eine unglaubliche Anspannung führt in das Stück hinein, schon das dramatisch, stummfilmartig von Kirchenglocken begleitete Intro aus der Netflix-Serie „Dark“ bereitet den Boden für das, was auf uns zukommen wird – unheimlich, beängstigend, dunkle, bedrückenden Erinnerungen heraufbeschwörend. Der hier aufgebaute Spannungsbogen wird den ganzen Song lang gehalten und wie so vieles auf die Spitze getrieben werden, er ist eigentlich auch eher ein Emotionsbogen oder ein Gefühlskarussell, das sich immer schneller dreht. Fast froh ist der Hörer, als es endlich so richtig losgeht, der Sturm nicht nur im Inneren wütet, sondern über uns hineinbricht. Ist es ein Kampf gegen die eigenen Gefühle, gegen die Haut, aus der man nicht heraus kann? Während Chris uns die hoffnungslose Ausgangssituation dieses Songs besingt, wird Ralph persönlicher:

From nocuous hands to a bloodless mouth,
timid steps to awful ruins in
a heart more empty than the sun.

Im Gegensatz zu seinem bisherigen Growlen ruft er uns die letzte Zeile voller Verzweiflung und gleichzeitig warnend mit ergreifender Klarstimme zu. ´No Fire, Only Smoke´ ist die Geschichte einer Entwicklung, und gleichzeitig einer sehr großen Ent-täuschung, einem Weg durch schwärzeste Tiefe vom hoffnungsvollen Beginn bis hin zum desillusionierenden Ende:

From inmost sense to languid hope,
to speak of love in solemn tones to
a heart more empty than the sun.

Und auf diesem Weg begegnen wir der Band auf dem Höhepunkt ihrer Kreativität. Niemals war das stets extrem ausgetüftelte Soundgebäude trotz aller Schwere klarer, luftiger, und detailreicher. Was Andreas Rosczyk hier aus den Aufnahmen in seinem Goblin Sound Studio herausgekitzelt hat, ist unglaublich; jeder Akteur ist perfekt differenziert aus den scheinbar unendlich vielen Klangschichten herauszuhören, und was sie alle an ihren Instrumenten abliefern ist – obwohl fast undenkbar – nochmals weit über dem Niveau des bisher von ULTHA bekannten. Ohne zu tief in die Details zu gehen, muss doch Manuel Schaubs absolut jenseitiges Drumming herausgehoben werden, welches das Bandgefüge in jedem Moment kontrolliert, antreibt und zusammenhält, auch und besonders in den Momenten, in denen mal etwas Luft geholt werden kann. Und nie zuvor hat sich Chris‘ Bass so deutlich tragend wie auch klagend der Zwischentöne angenommen, den Herzschlag der Band vorgegeben, während die beiden Gitarren den emotionalsten Teil eines sowieso extrem emotionalen Songs im Duett vorbereiten. Um schließlich doch separiert zu werden – nur genial zu nennen ist das Stilmittel, Lars‘ und Ralphs Gitarren schliesslich auf zwei Kanäle aufzutrennen, um sie als zwei getrennte, sich voneinander entfernende Stimmen erklingen zu lassen. Aus Dialog wird Monolog, aus Zweisam- wird Einsamkeit. Mit wachsender Distanz geht der Bezug aufeinander allmählich verloren.

Der Stimmungsumschlag in eine nur vordergründig ruhige, sehr melancholische Post Punk-Atmosphäre in der Mitte des Songs gibt die Chance, Kraft zu sammeln. Ergreifende Melodien zeigen, wie schön dieses Herz trotz seiner Leere eigentlich ist, und wir sind schon mitten in der Vorbereitung für das Finale, das bei dem Quintett stets der wichtigste Teil eines Stückes ist. Ist es doch noch das letzte Fünkchen Hoffnung, oder nur die verblassende Erinnerung an bessere Zeiten, die hier aufscheinen darf? Wie ein depressiver Mensch dauernd über einem Gedanken grübelt, wiederholt sich stetig, nur minimal abgewandelt, dasselbe Thema, und macht die Situation unerträglich. Es ist geradezu unmöglich, hier wegzuhören, man ist komplett gefesselt von diesen wenigen, stark dosierten Tönen. Wie kommt man nur heraus aus diesem Strudel, der immer mehr in die Tiefe zieht?

Der Abschluss des Stücks gehört allein Ralph, unterstützt von Andreas Halt gebenden Soundwänden und Lars flirrenden Riffs. Diese letzte Strophe ist erfüllt von den bereits beschriebenen, so resignativen wie kraftvollen Rufen, nun jedoch akzentuiert durch markerschütternde Schreie, die wie von einer gepeinigten und in die Ecke gedrängten, verlorenen Kreatur in einer unbarmherzigen, eiskalten Welt zu stammen scheinen. Das Schlüsselwort „alone“ und die warnend gefauchte Anweisung „please…“, aber vor allem die allerletzte Zeile

“don’t – ask me – to – remember”

zeigen, was dieses Herz so leer wie die Sonne gemacht hat, was es durchgemacht hat, man spürt seinen Schmerz fast körperlich. Das ist unendlich tiefe Trauer, Hilflosigkeit, Wut, Einsamkeit und schmerzlichste Seelenqual eines Menschen, der so oft mit Enttäuschungen konfrontiert wurde, dass er alles Vertrauen in seine Mitmenschen verloren hat und nur noch auf sich selbst bauen kann. Der täuschende Rauch ist verweht, und es ist klar, da war nie ein echtes Feuer. Wärme kann von anderen nicht erwartet werden, dafür muss man selbst sorgen.

Nach dieser letzten Strophe ist nichts mehr, wie es war. Wenn sich jemand in all seinem Schmerz so komplett öffnet und verletzlich macht, hinterlässt dies auch den völlig Unbeteiligten in einer Scham, vor dem, was wir unseren Mitmenschen, bewusst oder unbewusst, doch immer wieder antun, wie oft wir gegebene Versprechen nicht halten, aus Angst vor zuviel Nähe unbeteiligt bleiben, oder uns abwenden, wenn es zu anstrengend wird.
Der Rest des Songs dient nur noch dazu, wieder einigermaßen in ein Gleichgewicht mit den eigenen Gefühlen zu kommen, wieder stabil zu werden. Dazu variieren Lars und Ralphs Gitarren gemeinsam auf nun paradoxerweise prächtigste Art dieses Melancholie neu definierende Thema, das nun geradezu wie in einer romantischen Komposition erklingt, bis die Tasten uns, in die Höhe, zum Licht strebend, endgültig erlösen. Dieses flirrend schwebende Gitarrengewebe ist einhüllend, tröstlich, anrührend, und Andy hat in diesem Part nochmal sehr viel damit zu tun, diese großen Klangflächen mit meist nur einem einzigen Ton weit offen zu halten, und das Ganze zu einem versöhnlichen, jedoch offenen Ende zu bringen. Fast unglaublich, aber menschlich – man erinnert sich nach genügend langer Zeit nur noch an das Gute, weil man das Schwere einfach nicht länger ertragen kann. Die Hoffnung auf Erlösung bleibt bestehen. Ein an Dramatik kaum zu überbietendes Lied ist gleichzeitig Höllenqual wie purer Seelenbalsam für alle, die sich darin wiedererkennen. Katharsis, das höchste Ziel, das Musik erreichen kann. Vollendung in grösstem Leid.

Niemals habe ich mehr Respekt vor dieser Band gehabt, und natürlich vor ihrer zentralen Figur, Songwriter und Texter Ralph Schmidt, der hier extrem persönlich wird, und damit sich selbst und so vielen anderen Menschen aus dem Herzen spricht.

Was kann, was soll nun noch kommen? Damit ist alles gesagt. ´No Fire, Only Smoke´ ist ULTHAs Klimax und Essenz. Ich kann nur hoffen, das beste und reifste Stück, das ULTHA je aufgenommen haben, markiert nicht den Schlussakkord ihrer Karriere; es ist jedoch mit Sicherheit der Abschluss eines Kapitels, mit Herzblut tiefrot markiert wie zuvor keines ihrer Plattencover.

But nothing is given for nothing:
I can take ending alone
like I began. Just please,
don’t ask me to remember.

Dieser Song rührt an etwas in jedem von uns, einer gemeinsamen Erfahrung, an der viele Menschen heutzutage zu zerbrechen drohen, oder es auch tatsächlich tun. Es ist das Thema der EP mit dem so expliziten wie täuschenden Namen ´Belong´. Denn es geht hier ja vielmehr genau um das Gegenteil, das Nicht-Dazugehören, das verloren, allein, nicht mehr mit den Anderen verbunden sein. Alles nur noch von außen zu betrachten, nicht mehr daran Teil zu haben. Oder dies nie wirklich gekannt zu haben.

Wir leben in einer Gesellschaft, die immer weniger untereinander verbunden ist – vielmehr sind wir abgeschnitten von den Mitmenschen, der Natur, von Sinnhaftigkeit in unserem Tun und unseren Werten, und nicht zuletzt auch von einer sicheren Zukunft. Kein Wunder, dass so viele verzweifeln, und Depressionen und Angststörungen in Deutschland mittlerweile an der Spitze der Diagnosen für Arbeitsunfähigkeit liegen.

Immer mehr Verbindungen werden gekappt, immer mehr Menschen leben allein, viele ohne echte, tragende Sozialkontakte. Nun mag mancher einwenden, dass wir über Internet und Soziale Medien so gut miteinander verbunden sind wie nie zuvor (und ihr lest hier auch schließlich gerade ein Online-Magazin), doch das ist eine fatale Fehleinschätzung. So zeigt die immer mehr zunehmende Internetsucht, dass genau das Gegenteil wahr ist, dass der angeblichen Verbundenheit mit tausenden virtuellen Freunden in der Realität eine bodenlose Einsamkeit gegenübersteht.

Menschen waren in ihrer gesamten Geschichte noch nie einsamer als heute, im Gegensatz zur prähistorischen Sippengemeinschaft steht heute das Individuum, das verzweifelt versucht, sich alleine durch das moderne Leben zu schlagen. Ein Trauerspiel, das nicht funktionieren kann, denn der Mensch ist auf soziale Beziehungen angewiesen.

Doch zurück zu dieser Platte. Hat ´No Fire, Only Smoke´ die private Seite von ´Belong´ beleuchtet, tut ´Constructs Of Separation´ dasselbe im gesellschaftlichen Maßstab.
Um all diese Gefühlstiefe aufzuwiegen, wird dem ersten Song ein ganz schwerer Brocken entgegengestellt, der schon ganz zu Beginn deutlich macht, was für einen einzigartigen und unverwechselbaren Stil und Sound ULTHA etabliert haben. Der Kenner hört fast schon beim ersten Gitarrenanschlag, um welche Band es sich hier handelt, auch wenn der weitere Anfang dann purer Doom ist: extrem langsam gehalten, wie gelähmt oder unendlich müde, bleischwer und dissonant entwickelt sich ein Kaleidoskop von Gefühlen, die zeigen, wofür ULTHA nicht erst heute steht: Wut, Trauer, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Resignation…und Ernüchterung, auch wenn man sich dagegen wehrt und gerne weiter träumen und hoffen möchte.

“You had your chance”
the stillness answered,
and my heart broke
like everyone else’s.

Und wenn der Sturm dann losbricht, ist es einmal wieder Manuel, der die Fäden in der Hand hält, und der genau wie alle anderen Bandmitglieder in diesem Stück zeigen kann, was er drauf hat. Wir hören seine gewohnt messerscharfen, hyperexakten Blastbeats, doch er übertrifft sich darüber hinaus selbst mit einem fast jazzig anmutendem, äusserst akzentuiertem Spiel, findet immer die perfekte Nuance und Abstufung für die Stimmung, die vor allem die beiden sich kongenial ergänzenden Gitarren vorgeben, die jedoch auch oft von den Keyboards geprägt wird.

From speak to spoken,
from break to broken.

Es ist ein extrem komplexer und vielschichtiger Song, und erst nach mehrmaligem Hören wurde mir bewusst, wie sehr er quasi ein Gang durch die Geschichte der Band ist, mit vielerlei Anknüpfungspunkten, vor allem an die ´Converging Sins´ und auch an ´The Seventh Sorrow´, sie gehen jedoch sogar zurück bis zu ´Pain Cleanses Every Doubt´, und zeigen auch Anklänge von PLANKS, nicht nur bei Ralphs ultratiefem, wavig-postpunkigem Klargesang.

But nothing heals and hurts like time,
until names are just a broken sound.
“To hell with our lives”
spoke a silence within the silence.

In ruhigen Momenten ist es oft allein seine schwermütig-lakonische Gitarre, die alles trägt, aber erst der Dialog mit Lars macht den erwünschten Ausdruck komplett, was vor allem das absolut magische Kernstück des Songs ausmacht: eine lange, sehr schwebende, distanzierte, und zurückgenommene instrumentale Post-Rock-Sequenz: Suchend, abwartend, nachdenklich, absolut puristisch passiert eine Weile kaum etwas, außer dass Lars einzelne Saiten anschlägt vor dem Hintergrund von Manus ganz stiller, geradezu lauernder Hi-Hat. Ralph legt irgendwann darüber endlich die Melodie, nach der man sich gesehnt hat, und als auch Bass und Keyboards mit einsteigen, entwickelt sich daraus ein Zusammenspiel, in dem jeder in der Band noch einmal zeigt, was er kann.

Denn auch dieser Schlussteil fühlt sich für mich wie ein letztes, fast trotziges Aufbäumen der Band an: „Schaut her, DAS sind wir!“. ´Constructs Of Separation´ verabschiedet sich nicht leicht, sondern versucht es wie schon ´No Fire…´ immer wieder neu, schiebt das Ende lang vor sich her. Geht zurück zu den Wurzeln der Band, würdigt ihre Entwicklung, und eröffnet eine Perspektive, in welche Richtung es weitergehen könnte. Und schließt den Kreis mit einem Knall.

With not one promise left to break,
it all came down to this:
A nightmare you keep waking up into.

Das ist kein Black Metal mehr, das ist Post-Black Metal, Post-Punk, Post-Rock – aber bitte bloss nicht Post-ULTHA! Die Band übertrifft sich mit extrem akzentuiertem und nuancenreichem Spiel in einem hochkomplexen Stück selbst, und es wird nochmal klar, dass ULTHA gerade deswegen so gut funktioniert, weil sich die einzelnen Akteure bei aller stets vorhandenen Dramatik selbst zurücknehmen. Und daraus etwas erschaffen, was frei in alle möglichen Richtungen expandiert, mehr ist als alles jemals zuvor von ihnen gehörte, geradezu cinematographisch, ja symphonisch wird.

So wie ´No Fire, Only Smoke´ alles komprimiert, in einen Song packt, was die Magie von ULTHA auszeichnet, nämlich Schönheit im Schmerz, so ist ´Constructs Of Separation´ ein vielperspektivischer Blick zurück auf die bisherige musikalische Reise dieser Ausnahmeband, die nicht nur Black Metal auf ein neues Level gehoben, sondern auch in ihrer Szene unglaublich viel bewegt hat, neue Netzwerke geschaffen und andere Bands, egal aus welchen Ecken der Welt, unterstützt hat, stets den Mund aufgemacht hat gegen ungerechtfertigte Beschuldigungen, und dabei durchgehend und kompromisslos sich selbst treu geblieben ist, egal was sich ihnen in den Weg stellte. ´Belong´ ist ein Fanal für mehr Menschlichkeit, und hoffentlich nicht das letzte Statement dieser fünf Individuen, deren Maxime schon immer lautete:

YOU EXIST FOR NOTHING.

(9,5 Punkte. Den letzten halben gibt es beim nächsten Release…)

Bandpic: Sascha Brosamer

https://templeofultha.com/
https://ultha.bandcamp.com

ULTHA – The Inextricable Wandering

~ 2018 (Century Media) – Stil: Black Metal ~

(Review zuerst erschienen bei www.saitenkult.de am 28.09.2018)


Unzugänglich und hypnotisch zugleich. Verwirrend und faszinierend. Abweisend, verstörend und einlullend – die langerwartete, dritte ULTHA macht es dem Hörer ebenso schwer wie leicht. Alle eben genannten Reaktionen sind Emotionen – und ausschließlich darum geht es hier. Die Kölner spielen nicht mit unseren Gefühlen, denn da ist jeder für sich selbst verantwortlich. Auf ´The Inextricable Wandering´ spielen sie ihre Gefühle, und zwar vor allem eines, die Grundemotion unserer Zeit: die Angst.

Diese jedem bekannte innere Enge und Bedrängnis, die überfallartig zu einer einschnürenden, lähmenden Panik auswachsen kann, wird heutzutage durch die Medien, allen voran im Internet, gesteuert, ja angefeuert, und hat sich durch ihre hohe Infektiosität in unserem Alltag breitgemacht wie ein uneingeladener Gast, bei dem sich trotzdem keiner traut, ihm die Tür zu weisen. Was jedoch nicht grundsätzlich verkehrt ist, denn sie hat stets eine Botschaft an uns: sie warnt uns, sie macht uns wachsam und schnell, dient unserem Überleben. Wenn sie jedoch überhandnimmt, Eigendynamik entwickelt wie in unserer heutigen „Angstgesellschaft“, wird sie lebensbedrohlich – für uns wie für andere, ein irreales Monster, das die Luft zum Atmen nimmt.

We were the ones we needed to heal,
to retrace our love from broken seals,
to establish trust from passion shown,
where fear aligned to sorrow grown.

Wie funktioniert nun eine Platte zu diesem Thema? Auf zwei Ebenen: nennen wir die erste einfach mal „konsumieren“, gleichbedeutend mit dem Hören unterwegs, nebenbei, zur Ablenkung, um etwas Neues zu entdecken oder auch der songschreiberischen und instrumentalen Technik und Inspiration wegen. Ein solcher Hörer wird sich über sechs hochdynamische, perfekt ausgewogene, mächtige und gehaltvolle Lieder freuen, und die diversen stilistischen Neuerungen wahrnehmen, die die ureigene Handschrift des (nun wieder) Quartetts weiterentwickeln. Es werden ihm unmerklich die melodiebildenden repetitiven Riffs im Ohr hängen bleiben wie sonst bei anderen Bands die Gesangslinien, und er wird vielleicht gar nicht merken, dass hier sogar zwei Personen die ganz verschiedenartigen Vocals, nämlich ein schrilles Schreien (Chris Noir) sowie ein sprechendes Brüllen (Ralph Schmidt) bedienen, so sehr sind diese oft in die Reihe der anderen Instrumente zurückgetreten.

Er wird weiterhin die Arrangements sowie die nur (kon-)genial zu nennende Produktion loben, die in einem ständigen, organischen An- und Abschwellen jedem Akteur in diesem Klangverbund den in diesem Moment richtigen Platz zuweist. Sein Unterbewusstsein mag auf die von diesem Werk ausgehende Düsternis und latente Bedrohung mit Verunsicherung reagieren, aber das wird einen Hörgenuss auf der rein kognitiven Ebene kaum trüben.

Die zweite Ebene jedoch, sie sei hier „sich einlassen“ genannt, erfordert einiges an Zeit, Konzentration und Mut, belohnt dafür jedoch mit einer verlässlich reproduzierbaren Glückserfahrung, die sich mit jedem bewusst erlebten Durchlauf noch weiter steigert. Die Komplexität der hier dargebotenen Stücke ist kaum noch zu toppen, die oben erwähnten so prägnanten wie verschwimmenden, immer wiederkehrenden Melodielinien werden wie die Motive einer klassischen Komposition von Gitarren und Bass entwickelt, nehmen als einzelne, wohlgesetzte Akkorde ihren vollen Raum ein (´The Avarist (Eyes Of A Tragedy)´), das später in ein „Hummelflug“-artiges, dissonantes Flirren übergeht), oder beginnen leise im Hintergrund und kommen gleich darauf mit einer inneren Dringlichkeit zu voller Entfaltung, um vom Keyboard weitergesponnen, minimal abgewandelt und schließlich sogar vom Schlagzeug wiederaufgenommen und akzentuiert zu werden; gleichzeitig haben die Gitarren wellenförmig schon wieder neue oder bereits bekannte Riffs nach vorne gebracht und ein neues Spiel beginnt, jedes Mal nimmt der aufmerksame Hörer neue Details und Windungen in diesem hypnotischen Werden und Vergehen wahr, in dem alles aufeinander aufbaut, um sofort wieder zu Staub zu zerfallen.

So bring your chains, your lips of tragedy
And see the walls come tumbling down inside of me.
Forget everyone and remain.

Oder zerschlagen zu werden? Manuel Schaubs Schlagzeugarbeit ist unmenschlich präzise und gleichzeitig außerweltlich schnell gespielt. Er produziert Momente absoluter Klarheit und Ruhe (wie in der zweiten Hälfte von ´Cyanide Lips´) ebenso wie entfesselt-aggressive Raserei, was mich zu meinem absoluten Favoriten dieses Albums bringt: ´With Knives To The Throat And Hell In Your Heart´ sind zehn Minuten und sechsundzwanzig Sekunden schwärzester und mächtigster Black Metal, zu Beginn gewoben aus tiefster Verzweiflung, Depression und Bedrängnis, um ab dem Ende des ersten Drittels die unzerstörbare Kraft und makellose Schönheit wiederzufinden, die tief in einem jedem von uns verborgen schlummert und gerade durch mentale Grenzerfahrungen an die Oberfläche gebracht wird. Das Ende ist melancholisch, aber auch hoffnungsvoll und versöhnlich, ein Song wie eine Reise in die tiefsten Abgründe der Seele und wieder zurück. Dass hierauf nur ein sehr ruhiges, rein elektronisches Interludium (´There Is No Love, High Up In The Gallows´) folgen kann, ist verständlich, Erholung, Atem holen tut not.

Penance, perish, congregation.
Penance, perish, beyond salvation.
Restless, abyssic. Sitting, waiting.
Staring, seething.
Asleep in the daze of days.

Andy Rosczyk zaubert in diesem Stück genauso wie auf der gesamten, im bandeigenen Goblin Sound Studio aufgenommenen Platte eine dichte, vibrierende Atmosphäre, die wie aufgeladen ist durch eine latente Anspannung, deren Auflösung der Hörer herbeisehnt, die jedoch selten erfüllt wird. Denn das auf die Spitze getriebene Spiel der Wiederholung zwischen Keyboards und Gitarren/Bass ist die Energie, die diesen Kosmos füttert, und Ralph Schmidt ist die zentrale Figur im Ulthaversum. Man sagt, dass die größten Alben immer eine gewisse Melancholie in sich tragen, dass aus Schmerz Größe entsteht. Hoffen wir für ihn, dass er für weitere Veröffentlichungen nicht noch einmal durch seine persönliche Hölle gehen muss, was notwendig war, um diese 66:16 Minuten absoluter Schwärze zu erschaffen.

Armed to the teeth with doubt and frustration,
We only speak in darkness.

Gibt es sonstiges Leben in diesem Gravitationsfeld? Vergleiche mit anderen Bands verbieten sich zwar nicht, sind aber auch nicht zweckdienlich, da ULTHA sich einen ganz eigenen musikalischen wie ästhetischen Raum erschaffen haben. Die Einflüsse aus den 90ern, vom Dark Wave und Noise Rock sind deutlicher geworden (die Platte wurde von Michael Schwabe, Monoposto Mastering, der auch für Einstürzende Neubauten, Phillip Boa and The Voodooclub und Doro gearbeitet hat, gemastert) , aber auch der (Thrash) Metal dieser Zeit hinterlässt Spuren. ´I’m Afraid To Follow You There´, der letzte Song destilliert die Essenz dieser ganzen Platte zu einem achtzehnminütigen Monument – auf Augenhöhe mit TRIPTYKONs ´The Prolonging´ mag er zukünftig möglicherweise ´Fear Lights The Path…´ als abschliessenden Song der Live-Sets ablösen.

Die aus der DIY-Bewegung hervorgegangen Kölner haben auch nach ihrem Wechsel zu Century Media ihre Wurzeln und die Unterstützung der Szene nicht vergessen, und so wird das silberne Vinyl weiterhin von Vendetta Records herausgegeben. Schon jetzt, wenige Wochen vor VÖ, sind einige Sonderausgaben ausverkauft, Sammler sollten sich also ranhalten, wenn sie diese Ausnahmescheibe in der Farbe ihrer Wahl ergattern wollen.

ULTHA haben mit dieser Platte, die so ganz anders als ihre beiden Vorgänger, und doch so sehr ihr Innerstes ist, einen riesigen Schritt nach vorne getan, ohne sich in irgendeiner Weise anzupassen, ganz im Gegenteil. ´The Inextricable Wandering´ ist ein Ausrufezeichen ohne Punkt. Sie erfüllt keine Erwartungen. Sie bestätigt keine Vorurteile. Sie steht für sich allein.

Klassiker.

10 Points for:

Making     Every     Promise              – Fulfilled.

templeofultha.com
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ULTHA / MORAST – Split Pt. II (A Tribute to F.O.T.N.)


~ 2019 (Vendetta Records) – Stil: Post-Punk/Doom ~

(Review zuerst erschienen bei www.saitenkult.de am 07.12.2019)


Vor gut dreißig Jahren, genauer: 1987, machte ein englisches Quintett von Horrorfilmfreaks in langen, staubigen Ledermänteln und Cowboyhüten, das bis heute von vielen (gerade Extrem-) Metalbands als Vorbild genannt wird, zum ersten Mal auf sich aufmerksam: ´Dawnrazor´, das Debüt einer der einflussreichsten Gothic Rock/Metal-Bands gilt bis heute als Kultscheibe, und die darauf folgenden Veröffentlichungen von FIELDS OF THE NEPHILIM wurden noch erfolgreicher und wegweisender. Es wundert also wenig, dass ULTHA und MORAST hier wiederum einen gemeinsamen Nenner finden, wie es schon vor drei Jahren bei ihrer ersten gemeinsamen, ebenfalls bei „Vendetta Records“ erschienenen Split der Fall war, als sie ihre beiden Beiträge zu ´BATHORY: The CVLT Nation Sessions´ zusammenwarfen. Nun zollen sie also statt Proto-Black Metal dem Dark Wave, und statt Quorthon Carl McCoy Tribut – Nachtigall, ick hör dir trapsen…gerade wenn ich an die Zukunft des Kölner Quintetts denke, das hier die A-Seite bespielt.

Für ULTHA ist dies die zehnte Veröffentlichung in fünf extrem intensiven Jahren Bandgeschichte, und kommt heute pünktlich am Tag des vierten und letzten, von ihnen kuratierten „Unholy Passion Fests“ heraus. Man darf gespannt sein, ob sie den Song überhaupt noch einmal live spielen werden vor der angekündigten Pause – oder eben dem endgültigen Ende der Band. Und gleich drängt sich dazu noch die Frage auf, ob sich hier nicht schon eine mögliche musikalische Zukunft der Protagonisten abzeichnet, denn schon die beiden ´Belong´-Songs enthielten verstärkt Elemente des Post-Punk, und auch vermehrt cleanen Gesang. Doch genug spekuliert, und endlich zur Musik:

ULTHA haben sich für das FIELDS-Debüt und ´Vet For The Insane´, die beklemmende Geschichte des psychotischen Mörders entschieden, der im Wahn seinem Opfer noch die Schuld gibt, ihn hinter Gitter gebracht zu haben. Sie bleiben dabei in Geschwindigkeit und Sound sehr nahe am Original, doch wo Carl McCoy mithilfe seines typischen Vibratos in der Stimme noch dramatisch schauspielern musste, bringen ULTHA die nur vordergründig entspannte, dabei stets nur einen Atemzug von völliger Eskalation entfernte Stimmung, lakonisch und reduziert wie immer, nochmal deutlich glaubhafter rüber: gerade durch die trügerische, fast naive und selbstmitleidige Ruhe in Rs Stimme, mit denen er Ungeheuerlichkeiten wie „Flowers in your kitchen, they weep for you, I’m gonna shred them all to pieces, like I did to you“ ankündigt, sein lauernd, geradezu lasziv gehaucht, wiederholtes „Relax…“, Manuels eiskalt klirrendes Schlagzeug, der Hall der Gitarren und die nebulös wabernden Keyboards baut sich eine furchterregende Spannung auf, die schließlich in ULTHA-typischer brachialer Entladung zerrissen wird. Statt Gruseln herrscht hier echte Grauen, es wird hör-, ja geradezu fühlbar, wie ein einsamer, in seiner eigenen Welt lebender Geist, scheinbar klar denkend, doch in Wahrheit komplett dem Wahnsinn erlegen, agiert. Diese Zwiespältigkeit in Musik umzusetzen ist das wahre Kunststück, und es gelingt erschreckend perfekt. Mit nervenzerreißender Spannung spielen, und das Ende offen lassen – so kennen wir ULTHA, und zwar in jeglichem möglichen Sinne…

MORAST dagegen regeln auf der B-Seite die Drehzahl gehörig herunter auf doomige Trägheit, und schenken dem ursprünglichen flotten Rocker ´Blue Water´, der im selben Jahr wie ´Dawnrazor´ als sehr erfolgreiche Single erschien, ganze zwei Minuten zusätzliche Laufzeit. Um es vorwegzunehmen: von blauem Wasser kann hier keine Rede mehr sein, ihrem Namen und Genre entsprechend ist vielmehr eine trübe, sludgige Brühe daraus geworden, durch die sie sich hier, wie man es von ihnen kennt, unermüdlich durchkämpfen.

Stellt man sich beide Bands vor, wie sie in der Dunkelkammer Abzüge der Songs erstellen, so arbeiten ULTHA die ihnen wichtigen Details dessen, was die Briten vorgegeben haben, am Positiv heraus, legen den Fokus auf das Spiel mit wechselnder Belichtung, Körnung und Kontrast. MORAST hingegen erschaffen die gewünschte Stimmung dadurch, dass sie in die Tiefe gehen, Schicht um Schicht abschälen, bis sie am Kern angekommen sind; stripped down to the bone. Sie arbeiten direkt am Negativ, mit eher grobkörnigem Entwickler und natürlich genretypisch mit sehr, sehr viel Zeit. Und Groove. Und Bass, denn da hat ihnen Tony Pettitt natürlich eine Steilvorlage geliefert. Das Ergebnis hat schließlich nichts mehr von der nach außen gekehrten 80er Coolness, sondern berührt FIELDS OF THE NEPHILIMs rohe Essenz, so wie sie auch live zu spüren ist: Schwere, Schwärze, Hoffnungslosigkeit, Todessehnsucht, aber auch Mystik, Andersartigkeit und Stolz. Dadurch wird MORASTs ´Blue Water´-Interpretation zu einer Entwicklungsgeschichte, einem Coming-of-Age des Akzeptierens des eigenen Außenseiterstatus, das möglicherweise die jugendliche Zeit berührt, in der die meisten Fans diese so außergewöhnliche Band kennen lernten. Dies lässt dem Song trotzdem sein Mysterium, ja verstärkt es sogar noch. Reduced to the max.

Dieses Tribut ist für FIELDS-Fans, die offen in Richtung Extremmetall sind, absolutes Pflichtprogramm – für das Gefolge beider beteiligter Bands steht die Anschaffung sowieso außer Frage. Damit ist sie auch eine super Geschenkidee, auch für sich selbst, und ab sofort bei bandcamp zu erstehen…eine Split, die sich im Replay-Mode ganz wunderbar für lange Winterabende am Kamin eignet, wenn draußen der eiskalte Wind um die Häuser streicht…

(ohne Wertung, aber mit absoluter Kaufempfehlung!)

https://ultha.bandcamp.com/
https://morast.bandcamp.com/
https://vendetta-records.bandcamp.com/

ULTHA

~ Interview mit Chris und Ralph zu´The Inextricable Wandering´~

(Interview zuerst erschienen bei www.saitenkult.de am 21.01.2019)


ULTHA, eine der absoluten Speerspitzen des innovativen deutschen Black Metal, haben mit ihrer letzten Veröffentlichung nicht nur mitten in mein schwarzes Herz getroffen und die Platte des Jahres 2018 abgeliefert. Dieses hochintensive, aufwühlende Konzeptalbum zum Thema „Angst“ sprengt nicht nur stilistisch Genregrenzen, sondern bietet auch inhaltlich eine Menge Stoff zu Reflexion und Nachfühlen. Höchste Zeit daher, Ralph (Vocals, Gitarre) und Chris (Vocals, Bass) ein paar Fragen dazu zu stellen!

Hallo Chris, hallo Ralph!

Aller guten Dinge sind drei, sagt man – meine tiefe Verbeugung vor ’The Inextricable Wandering’, eurem dritten Studioalbum, das für mich einen absoluten Meilenstein der letztjährigen Veröffentlichungen im Metal markiert!

Ich stelle mir seinen Entstehungsprozess extrem fordernd vor – sowohl psychisch wie auch technisch. Zum ersten Themenbereich kommen wir später noch, jetzt soll es um die Kompositions- und Studioarbeit gehen.
Ralph, du hast mehrfach gesagt, dass dich diesmal ganz andere Bands begleitet und inspiriert haben. Wer war das beispielsweise, und was hörst du aktuell? Sind die Musikgeschmäcker innerhalb der Band sehr unterschiedlich? Was läuft bei euch so im Tourvan – falls überhaupt Musik läuft? Und hört ihr eigentlich eure eigenen Alben nach Veröffentlichung noch selbst an?

R: Erstmal Danke für die lobenden Worte und das tolle Review zur Platte (siehe hier). Es tut gut, wenn sich jemand wirklich Zeit lässt, sich auf eine Platte einzulassen. Wir schreiben halt keine Musik, die man mal eben kurz hört und dann ein Review schreibt.

Ein Album aufzunehmen ist für mich persönlich immer der schwerste Teil, weil ich einfach das Schreiben und Live spielen dem Arbeiten im Studio bevorzuge. Diesmal war aber leider sogar der Prozess des Schreibens unglaublich schwer, weil es mir extrem dreckig ging. Die Ereignisse, die zu ’The Inextricable Wandering’ geführt haben, sind dicht verknüpft mit einem unfreiwillig hohen Maß an Auseinandersetzung mit extremem Metal und der Szene an sich. Ich konnte schlichtweg kaum (Black) Metal hören, ohne unfreiwillig wieder durch die innere Hölle zu gehen. Deswegen waren die inspirierenden Quellen eher Wave-Sachen, traurige Indiemusik, Filmscores oder schlichtweg die Ruhe und Einsamkeit in meinem Zimmer. Heute ist der 24.12. und ich erinnere mich, wie glücklich ich letztes Jahr an diesem Tag war und einen Tag später meine Welt starb. Ich habe an diesem Tag ’With Knives To The Throat…’ und ’Cyanide Lips’ begonnen und sie am 26.12. inklusive Texten fertig gehabt.

C: Unsere Musikgeschmäcker sind schon sehr heterogen und breit gefächert. Jeder von uns hört Musik, mit der niemand sonst in der Band etwas anfangen kann und ich denke, dass diese Diversität viel der musikalischen DNS von ULTHA ausmacht. Das reicht buchstäblich von Klassik bis Crust-Punk. Aber natürlich gibt es auch viele Bands und Künstler, auf die wir uns einigen können. Entsprechend sieht die Situation im Van dann auch aus: von Konsens wie beispielsweise den frühen SEPULTURA oder bestimmten Post-Punk-Sachen, bis hin zu mehr oder weniger total abseitigem Kram, den niemand außer der momentane Fahrer wirklich gut findet. Natürlich kann das aber auch sehr inspirierend sein – ich habe so schon viel Musik kennengelernt, auf die ich in meiner Spotify-Blase niemals selbst gekommen wäre.

Ich persönlich höre unsere eigenen Alben nach Veröffentlichung relativ selten – man hört sie sich ja während des Mixens und Masterns unzählige Male an, so dass ich dann immer ganz froh bin, es erst einmal nicht mehr tun zu müssen. Dennoch landet ’The Inextricable Wandering’ relativ häufig auf dem Plattenteller. Vielleicht weil der Aufnahmeprozess so schnell vonstatten gehen musste, dass ich hier bei jedem Hören neue Details entdecken kann, die mir vorher nicht aufgefallen sind.

Habt ihr Vorbilder, was eure Instrumente oder euren Sound angeht? Was inspiriert euch außer eurem persönlichen Erleben und dem aktuellen Zeitgeschehen, welche anderen Kunst- und Ausdrucksformen haben euch geprägt und sind aktuell in eurem Fokus?

R: Bei mir wohl am ehesten Michael Gira und SWANS. Die mittlere SWANS Phase (später 80er/frühe 90er) ist für mich von der Atmosphäre und dem Songwriting her enorm wichtig. Aber bei dem Respekt vor Gira und SWANS geht es primär um die Antihaltung zu Trends und Kompromissen; nur die eigene Vision der Kunst zählt. Daneben gleich wichtig, wenn nicht sogar etwas wichtiger: Justin Sullivan und NEW MODEL ARMY. Seit so vielen Jahren bedeutet mir diese Band alles. Ihre Authentizität ist in meiner Welt ohnegleichen. Keine Worte berühren mich so sehr wie seine.

C: Schwierig. Klar gibt es Musiker, die mich inspirieren (der frühe Peter Hook, Dave Edwardson, Kira Roessler, Jef Whitehead…) aber ich würde nie auf die Idee kommen, mir aufgrund dessen spezielles Equipment zu kaufen, um deren Sound nachzueifern. In den meisten Fällen würde das ja auch nicht wirklich zum Gesamtsound von ULTHA passen.

Für mich ist ULTHA ein Paradebeispiel an Nonkonformismus in musikalischer wie auch stilistischer Hinsicht. Ein Gutteil eures Erfolges beruht eben darauf, die Dinge NICHT so zu machen wie man sie üblicherweise macht. Schlägt sich das auch in eurer Arbeitsweise im Studio nieder? Mit Andy und seinem „Goblin Sound Studio“ habt ihr ja fast unbegrenzte zeitliche Möglichkeiten…und inwieweit hat euer neues Label Century Media da eine Hand drauf?

R: Danke. Es ist schön, dass du das so wahrnimmst. Wir wurden ja am Anfang der Band oft als eine Band von Leuten angesehen, die aus dem Hardcore kommen und jetzt einen auf Metal machen. Dies war für uns ein weiterer Beweis für die Engstirnigkeit, die weite Teile der Metalszene immer noch beschränkt. Generell ist das aber bei jeder Szene so, wo man etwas weiter drin steckt als nur die bekannten Bands zu hören. Wir sind alle mit Metal aufgewachsen und lieben diese Musik. Sie ist aber eben nur einer von vielen Stilen, die wir mögen. Ich für meinen Teil fand 1993 zum Black Metal und habe hunderte CDs und Tapes gekauft. Diese standen dann im selben Schrank wie all meine Indierock-, Grunge-, Punk- und Hip-Hop-Alben dieser Zeit. EMPEROR waren da ebenso wichtig wie NIRVANA und der WU-TANG CLAN.

Jeder in der Band hat andere Lieblingsbands und andere Gewichtungen, welche Musik er am ehesten bevorzugt. Es gibt einige Konsensbands, aber eher viel Toleranz und Respekt für den Geschmack der Anderen. Aber eine andere Sache, die da ein wichtiger Faktor ist und uns so zusammenschweißt, ist unsere lange Zeit in der DIY-Szene, wo man Dinge selbst in die Hand nimmt, wenn sie einem wichtig sind. Dazu gehört auch eine gewisse Fuck-Off-Attitüde. Wir sehen uns deswegen wohl eher als Punks, in Form einer gewissen Antihaltung zu dem, was von einem verlangt wird, um eine „echte“ Metalband zu sein. Wir haben echt Sprüche bekommen, wir seien keine Black Metal-Band, weil wir so aussehen wie wir aussehen, oder weil unsere Texte auch mal von gebrochenen Herzen handeln. Es wäre fast lustig, wäre es nicht so bitter. Wir sind definitiv kein Teil dieser Bussi-Bussi-Gesellschaft in der Metalszene, wo sich alles um ein paar Protagonisten dreht und wer diese kennt, oder wer von den „coolen“ Labeln gesignt wird und damit eh unantastbar ist, egal wie medioker die Musik ist.

C: Ich bin dieses ganze Geheuchel und unablässige der eigenen Trueness Bedachtsein mittlerweile auch ziemlich leid – da unterscheidet sich die Metalszene im Kern halt kein Stück von irgendeiner anderen. Und klar zieht sich diese Attitüde auch durch den kompletten Schaffensprozess und die Arbeit im Studio. Wir überlegen nicht, ob wir eher nach DARKTHRONE oder MGŁA klingen wollen oder ob wir vielleicht mehr klassische Heavy-Metal-Elemente im Sound bräuchten, damit die hippen Labels Notiz von uns nehmen, sondern nur, welcher Sound am ehesten das rüberbringen kann, was wir mit unserer Musik ausdrücken möchten. Und Andy ist von solchen Engstirnigkeiten ja ohnehin komplett frei und sehr experimentierfreudig. Wenn also am Ende eher eine bestimmte Platte von SONIC YOUTH Pate für den Basssound steht, als irgendeine norwegische Black Metal-Scheibe, dann nehmen wir das dankend an.

Aber dennoch ist es nicht so, dass wir uns jetzt Tage und Wochen mit irgendwelchen Details aufhalten – auch hier sind wir deutlich mehr Punks als perfektionistische Muckertypen. Dreck unter den Fingernägeln darf es schon haben. Dementsprechend hat Century Media da auch keinen Anlass, sich zu beschweren. Und selbst wenn es uns jetzt einfallen würde, uns ein halbes Jahr im Studio einzuschließen – wenn es für das Endprodukt zuträglich wäre, würden wir uns auch da nicht reinreden lassen.

Spätestens mit ’Converging Sins’ hattet ihr euren Stil gefunden, doch erst mit der aktuellen Scheibe scheint ihr endgültig die Entwicklung zu eurer ureigenen Ausdrucksform abgeschlossen zu haben. Was ist das Einzigartige an eurer Musik?

R: Das ist ein schönes Kompliment. Danke. Wie Chris bereits erwähnte: wir tun das, was wir emotional und ästhetisch für das Passende halten, um das Gefühl hinter der Musik auszudrücken. Da kommen halt all unsere Einflüsse zusammen. Ich denke, eine Menge Bands lassen all die Musik, die sie konsumieren, Einfluss auf ihr Schaffen haben. Am Ende des Tages sind es dann halt super viele Variable (so in etwa: wie viel von welchem Einfluss lässt wer in der Band wie weit zu) die bestimmen, wie eine Band klingt.
Einige Leute hatten wohl auf eine zweite ’Converging Sins’ von uns gehofft, aber das hätte einfach nicht gepasst und uns auch nicht gereizt. Und das, was gerade im Jahr 2018 im Metal angesagt war, lässt uns völlig kalt. Entsprechend findest du überall die gleichen Bands in den Toppositionen der Jahresendlisten, die eben genau das machen, was gerade hip ist. Ich fühle mich der Band THERAPY? oder auch Künstlern wie SWANS oder NEIL YOUNG näher als jeder Metalband. Diese verbindet, dass es ihnen egal war/ist, ob ein Album kommerziell erfolgreich ist – es ging und geht nur um absolute Authentizität und Passion hinter der entstehenden Musik. DAS ist für mich echte Trueness.

Was unterscheidet dieses Konzeptalbum von euren vorigen Alben? Was kommt danach, wie kann man so etwas toppen – falls man das überhaupt will?

R: Es ist inhaltlich eine Anknüpfung an ’Converging Sins’, verknüpft durch den Song ’FEAR LIGHTS THE PATH…‘. Es gibt meinerseits schon eine Idee, wovon die nächste Platte handeln könnte, verknüpft durch ’I’M AFRAID TO FOLLOW YOU THERE’.

C: Der Gedanke, auf ein Release „noch eins drauf setzen“ zu wollen, ist uns allen total fremd, so hat diese Band noch nie funktioniert. Auch nach unserem Debüt ’Pain Cleanses Every Doubt’ gab es nie eine Situation, in der jemand gesagt hätte, dass wir jetzt dieses oder jenes anders machen müssten, damit das nächste Album so oder so wird. Unsere Musik ist immer Ausdruck unseres persönlichen Status quo, ob dass nun mehr oder weniger Leuten gefällt ist uns ziemlich gleichgültig.

R: Wir wachsen eben einfach als Band stetig weiter, sowohl in unserem Umgang an den Instrumenten, dem Zusammenarbeiten als Band als auch dem genaueren Bild, was wir von unserer Musik wollen.

Nun aber zu den mentalen Herausforderungen bei der Arbeit zu ’The Inextricable Wandering’. Angst ist das vorherrschende Gefühl unserer Zeit, sie regiert uns, und immer mehr Menschen werden durch die Medien auf der einen und die Vereinzelung innerhalb unserer Gesellschaft auf der anderen Seite in eine latente Furcht bis hin zu einer inneren Schockstarre getrieben. Es scheint kaum einen Ausweg hieraus zu geben. Ralph, was war deine Intention beim Schreiben dieser Songs?

R: Im Grundsatz, mich mit etwas zu befassen, das in meinem Leben schon sehr lange eine tragende Rolle spielt. Ich habe da schon oft und viel drüber nachgedacht und Gespräche dazu geführt. „Fear is the only enemy that I still know“ singt Justin Sullivan in ’Purity’, und der Satz ist bei mir schon sehr lange auf der To-Tattoo-Liste. Ich kam an den Punkt mit all meinen Ängsten und Sorgen, als ich alleine im tiefsten aller Löcher festsaß, dass dieser Satz wie ein Mantra in meinem Kopf gewandert ist.

Ich beobachte Menschen sehr gerne. Dies zumeist aus der sicheren Deckung des Fremden. Selbst da sieht man schon viel Angststrukturen. In der Gesellschaft wird Angst gezielt eingesetzt um Menschen im Zaum zu halten, um sie unter Druck zu setzen. Ich arbeite in einer Institution, die unterschwellig mit diesem Mittel arbeitet, um den Staat funktionstüchtig zu halten. Es ist nahezu surreal, wie viel Angst Schülerinnen und Schüler verspüren. Ich kann mich da gar nicht mehr so sehr an meine eigene Schulzeit erinnern, aber als Beratungslehrer bekomme ich da viel mit. Es ist grauenhaft, was Kinder teilweise aushalten müssen an Ängsten.In einer Philosophiestunde zum Thema Menschenrechte kam das Thema dann im Kontext Trump/Machthunger/Diktatur/Politik auf. Ich habe den Kindern dann mal ein spontanes Exempel an der Tafel gezeigt, wie Angst in diesem System genutzt wird. Sie waren so schockiert, weil sie sich in ihrem Kleinstadtleben bis dahin selten bis nie mit solchen globalen Strukturen befasst haben. Aber es hat sie fasziniert. Von da aus ging es dann im Top-Down Approach, also vom Globalen zum Lokalen, um das Thema Angst. Ich habe selten so viel Partizipation im Unterricht gehabt, weil ALLE Erfahrungen damit hatten.
Von da ausgehend fing ich an, vermehrt über meine Welt, meine Situation, meine Ängste und Sorgen zu sinnieren und am Ende Texte daraus zu bauen.
Als sei es Murphy’s Law kam dann Anfang letzten Jahres die Quittung und ich wurde meinen größten Ängsten ausgesetzt, und verlor. ’The Inextricable Wandering’ ist das Auseinandersetzen mit dieser Zeit.

Chris, wie setzt du Ralphs Konzept um, wenn du seine Lyrics einstudierst? Was macht das mit dir? Könnt ihr nachts noch schlafen, wenn ihr ständig an solch belastenden Themen arbeitet bzw. die Stücke live aufführt? Wie sehr nimmt euch das selbst mit?

C: Ich versuche gar nicht erst, mich in Ralphs Intention, Konzept oder gar seine Gefühlswelt hineinzuversetzen, auch wenn ich natürlich schon mitbekomme, was ihn beim Schreiben jeweils antreibt. In der Literaturwissenschaft heißt es „der Autor ist tot“, und im Prinzip gehe ich so an die Sache ran. Ich will, bzw. muss die Texte ja authentisch rüberbringen, so als wären es meine eigenen Worte, und das kann nur funktionieren, wenn ich soweit es irgendwie geht meine eigene Interpretation wiedergebe. Was Ralph sich konkret gedacht hat, oder warum er etwas genau so geschrieben hat, muss mir dabei völlig egal sein. Wenn ich das bis ins Detail analysieren würde, würde das automatisch meine eigene Wahrnehmung und Darstellung verfälschen. Vielmehr verbinde ich die Texte mit meinen ganz eigenen Erfahrungen und Emotionen, und gebe das dann wieder. Klar ist das manchmal nicht ganz einfach oder gar bedrückend, aber das ist ja auch zugleich das, warum Ralphs Texte so vielen Leuten so viel bedeuten – inklusive mir. Während der Live-Performance kommt es schon mal vor, dass es mir bei einzelnen Versen die Kehle zuschnürt, aber wenn ich damit ein Problem hätte, könnte ich das eben auch nicht in der Art und Weise machen. Hundertprozentige Emotion ist das einzige, was ich zu ULTHA beitragen kann.

Und wie ist es für dich, Ralph, wenn du Chris dabei erlebst deine Texte zu singen?

R: Er ist einer der Wenigen, die ich das tun lassen würde und wir haben uns vorher auch darüber unterhalten. Er kennt die meisten Sachen, aus denen meine Texte resultieren, von daher ist es irgendwie okay. Außerdem finde ich seine Art des Gesangs für den meist emotional-hysterischen Unterton der Lyrics ziemlich gut. Auf jeden Fall besser als meine Stimme.

Ihr seid vor kurzem zurückgekommen von eurer Herbst-Europatour (unser Livebericht aus dem Komma, Esslingen, siehe hier) – wie hat es sich angefühlt, die neuen Lieder live zu spielen? Plant ihr irgendwann auch eine Liveaufnahme, und falls ja, was wäre auf jeden Fall darauf zu finden?

C: Wir haben ja einzelne Songs auch vorher schon live gespielt, aber jetzt tatsächlich alle gleich mehrfach spielen zu können, war schon gut und auch wichtig. Gerade wenn man die Songs dann häufig spielt, fallen einem immer wieder Sachen auf, die man vorher gar nicht wahrgenommen hat. Eine Liveaufnahme ist aber erst einmal nicht geplant, wenn es sich quasi spontan ergibt wie auf dem Roadburn 2017, ja warum nicht, aber forcieren werden wir das nicht.

Ich lerne neue Bands am liebsten auf Konzerten kennen, so war es damals auch mit ULTHA. Seid Ihr selbst immer noch eifrige Konzertgänger? Habt Ihr Lieblingslocations als Musiker und als Fans?

R: Ich lerne meine Bands lieber auf Blogs kennen. Konzerte reizen mich von mal zu mal immer weniger. Nicht mal weil ich Bands nicht live sehen will, aber ich bin a) übersättigt, b) hasse ich es, wenn Soundmenschen Bands versauen (und das passiert oft) und c) hasse ich die Menschen um mich herum, denn diese versauen mir meistens das Erlebnis. Bei KILLING JOKE und NEW MODEL ARMY dieses Jahr wäre ich vom Gefühl her echt gerne handgreiflich geworden, weil mich so viele Idioten so sehr aufgeregt haben. Bei KILLING JOKE musste ich sogar früher gehen. Es gibt auch kaum noch Bands, die mich reizen rauszugehen.
Eine Ausnahme auf vielen Ebenen war das Konzert „The Mystery Of The Bulgarian Voices feat. Lisa Gerrad“ in der Christuskirche Bochum. Die Leute saßen, alle wussten sich zu benehmen und konzentriert zuzuhören. Kein Stören, kein Gröhlen, keine Betrunkenen die in dich wanken, keine Handys in deinem Sichtfeld etc. Es war unfassbar angenehm und dadurch total mitreißend, weil man sich wirklich voll auf die Musik einlassen konnte.

C: Ich nehme mir sehr viel mehr Konzerte vor, als ich dann tatsächlich besuche, weil ich oftmals dann doch lieber mit meinen Platten und einer Flasche Rotwein allein zu Hause bleibe. Das kommt sicher daher, dass ich recht übersättigt von Konzerten und dem ganzen Drumherum bin, zumal von Metal. Einer meiner Lieblingsläden, um selbst zu spielen, ist das Gebäude 9 in Köln, als Besucher liebe ich das Gleis 22 in Münster – kleiner Laden, aber gute Atmosphäre und immer super Sound. Mit ULTHA haben wir‘s da leider noch nicht hingeschafft und ich fürchte, dass das auch nicht mehr passieren wird.

R: Das ist aber auch in der Band bei jedem anders. Manu zum Beispiel würde auf jeden Fall häufiger auf Konzerte gehen, wenn er könnte. Nur da machen Arbeit, Studium und privater Kram oft einen Strich durch die Rechnung. Ich glaube, wenn ich nicht konstant so müde wäre von der Arbeit, würde ich auch nochmal anders darüber denken. Er ist jedoch echt ein totaler Showenthusiast!

Ein Grundpfeiler eurer Musik sind breitwandartig dimensionierte Soundlandschaften; ich bin daher sicherlich nicht die erste, die auf die Idee eines Soundtracks kommt – hattet ihr schon einmal Anfragen für so etwas? Was wäre der ideale Filmplot für ein solches Projekt?

R: Direkt als Soundtrack zu einem fiktiven Film hat unsere Musik noch niemand gesehen. Tatsächlich kommt aber öfter die Frage, ob Soundtracks einen Einfluss auf uns haben. Das kann ich auch voll nachvollziehen. Die Antwort ist da recht einfach, denn tatsächlich verliere ich mich gerne in Soundlandschaften von Komponisten wie Max Richter, Clint Mansell oder dem viel zu früh verstorbenen Jóhann Jóhannsson (R.I.P.). Filmscores und klassische Musik geben mir gefühlstechnisch viel mehr als jede belanglose old-school Heavy-Metal-Band, die die Metalszene gerade als neue Kultband abfeiert und so emotionsbefreites Gitarrengedudel rechtfertigt. Mit ’The Inextricable Wandering’ sind wir definitiv noch cinematographischer geworden. Eine Anfrage oder eine Idee einen Film zu vertonen gab es noch nicht, ich persönlich fände das unglaublich spannend.

Wie kommt es eigentlich zu euren stets sehr langen und lyrischen Songtiteln? Was liegt Buchtechnisch gerade auf eurem Nachttisch?

R: Ich empfand lange Songtitel schon immer spannender als Ein-/Zwei-Wort Titel. A) gibt es die Songtitel dann meist von 20+ Bands und b) ist einen Song einfach „Depression“ oder „Sadness“ zu nennen super plump. Keine Ahnung, es kam mit der Zeit einfach so, dass ich mit den Songtiteln schon einen Kontext legen wollte und man alleine dadurch genug Metaphorik hat, um zu interpretieren. Außerdem ist bei meinem Versuch, unsere Musik zu einer ganzheitlichen Sinneserfahrung zu machen, irgendwann das Gefühl geblieben, dass lange Songs auch lange Titel verdienen.
Momentan liegt neben dem obligatorischen ‚The Walking Dead‘ US-Paperback (Nr. 30 glaube ich) ‚Raven: The Untold Story of the Rev. Jim Jones and His People‘ von Tim Reiterman auf dem Nachttisch.

Lars, euer neuer zweiter Gitarrist, hat euch seit Erscheinen der neuen Platte live ausgeholfen und nun glücklicherweise zugesagt, festes Bandmitglied zu werden. Erzählt doch mal ein bisschen was zu ihm…

R: Lars ist seit Jahren die legitim einzige Person, von der wir wussten, er könnte den vakanten Platz von Jens bestmöglich füllen. Wir kennen ihn von Shows mit seiner Hauptband SUN WORSHIP. Er ist, abseits seines Wohnorts, der perfekte Kandidat. Er hat einen so großen musikalischen Horizont wie alle anderen in dieser Band, ist 100% Musikfan, der alles absorbiert was er kann, und lässt sich nicht beschränken in den Genres. Er hat eine ähnliche Sozialisation in Musik, Politik, Kultur, ist ein guter Musiker und Songschreiber, hat Studioerfahrung und ist dazu einfach einer der nettesten, smartesten und lustigsten Menschen, mit dem man Zeit verbringen kann. Mit ihm fühlt sich die Band seit Jahren wieder wie eine komplette Einheit an.

Ihr macht als Band auf mich den Eindruck einer Gruppe von Freunden – ist das tatsächlich so? Gibt es in eurem Bandgefüge feste Rollen, wer sich um was kümmert, gerade auch auf Tour? Wer ist denn für die Lebensmittel zuständig, und wer für die gute Laune im Van?

C: Ja, das ist schon so, die anderen Vier gehören schon zu meinen allerengsten Freunden. Zudem hat glaube ich keiner von uns mehr Lust auf eine reine Zweckgemeinschaft als Band – das hatten wir in der Vergangenheit alle schon mal. Das muss man sich wirklich nicht mehr antun, zumal wenn man die Band (bei aller Leidenschaft, die da im Spiel ist) ja „nur“ als Hobby betreibt. Und klar haben sich im Laufe der letzten Jahre halbwegs feste Rollen herausgebildet, es macht ja auch wenig Sinn, dass sich alle um alles oder einer um alles kümmert. Gerade letzteres ist bei der Menge, die ja um den eigentlichen Kern der Sache (das Musikmachen) anfällt, quasi unmöglich ab einer gewissen „Größe“.

Soweit ich gelesen habe, habt Ihr selbst auch schon Musikkritiken geschrieben, daher würde ich jetzt gern mal Rollen tauschen und euch zwei bitten, den jeweils anderen etwas zu fragen, was ihr schon immer von ihm wissen wolltet, euch bisher aber nie getraut habt zu fragen…

C: Ehrlich gesagt gibt es nichts, was ich mich nicht trauen würde, Ralph zu fragen. Zumal ich mittlerweile so viele Interviews mit ihm zusammen gemacht oder gelesen habe, dass da eigentlich echt keine Fragen mehr offen sind.

R: Same here.

und zum Schluss noch ein kleines Synaesthesie-Spielchen!

Wenn ULTHA eine Farbe wäre, dann wäre das………

R: Hm, dunkelgrau vielleicht? Nicht schwarz, denn irgendwo scheint immer dieses letzte Quäntchen Hoffnung durch. Ich habe vor Jahren in ähnlicher Verfassung wie gerade die zweite PLANKS geschrieben. Die hieß passenderweise ’The Darkest Of Grays’. Eventuell ist das auch ein guter Vergleich für ULTHA.

Wenn eure bisherigen Studioalben einen Geschmack hätten, wie schmeckte jeweils ’Pain cleanses Every Doubt’?
C: Scharf.

’Converging Sins’?
C: Herb-süß.

’The Inextricable Wandering’?
C: Bitter.

Euer jeweils aktueller Lieblingssong (von ULTHA und/oder anderen Bands) ist ….. und riecht nach ….. ?

R: Von ULTHA ist es ’The Seventh Sorrow’ und riecht nach unserer Nebelmaschine, denn der Anfang verlangte hohe Arbeitsleistung von dieser, um die Atmosphäre zu verkörpern.
An aktuellen Songs ’Suspirium’ vom SUSPIRIA-Soundtrack von Thom Yorke. Er riecht wie getrocknetes Blut, das von Tränen aufgeweicht wird, denn er ist das vertonte Empfinden meines Jahres 2018.

C: Von ULTHA ist es bei mir ’I’m Afraid To Follow You There’, der riecht nach eingetrocknetem Blut, ansonsten ist es derzeit wohl ’Sergé Bailmann’ von DACKELBLUT, und der riecht natürlich nach Schiffsdiesel und Salzwasser.

Eure jeweilige Leibspeise ist ….. und sie hört sich an wie/klingt nach …..?

R: Pizza Cipolla mit Oliven und Kapern. Da ich sowohl Essen als auch Musik unglaublich liebe, aber beides meiner Meinung nach in keinem Verhältnis zueinander steht, nehme ich hier den Soundtrack von Ocean’s 13 oder ’Axel F.’ von Harold Faltermeyer. An Tagen, wo die Welt mich an den Rand des Wahnsinns bringt, hilft die Kombi aus diesem Essen, einem der beiden Filme und kalter Cola gegen jede Bedrohung.

C: Ganz klar auch Pizza, allerdings mit Pilzen, Oliven, Paprika und Peperoni, und die kann nur nach ’Azzuro’ von Adriano Celentano klingen.

Euer jeweiliger absoluter Lieblingsfilm ist ….. und er fühlt sich an wie ….. ?

R: Das ist wiederum schwer, weil ich bei Filmen ein ähnlicher Nerd bin wie bei Musik. „Aliens“ und „Lost In Translation“ stehen auf einem Level, ohne das sie das geringste miteinander gemein hätten. „L.I.T.“ hat definitiv den emotionaleren Beigeschmack, und da würde ich sagen Verzweiflung, Verlangen und Versuchung.

C: Einen wirklich definitiven, absoluten Lieblingsfilm zu nennen fällt mir auch schwer. „Das Imperium schlägt zurück“ ist auf jeden Fall weit vorne mit dabei, und der fühlt sich an wie verlieren.


Herzlichen Dank für Eure Zeit und Geduld!

R: Danke für die fordernden Fragen und euer Interesse.

www.templeofultha.com
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Danke für sämtliche Bilder an: Void Revelations – www.voidrevelations.com

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ULTHA, VORDT live – Constructs Of Separation Tour

~ 18.10.2019, JuHa West, Stuttgart ~

22. Okt. 2019


Ein nasskalter Herbstfreitag in Stuttgart. ULTHA sind seit über einer Woche auf der „Constructs Of Separation Tour“ in Europa unterwegs, morgen wird sie beim Night Metal Fest X im belgischen Arlon enden. Das heute ist damit der letzte Clubgig dieser möglicherweise endgültigen Tour, es folgen noch zwei Festivals, das Fall Of Man und ihr eigenes Unholy Passion Fest, und das war‘s dann für dieses Jahr.

Die Helden sind müde, zehn Shows und ein paar tausend Kilometer stecken ihnen in den Knochen, einige sind leicht malad, die Stimmen wollen auch nicht mehr so gut wie zu Beginn. Dagegen ist die Stimmung innerhalb der Band sehr gut, ´Belong´, die vor gerade mal knapp zwei Wochen veröffentlichte EP (unser Review dazu gibts hier) ist für alle Seiten ein absoluter Überraschungserfolg, und auch die Bekanntgabe der zeitweiligen oder auch endgültigen Pause hat die Jungs merklich erleichtert. ULTHA haben auf dieser Tour wieder Spaß am gemeinsamen Spiel gefunden.

Die Band freut sich merklich auf diesen Gig, es sind viele Freunde da, auch unter den Fans hat es sich natürlich herumgesprochen, dass dies die einzige Möglichkeit sein könnte, ULTHA zum vielleicht letzten mal in intimerem Rahmen zu erleben. Also ist das Jugendzentrum knallvoll, heute wollen alle es nochmal wissen. Dementsprechend ist ein überlanges Set geplant – das bedeutet in ULTHA-Maßstäben vielleicht sogar vier Songs. Die Spannung im Publikum steigt.

Wie üblich variieren die Kölner ihre Setlist jeden Tag, heute steigen sie mit ´The Avarist´, dem so überwältigenden wie verstörenden Opener des letzten Albums ´The Inextricable Wandering´ ein. Zeitzähler: 14:34 min. Ein paar Fotografen erhaschen einige Bilder, geben jedoch schnell auf und sich der absolut hypnotischen Stimmung hin. Manch einer unter den Zuschauern wird das halbe Konzert mit vor Staunen offenem Mund dastehen – soweit stillstehen überhaupt möglich ist.

Unendliche Mengen Nebel quellen von der niedrigen Bühne, der Rauchmelder macht sich laut piepsend bemerkbar (oder war das erst vor der Zugabe? Sorry, kompletter Konzertblackout…). Die Gerüchte gingen bereits zuvor herum, heute soll ´Belong´ komplett gespielt werden. Na gut, zwei Songs, alles im Rahmen, denkt sich der Uneingeweihte. Das „Dark“-Intro von ´No Fire, Only Smoke´ startet, noch habe ich die Augen offen. Zeitzähler: + 17:05 min. Zum zweiten Mal höre ich diesen Übersong live, doch nun ist er während der Ausarbeitung des Reviews ein Teil von mir geworden. Das Thema setzt ein, wird wiederholt. Chris beginnt zu singen, ich spreche mit. Augen zu. Weggebeamt, in einer anderen Welt. Augen wieder auf, Leute um mich herum schlagen mit der Faust auf ihren Kopf oder ihre Brust ein, im Takt mit Manus Blastbeats. Propellerheadbanging oder stilles Mitschwingen. Aufgerissene Augen, fassungsloses Kopfschütteln bei denjenigen, die das hier zum ersten Mal hören, alle sind in Bewegung. Jetzt Ralphs extrem emotionaler Part. Absolute Verzückung allerorten. Und wohlgemerkt, wir sprechen hier von Black Metal!

Alle sind fassungslos, Applaus gibt’s erst nach ein paar Sekunden. Doch keine lange Zeit zur Erholung, es geht gleich weiter mit ´Constructs Of Separation´. Keine Ahnung, wie Manu das hinter seinen Drums durchhält, die EP fordert ihm alles ab, das sind ewig lange hyperschnelle Passagen im Wechsel mit sehr exakt zu spielenden, mal extrem heavy, mal jazzigen Parts – Zeitzähler + 21:08 min. ´Constructs…´ ist live ein Monument, heavier und intensiver habe ich ULTHA noch nie erlebt. Dieser Bass, dieser Doom! Mittlerweile klebt jedem sein Shirt am Leib, es ist extrem heiß im Raum, herumgeworfene Haare sprühen Schweißtropfen durch die Luft. Viele Bands sprechen von Live-Ritualen, ULTHA würden da nur abwinken, aber produzieren hier gerade selbst eines der allerintensivsten Art. Der Sound ist gut, jeder Akteur ist herauszuhören. Andys so wichtige Keyboards rulen in diesem Song besonders, und das Gitarrenduo Lars und Ralph spielt sich in einen Rausch. Der RUSSIAN CIRCLES-artige Part mit Ralphs extrem tiefer Klarstimme. Gänsehaut, denn jetzt geht`s gleich noch tiefer rein in die Emotion. Manuel ist ein Halbgott hinterm Schlagzeug. Und diese schier unendliche Steigerung der Spannung! Chris schreit sich die Seele aus dem Leib. Das Finale ist nicht von dieser Welt, zu zweit brüllen sie die letzten Worte, zwei Töne von Chris‘ Bass, und Schluss? Nein, so einfach lassen sie uns nicht los, sie ballern das Hauptriff noch ein paarmal heraus und sind hinterher ganz offensichtlich selbst genauso überwältigt von der von ihnen entfesselten Macht wie wir.

Das waren jetzt drei Black-Metal-Boliden und 52:50 durchgespielte Minuten. Manu stolpert irgendwie raus an die Luft, keine Ahnung, wie er sich dort für die Zugabe dopt. Denn die wird gefordert, und wie! Das Publikum tobt, schreit, klatscht, die Band kann so unmöglich aufhören. Doch was soll nun noch kommen? Natürlich nur die Bandhymne, ´Fear Lights The Path (Close To Our Hearts)´. Zeitzähler: + 16:54 min absoluter Schwärze. Hier wird die wortwörtliche Bedeutung von Black Metal schon allein durch die Schwere von Chris‘ Basssound körperlich spürbar. Und dann diese Gitarrenmelodie! So gespenstisch wie verführerisch sie ist, fesselt doch vor allem der folgende Wechselgesang von Chris und Ralph im Refrain, ich muss ihn einfach immer mitschreien – und bin natürlich nicht die Einzige, der das so geht. Hören sie uns auf der Bühne überhaupt, in all diesem wahnsinnigen Furor? Was für ein Lied, was für ein krasser Abriss! Pure Trance. Augen nochmal zu. Genießen, sich mit-, nein wegreißen lassen. „Making – Every – Promise -Empty“. Schluss, aus.

Frenetischer Applaus, Fassungslosigkeit, Überwältigung überall – das soll’s nun gewesen sein? Kaum einer spricht. Die meisten Musiker haben die Bühne verlassen, doch mancher kann sich noch nicht so recht trennen. Noch völlig hilflos und verloren in dem, was hier gerade geschah…

Endstand: 4 Songs und 70 Minuten emotionaler Ausnahmezustand. Außerweltlich geniale Musik, live nochmal auf einem ganz anderen Level dargeboten. Was für eine Band, was für ein Ritt!

Epilog

Tja, eigentlich hatte ich fest vorgehabt, den heutigen Abend rein als Privatperson zu erleben – doch dann war der Drang, ULTHA im dichten, roten Nebel und ganz nah noch einmal im Bild festzuhalten, diesen speziellen Abend zu dokumentieren, einfach grösser. Und wie ihr seht, schließlich auch das Bedürfnis, dieses Ereignis durch ein paar Worte festzuhalten. Ich habe die Kamera anfangs recht schnell weggepackt, um mich nicht um das so intensive wie bittersüße Konzerterlebnis zu bringen.

Doch als ganz am Schluss, nach der Zugabe, Lars und Chris völlig am Ende noch viele Minuten lang zusammengekauert auf der Bühne sitzen, ins Leere starrend, während vom Band ´There Is No Love, High Up In The Gallows´ läuft, einige Fans ebenfalls immer noch im sich auflösenden Nebel verharren, jeder in seinem eigenen Film und dem, was wir hier gerade gemeinsam erleben durften, gefangen, fiel es mir extrem schwer, in diesem fast heiligen Moment noch einmal die Kamera in die Hand zu nehmen. Doch ich glaube, dieses Bild spricht noch viel mehr von diesem magischen Abend als all die anderen, die heute einzufangen versuchten, was ganz sicher kein Anwesender jemals vergessen wird.

Danke, ULTHA. Für Alles. We all EXIST FOR NOTHING.

PS: Von der Supportband VORDT aus Stuttgart habe ich leider kaum etwas mitbekommen, da ich während ihres Sets kaum aus dem Foyer herausgekommen bin, zu viele Freunde waren da, zu viel gab es zu besprechen. Einen kleinen und sehr positiven Eindruck der Formation, die heute ihren allerersten Auftritt hatte, konnte ich jedoch erhaschen, und die Kombination von weiblichem Gesang und progressivem Depressive Black Metal hat einiges Potential. Sorry Leute – das nächste Mal auch mit Bildern!


ULTHA, LOTH, SUNKEN – The Inextricable Wandering Tour

~ 27.10.2018, Komma, Esslingen ~


Zur Feier des Tourabschlusses erst noch ein Vortrag plus Podiumsdiskussion über die Verquickung von Faschismus und Black Metal – das haben ULTHA nicht verdient…so war mein erster Gedanke, als ich die Ankündigung des Veranstalters überflog. Die INQUISITION-Kontroverse aus dem vergangenen Jahr verfolgt die Kölner mit süddeutschen Wurzeln bis heute, obwohl sie mehrfach dazu Stellung genommen und sich für ihren Fehler, das Festival in Rotterdam damals mit der umstrittenen Band zu spielen, erklärt und entschuldigt haben.

Doch Niels Penkes breit angelegter Vortrag über „Antisemitismus und Faschismus im (Black) Metal“ (hier ein link zu einem seiner Texte) ist gespickt mit historischen und aktuellen Beispielen aus der offenen wie der verdeckten NSBM-Szene sowie dem fast undurchschaubaren ideologischen Geflecht zwischen Musikern, Labels und Einzelakteuren, und regt im Anschluss tatsächlich zu einer regen Diskussion zwischen dem heutigen Veranstalter, JUZ-Mitarbeitern und Besuchern an, gerade über die Schwierigkeit, wie man sich innerhalb dieser Grauzone orientieren und antifaschistisch klar positionieren kann. ULTHA werden nach ihrem persönlichen Erleben des damals hoch aufkochenden Konflikts gefragt und berichten von Diffamierung bis hin zu offener Bedrohung, R fasst ihre diesbezüglichen Gefühle schliesslich folgendermassen zusammen: „Always left but never right“. Am Ende lautet jedoch das positive Fazit aller: die Szene hat ein latentes Naziproblem, und es ist gut und dringend notwendig, dass dies – wie heute Abend geschehen – endlich einmal offen angesprochen wird!

Aber eigentlich geht es ja um Musik, und während manch Besucher noch weiterdiskutiert, stehen bereits SUNKEN aus Aarhus auf der Bühne. Sie können mit ihrem klagend-melancholischen Post-Black Metal, angelehnt an WITTR und ALCEST, die Leute jedoch nicht wirklich überzeugen, da ist bei der jungen Band noch viel Luft nach oben. Wir erleben hier jedoch den ersten halbnackten Schlagzeuger des heutigen Abends, an dem sich drei sehr talentierte Trommler sozusagen die Staffelstöcke nacheinander in die Hand geben.

Bei den Lothringern LOTH geht es dann schon deutlich handfester zur Sache, und die Publikumsreaktionen fallen auch entsprechend bewegter aus, ihr stark rhythmusbetonter, fast hardcorelastiger Black Metal mit atmosphärischen Anklängen geht in die Beine und macht manchen Nacken schon etwas lockerer für das, weswegen eigentlich alle hier sind.

Nach kurzem Umbau, ein bisschen Gaffataping, kaum Soundcheck und wie immer völlig unprätentiös stehen nun endlich die Headliner auf der Bühne, doch mit dem ersten Riff von ‘The Avarist (Eyes Of A Tragedy)’ geht eine plötzliche Verwandlung durch den Saal, die Atmosphäre wird dichter, feierlicher, ja erhaben, und zieht augenblicklich jeden Anwesenden in den Bann. Nach acht Auftritten auf dieser Tour hört man sofort, wie perfekt sie miteinander harmonieren, und auch wie gut Lars von SUN WORSHIP inzwischen integriert ist. Aber wie funktionieren die neuen Songs live, auf denen bei dieser Tour der Fokus liegt?

Einfach phantastisch! Die immense Dynamik von ‚The Inextricable Wandering’ (s.a. unsere Kritik hier) gewinnt live nochmals an Intensität, sowohl in den getragenen Passagen wie vor allem auch auf den Hochgeschwindigkeitsstrecken. Das Publikum spiegelt wider, wie man diese Musik genießen kann: mit geschlossenen Augen zart mitschwingen, wild abbbangen, die Hände feiernd zum Himmel recken, mitschreien – so wie das gesamte Gefühlsspektrum abgedeckt wird, findet sich auch jeder wieder in diesem Klangkosmos der härteren Art.

Und gleich an zweiter Stelle folgt auch schon mein Favorit der Platte, ’With Knives To The Throat And Hell In Our Hearts’, dessen entfesselt-blastende Energie und fast himmlische Melodien seinen Ohrwurmcharakter nur bestätigen, auch hier fasziniert der dialogartige Wechselgesang zwischen Chris und R, jedes Riff, jeder Schlag von Manuel sitzen perfekt. Was für ein wunderbarer Mahlstrom an Rhythmus und Groove!

Und ja, dann spielen sie ihn tatsaechlich, den neuen knapp zwanzigminütigen Monolithen, den Referenzsong der aktuellen Platte:  ‚I’m Afraid To Follow You There’ ist ULTHA auf dem Silbertablett serviert, hier kann jedes einzelne Bandmitglied zeigen, was es draufhat, verwoben in ein flirrendes, zuckendes und undurchdringliches schwarzes Netz aus Schreien, Klãngen, Melodien und es immer wieder aufreissenden Breaks – mitreissend, erfüllend, tranceerzeugend, tröstend…

Das soll schon alles gewesen sein? Wir fordern Zugabe! Und diese ist (und bleibt?) das bislang übliche Ende der ULTHA-Gigs: ‘Fear Lights The Path (Close To Our Hearts)’ entlässt uns verschwitzt und glücklich in die Esslinger Nacht. Grosse Bühnen und Festivals weltweit – ULTHA are ready for you!

https://templeofultha.com/
https://vendetta-records.bandcamp.com/album/apocryphe
https://sunkendenmark.bandcamp.com/